Eilig rannte Emma Alexis, eine zweiundzwanzig-Jährige Jura Studentin, durch einen der engen Gänge der Universität in Lima/Ohio. Ihre Aktentasche hing unsicher auf ihrer schlanken Schulter und drohte jeden Moment herunter zu rutschen, während die junge Frau unkontrolliert um die nächste Ecke schlitterte und schließlich vor einem der großen Hörsäle stehen blieb. Sie rückte ihre weiße Bluse und ihren engen schwarzen Rock zurecht, steckte sich eine Strähne ihrer langen, schwarzen Haare zurück in ihren Zopf und stieß dann geräuschvoll die Luft nach draußen, ehe sie die Türklinke nach unten drücke und vorsichtig einen Schritt in den Saal trat. Unmittelbar kam ihr eine Woge von Schweiß, Pfefferminzkaugummi und billigem Parfüm entgegen, den sie mit einem Wedeln der Hand versuchte fort zu wischen. Vergeblich. Für einen kurzen Moment blieb sie an Ort und Stelle stehen, ehe sie sich langsam und unauffällig, darauf bedacht niemanden zu stören, auf den Weg zu einem der Plätze, in den mittleren Reihen begab. Mit einer gewohnten Bewegung, verfrachtete sie ihre Aktentasche auf den freien Platz neben sich, zog ihren Laptop hervor und schaltete ihn ein. Das vertraute Summen ertönte sofort, lenkte die junge Studentin von dem unangenehmen Geruch ab und erinnerte sie daran, wie viel sie noch zu tun hatte, bis dieses Semester vorbei war. Langsam klickte sie sich durch die Dokumente in ihrem Laptop, nahm ab und ab einen Schluck von ihrem Kaffee und lauschte nebenbei der Stimme ihrer Professorin, die gerade mit drei weiteren Studenten ein Fallbeilspiel durchging. Das gesuchte Dokument öffnete sich schließlich, ohne dass sie es wirklich ansehen wollte und sie begann mechanisch auf den Tasten herum zu tippen. Sie war so vertieft in ihre Arbeit, dass sie nicht bemerkte, wie die Zeit an ihr vorbeilief. Wie die Zeiger der Uhr sich immer weiter schoben. Erst als die Professorin sie mit ihrer ruhigen, aber dennoch durchbrechenden Stimme, entließ, kam sie zurück in die Realität. Mühsam streckte sie ihre verspannten Knochen, stand auf und steckte ihre Unterlagen samt PC zurück in ihre Tasche. Den leeren Kaffeebecher schmiss sie im Vorbeigehen, neben der Tür in den Mülleimer und verließ dann den Saal.
Der Frühling hatte Ohio erreicht. Hatte die kalte Luft des Winters vertrieben und tauchte den Vorhof der Universität in ein helles, warmes Licht. Emma seufzte, schulterte ihre Tasche und ging hinter einer kleinen Gruppe von Studenten nach draußen. An einer kleinen Bank aus Metall, mit einem kupferfarbenen Anstrich blieb sie stehen und ließ sich vorsichtig darauf sinken. Sie griff in ihre Tasche, holte erneut ihren Laptop und eine Mappe hervor, während sie geistesabwesend darin herumblätterte. An ihrem Plan für den Tag hielt sie schließlich inne und seufzte geräuschvoll, als sie den Namen des Professors sah, den sie nun für die nächsten Stunden ertragen musste. Ryan Blake. Er war der wahrscheinlich begehrteste Professor der Universität, was wohl hauptsächlich an seinem jungen Alter und seinem obendrein auch noch guten Aussehens lag. Zwar musste die Dunkelhaarige zugeben, dass seine Vorlesungen immer sehr interessant waren, dennoch war sie sich nicht sicher, was sie von ihm halten sollte. Ihr missfiel seine Show, die er abzog. Sein Anblick, wie er mit einem zufriedenen Grinsen da stand und es genoss, dass alle weiblichen Studentinnen ihm zu Füßen lagen. Alle, außer Emma Alexis. Diese beeindruckte das alles nicht. Nicht seine strahlend, blauen Augen oder seine vollen, hellen Haare, die sich perfekt um sein Gesicht schmeichelten. Nicht einmal seine Muskeln, die man deutlich unter seinen engen Oberteilen sehen konnte. Unvermittelt zog sich der Magen, der jungen Frau, zusammen, als sie an seine glühenden Blicke und seine zweideutigen Anspielungen dachte, die er schon allzu oft auch in ihre Richtung abgefeuert hatte. Zwar wusste sie, dass er so zu den meisten weiblichen Wesen war, dennoch kam es ihr auf eine unheimliche Art komisch vor, wie er sich verhielt. Mit einem Kopfschütteln scheuchte sie schließlich die Gedanken an ihren Professor beiseite.
