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Leseprobe

Der Anschlag

 

 

Du schaffst das, sagt sich Josef immer wieder. Du schaffst das, Josef, sagt er, nur um sich dann auch immer wieder zu verbessern: nicht Josef, sondern Yussuf! Du schaffst das, Yussuf! Inschallah, Allahu akbar!

Vor einem Jahr konvertierte Josef zum Islam, und seitdem, da sollen ihn eigentlich alle, da sollen ihn Familie, Freunde und Fremde Yussuf nennen – sofern sie ihn nicht als „Herr Novak“ ansprechen, versteht sich. Josef – bleiben wir hier der Einfachheit halber bei Josef – meinte, er würde es allen sehr einfach machen: Yussuf, Yosef, Josip, Joe, José; das ist ja eh alles dasselbe. Inzwischen steht Yussuf Novak in seinem Pass, aber daheim, auf dem Bau, in seinem Grätzl, da nennen ihn alle Josef – oder, öfter noch, den Pepi. Er mag seinen Glauben gewechselt haben, er mag jetzt in die Floridsdorfer Moschee gehen anstatt in die Favoritener Pfarrkirche, aber er ist halt immer noch Österreicher, immer noch Wiener. Offenbar sieht man es ihm sogar an; selbst im Urlaub, auf Mallorca, in Antalya und, ja, selbst am Roten Meer – alles vor seiner Konvertierung, versteht sich, wobei, ans Rote Meer, dahin könnte er ja auch jetzt wieder fahren – also, selbst dort wurde Josef nie für einen Piefke gehalten; nicht einmal als Schweizer ging er durch. Immer wenn Josef in den Spiegel sah, so sprach er sich selbst jetzt zwar als Yussuf an, doch sein munter sprießender Bart machte ihn noch lange nicht zum Mullah oder Dschihadisten; eher wurde er immer mehr zum Qualtinger-Ebenbild; möge dieser in Frieden ruhen!

Selbst wenn sein Gegenüber noch irgendeinen Zweifel an Josefs Nationalität hegen sollte: Sobald Pepi den Mund aufmacht, ist es damit vorbei. Ja, wer sich in Wien gut auskennt, der hört ihm sogar an, dass zwar seine Mutter aus Favoriten stammt, sein Vater jedoch aus Meidling zugezogen war. Selbst in seinem Arabisch-Kurs ist es kaum anders; so sagte ihm ein türkischer Mitschüler: „Yussuf“ – dort nennt man ihn Yussuf; immerhin! – also, „Yussuf“, sagte Murad, „dein Arabisch ist toll, aber dein Akzent, dieser Wiener Akzent, der ist echt Scheiße!“ Denn natürlich lernt Josef jetzt Arabisch, naturgemäß erst seit einem Jahr, doch schon jetzt kann er den Koran – al-Qu’ran, so verbessert Josef jeden, der ihn darauf anspricht – recht flüssig lesen, auch rezitieren, und er hat sich sogar schon daran probiert, ihn auszusingen; schließlich war er mal Sängerknabe, nicht Wiener Sängerknabe, aber doch in Wien; immerhin. Josefs Kursleiter meinte sogar, er könnte ein prima Muezzin sein – der darf dort, in der Floridsdorfer Moschee, ja zum Gebet rufen, dreimal täglich, nur nicht zu laut, bitteschön –, wäre da nicht sein Wiener Akzent ...

Aber das wird heut keine Rolle spielen, sagt sich Josef. Heute, da wird er allen beweisen, dass er ein echter Muslim ist, bereit, für seinen Glauben sein Leben zu geben, ein echter Dschihadist also.

Und das kam so: In Josefs Arabisch-Kurs sitzt auch eine Sekretärin. Sie braucht solch spezielle Sprachkenntnisse für ihre Arbeit beim OFID, dem OPEC Fund for International Development, der – wie die OPEC selbst – seinen Sitz in Wien hat. Eines Abends nach dem Kurs, bei einem Glas Zweigelt – das heißt, eigentlich trank nur die Sekretärin Wein; Josef als echter Muslim trank Tee – also beim Wein, da erzählte die Sekretärin, dass die meisten Mitarbeiter beim OFID naturgemäß Muslims seien, abgesehen von den Nigerianern, Angolanern und Venezolanern. Freilich, deswegen verzichtet kaum einer dort auf Alkohol, und im Gebetsraum, da treffen sich gerade mal eine Handvoll von gut Hundert Mitarbeitern; höchstens zur Feier am Ende des Ramadans sind es ein paar mehr. Apropos Feier: Zu feiern verstünde man beim OFID, wozu lebe man schließlich im Westen? Man feiert die Feste, wie sie fallen, und feuchtfröhlich gehe es her. Und weil heuer das Neujahrsfest im islamischen Kalender mit Halloween zusammenfalle, da wolle man diesmal einen Maskenball feiern, eine Kombination aus Halloween- und Silvester-Party eben. Genaueres wusste die Frau auch nicht. Josef jedenfalls begriff dies als Wink des Schicksals, und er überredete sie, ihm eine Einladung zu verschaffen. Auf der Baustelle ‚borgte’ sich Josef einige Stangen Sprengstoff, und da es hieß, dass die Verkleidung zum Herkunftsland passen soll, warf sich Josef in bayerische Tracht – Berchtesgadener Tracht, um genau zu sein, komplett mit Krachlederner, Gamsbart und Joppe; denn Wiener Tracht, wie sollte die aussehen? Außerdem hatte Josef einen bayerischen Großonkel, und überhaupt, aus arabisch-nahöstlicher Sicht, da dürfte man das kaum so genau nehmen. Josef war das sowieso nicht so wichtig, denn, so sagte er sich: Es bleiben eh nur Fetzen übrig, sobald er den Sprengsatz unter der Joppe zündet, sobald dieser sein Inneres – wortwörtlich! – nach außen umstülpt. Dies sollte sein Maskenspiel beenden, und endlich würde jeder erkennen, jeder anerkennen, wer er, Josef, wirklich ist – beziehungsweise war, oder, noch genauer, gewesen sein wird: Yussuf nämlich, ein echter Muslim. Zugleich wird er Dutzende von diesen dekadenten Schein-Muslims zur Hölle schicken, während ihm das Paradies vergönnt sein würde, komplett mit Jungfrauen und allem.

 

Die paar Meter von der U-Bahn-Station Stubentor über den noblen, sündhaft teuren Stubenring bis zum OFID, die geht Josef zu Fuß. Es ist kalt, feucht und windig, und so schlottern Josef ein wenig die Knie in seinen kniefreien Beinkleidern, als er vor dem prächtigen Ring-Palais steht, das dem OFID als Sitz dient. Sie schlottern, ja, doch nur wegen des Wetters, nicht etwa aus Angst; und als er hinter der Drehtür seine Einladung abgibt, da zittert seine Hand nicht im Geringsten. Der stämmige Orientale am Eingang blickt zwar ein wenig verwundert, bleibt aber höflich, wünscht dem Gast Kathir Marah – Viel Spaß! – und deutet auf die Feststiege zur Linken der Eingangshalle.

Josef sieht sich um, und er staunt: staunt darüber, wie wenig das Äußere auch dieses Gründerzeitbaus über sein Innenleben

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Olaf Lahayne
Bildmaterialien: Cory Thoman Illustration/ Olaf Lahayne
Tag der Veröffentlichung: 28.02.2017
ISBN: 978-3-7438-0004-5

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