Prolog
„Zwei Ouzo bitte!“, rief Leyla Mathew dem Barkeeper schon halb angetrunken zu.
Wirklich gutaussehend war der Mann.
Durch sein enganliegendes, weißes T-Shirt konnte sie deutlich erkennen, dass er sehr gut gebaut war.
Die vierundzwanzigjährige Frau liebte es, wenn ein Mann an seinem Körper arbeitete.
Das Produkt sah nämlich umwerfend aus.
Diese starken Arme, die einen fest umklammert halten konnten, der durchtrainierte Bauch …
Leyla wurde aus ihren Gedanken gerissen, denn sie hörte nun ihre Freundin hinter ihr kreischen.
„Ley, lass uns tanzen gehen!“, flehte Elisabeth und zog sie fast vom Hocker.
„Hey … sachte, Süße! Ich habe doch eben zwei Ouzos bestellt. Die müssen wir erst austrinken!“
Lächelnd begegnete Leyla ihrem Blick und bemerkte, wie ihre Augen anfingen zu funkeln.
Nun strahlte Elisa sie an.
„Gut, wir trinken, und dann wird gefeiert! Schließlich sind wir nur aus diesem Grund hier“, zwinkerte sie ihr zu und rammte ihr den Ellbogen leicht und spielerisch in die Rippen.
In der Tat, dachte Leyla sich, heute wollten sie ganz gewiss etwas feiern, denn gestern Abend hatte sie einen Anruf von ihrem Fotografen bekommen, der ihr mitgeteilt hatte, dass sie den Job als Model für das rumänische Beauty-Magazin bekommen hatte.
Sie war natürlich überglücklich und hatte sofort ihrer besten Freundin, Elisabeth, Bescheid gesagt.
Kurz darauf entschied Elisa, dass dies ordentlich gefeiert werden müsse.
Aus diesem Grund saß Leyla heute in diesem Club und bestellte ein Getränk nach dem anderen.
Seit Jahren hatte sie so etwas nicht mehr gemacht, denn ihr Ex Lucas war ein sehr eifersüchtiger und besitzergreifender Mann gewesen.
Selbst jetzt, wenn er wüsste, dass sie hier war, würde er sie vor all diesen Leuten mit Gewalt herauszerren.
Zwar war Leyla bereits einige Monate geschieden, dennoch stalkerte ihr Exmann sie immer noch.
Aber was sollte sie schon dagegen tun?
Sie traute sich nicht einmal, zur Polizei zu gehen.
All ihre Hoffnung lag nun darin, dass Lucas sie hier, in London, nicht finden würde.
Da Leyla wieder depressiv wurde, fand sie es nun schade, dass die meisten Kerle in diesem Club ihre Augen auf jüngeres Fleisch gerichtet hielten.
Jetzt, wo sie wieder in der Lage war, sich einem männlichen Wesen zu nähern, zeigte keiner Interesse.
Sie fühlte sich unsichtbar, dabei sah sie gar nicht mal so schlecht aus.
Schließlich sollte sie bald Modell stehen.
Ein enttäuschendes Seufzen entglitt Leylas Lippen.
Elisa hatte es natürlich sofort bemerkt.
„Hey! Was ist los? Gerade eben warst du doch so gut gelaunt“, fragte ihre Freundin und musterte sie eindringlich, sofern dies überhaupt möglich war, denn Elisa hatte mehr Alkohol getrunken als sie, und ihre Augen schienen ab und zu in verschiedene Richtungen zu laufen. „Ley! Was ist denn los mit dir? Ich dachte, wir wollten heute Spaß haben?!“, hakte sie erneut nach.
Nach einigen Sekunden Bedenkzeit, entschied Leyla sich, ihre Gefühlsprobleme erst einmal für sich zu behalten.
Normalerweise erzählte sie Elisabeth alles, was sie auf dem Herzen hatte, heute aber wollte sie ihr die gute Laune nicht verderben.
In dem Moment, als der hübsche Barkeeper den beiden Frauen zwei kleine Gläser auf den Tisch stellte, bestellte Leyla erneut vier davon.
Aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, wie Elisabeths Augen größer wurden – Leyla machte sich ein bisschen Sorgen, sie würden aus ihren Höhlen herausrollen.
„Was ist?“, fragte sie Elisa und setzte ihr berühmtes Pokerface auf, welches zu sagen versuchte: Hey, was starrst du mich so an? Es geht mir doch blendend!
Unsicher breitete sich ein Grinsen auf Elisas Lippen aus, wobei ihre weißen Zähne in dem Blaulicht strahlten.
Kurz darauf fuhren ihre Brauen zusammen, die Augen weiterhin fest auf die Leylas gerichtet: „Liebes, ich kenne dich … mit deinem Pokerface kannst du vielleicht den oder den da täuschen …“ Sie zeigte mit einem Finger auf ein paar Leute. „Aber mich nicht!“
„Gut, du hast mich!“, erwiderte Leyla. „Aber ich will heute nur feiern, alles andere kommt später, okay?“
Elisas Miene hellte sich ein bisschen auf, wobei sie ihre Freundin immer noch argwöhnisch musterte.
„Mhm, einverstanden, lass uns jetzt nur Spaß haben“, fügte sie schließlich hinzu und zuckte etwas genervt mit den Schultern.
Elisa nahm eins der Ouzo-Gläser und reichte ihr das andere.
„Auf dich und deine zukünftige Karriere!“, lautete ihr Prost.
„Auf dich und deinen Charme!“, erwiderte Leyla.
Die beiden Frauen stießen an, und dann waren die Ouzos auch mit einem Schluck weg.
„Meine Ladies“, hörten sie auf einmal jemanden sagen.
Die Freundinnen rissen die Köpfe in die Höhe und sahen wieder ihren gutaussehenden Barkeeper.
Der Mann stellte die vier von Leyla bestellten Gläser von dem Tablett ab, und gleich danach reichte ihnen ein junges Mädchen, ungefähr achtzehn Jahre alt, zwei Pinacoladas.
„Ehm, entschuldigen Sie bitte … Diese habe ich nicht bestellt …“, wollte Leyla anfangen, doch der Barkeeper unterbrach sie mit einem strahlend-verführerischen Lächeln.
„Die Cocktails gehen aufs Haus, ihr Hübschen“, sagte er gelassen und musterte zuerst Elisabeth und dann Leyla, wobei sein Blick auf der Letzteren ruhen blieb.
Der Mann wusste wohl, wie gut er aussah.
In seinen Augen war nämlich kein bisschen Angst vor Abweisung zu sehen.
Entweder es war der Alkohol, oder Leyla war völlig neben der Spur, denn sie bat ihn, neben ihnen Platz zu nehmen.
Er verschwand unverzüglich und kam nur kurze Zeit später, umgezogen und mit einem Glas Bier in der Hand, zu ihnen an den Tisch.
„Feierabend?“, fragte Elisabeth den Mann und wies ihn an, neben ihr Platz zu nehmen.
„Sozusagen …“, fing er an und folgte Elisabeths Aufforderung. „Ich dachte mir, wieso nimmst du dir heute nicht früher frei, wenn mich schon zwei so hübsche Damen zu sich einladen. Meine Kollegin kommt auch gut ohne mich klar.“
Er machte kurz eine Handbewegung in die Richtung des jungen Mädchens, das den beiden Frauen vor kurzem die Cocktails gereicht hatte und ließ seine Hand wieder zu seinem Glaß gleiten.
Seine elegante Handbewegung hatte Leyla fasziniert.
Alles, was der Kerl machte, sah umwerfend schön aus.
Und seine Stimme war wie ein Zauber, der sie zwang, jedes seiner Worte zu speichern, um sich später daran erinnern zu können.
Ein Blick auf Elisabeth verriet ihr, dass sie ebenfalls dasselbe dachte.
Ihre Freundin klebte schon fast an seinen gut geformten Lippen.
Ihr Blick wanderte einige Male zu Leyla, und sie schien ebenfalls zu merken, welche Gedanken ihr in diesem Moment durch den Kopf strömten.
Seit Leylas Scheidung kam es ab und zu vor, dass beide Frauen in denselben Kerl vernarrt waren.
In solchen Situationen ließen sie aber einfach los.
Ihr Motto lautete, kein Mann war es wert, die gute Freundschaft zwischen den beiden zu ruinieren.
Dieses Mal ließ Elisabeth von dem Mann ab, kurz bevor Leyla es wollte.
Sie stand plötzlich auf und zog ihre Handtasche über die Schulter.
„So, ihr Hübschen, ich habe soeben eine Sahneschnitte gesehen“, sie deutete in die tanzende Menge links neben ihnen. „Viel Spaß euch beiden … und Leyla, falls was ist, ich bin auf der Tanzfläche“, rief sie ihrer Freundin noch zum Abschied zu und verschwand in der Menge.
„Mhm, Leyla ist ein wundervoller Name!“, summte der Mann ihr gegenüber, und sie ließ ihren Blick von den tanzenden Menschen wieder zu ihm gleiten. „Weißt du eigentlich was dein Name bedeutet, Leyla?“ Und schon wieder sprach er ihren Namen aus. Dieses mal zog er ihn aber in die Länge, ließ es sich auf der Zunge zergehen. Dabei griff er langsam nach einer ihrer blonden Strähne und wickelte sie sich leicht um den Finger.
„Soviel ich weiß, steht Leyla für den Mond“, antwortete sie und schaute ihm lächelnd, tief in die Augen. Wieso sollte sie nicht auch ein wenig mit ihm flirten? Sie war nicht mehr vergeben und hatte sich somit auch an keine Regeln mehr zu halten.
"Ja, der Mond ist eine Variante … Er steht aber auch für die Nächtliche, schöne zierliche Frau. Leyla bedeutet auch die dunkle Nacht … steht aber auch für das Licht in der dunklen Ferne. Sag, Leyla …“ er ließ von ihrer Strähne ab und griff sanft nach ihrer Hand. „ ... Würdest du gern mein Licht in der Dunkelheit sein, Süße?“, fragte er und grinste sie schelmisch an.
Gott, hatte er schöne Augen. Saphir-blau …einfach umwerfend. Aber was sollte sie ihm denn darauf antworten? Er schien ein Romantiker zu sein, ganz im Gegenteil zu ihr.
„Wer weiß, vielleicht wäre ich es gerne. Kommt ganz darauf an, wie sich der Abend entwickelt, Herr ...“ sie überlegte, hatte er sich eigentlich schon vorgestellt? Wenn ja, dann musste sie es überhört haben. „Ich will nicht unhöflich erscheinen, aber wie war nochmal dein Name?“
„Rick“, antwortete er hastig, erhob sich und zog leicht an ihrer Hand. „Willst du tanzen, meine Süße?“
Etwas verwirrt über das plötzliche Themawechsel stand sie ebenfalls auf.