„Hörst du eigentlich jemals auf zu arbeiten?“ Die vertraute Stimme holte Emma vollends zurück in die Gegenwart. Ihre beste Freundin, Sky, ließ sich neben sie auf die Bank fallen und deutete mit einem Nicken auf den Laptop auf ihrem Schoß.
Emmas Mund verzog sich zu einem kleinen Lächeln. Sie hob die Schultern an und antwortete: „Du weißt, dass mir das hier wichtig ist. Außerdem gibt es nicht wirklich viel, was man an einer Uni sonst machen könnte, oder?“
Sky antwortete nicht darauf. Stattdessen wurde ihr Grinsen breiter. Ihre Augen fingen an zu strahlen. Sie sah toll aus, mit ihrem festen Dutt und den einzelnen Strähnen, ihrer blonden Locken, die ihr locker auf die Schulter fielen. Ihr schwarzer Hosenanzug schmeichelte ihren Kurven und passte perfekt zu ihr. „Ich könnte dir erzählen, was schon den ganzen Tag, das Thema von allen hier ist.“, schlug sie vor.
„Thema?“ Emma hob eine Augenbraue. „Was denn für ein Thema?“
Die Blondhaarige rutschte ein Stück näher, klappte den Laptop auf dem Schoß ihrer Freundin zu und holte tief Luft. „Du kennst doch Mr. Martinez, oder? Er unterrichtet seit einigen Monaten die oberen Jahrgänge und hat obendrein eine wirklich, wirklich erfolgreiche Anwaltskanzlei. Er soll sogar in New York und Los Angeles Klienten haben.“ Sie hielt inne, wartete einen Moment und sprach dann weiter, als Emma nichts darauf erwiderte. „Er hat einen Sohn und allen Gesprächen nach zu urteilen, soll er momentan ziemlich oft hier herumwuseln.“
Emma runzelte die Stirn und überlegte, was sie darauf antworten sollte. Wenn sie ehrlich war, dann hatte sie überhaupt kein Interesse an irgendwelchen Junggesellen, die Zurzeit ihr Unwesen hier trieben. Sie wollte sich auf ihr Studium konzentrieren und sich nicht um irgendwelche unbekannten Männer kümmern. Schließlich sagte sie gespielt interessiert: „Und wieso genau reden darüber alle?“
Sky wurde rot, fing sich allerdings schnell wieder. „Er soll ziemlich heiß sein.“, sagte sie und zwinkerte der Dunkelhaarigen zu. „Sehr, sehr heiß.“
„Aha!“, rief Emma aus. „Daher weht also der Wind.“
„Komm schon, Ems. Bist du kein bisschen neugierig?“
„Nein.“ Die Angesprochene schüttelte wahrheitsgemäß den Kopf und lachte dann leise auf. „Obwohl, vielleicht auf den Vater. So eine Kanzlei ist mein Traum.“, scherzte sie.
