Nachts. Das war die Zeit, in der sich die Dinge widersprachen und unglaublich waren, die Zeit, in der zwei Welten miteinander verschmelzten und infolgedessen das Unmögliche möglich machten. Nachts. Nur dann war es mir möglich, dich zu sehen, dich zu spüren, ohne dass es die Wirklichkeit war, es sich aber dennoch real anfühlte. Real, wie die Wirklichkeit selbst. So real, wie das Gefühl eines ersten Regentropfens, der deine Haut als Landebahn auserkoren hat. Es schien mir, als wäre ich in einem einzigen Märchen verloren gegangen, als wäre ich der verlorene Schuh Aschenputtels, den der Prinz dann schließlich wiederfand. Dieser Gedanke spielte das Lied "Fairytale" von Alexander Rybak in meinen Gedanken ab und zauberte einen Ballsaal gleich hinzu. Ich sah dich und mich, wie wir tanzten, uns umkreisten, gewogen in Wonne und so schienen, kein Ende zu finden. Lass die Nacht kein Ende haben. Platon glaubt ja an die Unbegrenztheit des Verstandes und ich denke, dass ich der lebende Beweis dafür bin. Es war mir ein einziges Rätsel, welches selbst Sherlock Holmes nicht lösen konnte. Immerhin ging es hier um metaphysische Ereignisse. Außerdem konnte ich selber immer noch nicht glauben, dass es dich gab, aber es war mir trotzdem das reinste Vergnügen, mich mit diesem Gedanken abzufinden. Jahrelang hatte ich nach dir gesucht und jetzt bist du da, aber auch irgendwie nicht. Ich will dich nicht nur sehen, wenn ich schlafe, ich will nicht, dass du verschwindest, wenn ich aufwache - ich will dich immer bei mir haben. Ich will nicht immer von dir erzählen müssen, so dass mich meine beste Freundin für verrückt hält. Aber ich nehme es ihr nicht übel, denn ich dachte anfangs auch erst, dass ich "nur" träume. Ich will. dass du meine Eltern kennen lernst. Sie würden dich garantiert mögen. Ich will nicht mehr daran zweifeln müssen, geschweige denn diese Angst verspüren, dass du nicht mehr in meinen Träumen auftauchst.
Wie jeden Abend ging ich voller Hoffnung auf ein Wiedersehen mit dir ins Bett und tat mein Bestes, um sofort einzuschlafen. Manchmal gelang es mir auch, aber dann gab es wiederum andere „Manchmale“, in denen ich zu sehr an dem Gedanken festhielt, dich hoffentlich wieder zu sehen und malte mir im Gegensatz aus, was denn wäre, wenn nicht. Diese Ängste und Zweifel hielten mich natürlich vom Schlafen ab. Ich fragte mich, von was ich sonst träumen würde, wenn nicht von dir, da sich diese Träume mittlerweile schon über 8 Monate hinauszogen. Es mag komisch klingen und vielleicht auch verrückt, aber vorher hatte ich nie geträumt, jedenfalls konnte ich mich nie zuvor daran erinnern. Es ist ja so, dass der Mensch immer etwas träumt und man sich in einigen Fällen eben am nächsten Morgen daran erinnern kann, in anderen Fällen wiederum nicht. Ich war so in Gedanken vertieft, dass es mir gar nicht auffiel, dass ich bereits in einem Park war. Mein Zimmer war wie vom Erdboden verschluckt. Aber ich spürte keine Angst oder jegliches unmutige Gefühl, das man eben fühlt, wenn man keine Orientierung hat. Ich wusste genau, wo ich war. Ich stand mitten auf der Wiese, in dem Park, der geradezu perfekt aussah, eben wie in den Bilderbüchern. Kein Blatt lag auf dem Boden, keine Blume verwelckt und der See war so klar, dass man denken könnte, man würde in einen Spiegel schauen. Alles saß genau am richtigen Fleck. Sogar die Sonne oben am Himmelszelt. Vielleicht sollte ich ernsthaft über eine Karriere als Malerin nachdenken, ein Händchen für „psychische Malerei“ habe ich ja anscheinend. Ich betrachtete die Sonne in ihrer prächtigen Hülle und Fülle und ich konnte sogar ein kleines Lächeln erkennen. BLOP! Meine potentielle Karriere als Malerin war auch gleich schon wieder zerplatzt, wie eine Seifenblase. Ich sollte echt darüber nachdenken, ob ich die DailySoaps am Abend lieber weglassen sollte! Aber nun gut, es war (wie immer) mein Traum. Aber etwas fehlte, etwas wesentliches, DAS Wesentliche. Du! Wo warst du bloß? Wieso warst du diesmal noch nicht da? Für gewöhnlich standest du doch immer vor dem See und wartetest bereits auf mich, doch weit und breit war keine Spur von dir.