Seitdem Leyla vor ihrem Exmann aus New Jersey nach London geflohen war, hatte sie noch nichts mit anderen anzufangen gewagt. Es bestand immerhin die Möglichkeit, dass Lucas sie jeden Moment finden könnte. Und wenn er mitkriegte, dass sie einen neuen hatte, dann war sie so gut wie tot.
Sollte sie sich jetzt wirklich auf Rick einlassen?
War sie überhaupt bereit, sich wieder einem Mann zu öffnen?
Rick sah nämlich unglaublich gut aus, und an seinem Verhalten konnte man erkennen, dass er wusste, wie man mit Frauen umzugehen hat. Er war bestimmt nicht wie der kranke Lucas, der ihr das Leben schwer machte.
Ah, was soll’s, es war schließlich nur ein Tanz, sie musste ihn ja nicht sofort heiraten.
„Klar, warum nicht!“, beantwortete Leyla nun lächelnd seine Frage, nahm das letzte Gläschen Ouzo vom Tisch, und schon war die Flüssigkeit in ihrem Magen.
Rick offenbarte ihr ein dutzend weißer Zähne und führte sie, seine Augen stets auf ihre gerichtet, zur Tanzfläche.
Lieber Gott, seine Hand fühlte sich an wie Marmor, stellte sie fest. So kräftig, kühl und glatt.
Er hatte angefangen, ihre Finger zu streicheln, während sie sein strahlendes Lächeln in eine Art Dämmerzustand zu versetzen schien.
Leyla Mathew war diesem Mann mit jeder Faser ihres Körpers verfallen.
In der Menschenmenge angelangt, fing Rick an, sich zum Rhythmus der Musik zu bewegen.
Sie fühlte sich auf einmal nicht mehr wohl in ihrer Haut, denn er sah nicht nur umwerfend aus, sondern konnte auch fantastisch tanzen. Konnte sie da überhaupt mithalten?
Die Musik dröhnte immer lauter, und neben ihr hörte sie einige Mädels laut kreischen.
Entweder, sie waren auf Drogen, dachte Leyla sich, oder einfach nur betrunken. Sie schienen zwar zu tanzen, bewegten sich jedoch wie wackelnde Leichen.
Ihr Outfit verriet ihr, dass sie höchstens zwanzig sein konnten.
An ihren Gesichtern konnte man das Alter nämlich schlecht abschätzen, da sie sehr stark geschminkt waren.
Leyla fragte sich, wieso die meisten Frauen ihre wahre Schönheit hinter so viel Schminke verstecken mussten.
Sie war stets der Meinung, dass leichtes Make-up und ein wenig Mascara ausreichten.
Wozu noch den knalligen Lippenstift oder den hellen Lidschatten?
„Süße, komm … tanz doch mit mir!“, hörte sie Rick auf einmal an ihrem Ohr rufen.
Der Technobeat nahm sein Ende, und darauf folgte ein R’n’B Song.
Viele der Tanzenden machten schiefe Gesichter und steuerten von der Tanzfläche weg.
Rick legte besitzergreifend eine Hand um Leylas Hüfte, wobei die andere sanft an ihrem Rücken entlang schlich.
Sie war zu perplex, um irgendeine Reaktion von sich zu geben.
Ihre Augen waren stets auf seine gerichtet.
Gefangen wie in einem Bann, konnte sie den Blick nicht mehr abwenden.
Wie unter Hypnose fing sie an, sich zu dem langsamen Rhythmus zu bewegen. Obwohl sie nicht das Verlangen hatte, näherte sie ihre Lippen den seinen.
Ihr Kopf schien immer leerer zu werden und alle Gedanken verschwanden. Doch auf einmal schoss ihr ein alter Satz durch den Kopf, den ihr ihre Oma, früher immer wieder ins Ohr gesummt hatte. „Prikosa la tomoto ili Girda“, sprach sie die Worte nach, die plötzlich in ihrem Kopf Priorität hatten.
Rick zischte und ließ von ihr ab.
Was würde das denn werden wenn es fertig ist?!
Nachdem der Mann einen Meter von ihr wich, fing ihr Hirn endlich wieder an zu arbeiten.
Auf einmal läuteten ihre Alarmglocken und sie fragte sich nur noch: Verdammt nochmal, was tust du hier?
Sie war dem Kerl ihr gegenüber total verfallen.
Aber lag es nur an dem Alkohol, oder waren es ehrliche Gefühle?
Von dem vielen Nachdenken und der plötzlichen Musikänderung – sie spielten jetzt Elektro –, verkrampfte sich ihr Magen.
Der letzte Ouzo war wohl zu viel, dachte sie sich und suchte eifrig durch die wieder größer gewordene, tanzende Menge, den Weg zur Toilette.
Leyla wusste, wenn sie sich nicht beeilte, dann würde einer der Menschen ihr Erbrochenes auf der Kleidung haben.
Nachdem sie endlich die Toilette erreicht hatte, kam es ihr wie eine Ewigkeit vor, bis sie diese wieder verlassen konnte.
Immer wieder musste sie sich übergeben.
Alles um sie herum begann sich zu drehen.
Nun war ihr nicht mehr nach Feiern zumute.
Sie wollte nichts lieber als schlafen.
Seit ihrer Scheidung, wohnte Leyla bei Elisabeth. Heute würde sie aber in einem Hotel übernachten, denn sie wusste nicht, wen ihre Freundin mit nach Hause bringen würde, und da Elisa nur eine Zwei-Zimmer-Wohnung hatte, würde sich Leyla wie ein Störenfried fühlen, wenn sie heute zu ihr ginge.
„Auf Wiedersehen“, verabschiedete sie sich, nach ihrem Quickie mit der Kloschüssel von dem Türsteher des Clubs und steuerte schwankend auf ein Taxi zu.
„Leyla, warte doch!“, hörte sie jemanden hinter sich rufen.
Es war Rick.
Wieso folgte er ihr?
Sie hatte eh keine Lust mehr auf diesen Mann.
Das Gefühl, wie schnell sie ihm verfallen war, war einfach nicht normal und beängstigte sie.
Leyla war froh, dass ihr Magen sie im richtigen Moment wachgerüttelt hatte. Oder waren es die weißen Worte ihrer Großmutter gewesen? Sie zuckte innerlich mit den Schulten. Im Grunde war es ja auch egal, das wichtigste ist, dass sie im Richtigen Moment wachgerüttelt wurde.
„Wo willst du denn hin? Wenn du nicht gerne tanzt, können wir uns auch hinsetzen und reden …“
„Tut mir Leid, Rick. Ich fühle mich nicht gut. Es wäre das Beste, wenn ich jetzt gehe …“
Der Barkeeper ließ Leyla nicht aussprechen, sondern zog sie an sich heran und küsste sie ganz zärtlich auf den Mund.
Leyla musste in sich hineinkichern, denn wenn dieser Mann wüsste, was sie gerade auf der Toilette gemacht hatte, würde er seine Lippen nicht einfach auf ihre legen.
„Rick … ich muss jetzt gehen“, brachte sie schließlich stammelnd hervor und befreite sich aus seiner Umarmung.
Das Gefühl sich übergeben zu müssen, war wieder gewaltig nahe gekommen, nachdem er sie berührt hatte.
„Lass mich dich nach Hause begleiten“ Es klang trocken, wenn nicht sogar ein wenig gereizt.
„Ist schon okay, ich schlafe heute in einem Hotel … das Taxi lässt mich vor dem Eingang raus … also komme ich auch gut alleine an, danke.“
Freundlich servierte sie ihn ab. Hoffte sie zumindest.
Doch seinem Gesicht nach zu urteilen, gefiel ihm das gar nicht.
Und auf einmal sah Rick nicht mehr ganz so umwerfend aus.
Eher ein bisschen unheimlich, denn eine dicke Ader pochte auf seiner Stirn, und die dunklen Augenringe stachen auf seiner hellen Haut deutlich hervor.
Hatte er schon immer so ausgesehen?
Leyla war sich in diesem Moment nicht mehr sicher.
„Ehm, naja, ich muss jetzt. Es war schön, dich kennengelernt zu haben!“, sagte sie eifrig und lief auf das soeben vorgefahrene Taxi zu.
Nachdem sie vorne Platz genommen hatte, sah sie noch einmal aus dem Fenster, doch von Rick war nichts mehr zu sehen.
Er musste wieder in den Club gegangen sein.
Erleichtert nannte Leyla dem Fahrer ihr Ziel und lehnte sich gemütlich in dem Sitz zurück. –
„Lady, wachen Sie auf, wir sind da. Das Hotel, wie Sie es mir beschrieben hatten.“
Erschrocken fuhr Leyla hoch.
Sie musste eingenickt sein.
„Oh, vielen Dank!“, stotterte sie und suchte verwirrt nach ihrem Portmonee. Sie fühlte sich elend. Am liebsten hätte sie sich jetzt sofort in ein Bett gelegt.
Nachdem sie den Fahrer endlich bezahlt hatte, eilte sie durch die Eingangstür, zum Empfangstresen.
Etwa fünfzehn lange Minuten später stand sie vor ihrem Zimmer, konnte aber zu ihrer Enttäuschung den Schlüssel nicht ins Schloss stecken, weil sie alles doppelt sah.
Von der ganzen Anstrengung wurde ihr dazu auch noch wieder schlecht, und sie war kurz davor, auf dem Boden Platz zu nehmen.
Was sollte sie denn jetzt tun? Sie konnte doch wohl nicht wie ein Obdachloses Opfer hier vor der Tür schlafen?! Aber ihr fehlte einfach die Kraft und das Verlangen, nach Hilfe zu rufen.
„Brauchst du Hilfe?“, hörte sie jemanden sagen.
Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie ihre Augen geschlossen hatte und mit der Stirn an der Tür lehnte.
„Layla“, hörte sie ihren Namen rufen.
Sie wusste nicht wem diese tiefe, himmlische, schon fast falsche Stimme gehörte.
Doch auf einmal klakerte es in ihrem Kopf.
„Rick?!“, schrie sie auf und drehte sich erschrocken um, wobei sie ein Schwindelanfall überfiel und sie zu schwanken begann.
„Du musst aufpassen, meine Süße. Wir wollen doch nicht, dass du dein hübsches Köpfchen anschlägst!“, flüsterte Rick in ihr Ohr und stützte sie, sodass sie keine Gelegenheit mehr hatte umzufallen.
Leyla konnte seinen warmen Atem an ihrem Gesicht spüren, so dicht stand er an sie gepresst.
„Woher … woher wusstest du, dass ich hier bin? Bist du mir … etwa gefolgt?“, brachte sie stammelnd hervor – sie hatte das Gefühl, sich auf der Stelle übergeben zu müssen.
