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Eminas Haut


„Der Mond wird verkauft, ein Hektar für zwei Dollar!“ Raknas Stimme hallt zynisch zwischen Fahrer – und Beifahrersitz hin und her. “Welchen Krater hast du ins Auge gefasst?“ Ihr behagt die spröde, deutsche Waldlandschaft nicht. Das Landleben im Allgemeinen, die robusten Menschen, ihre Genügsamkeit und ihre Verschwiegenheit sind ihr fremd. Sie versteht nicht, warum ich mich nach all dem sehne. Diesem Umstand verleiht sie Ausdruck indem sie ihre schwarze Hornbrille mit dem Mittelfinger über den Nasenrücken schiebt. Die Bewegung erzeugt einen Knoten oberhalb meines Kehlkopfes. Die Hunde verpesten mit ihrem Atem die Luft.
Als wir in der Jagdhütte ankommen, hängt der Mantel bereits an der Garderobe. Unter ihm, pedantisch angeordnet, ein paar grüne Gummistiefel, an denen noch ein wenig getrocknete Erde klebt. Rakna hat eine der Reisetaschen so vor die Brust gehalten, dass ihre Augenwinkel die Stiefel nicht mehr ausmachen können und stolpert inmitten eines großen Schrittes darüber. Sie stößt einen Fluch aus, lässt die Tasche mit Wucht auf den Dielenboden knallen und sieht mich lauernd an. Ihre Brille stürzt ebenfalls Richtung Fußboden und ich weiß, es ist besser, das Geschehen nicht weiter zu kommentieren. Obwohl dieses Wochenende unser Versöhnungswochenende sein soll haben wir die ganze Zeit gestritten. Kleinigkeiten wachsen zu Bergen von Wortsalven aus. Ich bin es Leid ihrem Jähzorn noch etwas entgegenzusetzen. Der Abend verläuft nicht bemerkenswert, wir entzünden Petroleumlampen und geben uns dann halbherzigen Zärtlichkeiten hin.
Am anderen Morgen ist mein erster Gedanke, hinter den Gewächsen des allgegenwärtigen Waldes verschwinden zu wollen. Ich lege die aufgeregten Hunde an die Leine, während ich Raknas kaltes Gesicht Kaffee machen sehe. „Wo ist meine Jacke?“ rufe ich zu ihr herüber, weil es ihre Angewohnheit ist, die Taschen und Koffer auszupacken und alles zu verstauen. „Im Schrank, rechts.“ Ich gehe ins Schlafzimmer und öffne die Türen.
„Sie ist nicht da“, sage ich, und konzentriere mich darauf meine Stimme in eine Tonlage zu senken, die Rakna nicht wütend machen wird. Ich sehe ein zweites Mal nach, kann aber nichts finden. Das Seil, welches sie mir um den Hals legen würde, wenn ich weiterhin ihre Ordnung bestritte, liegt deutlich spürbar auf meiner Haut. Ich beschließe die Sache beizulegen; leise schleiche ich zu dem Bügel, auf dem der unbekannte Mantel hängt, und schlüpfe mit dem linken Arm zuerst hinein. Er ist behaglich und umschließt meinen Körper wie Etwas das atmet. Es kommt mir vor, als habe er sich mit einem leichten Seufzen über mich gelegt. Ich will auch die Stiefel probieren, weil ich zu vermuten beginne, dass jemand die Kleidungsstücke für mich hinterlassen haben muss. Mit den Fingern gleite ich in ihr wärmendes Inneres: Das Futter hat eine andere Beschaffenheit als gewöhnliches Leder. Viel weicher, und es ist sanfter Flaum von Fell oder Haaren spürbar. Der Stiefelschaft schmiegt sich angenehm um meine Waden.
Im Freien empfängt mich mechanisches Rauschen. Das Tuscheln der bewegten Wipfel erinnert an Sequenzen, die von einem alten Plattenspieler mit abgenutzter Nadel in die Atmosphäre geschleudert werden. In der Morgendämmerung verschwimmen die Farben zu heuchlerischen Gestalten. Während einer der beiden Hunde sich an einer robusten alten Eiche entleeren will, versinke ich mit den Füßen im weichen Waldboden. Von meiner Stirn aus erleichtert sich mein Körper seines Geistes und bleibt verlassen zwischen den Tannen zurück.