Plötzlich sah ich nichts als Dunkelheit. Doch dieser Schreck verflog abrupt im nächsten Moment, denn ich konnte sie spüren, Hände, die meine Augen verdeckten. ,,Überraschung!'', hörte ich die Stimme sagen, von der ich nie genug bekommen konnte, die Stimme, die mich mein Leben lang begleiten sollte. ,,Du hast mich erschreckt!'', gab ich lachend, dennoch mit einem klitzekleinen ernsten Unterton zurück und fiel meinem Traummann nichtsdestotrotz in die Arme. "Traummann", jetzt kenne ich die wirkliche Bedeutung. Es war also keine übergeschnappte Frau, die sich diesen Mythos vor lauter Alkoholkonsum ausgedacht hatte und uns Mädchen bereits in Jungen Jahren zu optimistischen, allerdings irrealen Gedanken an Liebe animierte, nein, es war wirklich etwas dran. Aber da ich dies wusste, war ich mir auch im Klaren, dass man sich lieber mit einem einfachen Mann zu Frieden geben sollte, sonst setzt man sich einer endlosen Qual aus, die Qual, damit leben zu müssen, dass es ihn eben nur im Traum gab. Die Qual, er ich seit 8 Monaten ausgesetzt war und nicht dazu bereit schien, zu verschwinden. ,,Kann man dich denn noch erschrecken, ich meine, nachdem das Unglaubliche wahr geworden ist, das mit dir und mir?" - ,,Ich will nicht wahr haben, dass es unglaublich ist! Es soll gewöhnlich sein, normal.'', sagte ich mit enttäuschter Stimme. Er nahm mich sanft in den Arm und flüsterte: ,,Du bist die Beste.'' Daraufhin küsste ich ihn und ich genoss diesen Moment der Leidenschaft. Dann gingen wir ein Stück in dieser perfekten Landschaft, die sich "Mein Traum" nannte. Wir setzten uns auf eine Bank, die, wie könnte es auch anders sein, eine "perfekte" Sicht auf den See hatte und auf die Sonne, die nicht mehr allzu hoch am Himmel schien. Wir schauten uns an, sagten aber nichts, obwohl es doch so Vieles gab, was ich ihm sagen wollte. Zum Beispiel, wie es mit ihm und mir nur weiter gehen sollte. Aber ich hatte zu viel Angst vor der Antwort, oder eben vor der Nicht-Antwort. Er räusperte sich und sagte schließlich: ,,Liz, ich muss mit dir reden.." Seine Stimme klang anders als sonst. Nie hatte er sich so ernst angehört. Der Schlag meines Herzens veränderte sich in Unregelmäßigkeit. Was war mit ihm los? ,,Es gibt da...''
Er unterbrach seinen Satz mit einem hecheln und er streckte mir tatsächlich die Zuge entgegen. Dann formte er seine Hände zu Pfoten, ja Pfoten! Pfoten?! Er sah aus, als würde er darauf warten, ein Leckerli zu bekommen und hechelte weiter.
