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Lebensordnung



Wer neu beginnt, nutzt seine Energie für seine Zukunft....
„Ich ordne mein Leben, tja, muss ich nun wohl….“. Mit einem Seufzer und noch nicht mit fester Stimme murmelt Marco den Satz in die leere Küche. Er sitzt auf dem einzigen Stuhl. Neben der Tür steht ein kleiner Kühlschrank. Der ist alt, brummt fürchterlich und ist ein Geschenk des Hausmeisters. So kann Marco wenigstens einige Lebensmittel aufbewahren. Zurzeit ist der Kühlschrank noch leer. Die Heizung gibt leise klingelnde Geräusche von sich und vor dem Fenster fährt laut hupend gerade ein Auto vorbei. Marco schaut nur kurz aus dem Fenster, dann setzt er sich wieder.

“Ich ordne mein Leben,… ich weiß nur noch nicht wie..." Nochmals klingen die Worte zwischen den Wänden. Einen Hall erzeugen sie in dem leeren Raum nicht, dafür ist die Küche zu klein. Marco war gestern siebzehn Uhr entlassen worden. Sein Bewährungshelfer hatte ihn hierher gebracht. Küche, Klo und ein kleines Zimmer. Heute will der Mann wiederkommen und noch einiges mit Marco besprechen. Halt die Auflagen oder so, und wie er an einige Möbel vom Amt kommt. Im Zimmer nebenan steht ein Bett, es ist von seinem Vorgänger. Der sitzt inzwischen wieder ein. Möbel hatte der keine. Nur Dreck, Unrat und Gesammeltes. Halt ein Messi, ein krimineller Messi.
<Nun wohne ich hier> denkt Marco. <Allein war ich noch nie, oder doch?> Er denkt nur kurz an seine Familie und winkt ab. „Eigentlich schon, im Knast hatte ich auch keine Freunde“, sagt er laut und nickt bekräftigend zu seinen Worten. In seiner Zelle hatte er oft laut mit sich gesprochen, wenn er allein war. Das machen alle im Knast, auch die ganz Coolen.

Die Klingel schellt laut und Marco springt hoch. Der Bewährungshelfer? Noch zu früh! Vor der Tür steht ein kleines blondes Mädchen. In seiner Hand hält es einen Strauß aus Gänseblumen. Es schaut Marco freundlich an und hält ihm den Strauß entgegen.
“Meine Oma ist gestorben, sie hat immer von mir Blumen bekommen. Ich habe dich am Fenster gesehen, du siehst so traurig aus.“
Marco ist immer noch sprachlos.
“Wohnst du jetzt hier“ fragt das Kind ihn neugierig. Als Marco nickt, tritt es auf ihn zu und drückt ihm die Blumen in die Hand.

“Die bringe ich dir jetzt immer“, ruft das Mädchen und läuft flink die Treppe hinunter. „Ich heiße Lilli“ hört er noch, dann schlägt eine Tür zu.
“Ich ordne mein Leben, ...genau!" Jetzt klingt Marcos Stimme kräftig und er geht mit den Gänseblümchen zurück in die Küche und stellt sie in ein Wasserglas.


Trauer und Trost



Jörg steht am Grab seines Freundes. Schaut in das Erdloch und auf den Sarg. Viele, unzählige kleine, weiße Rosen bedecken sein Holz. Ein letzter vergänglicher Schmuck. Die anderen Trauergäste sind lange schon gegangen. Er kann sich noch nicht lösen, kann es immer noch nicht fassen.
Bilder tauchen wieder und wieder in ihm auf. Bilder aus der Kindheit. Sie hatten gemeinsam die Schule besucht, waren im Sommer durch die Gärten gelaufen, um Äpfel zu klauen. Die schmeckten nämlich am besten. Waren zusammen tanzen gegangen und kannten beide die Familien, ja waren Teil der Freundesfamilie geworden. Und auch später war der Kontakt geblieben. Sie hatten einander die eigenen Kinder begrüßt, sich miteinander gefreut und auch über so manches gestritten. Hatten sich immer von ihren Problemen erzählt und gemeinsam Lösungen gesucht oder sich getröstet. Waren halt Freunde, in guten und in schlechten Zeiten. Ja, besonders in schlechten Zeiten, da waren sie immer füreinander da gewesen.
Nun lag er dort unten, der Freund und Jörg muss Abschied nehmen. Hier und jetzt….

Tränen laufen über sein Gesicht. Er bemerkt sie nicht mehr. Hat so viele schon geweint um seinen Freund, um die Freundschaft, die so nie mehr sein konnte. Er war fort, der Freund, und das so plötzlich. Wo mag das sein, was ihn ausmachte und das wir Menschen Seele nennen? Jörg glaubt nicht, dass mit dem Tod alles vorbei ist. Irgendetwas von uns lebt weiter, da ist er sich sicher. Ein Mensch ist so viel, dass kann nicht alles weg sein, nur weil der Körper alt ist oder krank. Er schaut hoch zum Himmel, suchend sein Blick. Natürlich weiß er, dass die Seelen nicht dort oben zwischen den Wolken schweben. Oder…???? Aber wenn der kranke Körper dort unten liegt, in dem schweren Holzsarg, dann ist des Freundes Seele jetzt leicht…. sie kann jetzt überall sein….