Sky erwiderte ihr Lachen mit einem Kopfschütteln. „OK.“, sagte sie. „Wie du meinst, dann werde ich mich auf den Weg machen und die Augen nach diesem Junggesellen Ausschau halten.“
„Mach das.“ Emma stand auf, verstaute ihren Laptop zurück in ihrer Tasche und seufzte. „Ich sollte los. Wenn ich bei dem guten Professor Blake zu spät komme, dann wird das nur Aufmerksamkeit auf mich ziehen.“
Die Blonde zog die Stirn in Falten. „Meinst du nicht, dass du ein bisschen übertreibst? Er ist dein Professor und nicht irgendein Straftäter.“
Emmas Augen weiteten sich. „DAS hab ich auch SO nie gesagt, Sky!“, rief sie empört aus. Sie fuhr sich durch ihre Haare und schüttelte verärgert den Kopf. „Ich fühle mich einfach nicht wohl, wenn er mich so ansieht. Mehr nicht.“
Die beiden jungen Frauen ließen das Thema fallen, weil keiner sich streiten wollte und gingen nebeneinander her, zurück in das Gebäude. Irgendwann bog Sky ab und Emma ging mit einem wirklich unguten Gefühl zu dem Hörsaal. Es war nicht nur die Tatsache, dass sie nun mit Ryan Blake in einem Raum aushalten musste. Nach dem Gespräch mit ihrer besten Freundin hatte sie nun auch noch ein schlechtes Gewissen. Auf keinen Fall wollte sie, dass irgendjemand dachte, sie würde ihren Professor in ein schlechtes Licht rücken wollen. Am Ende hieß es noch, sie würde Gerüchte in die Welt setzen und ihr Studium litt darunter.
Als sie die Stufen des Saals nach unten ging, wohl darauf bedacht, mit ihren Absatzschuhen nicht umzuknicken und hinzufallen, schritt sie in eine der Reihen, die am weitesten von vorne entfernt waren und ließ sich seufzend auf den Sitz fallen. Ihr ungutes Gefühl war immer noch da, dennoch fiel es ihr dank ihres Laptops und der anstehenden Arbeit leichter, sich zu konzentrieren. Sie tippte sich erneut durch ihre Dateien, öffnete ein Fallbeispiel und begann zu schreiben. Sie achtete nicht darauf, wie sich der Saal immer weiter füllte und erst als ein Raunen durch die Menge ging, sah sie auf. Der Blick der anderen hing an Professor Blake, der mit einem ziemlich durchscheinenden Muskelshirt den Raum betrat. Schnell wendete Emma den Blick wieder auf ihren Laptop, während sie ungläubig die Augen verdrehte. Wie konnte man nur so arrogant sein und in so einem Aufzug auftauchen, wenn man eh schon wusste, dass alle gebannt an seinen Bewegungen hingen? Als er begann zu sprechen, schaltete sie wie gewohnt ab, hörte nur noch auf die wirklich wichtigen Dinge die er sagte und versuchte vergeblich seinen glühenden Blicken in ihre Richtung auszuweichen. Es war ihr ein Rätsel, wie er es immer wieder schaffte, sie trotz ihrer Abneigung gegen ihn, dazu zu bringen seinen Blick zu erwidern. Es war, als würde er irgendeine merkwürdige Anziehungskraft in seinen Augen zu haben, dem selbst sie komplett verfiel, wenn sie es dann einmal wagte zu ihm zu sehen. Am Ende der Vorlesung dröhnte der jungen Studentin der Kopf und sie lechzte nach einem Kaffee und ein bisschen frische Luft.
