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Traurig ist sie, sehr traurig. Ein Puster nur, und der dicke Löwenzahnstängel entlässt aus seinem runden, flauschigen Ball eine Samenblüte, die schnell an Höhe gewinnt und leicht und beschwingt davon fliegt.
„Getäuscht habe ich mich, getäuscht!“ Bitter klingt der Satz, den die junge Frau vor sich hin murmelt. Ihre Worte folgen der Blüte, als ob sie diese einholen wollte. Oh, was war sie wütend.
Aus ihrem Pferdeschwanz hat sich eine blonde Haarsträhne gelöst und pendelt vor den Augen der Weinenden. Gerade eine Woche war es her, da war Marco noch ihr Freund gewesen und sie hatte mit ihm ihren fünfzehnten Geburtstag gefeiert. Nun war Marco weg. Im Geiste quälen sie die Bilder der gemeinsamen Zeit. Total blöd, dass sie das inneren Kino nicht abstellen kann, sie vermisst ihn einfach zu sehr. Noch nie war sie verliebt gewesen. Dieses Gefühl war total neu in ihrem Leben und so tief. Das war es also, von dem so viele Bücher und Filme erzählten. Oh es fühlte sich so gut an, wenn Marco bei ihr war. Ihr Herz war dann ganz warm und in ihr war alles auf ihn gerichtet. Nah wollte sie ihm sein, ihn berühren, in die Augen schauen, oder nur still neben ihm sitzen. Ganz zu schweigen von dem Moment, wenn er sie küsst und seine Hände über ihren Körper spazierten. Dann könnte sie ausflippen, so schön war das. Er war so sexy und mit ihm hatte sie das erste Mal. Das gibt es ja nur ein Mal im Leben und bei ihr war es schön gewesen. Sie ist kein Kind mehr, sie ist jetzt eine Frau und das ist total schön. Wenn er nur nicht weg wäre....

„Pfff…“, wieder löst sich mit dem kräftigen Puster eine Samenblüte und fliegt empor. Ihre Augen verfolgen blinzelnd den Flug.
„Ich vergebe dir nicht!“ Ihre wütenden Worte eilen auch dieser Blüte hinterher. Leicht und beschwingt tanzen die Samen durch die Luft, als wollte der Wind ein Sinken verhindern und mit dem Samen spielen und tanzen. Vielleicht gab es ja auch eine Melodie in der Luft, die nur die Tiere und Pflanzen hörten. Die Menschen waren sowieso begrenzt.
Die junge Frau sitzt hinter der Steinbank auf der Wiese. Versteckt von unzähligen Büschen bleibt sie auch den Blicken der Sonntagsspaziergänger verborgen. Hier hatten sie oft zusammen gesessen, Marco und sie. Hatten sich erzählt und Zukunftspläne ersonnen. An die Küsse darf sie nicht denken, dass macht sie total verrückt, diese Gedanken hält sie nicht aus.

„Pfff…“, wieder ein lauter Puster. Diesmal fliegen unzählige Samenblüten durch die Luft. Mehr, als je an einem Stängel Platz finden könnten, selbst wenn der Blütenball doppelt so dick wäre.
Mit einem Ruck dreht sie sich um. Hinter ihr kniet Marco. Er hält in der Hand einen dicken Strauß mit Pusteblumen, von denen nun unzählige Samenblüten um sie beide in der Luft tanzen.
„Ich wusste, dass ich Dich hier finde“! Ohne weitere Worte legt er seine Arme um sie.

„Pfff…naja…..“, pustet sie die letzten Samen von dem Stängel in ihrer Hand. Eigentlich wollte sie genau jetzt wütend werden. Mit ihm streiten. Stattdessen schaut sie den Samen hinterher, sagt nicht und lehnt sich zurück.
Wenn auch zaghaft, schleicht sich ein kleines Lächeln in ihre Mundwinkel.


Die Tränen hatte der Wind schon lange getrocknet.

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Tag der Veröffentlichung: 25.05.2012

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