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Ein ganz gewöhnlicher Spaziergang



Laub raschelt unter ihren Füßen. Es ist Herbst und wie immer gehen sie gemeinsam durch den Wald. Sie lieben diese Wege von Anfang an, sich zu unterhalten oder auch viele Schritte lang miteinander zu schweigen, denn sie wissen ohne Worte, was dem andern gefällt. Zeigen sich die Waldvögel oder auch schön gewachsene Bäume. Am Bach setzen sie sich gemeinsam auf einen großen Stein und lauschen dem Plätschern des Wassers. Folgen seinem Fluss und spähen hinein, ob nicht doch ein Fischlein zu entdecken sei.
Auch wenn sie an Jahren noch keine lange Zeit zusammen sind, wie manch andere Paare, teilen sie unglaublich viel. Viele Menschen sind sich im ganzen Leben nie so nah, wie sie, denn sie müssen sich nicht anstrengen Eins zu sein. Sie sind tief im Innersten verbunden. Oft hat sie Gedanken und er spricht sie aus.

Es gibt Wunder im Leben. Sie waren sich immer vertraut. Schon beim ersten Treffen, beim ersten Blick, fühlten sie ihre Zuneigung und innere Nähe. Diese Empfindungen sind nicht gewachsen, sie waren immer da. So, als wüsste sie eigentlich schon alles von ihm und er von ihr. Irgendwo tief im Herzen klingt es, wenn er bei ihr ist.
Sie ist immer mit ihm verbunden, bei ihm und mit ihm in seinen Gedanken. Wandert ein Stück mit ihm hin zu den Menschen, die wichtig für ihn waren und die sie leider nie kennen gelernt hat.
Oder sie beginnt zu sprechen und er lacht sie an, weil er auch das Gleiche gerade erzählen wollte. Lustiges aus dem Leben und tiefe Gespräche über all das, was sie im Leben begleitet. Und Erinnerungen...

Erst vor einigen Tagen waren sie gemeinsam auf den Friedhof gegangen, auf dem seine Eltern begraben liegen. Er hat sie schon früh entbehren müssen. Auf dem Friedhof lag viel Laub auf den Wegen. Dort erzählte er ihr das erste Mal vom Blättern. Sie schmunzelte sofort, als sie das Wort hörte und freute sich auf seine Geschichte, die er dann, mit seinen Schuhen im Laub, gerne auch erzählte.

Seine Großmutter war mit ihm blättern gegangen, als er ein kleiner Junge war. Sie hatte ihm gezeigt, wie das Laub im Herbst trocknet und ihn ermutigt, mit seinen Schuhen durch das Laub auf dem Weg zu rascheln. Schmunzelnd erzählt er ihr diese kleine Geschichte und es liegt eine tiefe Freude in seinem Gesicht. Seine Großmutter war eine wichtige Person in seiner Kindheit, weil die Mutter viel arbeiten musste und der Vater auch. Früher war das noch so, da waren die Großeltern oft mit im gleichen Haus, so wie bei ihm. Geschwister hatte er keine, deshalb ging er mit seiner Großmutter blättern. Blättern gehen!

Sie freute sich, dass er ihr diese kleine Geschichte erzählte.




Welch schöne Erinnerung aus seiner Kindheit. Diese Erinnerung ist so kraftvoll, dass sie ihm noch Jahrzehnte später beim spazieren gehen ein Lächeln ins Gesicht malt.


Ein wenig beneidet sie ihn auch um diese Geschichte, die wohl jedes Kind gerne erleben möchte. Es sind immer die guten Augenblicke, die uns bis ins Alter die Freude der Erinnerung schenken.
Ohne mit ihm darüber zu sprechen, weiß sie um eine tiefe Traurigkeit in sich. Nun, Erinnerungen hat auch sie viele. Auch hat sie mit ihm einige davon geteilt, aber nicht alle. Es gibt Erinnerungen, die kann sie ihm nicht erzählen. Da ist noch ein Geheimnis, kein Schönes. Das wäre zu schwer für ihn. Dennoch weiß sie seit einiger Zeit, dass sie ihm auch diese Geschichte erzählen sollte. Denn diese Vergangenheit wirkt durch sie. Er würde sie fest in seine Arme schließen und in seine Liebe hüllen, und ihre Traurigkeit könnte gehen.

Sie hat es sich fest vorgenommen. Wartet auf den Zeitpunkt, wo sie den Mut in sich spürt. Denn Mut wird sie brauchen, sehr viel Mut! Vielleicht, wenn sie wieder einmal gemeinsam über den Friedhof gehen, denn dort begegnen sich Leben und Vergänglichkeit.


Inzwischen geht auch sie blättern, wenn sie allein unterwegs ist, denn er ist nicht mehr bei ihr. Sie hatte keine Gelegenheit mehr, sich im anzuvertrauen. Konnte ihm nichts von alledem erzählen, was nun wieder in ihr verschlossen ist. Er hatte sie nicht in seine Liebe gehüllt und in die Arme genommen, um sie zu trösten.
Aber die schönen Erinnerungen an gemeinsame Spaziergänge, die bleiben ihr. Nun geht sie wieder allein spazieren. Raschelt mit den Schuhen im Laub und hört in ihren Gedanken dann manches Mal seine Stimme, die aus der Ferne ...vom Blättern gehen... erzählt.



Impressum

Tag der Veröffentlichung: 13.02.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Es gibt Erinnerungen die sind Kostbarkeiten!

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