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Sonntag

Gestern fragte mich Carola, meine Chorfreundin, ob ich Lust hätte, heute mit zum Wilhelmshof zu kommen.
Nach kurzem, typischen Zögern meinerseits (es sollte schließlich schon kurz nach neun los gehen) sagte ich begeistert zu.
Der Wilhelmshof ist eine Diakonieeinrichtung.
Einstmals als Haus für behinderte Männer ins Leben gerufen, erstreckt sich die Fürsorge heute über ein weites Feld.
Vorwiegend werden dort ehemalige Suchtkranke aufgefangen.
Es ist ein wunderbarer friedlicher Hof mit einigen Häusern, eigener Viehzucht und einer stattlichen Töpferwerkstatt.
Alles umsäumt von Wald und Flur.
Aber das alles wusste ich ja gestern noch gar nicht.
Gelockt hatte man mich ja mit der Aussicht, meine liebe Ex-Chorleiterin Gunhild dort zu treffen.
Und das deshalb, weil ihr Mann (unser lieber Ex-Pfarrer) dort den sonntäglichen Gottesdienst abhalten würde.
Diese Beiden wussten freilich nichts von unserem Vorhaben.
Also würde die Überraschung perfekt werden, wenn wir plötzlich den Raum betreten.
So.
Also ging es heute früh mit dem Auto ab in Richtung Uchtspringe, zum Wilhelmshof.
Carola am Steuer, Lutze, wat ihr Mann is, als Sozius.
Auf den hinteren Rängen Elvira, eine gemeinsame Bekannte aus unserer Gemeinde und meine müde Wenigkeit.
Auf halber Strecke schaute ich vorsichtig auf die Geschwindigkeitsanzeige. Irgendwie flog die Landschaft etwas sehr schnell an mir vorbei…
“Wat fährste denn so rasant? Wir haben doch noch genug Zeit. Nich, das wir noch vor dem Pfarrer da sind.”, rief ich ihr über die Schulter zu.
Kurz vor dem Wilhelmshof musste Carola das Tempo drosseln, denn ein PKW hielt rechts am Straßenrand.
Lutze meinte :”Halt mal an. Das sind Heinrichs!” Also Gunhild und ihr Pfarrersmann.
Oh, ich hätte Prophet werden sollen!!!
Nun winkte unsere kleine Fangemeinde ihnen im langsamen Vorbeifahren zu und wir waren wirklich noch vor dem Pfarrer da.
Soviel zum Thema Überraschung…
Auf dem Parkplatz ging ein wildes Geknuddel los. Also zwischen Gunhild und uns. Herrn Pfarrer hätte ich zwar auch ganz gern……Na lassen wir das.
Wie geht’s und wie steht´s und überhaupt.
Herrlich.
Ich nahm einen freundlichen jungen Mann wahr, der einen Ball und eine große Stoffmaus im Arm hielt und winkte ihm zu.
Gunhild meinte, das er öfter mit einer Dose rum läuft und bettelt. Ich solle ihm keinesfalls Geld geben.
Na das hatte ich auch wirklich nicht vor, bitte, meine Geldbörse! Der Lohn ist auch noch gar nicht da…
Aber vielleicht besorge ich mir auch eine Dose…
Ein weiterer junger Mann, körperlich und geistig sehr benachteiligt, die dunklen Haare an den Seiten abrasiert und ein breites Grinsen im Gesicht, steuerte auf Gunhild zu und umarmte sie herzlich. “Ich fahre Ostern in Urlaub!”, freute er sich und sah mich erwartungsvoll an.
Gunhild war hier anscheinend schon sehr bekannt und beliebt. Da wollte ich ihrem “Bekannten” doch auch mal die Hand schütteln und streckte sie ihm entgegen.
Schwupps ! Da lag ich auch schon in seinen Armen!
“Ich fahre Ostern in Urlaub!”, freute er sich wieder. Ich klopfte ihm auf den Rücken und sagte mit der mir noch verbliebenen Luft : “Das finde ja toll! Da freue ich mich ja für dich.”
Dann zog er von hinnen und ich fragte Gunhild, wie denn der Mann heißt.
“Das weiß ich doch nicht, ich kenne ihn gar nicht.”, lachte Gunhild.