Schneller als sonst packte sie ihre Sachen zusammen und rannte fast aus dem Saal, während ihr Blick starr auf den Boden gerichtet war. Bloß nicht nach oben sehen und riskieren, dass sie noch einmal in das Gesicht von Ryan sehen musste. Sky war nirgends zu sehen, weshalb sie alleine zum Kiosk der Universität ging, sich einen Kaffee kaufte und sich dann ruckartig umdrehte. Während sie noch registrierte, dass sie gegen jemanden gestoßen war und ihr heißer Kaffee an der Hand herunter lief, fing dieser jemand bereits mit einer tiefen, rauchigen, sehr attraktiven Stimme an zu fluchen. „Verdammt nochmal! Können sie nicht aufpassen, wo sie hinlaufen? Das kann doch wohl nicht wahr sein!“
Emma zuckte zusammen, schnappte sich eine Serviette und wischte sich den Kaffee von der Hand. Dann sah sie wütend auf und blickte in das Gesicht eines ziemlich großen Mannes. Er war jung, ungefähr in ihrem Alter, vielleicht ein paar Jahre älter. Seine Haare waren dunkelbraun und voll. Sie standen ihm etwas widerspenstig vom Kopf ab, was ihn aber keines Wegs weniger gut aussehen ließen. Es ließ ihn jungenhaft und schön aussehen. Die junge Frau schluckte, blickte für einen kurzen Moment in seine wütenden, dunkel grünen Augen, die von dichten, dunkelbraunen Wimpern umrahmt waren und vergaß für einen kurzen Moment, dass sie ebenso wütend war.
„Wollen sie jetzt vielleicht hier stehen bleiben? Ich würde mir gerne einen Kaffee holen.“, sagte der Unbekannte vor ihr immer noch wütend. Sie meinte auch eine Spur Belustigung in seiner Stimme mitschwingen zu hören, doch sicher war sie sich nicht.
„Ich habe hinten keine Augen. Tut mir schrecklich leid, dass die Menschheit noch nicht so fortschrittlich ist und vor allem tut es mir leid, dass ich ihr bescheuertes Hemd vollgeschüttet habe. Wenn sie Geld für die Reinigung wollen, dann schicken sie mir die Rechnung.“, zischte sie und schmiss die Serviette in den Mülleimer.
„Geld für die Rechnung?“, fragte er. Seine Mundwinkel zuckten amüsiert.
„Wow! Sie haben mich verstanden. Das ist toll. Wenn sie mich dann bitte vorbei lassen würden. Ich hab noch eine Menge zu tun und sie verschwenden meine Zeit.“ Aus irgendeinem Grund war sie unheimlich wütend auf den gutaussehenden Unbekannten. Sie verstand selbst nicht, wieso sie nicht einfach gegangen war und sich bei ihm vorher entschuldigt hatte. Wahrscheinlich war sie einfach nur gestresst und genervt, weswegen sie wegen einem kleinen Fluch gleich so ausflippte. Sie stapfte aufgewühlt raus in den Hof, setzte sich auf dieselbe Bank, wie vorhin und atmete tief durch. Fürs Erste hatte sie heute wirklich genug gearbeitet und die nächste Stunde war ohnehin keine Pflicht. Plötzlich fühlte sie sich seltsam müde und ausgelaugt. Als sie in ihrem Auto saß, die SMS an Sky verschickt war und eine sanfte Briese durch ihr geöffnetes Fenster strich, entspannte sie sich langsam wieder. Wahrscheinlich brauchte sie einfach mal wieder etwas Abwechslung. Eine Abend, an dem sie sich um das Studium und um das alles keine Gedanken machen musste. An dem sie einfach sie selbst sein konnte. Entspannt, unbeschwert und nicht einen Funken gestresst.
Emma saß mit einer Packung Schokoladeneis, einem Glas Wein und einer Decke, in die sie sich eingekuschelt hatte, auf dem großen Sofa in ihrem Wohnzimmer. Der Fernseher lief, auch wenn ihre Aufmerksamkeit sich nicht darauf lenkte. Sie klickte sich seit mehreren Stunden durch die Anwaltskanzleien der Stadt um endlich eine zu finden, in der sie nach dem Studium arbeiten konnte. Bislang war es ihr nicht gelungen, etwas zu finden, was voll und ganz ihrer Vorstellung entsprach und langsam aber sicher schwand ihre Entschlossenheit. An dessen Stelle trat pure Verzweiflung. Es musste doch möglich sein, dass es irgendwo eine Kanzlei gab, die ihr gefiel und die ihrer würdig war. Stattdessen überall kleine, eingefallene Bürogebäude, in dessen Inneren sich Menschen befanden, die den Beruf nur noch machten, weil sie wussten, dass es ihnen Geld brachte. Bei ihr war das anders. Sie liebte ihre Arbeit. Sie fand sogar Gefallen daran, sich stundenlang Akten durchzulesen, wenn es ihr half, etwas zu lernen. Keiner der Studenten, die sie kannte, hatten diesen Biss und diese Leidenschaft gegenüber des Studiums. Nicht einmal ihre beste Freundin, obwohl sie in so vielen Dingen gleich waren. Oder zumindest die kleine Meinung teilten.
