Gardinen verhüllen den Eingang. Oder ist es nur ein Seidenstoff, der davor hängt und vor Blicken schützen soll? Langsamen Schrittes geht er vor dem Bogen, der im Mauerwerk ist, auf und ab, als ein Luftzug den Stoff zur Seite bewegt und sein Blick in zwei dunklen Augen versinkt. Einen Moment nur! Was dieser Blick in ihm auslöste, könnte er nicht einmal benennen, aber es fragt ihn keiner und nur er weiß, dass er diesen Blick nicht mag. So geht er mit dem ihm inneliegenden Gefühl weiter und er weiß auch, dass er fort will. Obwohl, er ist kein Mensch der die Zukunft betrachtet, er schaut immer noch eher in das Vergangene. Und er weiß, wenn sich das ändern soll, dann muss er fort. Hier gibt es zu viele Erinnerungen. Draußen, vor dem großen Tor, liegt die Wüste. Er lehnt sich mit dem Rücken an die Mauer, sie gibt ihm Halt.
In der Ferne erscheint das Rot der Sonne, sie selbst ist noch nicht zu sehen, denn es ist noch früh. Hier sitzt er am liebsten. Noch ist er ganz allein, die Stadt schläft noch. In der Ferne erwacht langsam der Morgen mit den Geräuschen der Händler, die am Markt bereits ihre Stände vorbereiten. Aber diese Geräusche sind weit weg. Nur hier draußen hört er sie, die Wüstenmelodie. Sie klingt nach Sehnsucht und nach Weite. Sie erzählt von der Ferne, die er nicht kennt, von anderen Menschen, anderen Sitten. Auch von liebenden Menschen.... die kennt er auch nicht.
Immer deutlicher erreicht ihn die Melodie der Wüste. Es gibt Akkorde, da bäumt sie sich förmlich auf, als wollte sie ihn holen, mitnehmen, ihn, der wie fest gewachsen an der Mauer lehnt. Er lauscht ihr und sein Herz geht auf. Sie kommt auf ihn zu, die Musik der Wüste, will ihn locken mit verzauberten Tönen, bittet ihn aufzustehen und ihr zu folgen. Dann, ohne Übergang erklingt ein Jammern zu ihm und er hört ihre Traurigkeit. Jeden Morgen, wenn diese klagenden Töne ihn erreichen, versinkt er in den Bildern, die plötzlich aus ihm auftauchen. Er sieht die engen Gassen, dunkle Menschen und die Kinder. Sie sind es, die Kinder, die magisch seinen Blick anziehen.
Dann sieht er sie.... kleine Kinder, die geschlagen werden, alles was geschah will sich zeigen – viele Bilder schaut er nicht an, sie kann er nicht aushalten, und so folgt er schnell den erzählenden Bildern in einen kleinen inneren Raum. Der ist karg, dunkel und kalt. Hier ist nichts mehr zu sehen, nur zu spüren. Er hört das Schluchzen und er spürt die Not derer, die dort im Dunkel sind.
Die Melodien gehen höher und höher und enden in Tönen, die an zerspringendes Glas erinnern. Er kann sich kaum rühren und spürt nun auch seine eigene Not. Möchte helfen oder fliehen und nichts davon ist möglich. Weit in der Ferne von sich selbst, hat er eine Ahnung von dem Mann, der er inzwischen geworden ist. Von dem, der morgens schon vor dem Sonnenaufgang in die Wüste schaut und ihrer Melodie lauscht. Und doch ist an diesem Morgen etwas anders. Er hört sie, die Melodie der Wüste, das erste Mal dringt sie in seine inneren Bilder. Und sie bringt mit ihren Melodien Kraft und ein Licht mit. Es erhellt den Ausgang und er folgt dem schwingenden Licht. Geht durch die Nacht mit ihm, fast scheint es ihm, dass die Melodie neue Klänge zu ihm bringt. Leichtere Töne, sie gipfeln in einem Wirbel und reißen ihn mit. Sie locken und umwerben ihn, und lassen ihn seine innere Stärke fühlen. Jetzt kann er alles hinter sich lassen, das Vergangene, die dunklen Gassen, die weinenden Kinder.
Als die aufgehende Sonne sein Gesicht wärmt, steht er auf. Sanft berührt sie ihn, noch ist sie ebenso im Erwachen, wie er selbst. Aber er spürt sie und er spürt sich. Gefüllt mit neuen inneren Klängen gibt er seinen Blick über die Dünen, die weit in der Ferne sind, bevor er los geht. Diese neue Melodie zeige ihm einen neuen Weg. Ohne zurückzuschauen geht er los. Er ist kraftvoll, sein Schritt, und je weiter er sich von der Stadt und ihren Mauern entfernt, um so freier fühlt er sich. Alles bleibt zurück und zum ersten Mal in seinem Leben schaut er bewusst in eine Zukunft.
Später am Morgen, die Sonne bestrahlt den Sand der Wüste, hat er die Karawane erreicht und er schließt sich an. Händler, Reisende und Suchende. Alle haben andere Ziele … seines könnte er noch nicht benennen, aber eine tiefe und freudige Ahnung breitet sich in ihm aus.
Eingehüllt in einer wunderschönen Melodie erkennt er nun, dass diese, aus seinem eigenen Herzen kommt.
Tag der Veröffentlichung: 15.12.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Büchlein habe ich für einen lieben Freund geschrieben, der mit seiner Flöte eine Melodie spielte und mit dieser diese Geschichte zu mir brachte.