Schneller als ich reagieren konnte sah ich Ace und spürte seine schlabbrige Zunge auf meinem Gesicht. ,,Ace!'',schrie ich ihn an. Er fing an zu bellen. Ich war total genervt und ließ ihn das auch gleich zu spüren bekommen. Ich schickte ihn aus dem Zimmer und er trödelte fröhlich mit seinem wedelnden Schwanz hinaus. Im Nachhinein tat es mir leid, aber ich würde mich später bei ihm mit einem Leckerli entschuldigen. Ich drehte mich zur Seite, mit einem Funken Hoffnung schnell wieder einschlafen zu können. Es nützte nichts. Mein Kopf fühlte sich an wie eine tickende Zeitbombe. Es waren allmögliche Gedanken, die mich plagten. Was hatte er bloß sagen wollen? - Es gibt da jemand anderes, es gibt da ein Problem, abgesehen von dem Problem, das wir schon seit 8 Monaten hatten?!?! Was war es? Tränen, die ich nicht mehr zurückhalten konnte, kullerten meine Wangen hinunter. Ich drehte mich wieder auf die andere Seite meines Bettes und schaute auf meinen Wecker. 8 Uhr. Auch das noch! Ich hatte verschlafen und ich würde zu spät zur Uni kommen, aber das war mir gerade egal. Viel wichtiger war mir die Tatsache, dass ich nicht wusste, was er mir hatte sagen wollen. Trotzdem beeilte ich mich, lief schnell ins Bad und wusch mich. Kein Schrubben verging, ohne einen Gedanke an ihn. Dann zog ich mich fix an und ging runter. Ich verzichtete auf das Frühstück, nahm meine Tasche und ging raus. Zu meinem Glück brauchte ich immer nur 10 Minuten bis zur Bushaltestelle, an der Nora, meine beste Freundin, wie üblich bereits auf mich wartete. Zu meinem Glück war auch sie spät dran und ich sah sie schon von weitem. Wir begrüßten uns und sie fing an mir von ihrem neuen Lover Alex vorzuschwärmen. Ich war vollkommen abwesend, bis sie mich am Arm antippte und sagte ,,Äääh Lizz, hörst du mir überhaupt zu?" - ,,Was? Äh, ja.", gab ich wie eine Geistesabwesende zurück. ,,Du hast wieder von ihm geträumt, richtig?", sprach sie mir von der Seele. Der Bus kam gerade richtig, so dass es mir erspart blieb, antworten zu müssen und mir gewiss eine Standpauke von ihr gehalten zu bekommen. Darüber, dass ich doch endlich einsehen solle, dass es keine Zukunft hatte, keinen Sinn, dass es Schwachsinn war und all‘ solche Sachen, die ich nicht wahr haben will. Nora und ich stiegen ein. Ich lief hinter ihr, doch plötzlich stolperte ich und meine Tasche samt dem Inhalt landeten auf dem Boden des Buses. Ich ging in die Knie, um so schnell wie möglich meine Sachen einzusammeln. Ich spürte bereits die ersten Blicke in meinem Rücken. Schneller als Nora mich nicht mehr hinter sich bemerkte, sah ich weiße Turnschuhe vor mir. ,,Warte, ich helfe dir.'',reagierte eine männliche Stimme ganz schnell. Halt! - Moment mal, diese Stimme kam mir so vertraut vor. Dann schaute ich ihn an. Und ich konnte meinen Blick nicht mehr von ihm abwenden. Ich war wie in Trance und antwortete ihm somit nicht. Ich konnte nicht. Ich bekam kein Wort heraus. Meine Stimmbänder schienen nicht mehr zu existieren. Wohlmöglich sah ich wie der letzte Trottel aus, denn er starrte mich merkwürdig an. Doch das war im Moment das allerletzte auf Erden, was mich interessierte, denn der Junge, der im selben Moment vor mir stand, ähnelte haargenau dem Jungen, der mir vor 8 Monaten das Herz gestohlen hatte.
Tag der Veröffentlichung: 27.12.2009
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