Wenn der Arbeitstag lang und anstrengend war und ich mich wie eine leere Energydrink – Dose fühle, schleicht sich in meine Gedanken der Drang ein, wieder einmal alles hinter sich zu lassen und ein wenig spazieren zu gehen. Vom Chef und seinen ungeduldigen Forderungen Abstand zu halten, täte mir gut. Heute war so ein Tag, an dem man besser nicht auffällt. Mit einem offensichtlich schlecht gelaunten Vorgesetzten zu spaßen, käme bestimmt nicht gut an. Gerne lasse ich daher Arbeit, Häuser, Straßen, Menschen, Tiere, ja sogar Gedanken brav an ihren Plätzen zurück und entschwinde der Realität des Tages. Wie ein Schulkind, das zu spät zum Unterricht erscheint, weil es noch wichtige Gespräche mit Freunden am Gang zu erledigen hatte, husche ich aus der Stadt. Auf den Wegen begegne ich noch so manchem Gesicht, einmal einem gestressten, einem völlig teilnahmslosen, oder aber einem netten, das sogar mit freundlichen Worten aufwartet. Da meine Stimmung immer besser wird, sowie das Wetter an diesem Tag in Irland, freue ich mich trotz meiner Flucht kurze, doch auf keinen Fall oberflächliche Gespräche führen zu können. Da treffe ich auf Claire, die, wie so viele in dieser Gegend, ständig an dem feuchten Wetter rumnörgelt und sich mehr Sonne wünscht. Aber Claire, schau dich doch um, du und ich, ja beinahe alle in dieser Stadt haben eine viel zu helle Haut für die grelle Sonne, sie würde uns nur roten fleckigen Sonnenbrand bescheren, und dass das nun wirklich nicht in unserem Sinne sei, sag ich dann. Claire lacht und ihre Stimmung hebt sich wieder, sie flöge ja auch diesen Sommer nach Griechenland mit ihrem Mann und den Kindern. Zwei Wochen Sonne können ja schließlich auch nicht schaden. Recht hat sie. Nun aber weiter des Weges. So langsam fühle ich mich mehr und mehr erleichtert. Herrliche frische Luft, ausnahmsweise kein Nieselregen und endlich ein paar Stunden Ruhe. Nach einer guten Stunde Fußmarsch werden die Gesichter, denen ich begegne, seltener, doch entspannter. Schon interessant, denn wenn ich ruhiger werde, sehen auch die Menschen, die mir entgegenkommen, erholter aus. Bald interessieren mich die Blicke und Mienen der Leute nicht mehr. Es ist nicht mehr weit. In meinem Geiste bin ich schon bei dem Turm am Ende der hügeligen Bucht und trage meine Blicke aufs weite Meer hinaus. Was könnte ich den Wellen heute nur erzählen? Was werden sie zu mir hertragen? Ich beschleunige meine Schritte, es wird mir auch egal, wenn ich durch schmutzige Lacken schleife und meine Hose mit Schlamm beflecke. Seltsam, in der Stadt ärgert mich jeder Fleck, aber nun in der Weite der Natur finde ich solche Ärgernisse lächerlich. Schon atme ich die sanfte Brise des Strandes ein, schon lockt mich der Turm mit seinen starken Mauern, die schon sehr lange Zeit genau an dieser Stelle überdauerten, um Schutz und Unterschlupf zu gewähren. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht und holt mich aus meinen Gedankengängen in die Realität zurück. Nur noch ein paar Meter und ich kann das verlassene Gebäude mit meiner Anwesenheit beglücken und für kurze Zeit zum Leben erwecken. Nur für mich. Endlich beim Turm angekommen, fühle und sehe ich den Ort meiner Zuflucht entweiht, besetzt von einem anderen Menschen. Verflucht noch einmal, damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet. Eine unerklärliche Wut überkommt mich plötzlich und ich bin