Rick ließ ihre Frage unbeachtet, was ihr jedoch in diesem Augenblick völlig egal war.
Sie bat ihn, ihr beim Öffnen der Tür zu helfen, und lud ihn schließlich ein, das Zimmer zu betreten. Weshalb sie dieses gemacht hatte, konnte sie sich nicht erklären. Irgendwie schien ihr Kopf wieder komplett gelehrt worden zu sein. Sie wusste nicht mal mehr, weshalb sie ihn hatte eigentlich meiden wollen.
Rick ließ es sich nicht zweimal sagen, sondern spazierte sofort über die Schwelle.
Kurz darauf schloss Leyla von innen die Tür, und noch ehe sie sich zu Rick umdrehen konnte, durchzuckte ein heftiger Schmerz ihren Kopf.
Kurz darauf erstarrte ihr Körper.
Jeder einzelne Muskel bestand nur noch aus Eis, so kam es ihr jedenfalls vor.
Es fühlte sich an, als wurde sie im Bruchteil einer Sekunde eingefroren.
Das letzte was sie noch hören konnte bevor um sie herum alles schwarz wurde, war ein animalisches Knurren.
„Jetzt bist du tot, Hexe!“
Kapitel 1
„Ist das wirklich alles, woran Sie sich erinnern können, Frau Mathew? Sie wissen doch, jedes noch so kleinste Detail hilft uns, Ihren Angreifer zu finden.“
„Ich habe Ihnen alles erzählt, woran ich mich erinnern kann. Nachdem ich … dieser Kältewelle ausgesetzt worden bin, musste ich wohl in Ohnmacht gefallen sein oder so …“, versuchte Leyla, dem Polizeibeamten zu erklären.
Mittlerweile war sie seit drei Tagen in einem Krankenhaus stationiert und an einem Tropf angeschlossen.
Sie hatte sehr viel Blut verloren, meinten die Ärzte besorgt.
Was hatte Rick bloß mit ihr anstellen wollen, in jener Nacht im Hotel? Er musste sie irgendwie betäubt haben, sodass sie sich nicht mehr regen konnte.
„Was ist denn eigentlich mit mir passiert? Ich kann keine weiteren Verletzungen an meinem Körper feststellen, außer ein paar kleine Narben … an meinem Nacken. Wenn ich soviel Blut verloren habe, muss es da doch eine große Verletzung gegeben haben, oder irre ich mich?“
Nach dem Stellen dieser Frage bemerkte Leyla, wie die zwei Polizeibeamten einen ihr unerklärlichen Blick wechselten.
Einen Blick, der irgendetwas zu verheimlichen schien.
Der ältere Polizist runzelte kurz darauf seine faltige Stirn und schien leicht genervt zu antworten.
„Dazu können wir Ihnen leider keine Informationen geben“, fing er an. „Sie sollten sich einfach nur freuen, dass Sie noch am Leben sind. Es war wirklich … ein großes Glück, dass ein bewaffneter Polizeibeamter mit seiner Frau im Nebenzimmer war. Sonst wäre es womöglich zu spät gewesen, um Sie zu retten.“
Während seiner Rede schien der jüngere Polizist, Leyla zu beobachten. So, als hätte er noch nie in seinem Leben eine Frau zu Gesicht bekommen.
Einige Sekunden Stille breiteten sich nach der Rede des Älteren aus.
Er machte eine Pause, als schien er auf eine Reaktion von Leyla zu warten. „Und Sie wissen wirklich nicht … was er war?“, fragte er nun skeptisch.
Leyla hob die Brauen und schaute den Mann fragend an.
Was sollte denn diese Frage? Er meinte wohl, ob ich nicht wüsste WER er war und nicht was er war.
Irgendwas ging hier vor sich. Noch nie war sie so seltsamen Polizisten begegnet. Nicht dass sie des öfteren mit ihnen zu tun gehabt hätte, doch die einige Male, die sie wegen ihrem Exmann auf der Polizeistation verbracht hatte, waren die Anwesenden dort ganz anders drauf als die beiden hier.
„Wie dem auch sei, vielen Dank für Ihre Aussage. Wir werden uns bemühen, diesen Rick, sofern es sein richtiger Name ist, zu erwischen. Jetzt müssen wir wieder an die Arbeit. Die Verbrecher fangen sich nämlich nicht von alleine ... Mein Partner und ich wünschen Ihnen gute Besserung, Frau Mathew!“, sagte der ältere Polizist, tätschelte leicht Leylas Hand und verabschiedete sich.
Sein Partner, der jüngere Beamte, folgte ihm unaufgefordert und ohne ein Wort zu sagen. –
Eigenartige Gedanken schwirrten Leyla Mathew durch den Kopf, als sie einige Stunden später, nach einem Nickerchen, auf die Toilette ging und schließlich ihre Augen an einem Spiegel kleben blieben.
Sie sah aus wie ein Zombie.
Die tiefen Ringe unter ihren blauen, schwach schimmernden Augen hatten eine lila Farbe angenommen, gemischt mit rötlichen Blutergüssen.
Ihre Haut war sehr blass, schon fast durchsichtig.
Und die eigenartige Verletzung an ihrem Hals war ihr bereits aufgefallen, als sie das erste Mal in den Spiegel geblickt hatte.
Zwei kleine, runde Narben waren dies, die komischerweise mit jedem Tag deutlich kleiner wurden. Oder bildete sie sich das ein? Nein, das konnte nicht sein, denn sie war sich ganz sicher, dass sie gestern noch mindestens um einen halben Zentimeter breiter gewesen sind.
Es sah aus, als hätte sich ein Vampir an ihr vergriffen, überlegte sie, schüttelte kurz darauf aber hysterisch den Kopf.
Wenn sie jetzt mit so etwas anfing, käme morgen vielleicht sogar Godzilla zu Besuch.
Nein, danke, dachte sie.
Trotzdem mussten die Narben von Rick stammen, denn Leyla konnte sich nicht erinnern, sich irgendwann im Club an dieser Stelle verletzt zu haben.
Gedankenverloren strich sie mit ihrem Finger über die geschadete Haut.
Wie sollte sie denn nun weiter als Model arbeiten und London endlich entkommen können, wenn sie zwei schreckliche Narben am Halse trug?
Sie hoffte sehr, dass sie bis zu dem Fotoshooting in Rumänien ganz verschwinden würden, sonst müsste sie sich irgendwas einfallen lassen, denn bis zu ihren Abflug waren es nur noch einige Wochen. Am liebsten hätte sie auf der Stelle das Krankenhaus verlassen, doch der Arzt meinte, sie müsse noch mindestens eine Woche dort bleiben, wo sie war.
Dann hätte sie also nicht mehr viel Zeit bis zu ihrer Abreise.
Dann konnte sie ihrer Vergangenheit endlich entfliehen.
Dann würde sie endlich glücklich sein, dachte Leyla sich und zauberte ein schwaches Lächeln über ihre trockenen Lippen.
Immer noch in Gedanken versunken stolperte sie kurz darauf wieder zu ihrem Krankenbett, die Stange, an der der Tropf befestigt war, hinter her ziehend. –
„Hey, Maus!“, hörte Leyla jemanden rufen, während ihre Augenlider sich langsam öffneten.
War sie etwa schon wieder eingeschlafen?
Draußen schien die Sonne, und sie konnte fernes Vogelgezwitscher hören.
Es musste bereits morgens sein.
„Wie geht es dir?“, fragte die sanfte Stimme nochmal.
Es war Elisabeth, die da neben ihrem Bett hockte.
„Elisa … schön dich zu sehen“, krächzte Leyla und wunderte sich sofort über ihre Stimme.
Es hörte sich nach einer alten Dame an, die nach einem langen Marsch endlich eine Pause eingelegt hatte.
„Oh, Mäuschen! Entschuldige, dass ich heute erst zu dir gekommen bin. Mein Chef hat mir die letzten Tage richtig Feuer unter dem Arsch gemacht. Von morgens bis abends um zehn musste ich schuften“, schoss es aus Elisabeth heraus. „Ich habe mir ja solche Sorgen um dich gemacht! Wie geht es dir?“
„Mhm, naja, eigentlich ist bei mir alles in Ordnung. Also … ich fühle mich noch etwas schwach, aber sonst ist alles …“
„Wie ist es denn passiert? Was hat dir dieser Scheißkerl bloß angetan? Und wieso, zum Teufel, war er in deinem Zimmer? Sag nicht, du wolltest mit ihm ins Bett?!“, unterbrach Elisa voller Neugierde und die Worte sprudelten aus ihr heraus wie ein Wasserfall.
„Nun warte doch mal und hol erstmals Luft“, antwortete Leyla ihr etwas gereizt und verletzt über den Gedanken ihrer Freundin.
Als ob sie sich schon am ersten Tag einem fremden Mann hingeben würde?! Außerdem war Elisa doch diejenige, die sofort mit einem Mann in der Kiste lag.
Elisabeths funkelnder Blick verlor etwas an Stärke.
Leyla setzte sich vorsichtig auf und bat ihre Freundin, ihr Kopfkissen etwas steiler hinzulegen, damit sie aufrecht sitzen konnte.
Dann bedankte sie sich und strich vorsichtig mit dem Zeigefinger über den Schlauch, der zu ihrer Ader führte. Wie sie dieses Ding hasste! Sie mochte allgemein keine Nadeln und schon gar nicht wenn diese dauerhaft in ihrer Armbeuge steckten.
Ihre Freundin nahm wieder auf dem Hocker neben ihrem Bett Platz und stützte ihre Ellbogen gemütlich darauf.
„Okay, erzähl. Ich will alles wissen!“
Leyla musste selbst kurz überlegen, eher sie Elisabeth etwas von dem Vorfall erzählen konnte.
Schließlich brachte sie dieselbe Geschichte zustande, die sie auch den Polizisten erzählt hatte.
„Mhm, das kommt mir aber irgendwie spanisch vor“, murmelte Elisabeth nachdenklich vor sich hin und runzelte die Stirn. „Wenn du so viel Blut verloren hast, wo ist, bitte schön, die Wunde?“
„Ah ja, was die Wunde angeht …“ Leyla musste sich erst räuspern, ehe sie weiter sprach. „Na ja, ich konnte zwar keine großen Verletzungen am Körper feststellen, aber die einzige Veränderung die mir aufgefallen ist, sind die zwei kleinen Narben an meinem Hals …“ Sie spürte wie ihre Wangen anfingen zu brennen. Wahrscheinlich errötete sie gerade. Was eigentlich auch verständlich war, denn sie schämte sich für den Gedanken, dass die Wunde wie ein Vampirbiss aussah.