Emma stieß einen genervten Seufzer aus, stellte den Eisbecher auf den Tisch und schaltete ihren Laptop aus. Heute würde sie ohnehin nichts mehr finden, was sie sich noch nicht angesehen hatte und ihre Geduld war nun gänzlich erschöpft. Ihr Kopf tat weh und ihre Gedanken schweiften ab. Es kam ihr so vor, als würden sie immer wieder zu einem Punkt wollen, zu dem sie nicht wieder zurück wollte und erst jetzt, wo sie genauer drüber nachdachte, fiel ihr auf, weshalb sie eigentlich so schlecht gelaunt war. Der Zusammenstoß heute Mittag hatte sich so tief in ihr Gedächtnis gebrannt, dass sie nun schon den ganzen Tag an nichts anderes mehr denken konnte. Nicht einmal ihre Arbeit hatte sie ablenken können und sie musste sich wohl oder übel eingestehen, dass ihr Interesse geweckt war. Zum ersten Mal seit viel zu langer Zeit regte sich ihre Neugierde bei einem Mann. Zum ersten Mal wollte sie wissen, wer dieser schöne Unbekannte gewesen war. Sie sehnte sich nach ihm. Obwohl sie ihn nicht kannte und er obendrein auch noch ein Arschloch war.
„WAS ist denn mit dir los?“, fragte Sky laut und brachte Emma so dazu zusammen zu zucken. Sie hatte noch nicht mit ihr gerechnet, oder beziehungsweise nicht bemerkt, wie die junge Frau durch die Tür gekommen war.
Emma legte den Kopf schief. „Was soll denn mit mir sein?“, fragte sie verwirrt.
„Du siehst aus als hättest du ein Gespenst gesehen.“
So kann man das sagen. Die Dunkelhaarige seufzte erneut, fuhr sich durch ihre zerzausten, schwarzen Haare und klopfte anschließend auf den freien Platz neben sich. „Setz dich doch.“
Sofort ließ sich Sky neben sie fallen, wickelte sich ebenfalls in die Decke ein und nahm den Eisbecher, samt Löffel in die Hand. Mit einem intensiven Blick fixierte sie Emma, bis diese schließlich tief einatmete und anfing zu erzählen: „Ich habe heute jemanden kennengelernt.“ Unwillkürlich machte sie eine Pause. „Wenn man das so nennen kann. Ich war in Gedanken, bin in ihn reingelaufen und hab ihm meinen Kaffee übergeschüttet.“
Sofort kam ein amüsiertes Glucksen aus Sky’s Kehle. „Klingt nach einem schlechten Liebesfilm. OK…“ Sie verstummte als sie den wütenden Blick ihrer besten Freundin sah. “Weiter?”
