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Der Tanz des Waldes


Nur mühsam konnte ich meine Gedanken an die Erinnerung gewöhnen und so setzte ich mich schwerfällig auf einen Stein um meine persönlichen Grenzen der Vorstellungskraft neu zu ordnen. Schwach spürte ich meine Füße den erdigen Boden berühren, angespannt ruhten meine Hände auf der harten Sitzgelegenheit, mein Blick wartete auf eine Veränderung.
Doch es änderte sich nichts.
Ein Lächeln wanderte auf meine Lippen, erreichte aber den Rest meines Gesichts nicht und schon gar nicht mein Gemüt.
Was war da eben geschehen? Wie weit war ich vom Weg abgekommen?
Ein Blick zurück traf auf Fußspuren die, aus dem Wald kommend, hier bei meinem Schatten friedlich endeten. Bald hatte ich meine Atmung wieder unter Kontrolle. Weder die gewohnten Geräusche noch die altbekannten Gerüche konnten mich in Sicherheit wiegen. Nichts wie weg von diesem Ort, von dieser unsichtbaren Kralle.
Bevor ich den Boden mit weiteren Fußspuren schmücken konnte fiel mir schmerzlich auf, dass ich mein Amulett verloren haben musste. Wahrscheinlich lag es noch immer bei der Steinwand, die mitten im Wald nur darauf gewartet zu haben schien unschuldige junge Frauen in ihren Bann ziehen zu können....

Das Amulett war ein Geschenk meiner geliebten Großmutter, nie legte ich es weit entfernt von mir ab. So packte ich all meinen Mut in ein wundervolles Gefühl und erhob mich ruckartig. Plötzlich wurde der sanfte Wind verspielter und wilder, es sah so aus, als versuchten ihn die Äste der Bäume zu fangen.

Der Wald beachtete mein erneutes Betreten nicht.
Sofort verschluckte mich eine grüne Dunkelheit, die nur Platz für vereinzelte Sonnenstrahlen zuließ. Meine Augen fanden dennoch bald eine Richtung und für einen kurzen Moment vergaß ich mein Unbehagen und lächelte diesmal mit meinem gesamten Wesen.

Durch wurzelbehafteten Waldboden stolperte ich fast von einer Lichtung zur nächsten, immer auf der Suche nach den höchsten Baumwipfeln. Dorthin wo mich vor kurzem ein unvorsichtiger Schritt zu einer Rast gezwungen hatte.
Doch so einfach schien sich der Weg nicht offenbaren zu wollen, der Wind erreichte nun auch den letzten Winkel des Waldes. Schnellere Schritte ließen meinen Umhang durch das Unterholz fegen und so fing er einige Brombeerblätter ein.
Mein Atem wurde wieder hektischer als ich die hohe Steinwand erreichte, zum zweiten Mal an jenem Tag. Fast ehrfürchtig tastete ich mit meinen Blicken die getürmten Steine empor und fühlte mich seltsamerweise willkommen.

Der Wind hatte genug vom Spielen und ruhte vorerst.
Aus der Ferne hörte ich sanfte Harfenklänge, ein Lied aus längst ausgelebten Zeiten von längst ausgelebten Menschen. Ohne äußeren Antrieb begann ich zu tanzen und vergaß dabei völlig den Grund meines erneuten Besuchs.
Kein Amulett der Welt, keine noch so prägende und warnende Erinnerung konnte mich aus dem Bann dieser Mauer befreien. Für eine Weile zumindest. Nicht alle Erinnerungen tanzten. Meine Sehnsüchte entrissen der Gedankenlosigkeit das Zepter und drängten das Bild eines jungen Mannes in den Vordergrund meines Bewusstseins. Eines Mannes, den ich noch nie in meinem Leben getroffen und der aus einer unendlichen Weite seinen Weg in meine Sehnsucht gefunden hatte.

Endlich gehörten meine tanzenden Füße wieder meinem Körper und meiner Herrschaft. Ohne mich noch einmal umzusehen und ohne Amulett suchte ich einen neuen Weg aus dem Wald, einen Weg ohne Brombeerbüsche und ohne Wurzeln.
Mit letzter Kraft befreite ich mich aus den Armen der grünen Dunkelheit und landete wieder bei meinem Stein, der geduldig auf mich gewartet hatte.
Unsere Schatten waren bereits länger, da erkannte ich verwundert, dass es bereits zu dämmern begann.
Der Anfang des Tages setzte mir die Idee in den Kopf den Wald am Rande des Dorfes für eine Wanderung aufzusuchen. Dass ich dann so viele Stunden mit der Natur verbringen durfte, erwärmte meine Seele und mein Gemüt.
Obwohl ich das Amulett nicht wieder finden konnte, machte ich mich auf den Heimweg, den Kopf voller Fragen und verwirrter Gedanken.

Zuerst sah ich ihn nicht. Ging einfach an ihm vorbei, verbissen konzentriert eine Antwort suchend. "Hallo!" Zwei braune Augen strahlten mich an. Sofort wälzte sich das Bild des jungen Mannes wieder in den Vordergrund meiner Erinnerungen aus dem Wald. Er war es! Das war der Mann aus meiner Sehnsucht! Obwohl er mir fremd war fühlte ich mich ihm auf der Stelle beängstigend nah. Der Schock ließ mich nur stotternd fragen: "Kennen wir uns?" - "Aber natürlich!!!" - erwiderte er bestimmt - "und magst du ein paar Brombeeren?"

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Tag der Veröffentlichung: 12.08.2011

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