Elisas Augen wurden größer.
„Was für Narben?“, fragte sie sie verwundert.
Kurz darauf rollte Leyla den Kragen von ihrem Pullover etwas hinunter: „Hier …“ Sie deutete mit dem Zeigefinger auf die Stelle, wo die zwei kleinen runden Narben sein mussten. „Ich weiß nicht ob man sie noch deutlich sieht, denn mir ist aufgefallen, dass sie mit jedem Tag kleiner werden. Es sah am Anfang wie ein … Vampirbiss aus. Du weißt schon, so wie in Horrorfilmen.“
Leyla hörte Elisa laut schlucken, und drehte ihren Kopf in ihre Richtung, sodass sie ihre Freundin sehen konnte. An Elisabeths schlanken Armen bildete sich leichte Gänsehaut. Fror sie, oder lag es an Leylas Andeutung wegen der Narben?
„So ein Quatsch … Vampire gibt es doch gar nicht … und nehmen wir an es gäbe sie, dann müsstest du nach einem Biss eigentlich tot sein …“, sagte ihre Freundin mit zittriger, unsicherer Stimme.
Leyla fand ihr Verhalten sehr seltsam. Wieso sollte sie denn dann tot sein? Wer sagt, dass man nach einem Vampirbiss nicht eher selbst in einen verwandelt wird? Oder ganz normal weiterleben kann?
Elisas Körper versteifte sich, und ihr falsches Lächeln behielt sie auch weiterhin im Gesicht, als sie sich nach einigen Minuten plötzlich verabschiedete.
Mühsam stand auch Leyla auf und ging langsam auf die Toilette zu.
Sie bekam es plötzlich mit der Angst zu tun.
Warum, wusste sie zwar nicht, aber ihr Körper war angespannt, und sie hatte ein richtig schlechtes Gefühl im Magen.
Sie befürchtete, etwas Schlimmes würde passieren.
Leyla fragte sich, weshalb Elisabeth so reagiert hatte und warum ihre Freundin es wohl kaum erwarten konnte, von ihr wegzukommen.
„So, Frau Mathew, Sie können endlich nach Hause gehen!“, teilte Leyla der für sie zuständige Arzt einige Tage später mit und reichte ihr zur Gratulation seine raue Hand.
Sie schüttelte diese kurz und zog ihre schnell zurück.
Der Mann ging und Leyla schaute sich noch einmal im Raum um. Sie hoffte dieses Zimmer nie wieder zu sehen. Nach dem zusammenpacken ihrer ganzen Sachen, die Elisabeth ihr bei ihrem ersten und somit auch letzten Besuch vorbeigebracht hatte, schaute sie aus dem Fenster. Von hier aus konnte sie nämlich den ganzen Parkplatz sehen.
Wo blieb ihre Freundin?
Sie wusste doch, dass sie heute entlassen wird, aber von ihrem Wagen war nichts zu sehen.
Leyla bekam wieder ein ungutes Gefühl.
Seit drei Tagen hatte sie Elisabeth nicht mehr zu Gesicht bekommen und auch telefonisch nicht erreichen können.
Ob irgendetwas passiert ist?, fragte sie sich und schaltete rasch ihr Handy ein. Sie wusste, dass dies im Krankenhaus verboten war, wollte aber nicht mit ihrem Gepäck draußen lange auf Elisa warten.
Sie würde sie anrufen und sichergehen, dass alles in Ordnung war.
Und dann würde Leyla ihre Freundin daran erinnern, dass sie heute aus dem Krankenhaus entlassen wurde und sie sie somit abholen konnte.
Elisa ist bestimmt nichts passiert.
Sie hatte den Entlassungstermin wahrscheinlich einfach nur vergessen.
Genau so muss es gewesen sein, versuchte Leyla sich beim Tippen der Nummer zu beruhigen.
„Elisabeth Roccos“, hörte sie plötzlich am anderen Ende der Leitung. Sie seufzte erleichtert.
„Hey, Elisa … Ich bin’s! Oh, ich hatte mir schon Sorgen gemacht, es wäre dir etwas passiert. Holst …“
„Ley, es tut mir Leid. Ich kann dich nicht abholen. Wie soll ich es sagen … ich möchte eigentlich … keinen Kontakt mehr mit dir. Sorry! Deinen Kram habe ich ins Krankenhaus bringen lassen. Auf Wiedersehen und viel Glück in Rumänien …“
„Warte!“, rief Leyla, doch Elisabeth hatte bereits aufgelegt.
Was, zum Teufel, war hier los?
Wieso war ihre Freundin auf einmal so abweisend?
Leyla überlegte einige Minuten und stellte fest, dass ihr die Antwort auf die Frage nicht einfallen würde, egal, wie lange sie darüber nachdachte.
Sie musste sie schon persönlich fragen …
Die nächsten Wochen vergingen wie im Flug.
Jeden Tag hatte Leyla Elisabeth angerufen, doch sie nie erreicht.
Als sie bei ihr zu Hause vorbeischaute, schrie ihre Freundin, bleich im Gesicht, sie nur an und drohte ihr mit der Polizei.
Sie solle sie nicht mehr belästigen, verlangte Elisa von ihr.
Im Hotel, da Leyla ja sonst bei ihrer Freundin gewohnt hatte, hatte sie sich einige Tage erst einmal ausgeheult.
Etwas anderes blieb ihr schließlich nicht übrig, denn sie wurde von ihrer besten Freundin, dem einzigen Menschen der ihr etwas bedeutete, gemieden.
Wieso hatte sie nur so viel Pech im Leben?
Niemand mochte sie.
Zuerst ihre, mittlerweile verstorbenen Eltern, dann ihre restliche Familie und ihr Ehemann.
Nun auch noch ihre beste Freundin.
Wieso wendeten sich bloß alle von ihr ab?
War sie etwa verflucht?
Verdammt dazu, niemals glücklich zu sein?
Nicht dass sie an so etwas wie Flüche glaubte, aber es konnte doch kein Zufall sein.
Alle von ihr geliebten Menschen wollten einfach nichts mehr mit ihr zu tun haben. Oder lag es an ihr? Nein, sie war stets ein guter Mensch gewesen. Hatte immer geholfen, wenn jemand sie brauchte.
Kurz vor der nächsten Tränenattacke schossen Leyla einige Sätze aus der Vergangenheit wieder durch den Kopf.
Ihre Oma hatte ihr früher viele Geschichten erzählt und sie meinte auch, Leyla solle all das, was sie zu ihr sagte, nie ignorieren und für immer im Gedächtnis behalten.
Die Mutter ihres Vaters, also ihre Großmutter, war wahrscheinlich der einzige Mensch, der Leyla bis zum Ende geliebt hatte. Leider starb sie mit ihren sechzig Jahren an Krebs. Dieses Ereignis hatte Leylas Leben vollkommen durcheinander gebracht. Denn dann behandelten sie ihre Eltern noch mieser als zuvor und um dem zu entkommen, heiratete sie Lucas. Von Liebe konnte man zwar nicht sprechen, aber sie mochte ihn. Er war so nett gewesen … zumindest bis zu dem Augenblick als sie sich das „Ja Wort“ gaben.
„Prikosa la tomoto ili girda …“
Das hatte Oma ihr immer wieder ins Ohr gesummt.
Sie meinte, sie solle diese Worte verwenden, wenn es ihr schlecht ginge.
Als Kind hatte Leyla dies oft getan, doch schon bald hörte sie mit dieser Dummheit auf, da der Spruch ihr eh nie geholfen hatte. Alles Aberglaube.
„Prikosa la tomoto ili girda …“, murmelte sie nun schon eine Zeitlang verträumt vor sich hin, denn auf irgendeine Art und Weise, munterten sie diese Worte auf.
Was der Satz wohl zu bedeuten hatte?
Sie wusste nicht einmal, welche Sprache es war. –
Ein Anruf auf ihrem Handy ließ Leyla wieder ihre Augen öffnen.
Sie musste eingenickt sein, denn durch das laute Klingeln erschrak sie und fiel von der Fensterbank auf den Boden.
Ihr Blick wanderte automatisch zu der Stelle wo sie eben noch gelegen hatte und dann aus dem Fenster. Nun wurde ihr klar, dass es bereits Abend war.
Sie rappelte sich auf und griff eifrig nach dem Handy das zu ihren Füßen lag. Sie musste es, als sie geschlafen hatte, fallen gelassen haben.
„Mathew, hallo?“, rief Leyla hastig in den Hörer, voller Hoffnung, Elisas Stimme zu hören, denn die Nummer auf dem Display zeigte „unbekannt“ an.
„Hallo, Ley, hier ist Fabian.“
„Oh, hallo …“, antwortete sie enttäuscht.
Ihre Hoffnung, Elisa an der anderen Leitung zu treffen, war groß gewesen, so dass die Enttäuschung sich nicht verbergen ließ.
„Oh, hallo …? Sag mal, freust du dich denn gar nicht, mit mir zu sprechen? Immerhin ist morgen dein großer Tag!“
„Sei mir nicht böse, Fabian … aber ich bin sehr müde. Was gibt’s denn?“
Leises Gemurmel war am anderen Ende der Leitung zu hören. Er schien zu meckern.
Fabian hatte wohl mehr Freude in Leylas Stimme erwartet.
„Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass du dir morgen Zeit lassen kannst. Dein Flug geht um siebzehn Uhr, der von Morgens ist gestrichen worden.“
„Ja, passt mir gut. Ich packe heute schon alles … Also kann ich morgen schön durchschlafen. Dann werde ich gegen drei abgeholt?“, fragte Leyla nochmal nach, um sicher zu gehen, dass sie alles richtig verstanden hatte. Obwohl der Flieger erst um siebzehn Uhr startete, musste sie ja trotzdem früher da sein um einzuchecken.
„Sei so gegen viertel vor drei draußen. Und vergiss nicht, mich anzurufen, wenn du in Bukarest im Hotel angekommen bist. Ich werde dir deinen Terminplaner zwar per Mail zusenden, aber alles weitere erkläre ich dir dann morgen. Ich warte nämlich immer noch auf den Anruf eines wichtigen Kunden, wenn du Glück hast, hat er Interesse an einem Treffen“
„Mhm, okay, ich rufe dich dann an. Ah ja, gib bitte dem Fahrer Bescheid, er soll mich vor dem Central Park Hotel abholen“, antwortete Leyla knapp, müde vom Zuhören und massierte mit der freien Hand ihre Schläfe.
Sie hatte auf einmal starke Kopfschmerzen bekommen.
Wo waren denn bloß die Tabletten?
Sie brauchte unbedingt eine davon, denn ihr Schädel stand kurz davor zu explodieren. Sie litt eigentlich nie unter Migräne, doch wenn diese Schmerzen sie erst im Griff hatten, ließen sie sie nicht einfach los. So war es schon immer gewesen.
