RECRUITING
Ich checkte gegen 19.00 Uhr in der Wittmannkaserne ein. Der Altbau machte keinen sehr einladenden Eindruck.Überall abblätternde Farbe und der Geruch von Schädlingsbekämpfungsmitteln. Aber es half nichts. Jeder Sechzehnjährige wurde eingezogen, auch mit minus zehn Dioptren und Hinkebein. Der Krieg im Süden war noch immer nicht zu Ende und Frischfleisch musste fronttauglich gemacht werden. Viele sollten sogar direkt nach der Musterung eingeschifft worden sein. Ohne Ausbildung.
Ich verstaute meine Klamotten und machte mich mit den anderen bekannt, die mit mir in der versieften Stube untergebracht waren. Zehn Mann auf zwanzig Quadratmetern. Warum diese Trottel überhaupt Krieg führten, wenn sie nicht einmal ihre Soldaten angemessen versorgen konnten.
Am nächsten Morgen, so gegen halb fünf, Morgenappell mit anschließendem Einkleiden. Nur abgetragener miefender Scheiß, teilweise sogar ungewaschen. Aber keiner muckte auf. Im Netz wurden gehäuft Berichte gebracht, in denen ausführlich geschildert wurde, wie mit Simulanten und Deserteuren verfahren wurde. Dann weiter zur Waffenkammer. Kalaschnikovs, in irgendeiner Hinterhofschmiede in Angola zusammengenietet. Außerdem wurde nach einer kurzen Einweisung sofort scharfe Munition ausgeteilt. Um achtzehn Uhr erneut Appell. Der Spieß begann loszubrüllen.
„ Deutsche Männer! Ihr wisst nun wo Ihr seid und was Ihr zu erwarten habt. Weichlinge werden gnadenlos ausgesondert und verarztet. Ihr seid nun mein Haufen und habt euch dementsprechend zu verhalten. Ich will in meiner Kompanie keine verfickten Scheißüberläufer....“
In dem Stil ging es eine halbe Stunde weiter. Ein widerlicher Kerl. Er stank derartig aus dem Maul, dass ich glaubte, es bis ins dritte Glied riechen zu können. Armes Deutschland.
Nächster Tag. Wecken wieder gegen halb fünf. Es stand Geländeausbildung auf dem Stundenplan. Sie hatten sich dazu mit Feuerwehrschläuchen gewässerte Wildsausuhlen präpariert. Kein Spaß bei zwei grad plus. Man hetzte uns den ganzen Tag durch den klebrigen Morast, nur mittags eine halbe Stunde Pause mit ein paar Kellen heißen Tee. Abends im Waschraum gab es dementsprechend die ersten Ausfälle. Irgendein Milchbubi hatte vor Überanstrengung in eine Badewanne gekotzt. Der diensthabende Uffz. tauchte ihm mit dem Gesicht mehrmals in die Brühe. Dann flogen auf einen Wink von ihm die ersten Seifenstücke. Spezialbehandlung. Fast alle machten mit. Nach ein paar Minuten war nur noch leises Wimmern zu hören. Die arme Kreatur lag blutend in der Wanne. Als die anderen lachend abgezogen waren, begann ich den Kameraden abzubrausen. In der Tat, die Jungs waren gut vorbereitet worden. Von den Vorgesetzten ließ sich keiner mehr blicken. Ich verstaute den weinenden Jungen in einer Koje.
Es konnte vor Ort also kaum schlimmer kommen.
Tag drei. Innendienst. Wir verbrachten den ganzen Vormittag damit, unser Testament zu machen. Eigentlich nicht schwer mit leeren Taschen, aber es ging auch um weitere rechtliche Fragen wie Verfahrensweise bei Vollinvalidität etc. Sie hatten wirklich an alles gedacht. Die meisten verkannten den Ernst der Lage und füllten gackernd die Papiere aus. Wussten die tatsächlich nicht, was ihnen blühte?
Mich hatten sie sofort nach der Abschlussprüfung zur Musterung vorgeladen. Als ob ich nichts anderes vor hatte. Wer sich zu drücken versuchte, kam ins Lager, zur Umerziehung. Von dort kehrten genauswenig zurück wie von der Front.
Am nächsten Morgen Appell um fünf Uhr, bei Dauerregen und gefühlten Minusgraden. Der Spieß rückte mit seiner Reitpeitsche unnachgiebig die Reihen zurecht. Mein Nachbar rechter Hand hatte in der Eile vergessen, die Schuhbänder ordentlich zu vertäuen. Der Ausbilder verpasste dem Rekruten einen Tiefschlag und einen Kniekick als der Getroffene vor Schmerzen stöhnend zusammenbrach. Der Bursche hatte es allerdings noch nicht hinter sich. Der Sadist malträtierte nun mit der Peitsche die Gesichtshälften weiter bis Blut aus den Ohren floss. Als ich im Begriff war, dem Arschloch mit einem Karategriff Einhalt zu gebieten, wurde ich von meinen Hintermännern zurückgerissen. Einer packte mich ekelhaft an der Kehle und ich sackte wiederstandlos zusammen. Schließlich ließ der Spieß von dem Heulenden ab und sicherte kurz in meine Richtung.
Dass ich keinen weiteren Repressalien ausgesetzt war, hatte ich wohl nur dem Umstand zu verdanken, dass wir am Abend zum Militärflughafen verfrachtet wurden und dementsprechend den ganzen Tag mit den Vorbereitungen beschäftigt waren. Als die letzte Zigarette auf Heimatboden geraucht war, trabten wir folgsam in den Bauch des riesigen Vogels. Ich tat es mit gemischten Gefühlen, obwohl die Erleichterung angesichts der Vorfälle in der kurzen Ausbildungsphase zunehmend an Oberhand gewann.
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Tag der Veröffentlichung: 12.02.2017
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