Eine Amsel sitzt zwischen den kleinen Blumen auf dem Sargdeckel. Zwitschert und fliegt mit einer der kleinen Rosen im Schnabel nach oben. Jörg folgt ihr mit seinem Blick und als sie über ihm ist, fällt die Rose aus ihrem Schnabel, direkt vor seine Füße.

Wie eine Botschaft, wie ein letztes Lächeln. Jörg hat ein Gefühl, als stehe genau jetzt sein Freund neben ihm. Ein tröstliches Gefühl breitet sich in ihm aus und er hebt die Rose auf.
„Danke, lieber Freund. Ich sage nicht tschüß, sondern bis dann einmal, wir sehen uns…“ flüstert er leise und verlässt mit der Rose in der Hand den Friedhof.


Hab keine Angst…. .



Noch heute berührt mich die Erinnerung …



Mein letzter Urlaubstag! Ein letztes Mal will ich wandern gehen, denn so schnell werde ich nicht wieder hierher kommen. Neben dem Wanderweg fließt ein Bach. Er sprudelt und gluckert, als wäre er ebenso glücklich wie ich. Kein Mensch weit und breit. Nur Stille. Die Natur atmet. Kein Vogelgezwitscher – es ist Winter in Österreich!
An einer kleinen Brücke mache ich meinen ersten Halt. Will mich in Ruhe entscheiden, wohin ich gehe. Nach allen Richtungen zeigen Schilder auf Ziele, die es lohnt zu erreichen. Ich überquere den kleinen Bach. Die Brücke ächzt. Sie ist aus altem Holz. Vielleicht will sie mir von den anderen Wanderern erzählen. Sie hat sie alle gesehen, die Unentschlossenen, die Unermüdlichen und die Zweifler, die erwogen gerade hier zurück zu gehen, die einzelnen Wanderer und auch die Wandergruppen. Das türkisfarbene Wasser spielt um ihre Brückenbeine. Bildet kleine Strudel, die dann mit Eifer dem Bachlauf folgen. Unbekannten Zielen entgegen, unwissend, ob sie je ins Meer gelangen.

Ich gehe einfach los, ohne ein bestimmtes Ziel. Mein Weg führt mich über eine große Wiese. In der Ferne leuchten die schneebedeckten Spitzen der Berggipfel. Sie erscheinen mir, wie hineingemalt in das herrliche Blau des Himmels. Ihre Konturen sind klar und sauber. Das macht sicher der Schnee. Er lässt sie fast unschuldig aussehen. Quer über die Wiese führen Spuren von anderen Wanderern, Schnee liegt hier unten keiner, nur Matsch, mir ist es gleich. Fröhlichen Gemüts schreit ich aus und füge meine Fußspuren hinzu. Nach zwei Stunden sehe ich einen spitzen Kirchturm. Im Ort angekommen suche ich die kleine Kirche. Auf dem Kirchhof fällt mein Blick auf ein schlichtes Holzkreuz. Es sieht noch neu aus und mir sticht mein eigenes Geburtsdatum in den Blick. Als ich näher herantrete lese ich, dass die Frau im letzten Jahr starb. Sie wurde nur fünfzig Jahre alt. Ich denke an diese Frau und wünsche ihr, dass es ihr gut geht, dort, wo sie jetzt ist. Ich denke an meine Kinder und Enkel und bin für meine Gesundheit dankbar.
In der Kirche hat jemand neben den Kerzen einen kleinen handgeschriebenen Zettel mit Tesafilm an die Mauer geklebt. Auf ihm steht mit schrägen und zittrigen Buchstaben:

„Ich bin nicht gläubig, doch wenn es Dich gibt, Gott, dann achte bitte auch auf mich. Vielleicht kannst Du mir ein Zeichen geben, denn ich bin alt, krank und habe Angst.“



Darunter hatte ein Kind mit rotem Buntstift geschrieben:
„Ich bin auch sehr krank und wenn ich vor Dir sterbe, werde ich meinen Engel bitten auf Dich aufzupassen.
HAB KEIN ANGST!“
Toni



Lange sitze ich in der kleinen Kirche. Denke an meine Lieben daheim, denke über mich und über mein Leben nach. Als ich die Kirche verlasse, riecht die Luft frischer, der Himmel ist blauer, meine Lebensfreude größer. Ich bin unendlich dankbar, dass mich mein Weg in diese kleine Kirche geführt hat und fühle, dieses Zeichen ist auch für mich!


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 31.07.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Alles ist im Wandel - unser ganzes Leben lang.

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