„Gut, dann wünsche ich dir einen schönen Abend … und, Leyla, feiere heute nicht mehr so viel. Womöglich musst du dich morgen Abend frisch und munter deinem Auftraggeber vorstellen!“
Ein trauriges Lächeln zauberte sich, ohne dass Leyla es bemerkt hatte, auf ihre Lippen – ihr war nach Heulen zumute.
Mit wem sollte sie denn, bitte schön, noch feiern?
Es gab doch niemanden mehr, der sich für sie interessierte.
„Keine Sorge, ich packe nur noch meine Sachen und gehe schlafen. Auf Wiedersehen und bis morgen!“, verabschiedete Leya sich und schaltete gleich danach ihr Handy aus, ehe Fabian nochmal anrufen würde.
Morgen war es also soweit.
Sie würde in das Flugzeug steigen und nie wieder in dieses Land zurückkehren!
Hier gab es nichts mehr, was sie hielt, denn alle hatten sie verlassen …
Eigentlich war es auch gut so.
So konnte Leyla ihre Vergangenheit endlich ruhen lassen.
Die Nacht war sehr kurz und Traumlos.
Als der Wecker um dreizehn Uhr geklingelt hatte, wurde Leyla sofort wach.
Sie hatte das Gefühl, keine einzige Minute geschlafen zu haben.
Als hätte sie vor kurzem ihre Augen geschlossen, um sie einige Sekunden später wieder zu öffnen. Sie hasste es, wenn sie sich nicht daran erinnern konnte, was sie geträumt hatte. So bekam sie immer wieder dieses elende Gefühl, nicht geschlafen zu haben und ihr Tag begann somit mit einer miesen Laune.
Layla sprang sofort vom Bett und eilte unter die Dusche, denn sie hatte nicht mehr so viel Zeit.
Einige Minuten später föhnte sie sich die schulterlange blonde Haare, putzte ihre Zähne und tupfte ein bisschen Make-up auf die mysteriösen, immer noch leicht zu erkennenden Narben an ihrem Hals.
Eigentlich hätte sie sich gern wieder ins Bett gelegt. Sie spielte sogar kurz mit dem Gedanken, dies auch zu tun. Wenigstens für fünf Minuten.
Doch die Zeit verging viel zu schnell, und schon bald saß sie im Flugzeug, ein Buch in der Hand, und ihre Begleiterin Caren neben ihr.
Bis jetzt hatte sie mit dieser Frau nur einmal zu tun gehabt. Es war bei ihrem ersten Fotoshooting in New Jersey. Sie schien eigentlich ganz nett zu sein.
„Bye bye, London“, murmelte Leyla, in Gedanken versunken und starrte durch die Fensterscheibe. Sie legte ihre Hand auf die durchsichtige etwas verdreckte Scheibe, als wollte sie ihre Heimat zum Abschied umarmen.
Außerdem war die Hoffnung groß, noch irgendwo Elisabeth zu sehen.
Vielleicht hatte ihre Freundin es bereut, sie so behandelt zu haben, und würde jetzt irgendwo dort stehen und ihr zum Abschied winken?
„Seien Sie nicht traurig, Frau Mathew, auf Sie wartet nun ein großes Abenteuer. In ein paar Monaten können Sie ja wieder zurück nach London“, hörte Leyla Caren von der Seite auf sie einreden und spürte ihre kleine Hand auf ihrer Schulter ruhen. Sie schaute ihre Begleiterin flüchtig an und ließ den blick, ohne ein Wort, wieder zum Fenster gleiten.
Was wusste sie schon?
Caren hatte wahrscheinlich irgendwo eine glückliche Familie, die auf sie wartete.
Vielleicht auch einen Freund?
Diese junge Frau neben ihr war ganz gewiss nicht einsam, trotz des vielen Reisens.
Sie strahlte förmlich vor geladener Energie.
Energie, die man nur von Freunden oder dich liebenden Menschen bekommen konnte.
Carens Räuspern riss Leyla aus ihren Gedanken und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich.
„Ich weiß, dass Ihnen in den letzten Wochen etwas zugestoßen ist, Frau Mathew … Fabian hatte mir davon erzählt. Vielleicht haben Sie auch deshalb so schlechte Laune. Aber ich möchte, dass Sie eines wissen: Die nächsten Monate in Bukarest können Sie sich völlig auf mich verlassen! Ich sage das nicht, weil es mein Job ist, Sie zu begleiten und in schwierigen Momenten zu unterstützen, sondern weil ich in Ihren Augen sehen kann, wie einsam Sie sich fühlen. Und deshalb biete ich Ihnen gerne meine Freundschaft an, Frau Mathew!“, plapperte Caren vor sich hin.
Ihre grünen Augen begannen vor Freude zu funkeln.
Fröhlich musterte sie Layla und schien eine Antwort abzuwarten.
Lange Rede kurzer Sinn: Sie hätte auch gleich sagen können, du armes, verlassenes Ding, damit du nicht einsam bist, darfst du dich meine Freundin nennen!, dachte Leyla entsetzt.
„Caren, wie alt sind Sie?“, fragte sie sie trocken und versuchte, das Thema so schnell wie möglich abzuschließen. Es war ihr unangenehm mit ihr zu sprechen. Sie wollte überhaupt mit niemandem sprechen!
„Ich bin einundzwanzig geworden, wieso?“, fragte Leylas Begleiterin unsicher und ihr Lächeln schwand.
„Na, weil Sie sich gerade verhalten, als wären Sie im Kindergarten. Tut mir Leid, ich weiß, es hört sich jetzt hart an, ist aber so. Ich brauche kein Freundschaftsangebot. Und im Moment bin ich halt so schlecht gelaunt, weil ich müde bin … okay?“
Leyla konnte an Carens Blick sehen, wie sehr sie sie verletzt oder beschämt hatte. Ihre Augen verloren das fröhliche Funkeln und sie sah aus, als würde sie gleich anfangen zu heulen.
Trotz ihres mühsam fortbestehenden Lächelns sah Leyla, dass sie ihre Begleiterin verletzt hatte.
Aber das war ihr zu diesem Zeitpunkt egal, denn sie wollte wirklich nur ihre Ruhe.
In Bukarest angekommen, brachte ein Taxi Caren und Leyla zu ihrem Hotel.
Im Dunkeln, da es bereits abends war, fand Leyla das Gebäude umwerfend. Am Tag sah es bestimmt auch ganz reizvoll aus, doch nun war es einfach traumhaft!
Die vielen Lichter und der gut beleuchtete Weg zum Eingang … einfach unbeschreiblich!
Das Einchecken an der Rezeption kam Leyla vor wie die Ewigkeit höchstpersönlich. Sie konnte es kaum mehr erwarten, endlich in ihr Zimmer zu gelangen.
Nach dem die Empfangskraft ihnen einen schönen Aufenthalt gewünscht hatte, seufzte Leyla erleichtert und ging, ohne auf Caren zu warten, auf ihr Zimmer. Eigentlich wollte sie sich noch bei ihrer Begleiterin entschuldigen, denn nachdem sie im Flugzeug ein Schläfchen gehalten hatte, wurde ihr beim Aufwachen klar, wie schlecht sie zu Caren gewesen war.
Aber nun würde sie sie nicht mehr aufsuchen, denn dafür war sie nun wirklich zu kaputt.
Endlich in ihrem Zimmer angelangt, hatte Leyla Caren sofort vergessen.
Ihre ganze Aufmerksamkeit galt nun nur noch dem Raum vor sich.
Alles war atemberaubend.
Noch nie hatte Leyla in so einem hübschen Zimmer übernachtet.
Die Wände waren komplett weiß, mit einigen roten Blumenverzierungen neben den riesigen Fenstern.
Der Teppich schien sehr teuer zu sein, denn er war ebenfalls schneeweiß und total weich – die gute Qualität machte sich sofort bemerkbar, wenn man ihn berührte.
Direkt am Fenster befand sich eine breite, dunkelrote Luxus-Ledercouch und ein kleiner Glastisch, und gleich davor hing ein riesiger Plasmabildschirm an der Wand.
Leyla konnte vor Bewunderung den Mund nicht zu kriegen. Sie freute sich schon auf den Moment, wo sie es sich auf dem Sofa bequem machen würde, um das riesige Ding an der Wand einzuweihen.
Nachdem sie den Fernseher genug bewundert hatte, ließ sie ihren Blick weiter durch den Raum schweifen.
Sie bemerkte, dass sich um das Sofa herum so eine Art Treppe mit einigen antiken Vasen befand.
Da nahm Leyla sich vor, die sicherlich teuren Gegenstände später woanders zu platzieren, da sie manchmal sehr ungeschickt sein konnte, und so eine Vase kaputtzumachen, wäre sicher ärgerlich.
Noch einmal schaute sie sich im ganzen Raum um, drehte sich dabei fröhlich um die eigene Achse.
Okay, genug bewundert, dachte sie und begab sich in das andere Zimmer, um auch dort alles zu betrachten.
Nachdem sie den zweiten Raum betreten hatte und viele kleine Lichter an der Decke automatisch anfingen zu glühen, stelle Leyla noch erstaunter als über das vorherige Zimmer fest, dass sie sich im Schlafzimmer befand.
Ihr stockte der Atem.
Am liebsten würde sie jetzt auf der Stelle hinlegen, denn das Bett sah unglaublich einladend aus.
Das Ding war riesig, hatte ein königliches Design, goldfarben und geschmückt mit vielen rubinroten Steinchen.
Ein Blick aus dem Fenster präsentierte ihr eine perfekte Sicht auf den Nachthimmel und die gut beleuchteten Straßen Bukarests.
Vor dem riesigen Glas lagen viele kleine Kissen auf dem Boden verteilt, wahrscheinlich damit man es sich davor bequem machen konnte.
Da Leyla sich hier im siebten Stock befand, würde es sich lohnen, sich vor das Fenster zu legen, um die tolle Aussicht und das schöne Nachtleben zu genießen.
Es kostete der begeisterten Frau große Mühe, ihre Augen von der Aussicht loszureißen, aber sie musste sich ja auch noch das Badezimmer anschauen, ehe sie es sich gemütlich machen konnte.
Wie schon erwartet, ließ es auch das Bad an nichts fehlen: eine riesige Wanne, eine tolle, große, verspiegelte Dusche und ebenfalls eine romantische Aussicht aus dem Fenster – ein schimmernder Fluss war durch den Laternenschein draußen zu erkennen. Die cremeweißen Fließen passten perfekt zu dem Spül- und Klodeckel, deren Verkleidung mit Mahagoni ausgestattet war.
