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Oft sagte ich in meiner Verzweiflung:
"Das darf mir nicht geschehen, nicht jetzt."

Und mein Leben antwortete mir:
"Mache Dir keine Sorgen, alles ist richtig
und die Zeit reicht."


Es gab einen Tag, da wäre ich fast gegangen. Irgendwie wäre das einfach gewesen, denn dort, wo ich mich für eine kurze Zeit befand, gab es keine Schmerzen mehr.

Meine Kinder waren noch klein und ich Anfang dreißig, als die Krankheit mich nieder zwang. Gewohnt war ich durch wiederkehrende Erkrankung eine Zeit in den Krankenhäusern zu verbringen. Immer mal wieder sehr krank zu sein, war für mich schon normal geworden, ebenso aber auch, wieder gesund zu werden und anschließend wieder arbeiten gehen zu können. Bis zu jenem Tag, als der Arzt im Krankenhaus eine weitere Operation vornehmen musste.

Inzwischen war meine Tochter schon in der sechsten Klasse und mein Sohn war eingeschult. Von meiner Herkunfts-Familie war niemand interessiert nach uns zu schauen. Den Vater der Kinder musste ich verlassen, damit unser Leben nicht noch schwerer wurde. Aber das ist ein ganz anderes Thema.
Meine Kollegen hatten wieder einmal eine Sammlung organisiert und ich konnte so eine Nanny bezahlen, die für die Zeit meines Krankenhausaufenthaltes in unserer Wohnung wohnte. Einmal pro Jahr musste ich immer zur OP, oft auch ein zweites Mal. Das meine Kinder in einem Ausnahmezustand waren, ist wohl verständlich. Sie wussten nie, ob ihre Mama je wieder nach Hause kam. Es waren schwere Jahre für unsere kleine Familie gewesen.

Zwei Tage nach der Op ging ich mit einer Zimmernachbarin im Krankenhauspark spazieren. Es war ein warmer Herbsttag und die bedrohliche Erkrankung lies mich auf einmal jeden Grashalm, jeden Baum neidisch betrachten. Diese wunderschöne, einfache Natur würde mich einfach überleben. Das machte mich fast zornig, warum ich? Es gab viele böse Menschen, die alt wurden. Die schwersten Gedanken, die versuchte ich nie zu denken. Unmöglich, die Kinder zurück zu lassen. Allein! Mein Testament war geschrieben, die Lebensversicherung abgeschlossen. Die Kinder würden eine kleines Startgeld haben, wenn sie einmal eine Ausbildung machen würden. Viele Gedanken dachte ich einfach nie zu Ende....

Im Park noch eine Runde drehen, die Sonne spüren. In einer Stunde sollten meine Kinder zu Besuch kommen. Ich brauchte Energie, musste mich beherrschen. Sie stärken. Doch dann kam vieles anders....
Während des Spaziergangs hörte ich dreimal hintereinander eine Stimme, oder hörte ich in mir eine Stimme?
"Komm rüber"! sagte die Stimme.
Gleichfalls hörte ich meine Zimmernachbarin nett neben mir erzählen. Ich fragte sie, ob sie auch die Stimme gehört habe und sie verneinte lachend. Ich jedoch hatte das Gefühl, dass am nächsten Tag etwas mit mir geschehen würde. Das sagte ich ihr auch. Irgendwie hatte ich Angst, nun auch noch verrückt zu werden. Wir gingen in dem Cafè einen Kaffee trinken und ich war wirklich verwirrt.

Gut das ich ihr davon erzählte, meiner Zimmernachbarin, denn am nächsten Tag geschah wirklich etwas ungewöhnliches mit mir. Ich hatte ein Nahtoderlebnis. Das, was ich bin, verließ über den höchsten Punkt des Kopfes, meinen Körper. Das war kein Denken, sondern ein Fühlen und Wahrnehmen. Ein Erleben, und ich hatte keine Angst. Die Ärzte waren sofort an meinem Bett, Dank meiner lieben Nachbarin, die sich an meine Worte vom Vortag erinnerte. Sie stand neben meinem Bett und sagte laut und erschrocken zu den anderen Frauen im Zimmer:
"... klingeln, klingeln, sie wird ganz blau!"

