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Röchelnd renne ich durch die Finsternis. Jeder Atemzug schmerzt. Ich renne und renne, verfolgt von einem furchtbaren Keuchen. Schweiß rinnt mir den Rücken herunter und ein Gefühl sagt mir, dass ich gleich nicht mehr kann. Gleich ist mir alles egal und ich gebe auf. Gleich höre ich auf wegzulaufen, denke ich immer wieder. Doch noch tragen mich meine Beine. Meine Augenlider flattern vor Panik, denn sie ist ist es, die mich vorwärts treibt, stolpernd, stöhnend. In meinem Kopf dröhnt das Blut und schlägt wie ein Hammer gleichmäßig auf mein Gehirn. Stechende Schmerzen durchzucken mich mit jedem Schlag, und doch ist kein Schlag so schlimm für mich, wie das schmatzende Keuchen hinter mir.

Meine Angst hält mich in ihren Fängen. Ich schlage mit meinem Gesicht hart auf, als sich meine Füße vor Aufregung ineinander verhaken. Modder verschmiert meine Augen. Einen Bruchteil meiner Gedanken glaube ich, nun auch noch erblindet zu sein, bis das Keuchen mich herzlos wieder in mein Entsetzen reißt. Obwohl ich weis, dass es dunkel um mich ist, reiße ich die Augen weit auf. Unfähig auch nur einem Gedanken klar zu denken, wische ich mir den Dreck aus den Augen. Der Rest vermischt sich brennend mit meinem Augenwasser, Schemenhaft sehe ich wieder den Weg vor mir. Dunkle Wurzeln versperren immer wieder meinen Fluchtweg und erschweren mir das Vorwärtskommen. Wieder stolpere ich über meine Füße, die bei jedem Schritt schmerzen und sich immer schwerer anfühlen. Zu jeder Bewegung muss ich mich zwingen. Meine Angst lähmt mich mit der gleichen Kraft, mit der sie mich vorwärts treibt, das furchtbare Keuchen im Genick. Dreckiges und stinkendes Schlammwasser macht aus dem Weg ein sumpfiges Etwas und ich sinke, wie in einem Schwamm, immer wieder ein. Meinen rechten Schuh habe ich schon lange verloren. Lange, bevor ich in diese Richtung einbog. Vielleicht drehe ich mich auch im Kreise. Sicher habe ich mich verlaufen, denn wie sollte ich wissen, wo ich bin? Mich schmerzen meine aufgerissenen Zehen so sehr, dass mir jeder Schritt eine Qual ist. Vor Angst ist mir so übel, dass mir der Brechreiz bis hinauf in meinem Hals schwappt. Ich habe keine Zeit mich zu übergeben, oder habe ich es bereits getan? Mein Körper fühlt sich an wie ausgehöhlt, und ist doch gefüllt mit dieser schrecklichen Angst, die scheinbar tonnenschwer, bemüht ist ihn zu Boden zu drücken.

Mein Atem ist zu flach geworden, so dass ich regelrecht pumpen muss, um den nächsten Atemzug in meine Lungen zu treiben. Das pure Entsetzen füllt mich an und treibt mich weiter und weiter. An meinem Körper hängen die Reste meines weißen Leinengewandes in Fetzen, kaum noch meine Blöße bedeckend. Aber es ist ja dunkel. Mir ist elend zumute und ich friere. Ich würde gern aufgeben, doch ich kann es nicht. Noch ist in meinem Inneren eine unsichtbare Bereitschaft zur Flucht. Ich folge ihr mit meinen letzten Kräften, wohl wissend, dass diese mich nicht retten wird. Bei jedem Schritt springen meine Brüste schmerzhaft auf und ab, als wollten sie ebenso wie ich, dieser Situation entfliehen. Meine linke Hand hat sich im restlichen Stoff über ihnen verkrallt, im sinnlosen Versuch sie festzuhalten und ihre Nacktheit zu verbergen. Einstmals war es gerade dieses einfache und schlichte Kleid gewesen, welches meine zarte Figur wunderschön umrahmte. Ich war so glücklich, als ich es das erste Mal trug. Wieso musste ich jetzt daran denken, auf dieser Flucht vor dem Entsetzen, wo ich nur noch Fetzen von ihm in meiner Hand halte? Am Abend hatte ich meine Haare mit einem weichen Band zusammengebunden. Irgendwo musste ich es verloren haben. Strähnen hängen mir ins Gesicht und behindern meine Sicht. Nass und verfilzt schlagen sie bei jedem meiner Schritte um mich. Erneut versagen meine Füße und ich lehne mich erschöpft gegen den nächsten Baumstamm.