“Nichts weiter. Der Typ war ein Idiot.“, meckerte Emma. „Du hättest mal hören sollen, wie er sofort angefangen hat, zu fluchen. Ehrlich, Sky… So etwas Unhöfliches hab ich selten gesehen.“
„Och, Ems.“ Die blonde Frau grinste breit. „Wie würdest du denn reagieren, wenn dir jemand nach einem stressigen Tag einen Kaffee über dein Hemd schüttet? Hast du dich wenigstens angemessen entschuldigt?“
„Entschuldigt?“ Empörung schlich sich in das Gesicht der jungen Frau. „Ich hab ihm meine Meinung gesagt und bin abgehauen.“
„Hast du nicht.“
„Hab ich wohl.“
„Du kannst doch nicht…“
Emma hob die Hand. „Doch, Sky. Kann ich und jetzt lass uns das einfach vergessen, bitte. Ich hab schon genug um die Ohren. Da muss ich mich nicht auch noch um einen Mann kümmern, der mich für ein trotteliges, ungeschicktes Entlein hält.“
Sky sagte nichts mehr, während Emma sich eingestand, dass es eben genau daran liegt. Sie wollte nicht, dass jemand ein schlechtes Bild von ihr hatte. Sie tat sich deswegen immer alles ohne Wiederworte an, weil sie gut dastehen wollte. Und jetzt hatte sie sich daneben benommen und zum ersten Mal dachte jemand nicht nur gutes von ihr, sondern wahrscheinlich genau das Gegenteil. Seufzend stand sie auf. „Ich gehe schlafen. Morgen wird ein ziemlich langer Tag.“
Am nächsten Morgen fühlte sich die junge Frau besser. Sie dachte nicht mehr an den Vorfall vom Vortag und konzentrierte sich wie die letzten Monate auf sich und ihre Arbeit. Ihre rote, lockere Bluse, steckte sie in einen ihrer kurzen, engen, schwarzen Röcke, während sie Mascara auftrug und schließlich ihre Haare bürstete. Sie sah gut aus. Die Sonne, der letzten Tage, hatten ihr Farbe verliehen und ihre Wangen waren von einem leichten braun. Lächelnd legte sie die Bürste beiseite, beobachtete einen Moment ihr Gesicht weiterhin im Spiegel, ehe sie sich mit einem eleganten Schwung umdrehte, ihre Tasche schnappte und die Tür hinter sich schloss. Ihre Wohnung lag im ersten Stock, weswegen sie sofort die warme Frühlingsluft im Flur spüren konnte, die ihrer Laune einen weiteren Stoß nach oben versetzte. Die Straßen waren nicht sehr voll um die Uhrzeit und als sie schließlich auf den Parkplatz der Universität fuhr und sah, dass Ryan Blake genau neben ihr stand, konnte nicht einmal das, die Tatsache ihrer guten Laune ändern. Lächelnd stieg sie aus dem Wagen und grüßt freundlich: „Guten Morgen, Professor Blake.“
„Miss Alexis.“ Er tritt einen Schritt auf die junge Frau zu und bringt sie so dazu stehen zu bleiben. Mit einem breiten Grinsen bleibt er unmittelbar vor ihr stehen. „Sie haben die letzten Wochen herausragende Arbeiten abgegeben. Ich muss sagen, dass ich wirklich beeindruckt bin.“
„Oh, vielen Dank.“ Emma erwiderte sein Lächeln freundlich. „Freut mich zu hören, dass meine Mühe sich gelohnt hat.“
Ryan nickte leicht. „Das hat sie. Ich hab mich gefragt, ob sie vielleicht Interesse hätten, zwei Mal in der Woche, zusammen mit mir und einem ehemaligen Studenten, die Einsteigerkurse zu leiten. Sagen wir…“ Er machte eine Pause, in der er ihr übertrieben zulächelte. „Als kleinen Test für sie?“
Ein Moment der Fassungslosigkeit stieg in Emma hoch, während sie angestrengt versuchte ihren Zwiespalt zu begraben. Das Angebot war genau das richtige für sie und wenn sie genau drüber nachdachte, dann war sie wirklich neugierig auf diese Herausforderung. „Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll…“, sagte sie schließlich leise. Ihre Stimme klang rau und unsicher. „Das ist eine große Aufgabe und ich hab selbst noch so viel zu tun.“
„Kommen sie doch einfach heute Nachmittag vorbei, Miss Alexis. Sie könnten sich alles genau anschauen und dann entscheiden. Es eilt nicht.“ Ryan fuhr sich mit einer Hand durch seine hellen Haare und Emma konnte schwören, dass er aufreizend seine Muskeln anspannte.