Mich überraschte ein wirklich mystisches und erstaunliches Erlebnis. Ich hatte meinen Körper verlassen und war durch einen Tunnel in ein Licht gesaust. Nicht anders könnte ich es beschreiben. Nichts machte mich ängstlich, es war ganz leicht, es geschah einfach. Dort im Licht war alles anders. Es war still, schön und warm. Nichts Bedrohliches war mehr um mich, kein Schmerz, keine Angst, nur Stille und Frieden. Ich konnte bleiben oder wieder zurück zu meinem Körper reisen. Das war eine sehr verführerische Situation, denn alles Schwere hätte ich loslassen können. Dennoch entschied sich meine Seele anders.  Als ich zurück in meinem Körper war, war ich absolut ruhig und sehr beeindruckt. Ein neues Wissen war in mir. So also wird es sein, wenn ich eines Tages sterbe. Doch war ich wohl für das Ärtzteteam noch nicht da, obwohl ich sie "sah" und auch hörte. Sie stachen Nadeln in meine Arme, die ich nicht spürte, zogen meine Augenlider nach oben und prüften den Blutdruck. Die Ergebnisse schienen sie zu verwirren und ich beobachtete aus meiner Distanz alles. Irgendwie war ich wieder da und auch nicht. Die Ärzte wussten nicht wirklich was da mit mir geschah, und ich ehrlich gesagt, zu diesem Zeitpunkt auch nicht.

Monate später, entdeckte ich im Buchhandel ein Buch von Pr.Dr. Moody. In diesem Buch fand ich mein eigenes Erlebnis von Menschen aus aller Welt vielfach geschildert. Ich war also nicht verrückt, andere erlebten auch solche Ereignissen, wenn sie schwer krank oder verunfallt waren. Das hat mich total beruhigt.
Noch viele Jahre danach bin ich allerdings im Ungewissen gewesen, ob die Krankheit mich wieder einholt. Ich wollte leben, für meine Kinder! Irgendwann habe ich dann weiter gelebt, ohne an die Krankheit zu denken.


Fast dreißig Jahre nach all dem Geschehen, übermannte mich die Erkenntnis des Überlebens wie eine Erschütterung. Es war an meinem sechzigsten Geburtstag. Freuden, Kinder und viele andere sehr liebe Menschen feierten und ehrten mich. Sie sangen für mich und erzählten aus meinem Leben. Einer von ihnen hatte sich mit meinen Kindern in Verbindung gesetzt und eine kleine Kurzfassung meines bewegten Lebens geschrieben. Auf der Feier las er vor. Da geschah es, ich erkannte tief in meinem Inneren mein Überleben und weinte. Dieses Begreifen und Verstehen brauchte einige Monate und lässt mich mein Leben nun auch langsam fühlen. Das Erkennen hat mir fast den Boden unter den Füßen weggerissen, denn nun wusste ich auf einmal, dass ich die vielen Jahre nur funktioniert hatte. Ich hatte nie gefühlt, dass ich überlebt habe. Diese Entdeckung hat mich wahrlich erschüttert.
Heute weiß ich um mein Leben und auch um mein Überleben und ich bin für jeden Tag dankbar. Ich konnte meine Kinder heranwachsen sehen, und meine Enkelkinder an mein Herz drücken. Und ich erkenne auch jetzt noch in bestimmten Momenten, dass eine innere Starre sich langsam löste. Es war die Starre des Traumas, eine seelische Starre, mit der wir Menschen geschützt werden, wenn etwas Schlimmes nicht mehr aushaltbar ist. Sie kann sich lösen und das ist herrlich.

Es gab einen Moment, da wäre ich fast gegangen. Irgendwie wäre das einfach gewesen, denn dort, wo ich mich für eine kurze Zeit befand, gab es keine Schmerzen mehr, nur Frieden..
Meine Kinder haben mein Leben gerettet, denn ich konnte sie nicht allein zurück lassen. Dieser Wunsch war so kraftvoll und stark in mir, dass ich nicht im Licht blieb. Vielleicht wurde ich auch zurückgeschickt. Ich weiß es nicht.

Das Tunnelbild ist jenes Bild, welches ich damals authentisch nach meinem Nahtoderlebnis gemalt habe. Es zeigt den Tunnel, durch den ich ins Licht ging. Durch ihn kehrte ich auch für eine Zeit zurück. Eines Tages, da bin ich mir sicher, werde ich ihn wieder benutzen. Dann, wenn meine Zeit gekommen ist.
Bis zu diesem Tag wünsche ich mir nur sehnlichst, immer mein Leben zu fühlen und glücklich zu sein.
Andere Menschen mag meine Art zu leben oft sehr widersprüchlich oder auch eigenartig anmuten, weil sie selbst einen anderen Lebensplan verfolgen oder mich nicht verstehen können.

Meine Einstellung zum Leben ist seither verändert. Leben ist nicht selbstverständlich und sehr kostbar. Es kann jeden Tag enden. Ein wirklich guter Grund die Lebenszeit mit guten Augenblicken zu füllen. Mir ist mein Leben wichtig geworden und ich bin sehr glücklich, wenn ich morgens erwache.

Besonders aber wünsche ich mir und auch Dir,
liebe Leserin, lieber Leser,
ganz viel Gesundheit, denn ohne sie geht gar nichts.




Impressum

Tag der Veröffentlichung: 10.11.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Allen Menschen!

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