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Oft sagte ich in meiner Verzweiflung:
"Das darf mir nicht geschehen, nicht jetzt."

Und mein Leben antwortete mir:
"Mache Dir keine Sorgen, alles ist richtig
und die Zeit reicht."


Es war Sommer, eigentlich ein warmer, nur an diesem Tage nicht. Egal, wir hatten Schulferien und ich wollte mit Pia in das Mockritzer Schwimmbad. Unsere Mutter war nicht begeistert aber nachdem ich genügend rumgenörgelt hatte, stimmte sie zu. Schnell waren die Sachen gepackt und wir auf dem Weg. In einer solch kinderreichen Familie wie der unseren waren die Kinder meist selbstständig. Im Schwimmbad kannte ich mich bestens aus. Es war wie ein Naturbad aus zwei oder drei Teichen. Auch ein Kneipbad gab es hier für die ganz mutigen Kinder. Ich gehörte natürlich dazu und war schon oft in dem eisigen Wasser geschwommen. Direkt nach der Kasse kamen die langen Gebäude, an deren Vorderseite die Sonnenbänke standen. Hier war immer was los. Ich war schon zehn Jahre alt und meine Schwester Pia sieben. Das ich auf meine kleine Schwester aufpassen wollte, stand außer Frage.

Also gingen wir gemeinsam auf die Liegewiese, wo wir immer lagen. Da waren auch die Kabinen, die man sich für ein ganzes Jahr mieten konnte und die Jungs und Mädchen aus meiner Schule. Jungs interessierten mich schon, allerdings machte ich wohl auf sie wenig Eindruck, denn ich war klein und nicht so hübsch. Andere Mädchen in meiner Klasse sahen einfach toll aus und ich bemerkte die Blicke der Jungs, die zu ihnen gingen. Auch waren einige an den Brüsten bereits sehr entwickelt. Mit solchen wunderbaren Dingen konnte ich nicht angeben. Ich war genauso flachbrüstig wie Pia.
Meine kleine siebenjährige Schwester freute sich sehr, dass ich sie mitgenommen hatte. Schnell hatte sie Freundschaft geschlossen mit all meinen Freunden. Sie war ja noch klein und die jüngeren Geschwister waren oft selbstverständlich auch dabei. Das war einfach normal. Ob wir hinter dem Haus spielten oder unterwegs waren, sie gehörten einfach auch dazu.
Das dieser Tag ein schicksalhafter Tag sein würde, dass ahnte sicher keiner. Ich auch nicht, zumal ich zu dieser Zeit auch keine Gedanken an ein Schicksal hatte, es war mir vom Namen zumindest unbekannt

Im Schwimmbad waren wir Decke an Decke auf der Wiese ausgebreitet. Ein richtig schöne Gemeinschaft. Wir lachten und Pia war mittendrin.
Irgendwann bemerkte ich, dass sie fehlte und einer aus meiner Klasse sagte, sie sei zum Karussell gegangen. Als ich dorthin ging, fehlte von Pia jede Spur. Zu diesem Zeitpunkt war ich einfach nur sauer, weil ich sie wieder einmal suchen musste. Dennoch wurde ich auch bald unruhig und lief zu meinen Freunden zurück. Dort war sie nicht angekommen. Also ging ich durch das ganze Schwimmbad bis zum Eingang. Bereits aus der Ferne sah ich einen Menschenauflauf. Alle standen in ihren bunten Badesachen am Becken und diskutierten. Sofort hatte ich meine Schwester vergessen und war neugierig. Ich war ein Kind von zehn Jahren.

Als ich erfuhr, hier sei gerade ein kleines Mädchen ertrunken, das war es mit der Ruhe vorbei. Ich spürte sofort wie sich etwas auf mich senkte. Ein Ernst - wo immer er her kam. An diesen Moment kann ich mich gut erinnern. Wie ich in den Raum geführt wurde, wo meine kleine Schwester kopfüber von zwei Männern an den Beinen gehalten wurde, die ihr beständig auf den Rücken schlugen, war traumatisch für mich. Das Klatschen hörte ich noch Jahre später in meinen Träumen, in denen ich dann, selbst unter Wasser, versuchte nicht zu ertrinken. Es waren Albträume, denn ich war unter Wasser, meine Mutter und meine Schwester schwammen dann auch dort unter Wasser, sahen mich mit großen traurigen Augen an und schwammen dann weg. Sie halfen mir nicht - keiner half mir. Dieses Gefühl in den Träumen war wirklich schlimm und oft wachte ich genau damit dann auf.
Ich glaube heute, dass sich darin meine eigene kindliche Hilflosigkeit zeigte, dass ich allein war mit dem traumatischen Erlebnis.
Ja, Pia, meine kleine Schwester war tot und ich wusste nicht was das war, der Tod. Nur eines wusste ich genau, ich hatte wohl nicht aufgepasst und war schuld. Damals glaubte ich das und eine Amnesie war die Folge. Vierzig Jahre später erst erfuhr ich wie ich nach Hause kam und wie die Woche bis zur Beerdigung in der Familie ablief.

Als ich ein Kind war, gab es keine psychologische Betreuung. Ich habe es soweite aufgearbeit, dass ich weiß, ich bin nicht schuld gewesen, es war ein Unglück.
Immer noch rühren mich die Schicksale der Kinder sehr, denn ein Kind ist immer auf Hilfe angewiesen. Meine Schwester hätte damals Hilfe gebraucht in einem öffentlichen Schwimmbad und ich nach dem Unglück auch.
Pia hat in meinem Herzen einen guten Platz und ich bin glücklich eine Zeit in der Kindheit mit ihr zusammen gewesen zu sein.


Sie ist mein kleiner Engel, schaut auf mich und hat mich sicher auch nie vergessen.




Impressum

Tag der Veröffentlichung: 08.02.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
... ich habe dich nie vergessen, kleine Schwester, auch wenn du nur so kurze Zeit bei mir warst.

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