Sie ließ das kalt. Mit einem süßen Lächeln nickte sie. „Das würde ich sehr gerne. Sagen sie mir einfach wann und wo. Ich werde da sein.“
Mit einer lässigen Handbewegung beförderte er einige Papiere aus seiner Tasche hervor. Er trat noch einen Schritt näher heran, sodass sie seinen Atem auf ihrem Gesicht spüren konnte und deutete auf eine Stelle des Blattes. „Da steht alles.“ Seine Stimme klang so heiser, dass Emma unwillkürlich einen Schritt nach hinten ging und nun schon nicht mehr so entspannt lächelnd sagte: „Ich werde da sein.“
Die 22-Jährige wandte sich ab und ging hastig in das Gebäude. Sky war ohnehin heute nicht in der Uni und sie musste sich nun alleine durch den Tag schlagen. Ohne mit jemandem darüber zu sprechen, wie anzüglich Ryan dieses Mal geworden war. Die Gedanken daran hingen wie ein dunkler Nebel um sie herum und ließen den Tag an ihr vorbeisausen. Als sie schließlich vor dem Raum stand, zu dem Ryan sie bestellt hatte, konnte sie sich kaum noch daran erinnern um was es in den unzähligen Vorlesungen heute gegangen war. Seufzend öffnete sie die Tür und trat über die Schwelle. Ihr Blick blieb an den beiden Männern hängen, die mit dem Rücken zu ihr standen und über irgendwas angeregt diskutierten.
Emma räusperte sich geräuschvoll. „Professor Blake?“, fragte sie unsicher. Sie kam sich vor wie ein Eindringling und die Idee hier aufzutauchen erschien ihr auf einmal gar nicht mehr so notwendig.
Sofort fuhr der Professor herum. Auf seinem Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln aus, während der andere Mann ihr weiterhin den Rücken zugewandt stehen blieb und mit wütenden Bewegungen etwas an die Tafel schrieb. „Miss Alexis! Schön, sie zu sehen.“
„Danke, dass ich kommen durfte.“, entgegnete sie freundlich. Sie straffte die Schultern und versuchte selbstsicher zu wirken. Zum Glück gehörte das zu ihren Stärken. Mit einem Lächeln streckte sie ihm die Hand hin, unterdrückte ein Schaudern als er leicht mit dem Daumen über ihren Handrücken fuhr und trat dann einen Schritt zurück um ihre Tasche auf einen der Tische zu legen. „Sagen sie mir einfach, was ich machen soll, wenn es soweit ist.“
Ryan nickte im selben Moment, in der sich der andere Mann schwungvoll aber sehr elegant umdrehte und Emma stockte der Atem. Sie keuchte auf, räusperte sich und griff nach ihrer Selbstbeherrschung, die sich gerade versuchte davonzuschleichen.