Leyla konnte sich schon vorstellen, wie sie später baden würde: bei schönem Kerzenlicht, leiser Musik und mit dem Blick auf den vom Vollmond beleuchteten Fluss.
Das laute Klingeln ihres Handys brachte sie wieder in die Realität zurück.
„Ja, hallo?“, brachte Leyla eine Minute später stammelnd hervor, nachdem sie ihr Handy gefunden hatte. Es war wie üblich in ihrer Handtasche vergraben gewesen.
„Ich hoffe doch, du bist zu deiner Verabredung fertig? Da du es nicht für nötig gehalten hast, mich anzurufen, nehme ich an, du weißt über alles Bescheid? Auch dass der Wagen dich in fünfzehn Minuten abholen wird?“, hörte sie Fabian am anderen Ende der Leitung verärgert rufen.
Verdammt!, dachte sie sich.
Leyla war so vertieft in das Betrachten der Zimmer gewesen, dass sie ganz vergessen hatte, ihren Fotografen anzurufen.
Fabian war übrigens nicht nur das, sondern auch so eine Art Vermarkter, Chef und Assistent.
Er beschäftigte sich mit dem Fotografieren wie auch mit dem Managen der Models.
„Entschuldige! Ich werde fertig sein, versprochen! Aber eine Frage noch … eh, was soll ich denn anziehen, wo geht es denn hin?“
„Ja das wüsstest du wohl gern?! Da du es nicht für nötig gehalten hast mich zu sprechen, weist du es doch bereits!“, es war keine Frage sondern eine Feststellung. „Ah verdammt! Zieh irgendetwas Elegantes an. Wir fahren in ein Luxusrestaurant. Alles Weitere erzähle ich dir im Wagen. Beeile dich!“
„Ja, aber …“
Ehe Leyla etwas sagen konnte, hatte Fabian aufgelegt. Oh, oh! Er schien sehr wütend zu sein.
Wie dem auch sei, sie hatte jetzt keine Zeit für Grübeleien sondern musste sich wirklich beeilen!
Nach einem verzweifelten Wühlen in dem Koffer, verteilte Leyla schließlich all ihre Sachen auf dem Fußboden, denn sie konnte ihre Schminktasche nicht finden.
Als sie endlich das in der Hand hielt, wonach sie gerade so aufgebracht gesucht hatte, eilte sie ins Badezimmer.
Da sie ihr gewelltes Haar zu einem langweiligen Knoten gefesselt hielt, blieb ihr keine andere Wahl, als dieses nun zu glätten, denn der feste Zopfgummi hatte einen geknickten Abdruck hinterlassen. So konnte sie unmöglich irgendwohin gehen.
Nachdem Leyla mit ihren widerspenstigen Haaren einigermaßen fertig geworden war, warf sie einen Blick auf die Wanduhr.
Dies versetze sie in Panik.
In fünf Minuten müsste sie an der Straße warten.
„Verdammt!“, rief sie gequält und schnappte sich das erstbeste Kleid, das ihr zu Füßen lag.
Es war ein schwarzes, enganliegendes, knielanges Teil mit einer feinen Schleife unter dem Dekolleté.
Dieses Stück hatte sie einstmals geschenkt bekommen, als sie in London für eine Designerin Modell gestanden hatte. Es war ihr zweiter Fotoshooting und sie war damals so aufgeregt gewesen. Und als sie das Kleid geschenkt bekommen hatte, dachte sie, sie würde alles nur träumen. Tja, ihr Leben war nicht immer so scheiße gewesen. Es gab auch Momente, in denen sie wirklich glücklich gewesen war.
Frustriert schüttelte Leyla den Kopf. Oh sie war ja so eine Träumerin. Anstatt hier zu stehen und an das bereits geschehene zu denken, sollte sie sich lieber beeilen, pünktlich aus dem Hotel zu kommen.
Sie warf einen Blick auf das Feine Stück Stoff in ihrer Hand. Das Kleid mochte etwas zu aufreizend für den heutigen Abend sein, besonders weil sie keine Ahnung hatte, mit wem sie es zu tun haben würde.
Einem Mann würde dies vielleicht gefallen, aber was eine Frau davon hielt …?
Egal!
Leyla beeilte sich, das Kleid überzuziehen, und beschloss, sich im Auto zu schminken, denn sie hatte kaum mehr Zeit. Bei den Schuhen hatte sie jedoch einige Minuten gebraucht, denn das Outfit musste zusammen passen. Als Model hatte sie sich gefälligst gut zu präsentieren, hatte Fabian ihr immer wieder gesagt.-
„Oh, wie siehst du denn aus?“, fragte ihr Fotograf, nachdem Leyla in den Wagen gestiegen war.
Sein Blick zeigte Erstaunen, aber auch eine Spur Irritation.
„Meinst du das Kleid oder mein Gesicht?“, gab sie ihm gereizt als Antwort. Und öffnete ihre Schminktasche. „Das Kleid finde ich hübsch, und an meinem Gesicht werde ich gleich noch arbeiten!“
„Nein, nein ... dein Outfit ist Sexy! Herrn Viezek wird es gefallen. Aber dein Gesicht, meine Güte!“
Man der Typ konnte echt nerven!
„Ist ja gut … Falls du das meinst, so hässlich bin ich auch wieder nicht, wenn ich ungeschminkt bin. Aber, wie schon gesagt, mein Gesicht wollte ich im Auto bearbeiten.“
Fabian war schon immer ein Fall für sich.
Er machte sich nichts aus Gefühlen anderer.
Ihm war es egal, ob er Leyla mit dem, was er sagte, verletzte. Besonders in diesem Moment, da er wohl immer noch wegen dem Anruf sauer war, übertrieb er es gewaltig.
„Also, was ich dir noch sagen wollte, wir sind nicht mit den Leuten vom Beauty-Magazin verabredet, sondern mit einem Autor. Er sucht nämlich das nächste Covermädchen für seinen neuen Roman. Und ich hoffe doch, das du es sein wirst!
„Für einen Roman?“, hakte Leyla nach, nur um sicher zu gehen, dass sie alles richtig verstanden hatte.
Das gibt es doch nicht! Und dafür hatte sie sich so hektisch fertig machen müssen?
„Ja, für einen Roman. Wenn du Herrn Viezek heute Abend beeindrucken kannst, glaub mir, Süße, es ist die Chance für dich!“
Fabians Augen begannen zu funkeln.
Es schien, als würde er in irgendeine fremde Welt eintauchen und dort benommen vor sich hin träumen. Dazu bekam er auch noch so ein schwer zu deutendes, schelmisches Lächeln im Gesicht.
„Ist er ein so angesagter Autor oder wieso sollte es ,die‘ Chance für mich sein?“, riss Leyla ihn aus seiner Fantasie heraus und hätte am liebsten schadenfroh gegrinst. Sie tat es aber nicht, weil Fabian sie sonst köpfen würde.
„Sag nicht, dass du ihn nicht kennst? Du musst wissen, Eduard Viezek ist ein sehr berühmter Schriftsteller. Mehrere seiner Romane wurden bereits verfilmt. ,Der tödliche Kuss‘, ist einer seiner besten Filme gewesen.“
„Ah, ja, den kenne ich. Hab’ ihn mal mit einer Freundin im Kino angeschaut“, erwiderte Leyla und begann sich zu schminken.
Der Liebesfilm hatte von einem Vampir gehandelt, der dem Blutrausch verfallen war und sehr viele Menschen tötete. Letztendlich, wie üblich für einen Roman, begegnete er einer Frau, die er zum Opfer nehmen wollte, ließ sich jedoch davon abbringen, denn er bemerkte, dass sie ihm mehr bedeutete als nur ein Abendessen. Schließlich heirateten sie und lebten glücklich mit zwei Kindern.
Leyla fand den Film damals schon merkwürdig, weil es ziemlich unlogisch war, dass Vampire überhaupt Kinder zeugen konnten.
Sie hatte von dem Thema zwar nicht viel Ahnung, wusste aber, dass sie eigentlich tot sind.
Und wie sollten Zombies denn Kinder zeugen können?
Naja, das war wohl Geschmackssache, vielleicht fanden andere den Film ja toll, aber sie war nicht wirklich davon begeistert gewesen.
Im Restaurant angekommen, besprach Fabian mit ihr schnell einige Einzelheiten, die bei dem Gespräch wichtig sein würden, und dann eilte sie aufs Klo, um sicher zu gehen, dass ihre Haare und das Make-up in Ordnung waren. Da der Wagen immer wieder gerüttelt wurde, befand sie das Schminken für sehr schwierig.
Auf dem Kunden-WC war ein reines Kommen und Gehen. Also für ein Luxusrestaurant glich die Atmosphäre hier eher einem Imbiss.
Nicht wegen der Ausstattung, sondern wegen den Menschen die hier herumlungerten.
Zweimal hatte Leyla einige Leute angerempelt, aus Versehen natürlich.
Beim dritten Mal verschlug es ihr aber die Sprache.
„Oh, entschuldigen Sie, bitte, ich …“, wollte Leyla erneut um Verzeihung bitten, kam jedoch ins Stottern, als sie dem Unbekannten ins Gesicht sah.
Der Mann sah gereizt aus.
Gereizt, aber sehr interessant!
Im Bruchteil einer Sekunde hatte sich ihr Selbstbewusstsein in Luft aufgelöst.
„Sie kommen wohl nicht von hier?“, fragte der Unbekannte sie, sein Gesicht jedoch zeigte Desinteresse.
„Ehm … Nein ich komme aus London …“, brachte Leyla stammelnd hervor und spürte, wie sie rot anlief. „Oh, Entschuldigung, ich hatte ja ganz vergessen … also, dass ich mit Ihnen angefangen habe, English zu sprechen …“
„Kein Problem. Also dann, passen Sie in Zukunft bitte auf, wen Sie anrempeln“, antwortete er hart und ging, ohne ein weiteres Wort zu sagen.
Leylas Herz raste wie verrückt.
Es fiel ihr schwer, Atem zu holen.
Es fühlte sich an, als löse sich die Luft auf, und sie würde ersticken.
Schnell flüchtete sie in die Toilette, denn sie wollte ja eigentlich sichergehen, dass mit ihrem Aussehen alles in Ordnung war. Nach der Begegnung mit dem Fremden kam sie sich so hässlich vor. Er schien kein bisschen Interesse an ihr zu haben. Vielleicht war er aber schwul?
In der Hoffnung, den Mann noch einmal sehen zu können, huschte ihr Blick auf dem Weg zu dem Privatraum, wo für sie ein Tisch gemietet worden war, über die speisenden und lachenden Gäste.
Doch der Unbekannte war nirgends zu sehen.
Er musste wohl gegangen sein …
Enttäuscht betrat Leyla das reservierte Zimmer.
