Stolzen Schrittes und mit hochmütigem Gesicht, kommt der Alte daher. Goldene Armreifen, teilweise noch mit Algen bewachsene Ketten und Ringe, lugen aus dem alten, zerrissenen Tuch, welches der alte Pirat fest an die Brust gedrückt hält.
Er hatte den jungen Burschen tief tauchen lassen. Wenn man so jung ist, kann man noch lange die Luft anhalten. Er war alt und konnte schon lange nicht mehr tauchen. Das der Junge diesen Fund mit seinem Leben bezahlen musste, ist für den alten Piraten keinen Gedanken mehr wert. Er bewältigte die Probleme auf seine eigene Weise, seit er allein mit seinem Kahn unterwegs ist. Ja früher, auf dem großen Schiff, da musste auch er sich unterordnen, doch das ist schon lange Vergangenheit.
Der Alte war nie wieder eine Beziehung zu irgendeinem Menschen eingegangen. Warum auch? So gehörte ihm alle Beute allein. Und der Tod des Knaben - Schicksal!
Verantwortung für sein Verhalten kennt er nicht. Ein Mitgefühl für andere zu haben, ist für ihn noch unsinniger. Er benutzt die Menschen zu seinem Vorteil, so wie er sie braucht. Bisher hat er immer einen Gewinn daraus gezogen, also war es richtig. Der andere Mensch war ihm nichts wert.
Mit wiegendem Gang überquert er den Marktplatz. Gerüche von Gewürzen, Speisen und stinkender Kloake liegen in der Luft. Der Alte rümpft seine Nase. Diese Mischung ist einfach widerlich. Er schreitet schneller aus.
Auf der anderen Seite des Platzes, da wohnt ein Goldschmied. Zu ihm will er. Wenn er einen guten Handel macht, kann er sich endlich ein anderes Boot kaufen und bessere Überfälle planen. Er ist zu alt für Experimente und sein Boot ist mit ihm gealtert. Es ist kein Verlass mehr auf den alten Kahn.
Links von ihm spielt ein Musikant auf einem ungewöhnlichen Instrument und das gemeine Volk johlt und klatscht zu den rhythmischen Bewegungen einer hübschen Tänzerin. Nur kurz fällt sein Blick auf sie. Auch das ist lange vorbei. Ja früher, da hätte er ihr vielleicht einen Armreif für ihre Gunst geschenkt. Nun lohnte es sich nicht einmal mehr für ihn, darüber nachzudenken.
Der alte Pirat schiebt sich fluchend durch die Menschenmenge, die geballt am Ende des Marktes um einen Gaukler gruppiert ist. Nur noch ein paar Schritte sind es bis zum Haus des Goldschmiedes.
Im gleichen Moment, da der Alte mit seinem rechten Fuß im Matsch des kleinen Pfades hinter dem Markt versinkt, spürt er einen wahnsinnigen Schmerz in seinem Rücken. Ohne, dass er noch einmal über seine Schulter zurück schauen kann, schlägt sein Körper auf. Armreifen und Ketten fliegen um seinen Kopf und versinken teilweise im Dreck. Zwei Ringe sind bis zum Gehweg geflogen und drehen dort einige Runden, bevor sie liegen bleiben.
Ein großer Schatten fällt auf die Gestalt des Alten, die gekrümmt und mit schmerzverzerrtem Gesicht im Schlamm liegt. Die Augen des alten Piraten sind aufgerissen und nur langsam werden sie starr.
Der Vater des Taucherjungen beugt sich zu ihm herab und zieht mit einem Ruck und den Worten: „Ich liebte ihn, mir war er alles“, sein Messer aus dem Rücken des Toten. Ohne auch nur einen einzigen Blick auf den verstreut liegenden Schmuck zu geben, entfernt er sich eilig.
Als der Alte in der dunklen Ecke des Kirchhofes, die den Dieben, Mördern und ehrlosen Toten vorbehalten war, in das Loch gelegt wurde, war es still. Und obgleich ringsum viele Bäume und Sträucher wuchsen, sang kein Vogel.
Ohne einen Blick zurück verließ auch der Totengräber die Stätte.
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Tag der Veröffentlichung: 29.07.2011
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