Die Sonne hat sich auf den höchsten Punkt ihrer Umlaufbahn geschoben und schickt grelles Licht vom blassblauen Februarhimmel. Erst jetzt legt sich merklich Erschöpfung über meine Gliedmaßen und ich stoße mit leisem Keuchen die Tür zur Hütte auf. Sie öffnete sich mit einem hohen, schrägen Ton. Ich schleiche ins Innere und erwarte dass aufgebrachte Gesicht Raknas, wie es Vorwürfe auf meinen Brustkorb prallen lässt. Aber alle Räume sind leer, die Petroleumlampen erloschen. Kälte starrt mir entgegen. Rakna scheint das Haus schon lange verlassen zu haben; die Küche ist sauber, die Spuren unseres letzten Streites verwischt. Eine Ahnung über ihre Abreise setzt sich in mir fest. Im Schlafzimmer ziehe ich die Schranktür auf. Entgegen meiner Befürchtungen hängen akkurat gebügelte Blusen und ordentlich gestapelte Wollpullover in Lavendelduft und altem Holz. Eine Weile denke ich darüber nach mich im Ärger über die Unberechenbarkeit Raknas zu verlieren. Aber Etwas von dem wohligen Gefühl, dass mir der Mantel gegeben hat, ist mir geblieben.
Ich will erfahren, wem er gehört hat, und suche das Gästebuch heraus. Jemand hatte blaue Tinte in kleinen spitzen Buchstaben über das Papier gehetzt. „Emina“ pellt sich aus dem letzten Schriftzug. Allerdings sieht es nicht aus als habe eine Frau mit diesem Namen unterschrieben. Vielmehr scheint es, als sollten die Worte an sie gerichtet sein. Ich kann die Sprache nicht einordnen. Enttäuschung breitet sich in mir aus. Viel zu lange begaffe ich das Papier.

Einige Stunden verbringe ich mit Warten. Rakna kommt nicht wieder zurück; ich sorge mich nicht sonderlich. Trotzdem fühle ich mich allein. Mit der rechten Hand reibe ich die Finger meiner Linken. Es wird dunkel, aber ich denke nicht daran die Lampen mit Petroleum zu füllen. Statt dessen werfe ich mir den Mantel um die Schultern. Er wärmt mich; tröstet mich. Erleichtert mir die Schuldgefühle, die langsam beginnen an mir herabzutropfen. Schließlich lecken sie am Mantelsaum. Meine neugefundene Schale schüttelt sie ab.
Die Nacht verschluckt ihre Stunden. „Emina...“, flüstern mir die Wände entgegen. Die Stimme ist so eindringlich, und ich weiß nicht, wo ich suchen soll. Aber ich fühle deutlich, dass sie hier irgendwo ist.
Irgendwann begreife ich, dass ich alleine bleiben werde. Meine Kraft reicht noch aus um die unruhig gewordenen Hunde zu versorgen. Wieder gehe ich an die Tür, schiebe meine Füße in die Stiefel. Sie sind noch warm, obwohl mein letzter Spaziergang bereits Stunden zurückliegt. Weil die Unterscheidung zwischen der Haut in den Stiefeln und meiner eigenen nicht kenntlich ist, verzichte ich auf Socken. Die Stiefel zu tragen ist wie jemanden sachte zu berühren.
Draußen ist es schwarz. Wie eine Maschine setze ich einen Fuß vor den Anderen. Ich erinnere mich nur an eine Handlung, die irgendwie von mir entfernt stattfindet: Der größere der beiden Hunde reißt sich plötzlich aus der Dunkelheit und legt mir Etwas Weißes in die Hand. Zuerst baumelt das Geschenk nutzlos zwischen meinen Fingern. Dann befühle ich es.