„Einen Augenblick, nur einen Augenblick!“

keucht es aus meiner Lunge. Doch ich muss weiter, ohne dass ich auf meine Atemlosigkeit Rücksicht nehmen kann. Ich muss fliehen! Meine Beine beginnen wieder zu laufen und ich muss mit ihnen, um mich zu retten. Trommelnd und schmerzend schlägt mein Herz von innen gegen meinen Brustkorb. Die Luftnot schnürt mir erneut die Kehle zusammen und mein Atem verlässt röchelnd meine Lungen. Ich pumpe wie verrückt, bis vor meinen Augen Sterne tanzen. Gleich kann ich nicht mehr, gleich gebe ich auf. Ich kann an nichts anderes mehr denken und laufe doch weiter. Immer weiter, nicht wissend wo dieser Weg für mich endet. Ich weiß ja nicht einmal, wohin ich laufe, nur fort von diesem Keuchen, welches immer näher kommt und nun in meine Ohren dringt. Meine Haare stellen sich vor Grauen auf.

Inzwischen ist es stockdunkel geworden. Meine Hand, die ich nach wie vor schützend vor mein Gesicht halte, kann ich nur noch spüren. Ab und zu, wenn der Mond mit seinem bleichen Licht durch die Zweige dringt, ist sein gespenstischer Schimmer auf dem Weg vor mir. Ich laufe und das Hämmern in meinem Kopf gibt den Takt für jeden meiner Schritte an. Jeder Schlag der schmerzhaft mein Gehirn martert, ist zur grauenvoller Begleitmusik meiner Schritte geworden.
Mit meiner rechten Hand fühle ich den Weg vor und versuche meine Augen und mein Gesicht vor den peitschenden Zweigen zu schützen. Ohne Erfolg, sie schlagen mir ins Gesicht und reißen meine Haut auf. Wiederholt schleudere ich meine Haare mit raschen Kopfbewegungen nach hinten, so dass mir inzwischen auch noch mein Genick schmerzt. Gedanken formen sich und stürzen mit voller Wucht auf mich nieder.

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Ein Hämmern, ein Gedanke! Ein Hämmern, ein Gedanke!
Niedrige Äste verfangen sich trotz meiner schützenden Hand im wirbelnden Haar, als ob sie mich am Fliehen hindern wollten und reißen mich erneut von den Füßen. Wieder stürze ich nieder, mein linker Schuh reißt auseinander. Für neue Schuhe war kein Geld mehr da, deshalb hatte ihn schon oft zusammengenäht. Die Belastung der Flucht haben die einfachen Nähte nicht ausgehalten. Ein scharfer Stein reißt mir die Ferse auf und ich falle mitten hinein in ein Dornengebüsch. Die Dornen reißen an meinen nackten Armen, als ob auch sie mich festhalten wollten. Meine Haare haben sich ebenfalls in den Dornen verfangen, und ich versuche so viele wie möglich mit Gewalt und unter Schmerzen zu lösen. Die anderen verbleiben in den Dornen. So schnell ich kann, springe ich wieder auf und stehe ich auf zitternden Beinen. Meine Zähne schlagen in meiner Panik so stark aufeinander, dass ich ihr Klappern höre. Mein Herz rast in den höchsten Tönen
„Auaaaa...!“ Laut und schrill verlässt dieser Aufschrei meine Brust, all mein Entsetzen und meine Angst liegen in ihm.