Dann gingen wir zum Gemeinderaum, oder wie das dort auch immer genannt wird und hielten gemeinsam mit dem Herrn Pfarrer Einzug.
Es war ein sehr gut besuchter Gottesdienst und der Schönste seit langem für mich.
Die Besucher hingen an den Lippen und Händen von Herrn Heinrich, Oder schließe ich hier zu sehr von mich auf Andere?
Manche freilich schauten dauerfröhlich nach vorn, oder nickten unentwegt mit dem Kopf oder gaben merkwürdige Töne von sich.
Ich kam neben einem älteren Herrn zum sitzen, der allem Anschein nach geistig und körperlich gesund war und sogar gut singen konnte.
Das war´s dann wohl mit Knuddeln, der hatte sich bestimmt im Griff….
Herr Heinrich hob an :”Was wir ansehen, das prägt uns.”
Was für´n geiler Spruch!
Dieser zog sich dann in schillernden, weltlichen Farben durch seine ganze Predigt.
Als ich spürte, dass sein Ende nahte (also das Ende seiner Predigt), flüsterte ich Carola zu. “ Pass uff, gleich sagt er wieder :Ich fasse noch mal kurz zusammen…
Kaum hatte ich es ausgesprochen…
“Ich fasse noch mal kurz zusammen.”, lächelte er uns an.
Ach, wie wohl vertraut!
Als er uns den Segen gab, hätte ich beinah ein bisschen geheult.
Nach dem Godi wurden wir vier Überraschungsgäste von einer Betreuerin gefragt, ob wir zum Essen bleiben wollen.
“Ja, aber wir sind doch gar nicht eingeplant.”, meinte ich mit schon knurrendem Magen.
“Das kriegen wir schon hin.”, meinte sie.
Was soll ich euch sagen? Die Bewohner und Betreuer teilten sozusagen ihr Brot mit uns. Sicher hat der ein oder andere auf ein zweites Stückchen Braten verzichtet oder heute so gar keinen rechten Hunger gehabt.
Uns schmeckte es prima. Schweinebraten mit Kartoffeln, Soße und Schwarzwurzelgemüse.
Dazu tranken wir Milch, frisch aus der Kuh!!!
Dann durften wir uns im Haus umsehen, sogar ein Zimmer wurde uns gezeigt.
In den Gängen hingen wunderbare Bilder und Basteleien der Bewohner.
Als Krönung folgte dann ein Spaziergang mit Gunhild und ihrem Mann, unserem Ex-Pfarrer und jetzigen Superintendenten des Landkreises Salzwedel.



Abschied ist ein scharfes Schwert….
Meine kleine Gunhild hatte wieder mal etwas Pipi in den Augen.
Bestimmt werden wir sie bald mal besuchen fahren.
Die Rückfahrt begann beschaulich und sonnenbeschienen.
Plötzlich und unerwartet begann Lutze (seines Zeichens zu früh verrenteter Lehrer) vom gregorianischen Kalender zu sprechen.
Ich lerne immer gern dazu und begab mich mit einer kurzen Nachfrage in eine schlimme Situation.
Soviel Intelligenz haut mich um. Ich folgte ihm eine ganze Weile, sehr bemüht, den Faden nicht zu verlieren.
Also jedenfalls hat Lutze ein sehr stark ausgeprägtes Interesse daran, mit Hilfe von Formeln und einem Kalkulationsprogramm herauszufinden, was für ein Wochentag der 01.01.0001 war.
Hat man Worte? Er ja.
Reichlich.
So ein schöner Tag kann natürlich nicht so Koitus- interruptus-mäßig abgebrochen werden.
Wir tranken noch lecker Käffchen bei Carola.
Wir sahen uns Fotos an, lachten über diese oder jene Begebenheit.
Bis mein nächster Fettnapf kam.
Lutze sagte irgendwas von “A4-Format”.
Und ich :”Du, sag mal, A2 ist doch dann doppelt so groß, wie A4, oder?”
Carola lächelte mich milde an.
Worte reichen nicht, um zu beschreiben, was sich dann abspielte.

Lutze holte erst mal 4 Bögen Briefpapier.
Er nahm einen Stift. “Wenn also die kurze Seite X ist, und die lange Seite Y, dann kannst du folgende Gleichung aufstellen, um zu berechnen, wie groß ein jeweiliges Format ist.”
Der Stift wieselte nun über das Blatt. Bitte keine Nachfragen, ja?

Jedenfalls, auch hier gab ich mir wieder Mühe, den Ausführungen zu folgen.
Als er aber plötzlich ein Wurzelzeichen neben eine Endlosgleichung malte, war es aus mit mir.
“Sachma! Wo haste DIE denn jetzt hergeholt?! Ist doch so schon schwer genug!”
Carola meinte lakonisch: ”Siehste, das meine ich damit. Und dann fange ich einfach an zu stricken, bis er damit aufhört.”

Aber ansonsten war es ein göttlicher Tag.
Und nun habe ich Hunger.
Und Durst.
Deshalb höre ich jetzt auch endlich auf zu schreiben.
Euer Laemmchen

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Texte: Rechte an Bild und Text liegen bei mir
Tag der Veröffentlichung: 28.03.2010

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