„Da bist du ja!“, rief Fabian ein wenig gereizt in ihre Richtung.
Leyla ignorierte seinen wütenden Blick, denn etwas viel Interessanteres lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich: Oh mein Gott!, dachte sie nur bei diesem Anblick.
Der Mann, der ihr Herz nur wenige Minuten zuvor so dermaßen zum Rasen gebracht hatte, saß Fabian gegenüber am Tisch, und hielt seine Augen auf sie gerichtet.
Gelangweilt sah er aus, als er sie vom Kopf bis Fuß musterte.
Dies verpasste Leyla nicht nur eine Gänsehaut am Rücken und an den Armen, sondern auch ein schmerzliches, leichtes Stechen in der Brust. Fand er sie denn so unattraktiv? Aber warum? Okay er musste sie ja nicht lieben, konnte aber trotzdem wenigstens ein kleines bisschen Interesse zeigen. Das würde ihr schon ausreichen.
„Leyla, nun steh nicht so da, setz dich“, rief Fabian verlegen und räusperte sich, ehe er weitersprach. „Darf ich vorstellen, Eduard Viezek“, er zeigte mit der Hand auf den Mann und dann auf sie, „und das ist das Model von der wir eben gesprochen hatten, Leyla Mathew.“
„Sehr erfreut, ich hatte vorhin bereits das Vergnügen, Frau Mathew kennen zu lernen“, erwiderte Eduard und Leyla hatte das Gefühl, als würde die Kälte, die aus ihm herausging, den ganzen Raum einfrieren.
Fabian schaute von Eduard zu Leyla und dann wieder zurück.
Ihr Herz setze einige Male aus.
Sie stand immer noch an der Tür, verletzt durch seine Kälte ihr gegenüber, entsetzt durch die Tatsache, das sie ihn so umwerfend fand. -War es etwa Liebe auf den ersten Blick?- und verzaubert von seiner erotischen, tiefen Stimme.
Schließlich, als hätte sie gestern erst das Laufen gelernt, zwang sie sich an den Tisch und bemühte sich darum, das Atmen nicht zu vergessen.
Fabian musste Leylas Nervosität bemerkt haben, denn er stand plötzlich auf.
„Kann ich dich kurz unter vier Augen sprechen?“, fragte er zwar, es klang jedoch wie ein Befehl.
Er wies mit dem Kopf Richtung Ausgang.
Halleluja!, dachte sie sich.
„Ja, sicher doch“, antwortete Leyla, für ihre Verhältnisse sehr steif. Verdammt, wieso konnte sie sich denn nicht überwinden und ihr Verhalten wieder normalisieren? Der Viezek mochte sie eh nicht, also konnte es ihr egal sein was er von ihr hielt und sie konnte sich wieder normal benehmen.
„Wenn Sie uns kurz entschuldigen?“
Fabian richtete die Frage nun an Eduard.
Dieser nickte nur und sagte: „Nur zu“, wobei er mit der Hand eine wegwerfende Bewegung ausrichtete.-
„Sag mal, bist du denn verrückt geworden? Was ist mit dir los, verdammt nochmal?“, schimpfte Leylas Fotograf und Boss, nachdem die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel.
„Ja, ja … es tut mir ja leid!“, antwortete sie kaum hörbar.
„Ley, wenn wir jetzt wieder den Raum betreten, erwarte ich von dir mehr Professionalität!“, befahl Fabian.
Sie nickte nur verlegen und versuchte sich zu entspannen. Eines war klar, wenn Leyla ihren Job behalten wollte, musste sie sich in Eduards Gegenwart Professionalität aneignen.
Am liebsten würde sie sich jetzt in die Toilette verkriechen und einige Minuten meditieren.
Diese Methode wendete sie immer an, wenn sie im Stress war, und es half. –
„Ich entschuldige mich für Leyla, ihr ging es die letzten Tage nicht so gut. Sie ist wohl immer noch ein wenig durcheinander“, versuchte Fabian, Eduards Meinung über sie glatt zu bügeln, als sie eine Minute später wieder den Raum betraten und sich an den Tisch setzten.
„Ihnen ging es nicht gut?“, fragte der Schriftsteller, den Blick, der jedoch wieder Desinteresse zeigte, auf Leyla gerichtet.
Wieso fragte er sie überhaupt, wenn ihn das nicht im Geringsten zu interessieren schien?
Sie räusperte sich, ehe sie antwortete. „Ich hatte einen kleinen Unfall … und habe deshalb eine Weile im Krankenhaus verbringen müssen. Sie brauchen sich aber keine Sorgen zu machen, denn mein Zustand wird meine Arbeit keineswegs behindern, das versichere ich Ihnen.“ Ha! Es war ein Wunder, dass sie nicht im Gelächter ausbrach. Als würde der Mann sich jemals um etwas sorgen! Als ob er sich jemals um SIE sorgen würde.
„Mhm, das tut mir aber Leid“, sagte Eduard nur und schaute nun zum Fenster hinaus. „Sie sind eine hübsche Frau, eigentlich sehr passend für mein neues Buch …“, fing er an. „Doch haben Sie denn auch Erfahrung mit Fantasy- Romanen? Beziehungsweise etwas von mir gelesen?“
Wenn Fabian sie nicht auf diese Frage vorbereitet hätte, wäre sie an diesem Punkt womöglich rot angelaufen und käme beim Lügen ins Stottern.
Aber mal ganz ehrlich, weshalb sollte sie sich für das Fotoshooting mit Fantasy auskennen? Sie musste schließlich nur für das Cover modeln und nicht eine Rolle im Film übernehmen.
„Ja ich habe einige Ihrer Bücher gelesen. Und auch den ,Blutigen Kuss‘ im Kino gesehen. Sie haben wirklich ein großes Talent, die Leser einzuwickeln, Herr Viezek!“, log sie.
Was blieb ihr denn anderes übrig?
Hätte sie gesagt, nein, tut mir Leid, aber Romane über Vampire interessieren mich nicht im Geringsten, würde dieser Mann sie höchstwahrscheinlich niemals für sein Cover modeln lassen. Und Fabian hätte ihr einen kostenlosen Tritt zurück nach London verpasst.
„Da muss ich ihr Recht geben! Sie schreiben wirklich ausgezeichnet!“, mischte sich Fabian in das Gespräch ein. –
Leyla kam es wie eine Ewigkeit vor, bis Eduard sich endlich zum Verabschieden erhob.
Jedes mal, wenn er sie etwas gefragt hatte, setzte ihr Herzschlag aus und sie kam ins Stottern. Jedes mal wenn er ihr in die Augen geschaut hatte, war sie seinem Blick ausgewichen.
Augen … er hatte solch wunderschöne, anziehende Augen. Sie fragte sich, was ihre richtige Farbe war, denn er trug rubinrote Kontaktlinsen.
Bei jedem anderen würde Leyla so etwas als Freak bezeichnen, ihm stand es aber ausgezeichnet.
Der rote Kontrast passte perfekt zu seinem kurzem, schwarzen, zerwuschelten Haar.
Er sah aus wie einer der Jungs aus Horror-Actionfilmen.
Die Männer waren auch alle gut gebaut und hatten eine sexy Ausstrahlung.
„Da Sie morgen Abend Ihr Fotoshooting für das Beauty-Magazin haben, komme ich vorbei und schaue mir an, wie Sie arbeiten. Dann wird mir die Entscheidung leichter fallen, ob Sie das geeignete Model für mein Buch sind“, sagte Eduard an der Tür und riss Leyla aus ihren Gedanken.
Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie ihn die ganze Zeit angestarrt hatte.
Verlegen lächelte sie Eduard an. Versuchte es jedenfalls. Befürchtete aber, dass es eher nach Magenkrämpfen aussehen könnte.
„Ehm, ja, machen Sie das!“, brachte sie stammelnd hervor und hoffte innerlich, dieser Mann würde endlich gehen.
Sie brauchte eine Verschnaufpause.
In seiner Gegenwart konnte sie kaum klar denken.
Am liebsten würde sie ihn in diesem Moment anspringen und ihm die Kleider vom Leib reißen.
Sie schielte, wieder mal in Gedanken versunken, zu dem großen Esstisch hinter ihnen. Die Platte wäre perfekt geeignet, etwas intimer zu werden. Mann müsse vorerst das dreckige Geschirr wegräumen... Ah zum Teufel, die Teller hätten sie einfach beiseite schieben können, da der Tisch auch so schon, ausreichend Platz für acht Personen bot.
Unauffällig kniff sie sich in den Handrücken, denn sie fing wieder an zu fantasieren.
Gott verdammt!, dachte sie sich und ärgerte sich über ihre schlechte Selbstbeherrschung.-
Zirka eine Stunde später war Leyla wieder in ihrem Hotelzimmer.
Erschöpft, dennoch glücklich, schlüpfte sie aus dem engen Kleid und eilte zum Sofa.
Viele Gedanken rasten ihr durch den Kopf.
Eduard hatte ein unbekanntes Gefühl in ihr geweckt.
Dieser Kick, den sie bekam, wenn der Mann in ihrer Nähe war, war unbeschreiblich. Sie musste sich verliebt haben. Obwohl, noch nie hatte sie diese Art Gefühlsstörungen bei den Männern bekommen, die sie bisher begehrte. Sogar als frisch verliebte, hatte sie lediglich steigende Glücksgefühle und Kribbeln im Bauch, wenn sie Sex wollte.
Aber so etwas wie bei Eduard, hatte sie noch nie für jemanden empfunden.
„Wenn er in der Nähe ist, dann wird mein Verstand zu Brei“, dachte sie laut, begann zu grinsen und strich mit dem Zeigefinder über die Unterlippe.
Leyla konnte an nichts anderes denken, als an seinen erotischen Blick, die kantige Stirn, der Kräftige Oberkörper …
Sie wollte ihn so gern berühren.
Seine vollen Lippen mit ihrer Zunge liebkosen …
Ein lautes Klopfen an der Tür riss sie aus ihrer perversen Fantasie.
Eifrig sprang sie vom Sofa auf.
Wer mochte das wohl sein?
Sie eilte ins Badezimmer und zog sich rasch einen flauschigen, nach Lavendel duftenden, blauen Bademantel über.
Ein Blick auf die Wanduhr neben der Tür. „Olala, es ist fast Mitternacht, na wer kann das wohl sein?!“, rief sie spielerisch dem Besucher entgegen.
Sie konnte es sich schon denken wer sie da störte. Nachdem Fabian sie vor dem Hotel abgesetzt hatte, drohte er ihr, noch einmal vorbei zu kommen um über das Geschehene zu reden. Aber dass er so dreist war, und sie um diese Zeit noch belästigen würde …
Sie öffnete gespielt gereizt die Tür.
