„Hallo mein Schatz.“
Oha, Meine Mutter nannte mich Schatz. Am Telefon.
Ich wurde stutzig und hielt abwehrend meine Hände vor mich. Natürlich nur gedanklich.
„Hallo meine liebe Mama.“
Schweigen....
Lange hielt ich das nicht aus und ich setzte hinzu: „Na?“
Das belebte unser Telefonat und sie fragte:“ Wo warst du denn gestern Abend?“ Aber in einem TON !
Leider kann ich auf diesen Ton gar nicht. „Gestern war ich zum Chor, es war Donnerstag.“ Aber in einem TON !!
Meine Mutter war im Vorteil, was ich in dem Moment noch nicht wusste. Sie aber schon.
„Ich weiß. Und davor?“
DAVOR??
Ich war zur Schule, ich kaufte ein, ich rupfte Gras für die Meeris, ich packte meine Chortasche, ich.....
Sie kam mir zuvor. „Du wolltest uns abholen!“
Ich bekam auf den Schlag eine trockene Kehle. Ich wollte sie abholen.
„Du hast noch gesagt, du denkst daran, du holst uns noch vor deiner Chorprobe ab.“
Just in diesem Moment sprangen meine Synapsen im Viereck. Ja, ich wollte meine Eltern abholen.
„Also, das kommt nur von deinem Computer!“, hörte ich.
Mir wurde ziemlich übel.
„Mama, das tut mir so Leid, bitte entschuldige. Ich habe es wirklich total vergessen. Oh Mann.“
„Wie kannst du sowas nur vergessen. Du hast doch gesagt, du schreibst es dir auf. Das kommt nur von dem Computer. Du hast nur deinen Computer im Kopf.“
Als Tochter kann man mit solcher Anklage ganz, ganz schlecht umgehen. Man ist sofort innerlich kampfbereit, weiß aber, dass man friedlich bleiben sollte.
Also bediente ich mich der gezügelten Verteidigung. „Na ja, also weißt du...eigentlich bin ich nur abends am Computer. Es tut mir echt Leid, Mama. Ich habe es komplett vergessen. Weshalb hast du mich denn nicht auf dem Handy angeklingelt?
„Mit meinem Handy stimmt was nicht. Da musst du mal nachgucken. Die Batterie wackelt wohl.“
Ich habe den Deibel getan, sie zu korrigieren. Ein Akku kann von mir aus auch als Batterie bezeichnet werden.
„Aber mach dir keine Sorgen. Wir sind gut zu Fuß nach Haus gekommen, es war ein schöner Spaziergang. Wir konnten gleich mal ausprobieren, ob wir noch so lange Spaziergänge machen können.“
Ein Stein fiel mir vom Herzen. Na, das ging ja nochmal glimpflich ab. Dachte ich.
„Oh, das ist ja prima, Mama. Dann seid ihr wirklich gut... ich meine, ihr habt es gut geschafft bis nach Haus?“
„Aber dass du uns vergessen hast, also Kind. Wir standen da erst ganz schön rum. Papa war ziemlich grantig. Die Kumpels haben schon gelästert, dass er DIR das Auto gegeben hat und nun selbst zu Fuß gehen muss.“
Also doch. Mir wurde wieder übel. „Mama, das tut mir wirklich ganz, ganz doll Leid. Meinst du, Papa ist jetzt richtig sauer auf mich?“
„Na ja, er hat natürlich erst mal gesagt, dass du das Auto sofort wieder abgeben sollst.“
Ich gebe zu, das Mildeste, was ich in dem Moment dachte war noch: `Dann kann er sein Auto auch wieder haben! Aber SOFORT! Soll er doch sehen, wie er von A nach B kommt, wenn er Bier getrunken hat! Dieser Stiesel!! Dieser Choleriker! Als ob ich andauernd vergesse, sie von irgendeinem ihrer Konfifchen abzuholen!`
Mir traten Wuttränen in die Augen. Ich schaffte es dennoch zu fragen:“Und weshalb seid ihr nicht mit einem der Kumpels mitgefahren?“
„Das wollte Papa ja auf gar keinen Fall. Schließlich hat ER ein eigenes Auto.“
Ja – und eine Fahrerin. Nur, dass DIE ihn versetzt hatte....
„Nun mach dir mal keine Sorgen, wir sind ja gut nach Haus gekommen, Kind. Schlaf nachher gut. Ich wollte es auch nur mal sagen. Und mal horchen, wo du denn warst. Du hattest ja versprochen....aber ist nicht so schlimm, nun leg mal auf und guck noch ein bisschen Fernsehen.“
ICH SPIELE LIEBER AN MEINEM COMPUTER!!!! wollte ich in die Sprechmuschel rufen.
