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Gib mal deine Hand her!“ Mein Vater stand vor der Couch im kleinen „Oma-Zimmer“, wo meine Mutter gern ein Stündchen nach dem Mittagessen ruht.
Irgendetwas an dem Timbre seiner Stimme gefiel ihr nicht.
„Wieso denn?“, fragte sie ein wenig genervt, denn sie wollte ja, wie gesagt, ein Stündchen ruhen.
„Gib mal deine Hand her!!“, kam es nun NOCH fordernder.
Meine Mutter ahnte zwar nichts Gutes, jedoch hat sie wohl immer noch genug Vertrauen zu ihrem Ehemann, um zu wissen, dass er ihr nicht die Hand abhacken würde. Schon allein der täglichen Verköstigung wegen.
Sie hielt also ihre Hand auf und bekam etwas Klitzekleines, Komisches hinein gelegt.
Das war jetzt kein witziges Spiel, das sah sie am Gesichtsausdruck meines Vaters.
„Na, was soll denn das sein? Was guckst du denn so komisch?“, fragte sie also.
Seine Antwort übertraf alles, woran sie in dem kurzen Augenblick denken konnte.
„Das sieht doch ein Blinder, das ist eine Bleikugel. Und die hatte ich im Mund! Also, wenn du mich schon um die Ecke bringen willst, dann mach es schnell und schmerzlos. Aber mir hier jeden Tag eine Bleikugel unter das Essen zu mischen, das ist ja wohl das Allerletzte! Nur gut, dass ich sie dieses Mal entdeckt habe. Vielleicht hast du ja Glück, denn ich habe ordentlich auf ihr rumgekaut, wie du siehst!“
„Ach du spinnst doch! Nun bilde dir mal nicht so was ein! Je älter du wirst, desto spinnerter wirste auch!“, schimpfte meine Mutter und konnte nicht fassen, was er ihr da vorwarf.
Aber es blieb bei der Tatsache, dass sie etwas in der Hand hielt, was sich schon irgendwie wie Blei anfühlte und auch vom Äußeren her den Tatbestand erfüllte.
„Oder meinst du, die war im Schnitzel? Na klar, die war im Schnitzel!“, grübelte mein Vater jetzt nach, froh, keine Giftmischerin an seiner Seite zu haben.
„Arnold! Du weißt doch, dass ich Fleisch immer bei ....piep... kaufe! Ich glaube wirklich nicht, dass die ihre Schweine mit Bleikugeln erschießen.“
Mein Vater wurde aufgefordert erst mal Platz zu nehmen. Angeblich sah er recht kalkig aus.
„Na watt denn nun?“, hakte er nach.
Um den Verdacht noch weiter von sich zu schieben, war meine Mutter nun wohl bereit daran zu glauben, dass die Kugel in einem der Rosenkohlröschen gesteckt hatte.
„Achso. Und DIE werden mit Bleikugeln erschossen, oder was.“ Irgendwie war meinem Vater die Variante mit dem Schnitzel lieber.
„Das ist eine Riesensauerei! Ich gehe nachher zur Fleischerei und zeige denen mal, was sie dir da verkauft haben!!“
„Spinnst du!? Lass das ja sein. Die zeigen dir doch ´nen Vogel. Das Ding ist nicht im Fleisch gewesen, glaub mir das, Arnold! Vielleicht ist mir ja beim Kochen irgendwie irgendwas rein gefallen...“, räumte meine Mutter ein, glaubte aber keinen Deut daran.

Der Tag ging ins Land, ohne dass mein Vater deutliche Anzeichen einer Bleivergiftung aufwies.
Beim gemeinsamen Fernsehen am Abend bemerkte meine Mutter, dass er in einer Tour mit der Zunge in seinem Mund herumfuhrwerkte.
„Was ist denn los, Arnold, stimmt was mit deiner Zunge nicht?“ Ein bisschen verunsichert war sie ja nun doch.
„Nein, is schon gut. Aber gib mir bitte mal deine Feile.“
Mutter reichte Vater die Nagelfeile – und was dann passierte...möchtet ihr eigentlich nicht wissen...und ich auch nicht. Aber ich weiß es nun mal und ihr müsst da auch durch.
Er nahm die Feile in den Mund und tat, was man mit einer Feile tut : feilen.
„Aaaarnold !!!!!“ Meine Mutter sprang aus ihrem Sessel.
„Das is ja ekelhaft! Das ist meine NAGELFEILE !!“
„Mach dir nich ins Hemd, Weib! Ich werde hier noch verrückt. Jetzt habe ich auch noch so was Spitzes am Zahn! Mann! Hast du nicht eine feinere Feile, das ist ja grausam mit diesem Raspelding hier!“
Meine Mutter nahm ihm erst einmal das Raspelding aus der Hand und vor allem aus dem Mund – und dann musste der Geschundene seinen Mund weit auf machen.
„Da gehst du morgen früh sofort zum Zahnarzt, Arnold. Und höre auf, daran rum zu feilen, sonst kann Dr. ....piep.... da keine neue Plombe einsetzen, weil keine Zahnwand mehr da ist!“
Plötzlich guckten sie sich verdutzt an…

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Tag der Veröffentlichung: 08.04.2011

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