Ohne Orientierung drehe ich mich um und mache einen Schritt in die Dunkelheit. Ein Ast schlägt gegen meine Stirn und reißt die Haut auf. Über mein Gesicht fühle ich langsam mein warmes Blut rinnen und lecke es aus meinem rechten Mundwinkel. Auch meine Arme sind von den Dornen aufgerissen und bluten. Ich spüre das Blut über meine Arme fließen. Die Wunden brennen. Langsam dringen die Schmerzen in mein Bewusstsein. Meine Hände wollen mir kaum noch gehorchen, als ich die Überreste des Leders von meinem Fuß reiße. Es gelingt mir nur sehr schwer, mit meinen zitternden Fingern die Schnüre zu lösen, die ich sicherheitshalber noch um meine Fesseln gebunden hatte. Ein Teil meines zerrissenen Kleides verbleibt bei den Dornen des Busches und meinen abgerissenen Haaren, als ich stöhnend weiterhaste. Ich kann nichts daran ändern. Ich habe keine Zeit, ich muss fliehen! Mein Herzschlag pocht stechend in meinem Hals und dröhnt in meinen Ohren. Ja selbst meine Augäpfel pulsieren inzwischen im Takt meines Herzschlages. Die Übelkeit wird mit dem Anwachsen meiner Panik immer stärker. Während ich weiter haste, würgt mich meine Angst, dass mir fast die Sinne schwinden. Gleichzeitig sehe ich mich über all diesem Erleben fliegen, und aus dieser Distanz das Geschehen betrachten. Ein Teil von mir ist nicht mehr in mir. Dieser Teil schaut zu, bleibt zurück und sucht dem Entsetzen in die Augen zu schauen, ohne davon berührt zu werden. Wie ein Beobachter erlebe ich Nähe und Distanz, Entsetzen und Gelassenheit. Nur das grässliche Keuchen bleibt im Vordergrund meiner Wahrnehmung. Es füllt alle Stille, alle Dunkelheit und ist gleichsam jene Kraft, die mich antreibt. Eine entsetzliche Kraft!

Mit einem Mal ist der Weg ist zu Ende. Vollkommene Schwärze tut sich vor mir auf. Plötzlich und unerwartet befinde ich mich vor einem Abgrund. Meine Füße treten in die Leere und ich folge ihnen, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Halb rutschend, stürzend und mich überschlagend, fliehe ich immer tiefer hinab bis an sein Ende. Unten schlage ich gegen einen harten Widerstand. Rote Sterne füllen meine Stirn und lassen für Augenblicke alle Schmerzen verstummen. Meine Hände erkennen, dass es ein Baumstamm ist und ich bleibe für Augenblicke liegen. Stoßweiße rast mein Atem aus meinem Mund. In einer Geschwindigkeit, die mir kaum Zeit lässt für einen nächsten Atemzug. Doch er kommt und mit ihm kommt der stechende Schmerz in meine Brust zurück. Ohne mich zu bewegen, prüfe ich blitzschnell meine Lage. Wie eine Irre versuche ich mit meinem Blick die Schwärze zu durchdringen. Meine Hände fliegen über den matschigen Boden. Gleichzeitig kommen mir meine Bewegungen unglaublich langsam vor. Ich habe das Gefühl mich in einer Art Zeitlupe zu bewegen und ich kann nichts daran ändern. Jegliche Bemühungen, meine Bewegungen zu beschleunigen bewirken genau das Gegenteil, ich fühle mich gefangen. Erst als ich es aufgebe gegen diese Langsamkeit zu kämpfen, werden meine Bewegungen wieder normal. Endlich kann ich auch meinen Kopf zur Seite drehen. Die Flucht, ich muss weiter! So schnell es meine noch vorhandene Kraft zulässt, stehe ich wieder auf. Erst auf die Knie und dann aufstehen. Langsam ziehe ich mich am Stamm des Baumes nach oben. Obwohl er sich kräftig anfühlt, beschenkt er mich nicht mit dem Gefühl von Sicherheit. Seine Rinde ist rissig und glitschig und meine Hände rutschen an seiner feuchten Oberfläche ab. Langsam drehe ich mich um und starre in die Finsternis, die mich umgibt. Es ist die schwärzeste Finsternis die ich jemals wahrgenommen habe und sie macht mir Angst. Es ist mir unmöglich sie mit meinen Blicken zu durchdringen.