Ich ließ es jedoch sein.
„Okay, dann erst mal tschüss, Mama. Ich melde mich morgen wieder.“
Es dauerte eine halbe Stunde, bis ich mich wieder im Griff hatte. Schlechte Gewissen sind eine bescheuerte Erfindung.
...
Gegen 21.30 Uhr klingelte das Telefon abermals.
„Ich wollte dir nur nochmal sagen, dass du dir keine Sorgen machen musst. Nicht, dass du nicht schlafen kannst, es ist wirklich nicht so schlimm, Elke.“
Na bestens. Ich hatte gerade an etwas Schönes gedacht. „Okay Mama. Danke. Und du weißt ja, dass ich das nicht mit Absicht gemacht habe, ne. Es tut mir echt sehr Leid.“
„Ja.Du, sag mal, können wir morgen nochmal einkaufen fahren? Mir fehlt schon wieder Joghurt.“
Ach guck. Naaa gut. „Klar Mama. Ich komm dann nach der Schule gleich rum.“
…
So geschah es dann auch, denn ich vergesse ja nicht ständig etwas, nicht wahr.
Auf dem Hof angekommen sah ich meinen Vater mit Rasenlüfterschuhen über die Grünfläche watscheln.
Etwas verunsichert ging ich auf ihn zu. „Hallo Papa, na?“
Er watschelte weiter und warf immer mal eine handvoll Samen auf den Rasen.
Ich ging noch ein Stückchen weiter zu ihm hin. „Sprichst du noch mit mir? Ich muss mich ganz doll bei dir entschuldigen. Tut mir echt Leid, diese Sache“, sagte ich zerknirscht.
Gedanklich bereitete ich mich darauf vor, ihm die Autoschlüssel und Papiere auszuhändigen.
Da gab er mir die Hand, die nun alle Samenkörner verstreut hatte, guckte mich schelmisch an und sagte:“Nun latsch mir hier nicht wieder den Rasen breit, den habe ich gerade gelüftet.“
Ich habe eben DOCH den besten Papa der Welt. :)
Aber dann kam seine Rache doch noch über mich. Er legte Lüfter-Schuhe und Arbeitsjacke ab und meinte:“Ich komme mit einkaufen. Da beim LIDL gibt es was, das ich unbedingt brauche. Ein Werkzeug, das kostet sonst doppelt so viel.“
Schon stand meine Mutter mit Hütchen und Tasche hinter mir. „Kommt gar nicht in Frage, Arnold! Immer geht es nur darum, was DU haben willst und was DU machen willst! Was ICH brauche, danach fragt kein Mensch. Und dann haben wir nächste Woche diese Tagesreise mit der IG-Metall, die kostet schon 70 Euro. Das ist schon teuer genug, da musst du jetzt nicht......“
„Ich muss ja wohl! Jetzt ist aber mal Ruhe hier! Die Tagesreise habe ich schon abgesagt“, konterte mein Vater.
„Ach, das kommt mir sehr entgegen, ich hatte sowieso keine Lust auf die Reise. So gut sind wir nun auch nicht mehr zu Fuß“, entgegnete meine Mutter und sah mich dabei an.
Ich hielt den Mund. Mich nix.
Im Auto ging die „Meinungsverschiedenheit“ weiter. Mein Vater ließ seine besondere Logik gucken:“ Ich kaufe das auf jeden Fall. Und weißt du was? Dabei sparen wir jetzt nämlich noch.
Das Teil kostet eigentlich 60 Euro und heute kostet es im LIDL nur 30 Euro. Die Fahrt hätte 70 Euro gekostet.“
Meine Mutter ruckelte unruhig auf dem Rücksitz umher. „Na prima. Dann kauf doch gleich zwei Kästen Bier von dem gesparten Geld!“
„Das mach ich auch, wenn du nicht gleich Ruhe gibst. Und zwei Flaschen Kräuter dazu!“
„Pah! Du kannst ja noch nicht mal erkennen, wie eine Flasche Kräuter aussieht, wenn sie im Regal vor dir steht!“
Und so weiter und so fort...
Als ich sie wieder auf ihrem Grundstück aussetzte und mich verabschiedet hatte, hörte ich noch im Weggehen, wie mein Vater sagte: „Auf die Hühnersuppe freue ich mich schon, meine kleine Pommeranze. Die kann keiner so gut zubereiten wie du.“
Texte: Copyright by laemmchen
Bildmaterialien: Copyright by laemmchen
Tag der Veröffentlichung: 22.04.2013
Alle Rechte vorbehalten