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Der Gang zur Kapelle lag wie jeden Morgen im Licht der Dämmerung. Die junge Novizin ging ihn heute nicht mit leichten Schritten. Sie hatte die ganze Nacht durchwacht. So viele Gedanken, so viele Zweifel waren wieder in ihr. Er war ihr immer wieder durch den Sinn gegangen. Sie konnte sein Bild nicht verdrängen, die Verzweiflung nicht bändigen, ihm, auch wenn sie ihn in der Welt außerhalb des Klosters zurück gelassen hatte, nicht verzeihen. Sie hat sich hierher geflüchtet und das weiß sie auch.
Heute ging das Noviziat dem Ende zu. Sie sollte sich entscheiden, nun immer hier oder in einem anderen Kloster zu leben. Die Zeit ist schneller vergangen als sie dachte, doch die Jahre hier im Klosterleben hatten ihr nicht wirklich geholfen. Sicher, sie hatte sich angepasst, hatte mit den anderen Anwärterinnen gesungen und gebetet. Wollte die Welt draußen lassen, vor den Toren des Klosters, auch ihn, den Mann, denn sie nie vergessen konnte. Hoffte darauf, sich nur noch nach innen zu wenden in Gottes Welt. Wenn sie jeden Tag hinschauen würde, zum Glauben der anderen, dann würde dieser Glaube auch sicher der ihre werden, mit der Zeit. Das jedenfalls hatte sie geglaubt, glauben wollen.
Doch sie konnte ihn nicht vergessen, sah ihn immer wieder mit ihren inneren Augen. Konnte sein Bild nicht lassen und auch keine der Erinnerungen.

Die große schwere Kapellentür drückte sie langsam auf. Mit zögernden Schritten trat sie ein. Kerzenlicht tauchte den kleinen Raum in warmes Licht. Gerade heute waren wieder die kleinsten Zweifel in ihr groß und sie fühlte sich zaghaft, wusste nicht, wie sie sich entscheiden sollte. Alle erwarteten von ihr heute Klarheit, doch sie war leer, fühlte nichts. Was, wenn Gott nun alles sieht? Sieht er dann nicht auch, welch großen Platz in ihrem Herzen dieser Mann, aber auch ihre Zweifel einnahmen, und wie wenig davon noch frei war für Gebete und Glauben?
Unsicher setzte sie sich in die erste Bank. Hier, neben dem Marienaltar saß sie am liebsten.
Kein Geräusch konnte hier herein dringen. Hier war nur Stille. Also schloss sie die Augen und wartete. Kann sein, dass sie eingeschlafen war, möglicherweise aber war alles auch nur ihrer Einbildung entsprungen.

Sie fand sich auf einem ihr unbekannten Weg wieder. Kraftvoll schritt sie aus und schaute blinzelnd in die Sonne. Ein herrlicher Tag lag vor ihr, dass wusste sie, und sie wusste auch, dass sie vor nur wenigen Augenblicken abgebogen war. Nie hätte sie ahnen können, dass sie hinter der grauen Mauer solch einen Weg finden würde. Es war gerade so, als ob eine unsichtbare Hand sie um die kleine Mauer geführt hatte. Irgendwie war sie neugierig gewesen und nun erlebte sie sich hier auf diesem wunderbaren Weg. Es geschah nichts Spektakuläres. Sie ging und fühlte sich einfach nur wohl. Mit jedem Schritt wurde sie klarer in ihren Gedanken und es war ein Wissen in ihr, dass sehr vieles hinter ihrem Rücken zurück blieb, welches sie nun nicht mehr benötigte. Sie drehte sich nicht um, sondern schritt weiter kräftig aus.
Ihre Augen schauten nach vorn und betrachteten neugierig alles, was ihr begegnete. Unbedeutende kleine Steine hielten ihren Blick für einen Moment fest, sie sah Blumen, um die viele Bienen summten, eine kleine Maus huschte davon. Ein scheinbar achtlos hingeworfenes Papier lag nahe dem Wegrand. Sie bückte sich, hob es auf und las lächelnd und staunend:

… und es ist nicht so sehr schwierig eine Entscheidung zu treffen, wenn nicht immerzu verloren Geglaubtes betrachtet wird. Es braucht nur einen Blick in den Moment; - jetzt -; und ein Hinspüren zu dem, was du in diesem Moment fühlst. Also, was könntest du verlieren, wenn du genau hier und jetzt zu dir spürst? Nichts! Allerdings kannst du sehr viel entdecken und das in jedem kommenden Augenblick deines Lebens aufs Neue….


Hier war der Zettel ein Stück abgerissen und in seiner ihm gebliebenen unterem Spitze stand auf englisch: - ... believe - …




Die große Eichentür schloss sich leise hinter ihr. Sie trug einen leichten Blazer über einer hellen Sommerhose und ergriff die kleine Reisetasche. Sie hatte sie neben der Tür abgestellt, bevor sie den Raum betrat. Ihre Entscheidung hatte sie allerdings bereits getroffen, als sie in der Kapelle die Augen wieder öffnete.

Als das Taxi losfuhr schaute sie nicht mehr zurück.

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Bildmaterialien: the-benefits-of-positive-thinking.com
Tag der Veröffentlichung: 26.04.2012

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