Im gleichen Moment, da ich meine rechte Hand auf mein Herz lege, um seinen Schlag zu prüfen, weht ein Hauch über meinen Körper. Wieder keucht es mir laut ins rechte Ohr. All mein Blut flieht zu meinen Füßen, ohne sie auch nur noch einen Schritt bewegen zu können. Ein unheimlicher eiskalter Atemzug bewegt meine Haare und stellt die kleinsten von ihnen auf. Ich erkenne, dass es mein eigenes Entsetzen ist, welches sie aufstellt. Wie eine eiskalte Hand berührt es mich, um liebkosend, den Tod bringend, über meinen Rücken zu gleiten. Mit meinem Angstschweiß langsam bis zu meinen Fersen zu rinnen, eine jede meiner Poren berührend, so das die entstandene Gänsehaut mich schmerzt.

„Oooohfffff...“

dringt das Grausen im klagenden Ton aus mir und bahnt sich pfeifend seinen Weg in die Dunkelheit. Sobald die Lähmung meiner Angst ein wenig nachlässt, hole ich tief Luft und bewege mich stolpernd weiter. Meine Beine überschlagen sich, ich habe keinen Willen mehr. Ein tiefer Schmerz dringt in mein Herz, um sich von dort über mein ganzes Wesen auszubreiten und ich schlage lang hin. Das Grauen kommt mit seinem Keuchen immer näher und näher, nun hat es mich erreicht! Ja, jetzt spüre ich deutlich seinen heißen Atem, der mich berührt und zu Eis erstarren lässt.
Der Wahnsinn hat mich eingeholt und von mir Besitz ergriffen, meine Sinne und meinen Körper erneut gelähmt. Ich bin keiner Bewegung mehr fähig. Das Letzte, das ich sehe, ist mein eigenes Entsetzen, das sich in etwas Grauenvollem spiegelt. Über mir erscheint eine hässliche Fratze, in deren Augenhöhlen rote Glutbälle leuchten und deren Stimme kichernd mein Gehirn besetzt, dann schwinden mir die Sinne.
Ich falle in ein tiefes schwarzes Loch. Ich falle bis in die Unendlichkeit und mein Entsetzen begleitet mich. Die grauenvolle Fratze kommt immer näher und drückt ihre stinkenden Lippen auf meinen Mund. Dann dringt sie in mich ein, füllt mich aus, und nimmt mir den Atem, während ich immer tiefer falle und falle. Langsam, ganz langsam beginne ich zu ersticken. An meinem Hals würgt mich eine eiskalte und harte Hand. Ein Laut entsteht, tierisch und unheimlich, schwillt an, wird immer lauter, um mich dann in den Abgrund meines Entsetzens zu begleiten. Ich falle tiefer und tiefer in die Schwärze. Endlich schlage ich auf!
Mit einem entsetzen „Ooooooh“ erwache ich.

Röchelnd reiße ich meine Augen weit auf. Mein ganzer Körper zittert und bebt, meine Zähne schlagen aufeinander. „Oh! Welch ein entsetzlicher Traum!“
Ich bin vollkommen verstört und weiß nicht, wo ich mich befinde. Um mich herum ist schwärzeste Dunkelheit. Nur das Keuchen höre ich noch deutlicher und immer lauter werden. Es ist unheimlich nah, ein Teil von mir und plötzlich erkenne ich, dass ich es selbst bin, die da so entsetzlich keucht. Plötzlich weiß ich, dass ich in meinem Bett liege, schweißnass und verkehrt herum unter all meinem Bettzeug, und dass ich, welch ein Glück, nur geträumt habe. Meine rechte Hand ist um meinen Hals geklammert und würgt mich. Wimmernd lasse ich los und springe aus dem Bett. Ich brauche Luft zum Atmen.

Ich öffne das Fenster weit und mit einem tiefen Atemzug dringt kalte klare Luft in meine Lungen.
Nur langsam kann ich mich beruhigen, schaue auf die Autos vor meinem Fenster. Zwei von ihnen haben eine Knolle unter dem Scheibenwischer. Nun erst kann ich befreiend lachen, auch wenn das noch ein wenig irre klingt, denn ich weiß nun sicher, ich bin wieder in meinem Leben.

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Tag der Veröffentlichung: 19.05.2009

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