„Ah! Sie kennen sich ja noch gar nicht.“ Ryan tritt zwischen die beiden. „Miss Alexis – Darf ich ihnen Mr. Damion Martinez vorstellen? Er ist der Sohn unseres oberen Professors und leitet als Vertretung diese Stunden. Eigentlich ist er ein erfolgreicher Junior-Anwalt.“
Emma nickte, sichtlich um Fassung bemüht. Sie kannte diesen Mann. Wieso ausgerechnet er? Das durfte doch alles nicht wahr sein. Sie sah aus den Augenwinkeln wie die grünen Augen sie taxierten, ehe der Dunkelhaarige nun-nicht-mehr-Unbekannte aus der Cafeteria die Hand hob und sie ihr mit einem amüsierten Grinsen entgegen streckte. „Miss Alexis… Schön, sie kennen zu lernen.“
Erneut musste sie um darum kämpfen, dass sie Selbstbewusst wirkte. Es gelang ihr zu ihrer Verblüffung ausgesprochen gut. Sie lächelte und entgegnete: „Ebenfalls, Mr. Martinez.“
Damion drückte ihre Hand sanft und ließ sie dann sofort wieder los. Er drehte sich mit einem Schmunzeln wieder zur Tafel und nahm die Kreide zurück in die Hand. Ryan fasste Emma am Arm, was sie augenblicklich zusammenzucken ließ. Sie war so darauf vertieft gewesen sich auf ihre Atmung zu konzentrieren, dass sie mit so einer Berührung nicht gerechnet hatte. Sie entzog dem Professor ihren Arm und folgte ihm mit einem leichten Grinsen zu dem Schreibtisch. Er kramte ein paar Sekunden in einer der dunkelbraunen Schubladen herum und zog schließlich einen dicken, grünen Aktenordner heraus. Die junge Frau konnte nicht verhindern, dass sie das dunkle, warme Grün an die Augen ihres neuen Kollegen erinnerte. Flüchtig scheuchte sie die Gedanken beiseite und versuchte zu verstehen, welches Konzept diese Stunden von ihr erforderten. Nach ungefähr zwanzig Minuten hatte sie einigermaßen begriffen, was zu ihren Aufgaben gehörte und sie konnte sich entspannter als vorher auf einen der drei Stühle setzen, die außerhalb der Plätze der Studenten standen.
Ryan hatte ihr erklärt, dass sie, wenn sie sich dafür entschied hier mitzumachen, dafür zuständig sein würde, aus dem Nähkästchen zu plaudern, was in den ersten Jahren des Studiums auf die Studenten zukommen würde. Zu ihrer Überraschung handelte es sich hierbei nämlich viel mehr um einen Tag der offenen Tür, als um eine wirkliche Vorlesung. Damion und Ryan würden einige Fallballspiele durchgehen, nachdem Emma den Studenten aus ihrem Studentenleben erzählt hatte. Aus irgendeinem Grund kam es der jungen Frau allerdings so vor, als würde das alles hier nur ein dämlicher Vorwand sein, damit sie überhaupt hier war. Dennoch… Er hatte ihr versprochen, dass so eine Zusatzbeschäftigung auf jeden Fall gut auf ihren späteren Bewerbungen aussehen würde und dafür war die Dunkelhaarige mehr als dankbar.
Als die ersten Leute den ziemlich kleinen Hörsaal betraten, kramte Emma gerade ihre Unterlagen aus ihrer Tasche, kopierte einige Fallbeispiele und legte sie auf den Tischen aus. Dann schrieb sie einige Notizen an die Tafel und setzte sich wieder. Fürs erste reichte das. Ryan hatte ihr versichert, dass Damion heute den Vortrag hielt und sie sich einzig und allein auf das Zusehen beschränken konnte. Wohin sie sehen würde, war ihr mehr als bewusst und als der Vortrag zu Ende war, kannte sie jede einzelne Bewegung des Dunkelhaarigen, weniger allerdings den Inhalt des Ganzen. Sie war froh, dass das hier nicht wirklich wichtig für ihr Studium war. Die wenigen Notizen die sie sich gemacht hatte, verstaute sie sorgfältig in ihrer Tasche, ehe sie aufstand und sich die müden Glieder streckte. Es war für sie immer anstrengender den ganzen Tag zu sitzen, was wahrscheinlich an ihrer inneren Unruhe heute lag.
„Und, was sagen Sie?“ Ryan trat neben sie, legte ihr lässig eine Hand auf den Arm und schloss den Saal mit einer Bewegung seines freien Armes ein.
„Ich brauche ein bisschen Zeit um mir darüber bewusst zu werden.“, antwortete sie und wand sich aus seiner Berührung. „Danke, dass ich zusehen durfte. Ich werde ihnen die nächsten Tage Bescheid geben, in Ordnung?“
Der Blonde nickte, wenn auch nicht ganz zufrieden. Wahrscheinlich hatte er gehofft, dass sie sofort zusagen würde. „Natürlich, Miss Alexis. Lassen sie sich Zeit.“
Tag der Veröffentlichung: 18.02.2013
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