nicht abgeneigt dieses Wesen zur Rede zu stellen und irgendwie hilflos, und nebenbei völlig ungerechtfertigt und sinnlos, meinen Turm zu verteidigen. Mein Ruhepol, mein Gedankenhort, mein Schutz, mein............ist das etwa mein Chef??? Zähes Lächeln seinerseits. Ja, er ist es. Ein Schritt zurück und noch einmal Gedanken kreisen lassen. Am besten wieder gehen. Der Tag ist für mich gelaufen. Rückzug ist angesagt. Da, ein Wink in meine Richtung. Oh nein, ist mir jemand gefolgt, dem er da winkt? Hat vielleicht jemand meine Selbstgespräche gehört und lacht über mich? Nein, keiner da. Vorsichtig werfe ich einen Blick in Richtung Chef. Um ihn genauer ansehen zu können, muss ich wohl oder übel ein paar Schritte näher kommen. Es wäre hart für mich wieder zu gehen, vor allem nach so einem langen Marsch. Mein Chef winkt schon wieder. Eindeutig in meine Richtung. Hallo Chef, so ein Zufall versuche ich so nüchtern und vorsichtig wie nur möglich zu hauchen. Ja, so ein Zufall. Normalerweise bin ich um diese Zeit alleine hier. Weißt du, dieser Turm ist für mich wie ein Ruhepol, ein Gedankenhort, eine Art Schutz vorm Alltag. Heute war ich einfach unausstehlich, nicht wahr? - Seine Worte fallen ohne mir in die Augen zu blicken. Ich habe viel im Kopf und einen enormen Druck, die Arbeit sollte rasch erledigt werden. Da hilft Druck und Ungeduld anscheinend nicht. Zwickmühle. Sage ich: ja, du warst ein Ekel heute, und um ehrlich zu sein auch gestern und vorgestern, was somit die halbe Woche meint, und wir können so nicht arbeiten, ...............daraus meine ich dann doch etwas neutraler, dass nicht jeder immer gut drauf sein kann, und das blöde Wetter einem hier doch so manchen Nerv rauben kann. Hauptsache man hat einen Zufluchtsort um neue Energien zu tanken und sich zu erholen. Weit weg von allem und allen sein, seine Sorgen und Nöte auf dem sanften Rhythmus der Wellen hinaus ins Meer zu tragen, wo sie sich verirren und nie wieder zu einem zurückkehren. Die Erinnerungen an diesen Ort noch lange im Gedächtnis zu tragen und zumindest für eine Weile besänftigend und tröstend finden. Besonders das Bild von diesem einsamen, dennoch starken Turm vor Augen zu haben und sich erfrischt und wagemutig in ein neues Abenteuer stürzen. Du hast recht, dann lass uns in ein neues Abenteuer im Büro stürzen. Morgen, wenn wir genug erholt sind. Ja, machen wir. Komischerweise verfliegt meine innere Ruhe plötzlich bei diesen Aussichten. Schlussendlich doch ein zufriedenes Lächeln von uns beiden. Schulter an Schulter schweigend aufs Meer hinausblicken und den Moment genießen. Plötzlich wird der Moment zu intim. So kann ich mich nicht gehen lassen. Ausgerechnet mit dem Grund meiner Flucht, mit meinem Vorgesetzten, der anscheinend nicht ausgeglichen ist. Aber wer ist das schon. Bin ja selbst hierher geflüchtet um neue Energien zu tanken. Ruckartig, wie aus einem tiefen Traum brutal herausgerissen, erheben wir uns beide und werfen uns noch verständnisvolle Blicke zu. Bin gespannt, ob es morgen besser wird, ob er morgen noch die sanfte Brise des Meeres auf der Haut fühlt, ob die Wellen genauso schöne Gedanken zu ihm getragen haben
Tag der Veröffentlichung: 28.07.2008
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meinen damaligen Chef Brian, danke dass du unsere Begegnung genauso empfunden hast wie ich und dass es ab dem nächsten Tag wunderbar wurde.....