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Mädchenhaft sei sie, hat er gesagt. Nun ja, dann ist sie halt mädchenhaft für ihn. Gerne. Dieser Teil ist sowieso in ihrem Leben viel zu kurz gekommen. Natürlich war sie genau so lange ein Mädchen, wie die anderen auch. Zeitlich sicher, nur sie war anders gewesen zu dieser Zeit. Sie war nach der Kindheit sofort erwachsen geworden. Fühlte sich wie die Großen und dennoch auch wieder anders, ernster!
Sie konnte sich nicht an eine mädchenhafte Zeit zwischen Kindheit und Später erinnern. Für sie gab es diese Zeit einfach nicht. Mädchenhaft, was sagt das Wort? Sie weiß es nicht.

Gedankenvoll versucht sie sich zu erinnern, wie es war als sie ein Mädchen war, ein heranwachsendes Mädchen. Bilder der Kindheit tauchen auf, nicht gerade schöne Bilder, aber dafür viele. Es war nicht ihre beste Zeit gewesen, ganz im Gegenteil. Wie im Zeitraffer sieht sie sich wachsen, größer und älter werden. Sie erinnert sich an ihren Geburtstag, sie ist zehn. An diese Feier erinnert sie sich gut und sie weiß, da war sie schon lange erwachsen, denn es waren Dinge geschehen, die keinem Kind geschehen sollten. Da hatte sie schon lange vergessen wie sich ein Kind fühlt, war kein Mädchen mehr und erst recht nicht mädchenhaft.

Mädchenhaft findet er sie und es gefällt ihm, dass Mädchen in ihr. Der Gedanke ist für sie schön, berührt sie. Nie hat sie ein Mann auf diese Weise berührt, denn Männer berühren anders. Wer sollte das besser wissen als sie. Sie, die Frau, die auf so viele Jahre schon zurück schauen kann.
Des Lebens Inhalt ist groß und man kann ihn sich weder wünschen, noch vorstellen. Diesen Inhalt kann man nur erleben und wenn er schmerzt, dann muss man lernen den Schmerz auszuhalten. Sie hatte viel erlebt, hatte viel erhalten und ausgehalten.
Inzwischen sind ihre Jahre auch mit schönen Augenblicken gefüllt. Gelassen und auch dankbar schaut sie zurück. Hat vieles vergessen, welch ein Glück! Ihr Leben war nicht immer leicht gewesen.
„Mädchenhaft…“ leise flüstert sie das Wort in den Wind, der es ihr von den Lippen reißt und mit ihm hinter ihrem Rücken verschwindet. Ein schönes Wort! Sie flüstert es noch einmal, hat den Eindruck, dass es dieses Mal einen Augenblick verweilt.
Die Jugend kommt nicht zurück und auch Verlorenes kann das Leben nicht zurück geben. Sie ist inzwischen ein „älteres Mädchen“ und vielleicht liegt darin der Reiz. Er ist ein verlorener Teil aus ihrer Zeit und war so lange verborgen, da er in ihrer Jugend nicht sein durfte. Und dieser Mann hatte ihn entdeckt, findet ihn schön und sagt es ihr.

Mit schnellen Schritten eilt sie den Parkweg entlang. Springt von Pfütze zu Pfütze. Den Donner hört sie erst nachdem der grelle Blitz sie erschreckt hat. Sein Grollen ist bedrohlich, fast bösartig. Die Sträucher am Wegrand sehen gespenstig aus. Eine Sturmböe drückt sie nieder und lässt sie die Erde küssen. Regen peitscht Tropfen in ihr Gesicht, dass es sie schmerzt.

Die Regentropfen schmecken salzig und jetzt erst erkennt sie, dass sie weint.


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Texte: Copyright by Gabriele Ende Alle Rechte für Text verbleiben bei der Autorin Bildquelle: www.photowelt.de www.bildarchiv-boden.de
Tag der Veröffentlichung: 13.06.2009

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