In dieser Nacht schraubt sich ein Traum durch meinen Schlaf. Das Gefühl, aufgewacht zu sein ist so deutlich, dass ich wirklich daran glaube. Ich trage einen Bademantel, seine Kapuze bedeckt meine Haare. Sie fühlen sich nass an. Hundestimmmen fordern mich auf, mich anzuziehen. Der Flur ist enger als sonst. Neben den Garderobenhaken, an dem mein neuer Mantel bewegte Falten schlägt, breitet sich ein ovaler Spiegel aus. Rechts hängt ein kleiner Glaskasten. Etwas daran pulsiert, als schlügen leise Herztöne aus ihm. Dann spüre ich eine Berührung: Der Mantel streicht leise über meine Handgelenke und erinnert mich daran, dass er getragen werden will. Ich lasse den Stoff des Bademantels über meine Schultern gleiten und ziehe die Kapuze ab. Dicke Haarstränen kleben auf der Haut an meinem Hals. Mein Blick fällt darauf als ich in den Spiegel schaue. Es ist nicht mehr blond, sondern schwarz. Ich versuche mich zu erinnern. Beginne zögerlich meinen Körper zu beobachten. Brüste, die ich nicht kenne, wölben sich über einen Bauch, dessen Gewebe nachgiebig und gebläht in dicken Schichten über meinem Magen liegt. Durch meine Beine ziehen sich dunkelblaue Adern. Im Flur sagt eine Männerstimme herrschend: „Emina!!!!!!!!“ Die Stimme ist mir vertraut. Ich will ihr folgen....

Ruckartig ausgestoßener Atem katapultiert mich aus dem Schlaf. Die Sonne scheint. Hundenasen bohren sich feucht in meine Seite. Laufen, nur laufen. Obwohl ich mich erschöpft fühle von der Nacht, werfe ich den Mantel über, um nach draußen gehen zu können. Ich beruhige mich. Ich würde ihn nie wieder ausziehen. Die Stiefel befinden sich zu meiner Verwunderung an meinen Füßen, obwohl ich sie nicht gespürt habe. Auch sie würde ich nie wieder ausziehen. In der Manteltasche finde ich einen Jutebeutel. Der Stoff ist hart von einer getrockneten Flüssigkeit; sie hat sich rotbraun in die Fasern gezogen. Mit dem bekannten Pfiff fordere ich die Hunde dazu auf, mit mir das Haus zu verlassen. Sie lachen über mich, und freuen sich und rufen mit ihren kehligen Stimmen: „Emina, du bist wieder da!!!!!“ Auch ich freue mich ihre Sprache zu erkennen. Die Zweige im Wald biegen sich vor mir durch ein leises Knarren nach hinten, um den Weg freizugeben. Meine Finger halten den Jutebeutel so weit auf, dass die Hunde ihre Geschenke hineinwerfen können. Sie sind weiß, an manchen kleben noch Fleischfasern und getrocknetes Blut. Frische, weiße Knochen. Mein Hunger lässt mich schneller gehen. Die Zeit dreht sich in meinen Ohren, ich bin nicht mehr ......

Vor der Jagdhütte wartet Frenzen. Er hat fast zu lange gewartet. Die Sehnsucht nach Emina hat seine Wangen hohl werden lassen. Er beobachtet die Frau im Mantel erwartungsvoll und sieht zu wie sie sich durch das Unterholz auf die Jagdhütte zu bewegt. Als sie vor ihm steht, hebt er seine pergamentbespannte Hand und wischt ihr liebevoll ein wenig Blut von den Wangen. „Bist du nun satt, kleine Emina?“
Die Frau nickt und reicht ihm mit der linken Hand einen Jutebeutel und eine schwarze Hornbrille. Dann verschwindet sie im Wald.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 18.12.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Mareike, die die Geschichte nie mochte

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