„Hallo, Leyla, darf ich rein kommen?“, fragte sie der Mann sanft, schon fast flehend.
O mein Gott! Ihr stockte der Atem. Die weiche Stimme, dieser sanfte Blick.
Es war Eduard, der ihr mitten in der Nacht einen Besuch abstattete.
Leyla schluckte heftig. Ihre Handflächen bedeckten sich mit kaltem Schweiß.
Ihr Herz setzte wieder mal aus.
Was wollte er hier?, sollte sie sich eigentlich fragen, doch im Moment war sie zu sehr damit beschäftigt, etwas Luft in ihre Lungen zu saugen.
Er stand an der Schwelle, bewegte sich nicht ein Zentimeter vorwärts. Schien nur ihre Antwort abzuwarten.
Empfand er für sie, vielleicht dasselbe wie sie für ihn?
Hatte sie einmal in ihrem Leben so viel Glück?
Sie konnte es kaum fassen, dass der Mann, der sie so verrückt machte, tatsächlich einige Meter von ihr entfernt stand und darauf wartete hereingebeten zu werden.
„N … natürlich, kommen Sie rein!“, stammelte Leyla, nachdem ihre Lungen sich gefüllt haben und ihr Verstand wieder anfing zu arbeiten.
Sie bemühte sich gelassen zu wirken.
Eduard betrat behende ihr Zimmer und zog sie, sobald die Tür sich geschlossen hatte, an sich heran.
„Es ist so schön, dich wieder zu sehen, meine Geliebte!“, flüsterte er ihr verführerisch ins Ohr. „Und du siehst sogar ungeschminkt wie eine Königin aus.“
Sein warmer Pfefferminz-Atem und diese Worte brachten sie wieder fast um den Verstand.
Leyla raffte ihren Mut zusammen und schloss ihre schlanken Arme um seine breite Taille.
Einige Minuten mussten vergangen sein, bis endlich etwas anderes geschah.
Mit einer Hand hob Eduard sanft ihr Gesicht an, so dass ihre Blicke sich trafen. Die Augen! Sie konnte nicht genug von ihnen kriegen. Vielleicht dürfte sie ja irgendwann ein Foto von den rubinroten Kristallen machen und das Bild eingerahmt an die Wand hängen?
„Ich will dich, Leyla! Hier und jetzt“, herrschte er an, und eher sie etwas erwidern konnte, presste er besitzergreifend seine Lippen auf ihre. Etwas hartes drückte gegen ihren Magen. Offenbar war er genauso erregt wie sie.
Stürmisch breitete sich die Leidenschaft in ihrem Körper aus.
Gott, fühlte sich das toll an, von ihm geküsst zu werden, zu wissen, dass er in ihr sein wollte.
Zögerlich ließ er ihren Mund ruhen, und seine Zunge wanderte nun ihren Hals entlang.
Leyla konnte ihr Glück immer noch nicht fassen.
Es war liebe, da war sie sich nun sicher. Sie liebte nicht nur seine sexy Ausstrahlung, seine tiefe Stimme und die roten Augen, die sie funkelnd anstrahlten, sondern auch auch, nun da sie wusste wie es sich anfühlte, seine sanfte, besitzergreifende Berührung.
Doch auf einmal verwandelte sich das Gefühl der Liebe in furchtbare Kälte.
Sie erstarrte.
Eduard schlug die Zähne in sie hinein und kurz darauf breitete sich diese furchtbar betäubende Kälte in ihr aus...
Vampir
Er ist ein Vampir! Rick war auch einer davon gewesen!
Hörte sie ihr Gehirn schreien, doch wegen der Lähme konnte sie nichts anderes tun, als einfach nur zuzuhören. Sogar ihre Lungen stellten das Atmen ein. Das einzige was sie in ihrem Körper spüren konnte, war ihr, immer langsam werdendes, Herz.
Nachdem Eduard sich wieder von ihr gelöst hatte, und sie zu Boden fallen ließ, wie ein Stück Vieh, hatte sie das Gefühl, völlig blutleer zu sein – sie war nur noch ein kalter Kadaver.
Eduard.
Ihrem Tod nahe, wollte Leyla, trotz der Schwärze, die sich in ihrer Seele ausbreitete, noch einmal auf sein Gesicht blicken, und hob schwach den Kopf an.
Schockiert riss sie die Augen auf, denn es stand nicht mehr Eduard vor ihr, sondern Rick – der Mann, der sie vor einigen Wochen, in einem londoner Hotel angegriffen hatte.
Rick kam einige Schritte näher, kniete sich neben sie und sein psychopathisches Grinsen hätte Leyla Gänsehaut eingejagt, wenn sie ihren Körper noch hätte spüren können.
„Ich habe dich gefunden, Miststück!“ –
Schreiend und völlig durchnässt fiel Lelya vom Sofa auf den Boden.
Es war nur ein Traum gewesen … stellte sie mit Herzrasen und nach Luft ringend fest.
„Nur ein Traum …“, murmelte sie erneut, als versuchte sie sich zu überzeugen.
Trotz der Feststellung, dass sie die romantische Begegnung wie auch das schreckliche Ende mit Eduard nur geträumt hatte, wollte ihr Herz nicht aufhören zu rasen. Zu real war das Ereignis gewesen, um es so schnell verdrängen zu können.
In Zeitlupe fuhr sie sich mit der Hand übers Gesicht und rieb anschließend die Augen um sich nochmal zu vergewissern, dass sie eben wirklich nur geträumt hatte.
Das Erlebnis mit Rick hatte wohl mehr Spuren in ihrem Unterbewusstsein hinterlassen, als ihr bewusst war.
Sie hoffte, dass sich bei ihr kein Männertrauma entwickelt hatte. Gab es so etwas wie ein Männertrauma überhaupt? Anscheinend schon.
Es würde doch schrecklich werden, wenn sie ab jetzt durch jeden Mann solche Alpträume bekäme …
Langsam erhob sich Leyla wieder und schlurfte in das Badezimmer. Sie hatte eine Dusche nötig.
Dieser Scheißkerl! Wieso musste er mir meinen Traum über Eduard ruinieren?!, schimpfte sie aufgebracht.
Frisch geduscht musste Leyla nicht lange überlegen, was sie als nächstes tun würde. Eines war klar, sie musste diese Anspannung los werden. Sie nahm im Schlafzimmer, vor dem großen Fenster, im Schneidersitz Platz, brachte die Arme in richtige Position und schloss ihre Augen.
Meditieren war das beste Mittel, das ihr half sich von dem alltäglichen Stress zu lösen.
Ihre Oma hatte ihr damals gezeigt, wie es ging.
Meditation empfand Leyla als befreiend.
Das Gefühl, als würde man die Seele von seinem verletzlichen Körper trennen und einige Minuten völliger Ruhe genießen, war unbeschreiblich.
In diesem Zustand konnte sie sich an jeden beliebigen Ort versetzen und sich somit vollkommen entspannen.
Kapitel 2
Das Klingeln seines Handys brachte Eduard dazu, wieder die Augen zu öffnen.
Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er bald zu Leylas Fotoshooting müsse...
Er wusste nicht warum, aber der Gedanke, sie wiederzusehen, verursachte ihm ein komisches Gefühl in der Magengegend. Fühlte sich so Vorfreude an? Er hatte keine Ahnung. Aber die Frau hatte etwas an sich, was ihm gefiel er freute sich tatsächlich auf ihr nächstes Zusammentreffen.
Zumal er gestern Abend, ihre süße Nervosität schon fast schmecken konnte. Für einige Sekunden lag sogar ein Duft von Erregung in dem kleinen reservierten Zimmer.
Außerdem war Leyla eindeutig nicht wie all die Frauen, die ihm jeden Abend auflauerten.
„Ariane … Was gibt`s denn?“, murmelte er müde in den Hörer.
„Sorry, falls ich dich aufgeweckt habe, aber es ist wichtig! Du musst unbedingt her kommen! Francise hat etwas über die Hexengemeinde herausgefunden. Und leider sieht es so aus, als würde es bald zum Krieg kommen. Ed … wir müssen etwas unternehmen!“, hörte er seine Schwester am anderen Ende der Leitung hauchen. Verzweiflung lag in ihrer sonst seidenweichen Stimme.
Eduard runzelte die Stirn.
Er war müde.
Nachdem er gestern getrunken hatte, war er durch die dunklen Gassen auf der Suche nach einigen Hexen geirrt, denn er hatte kämpfen wollen.
Erst zum Morgengrauen war er zuhause angekommen und hatte bis vor kurzem keinen Schlaf finden können.
Nach dem er das Wälzen im Bett aufgegeben hatte, tigerte er unruhig von einer Ecke seines Schlafzimmers, zur anderen.
Nun kannte er sie Ursache für seine Unruhe.
Er spürte die Gefahr.
Sein Instinkt sagte ihm, er solle auf der Hut sein.
Und wie es aussieht hatte er Recht gehabt.
Wenn es tatsächlich zum Krieg gegen die Hexen kommen sollte, wusste er nicht, ob seine Spezies ihnen die Stirn bieten konnte.
„Ich bin gleich nach Sonnenuntergang bei euch!“, antwortete er und brach die Verbindung zur seiner Schwester ab.
Eduard hätte am liebsten laut geflucht, denn anstatt sich um Leyla zu kümmern, hatte er sich nun mit den Hexen beschäftigen müssen.
„Ja, Baby, so ist es richtig, bloß nicht bewegen!“
Leyla stand vor Fabians Kamera und wurde von einem grellen Licht geblendet, während sich einige Leute darum bemühten, dass im Bild alles perfekt war.
Wo blieb Eduard? Er wollte doch vorbeikommen um ihr bei der Arbeit zuzusehen.
„Leyla, bitte, konzentriere dich! Du weißt … Zeit ist Geld!“, schrie Fabian verärgert – wenn es um Arbeit ging, war er schon immer ein Biest gewesen.
Den ganzen Tag lang, konnte sie an nichts anderes denken, als Eduard.
Sie wollte erneut in seine rubinrote Augen blicken.
Sie wollte sich sein schönes, männliches Gesicht genauer einprägen.
Wenn sie ihn das nächste Mal sähe, würde sie sich beherrschen, zeigen wie sie normalerweise als Frau tickt, ohne das verlegene Stottern. Heute würde sie seinem Blick nicht mehr ausweichen, wie ein kleines Schulmädchen das sich zum ersten Mal verliebt hatte. Sie würde locker mit ihm sprechen, dabei vielleicht ab und zu einen Witz reisen. Sie würde auch nicht mehr an Herzversagen oder Atemstörung leiden. Das hatte sie sich jedenfalls vorgenommen. Aber der Mann, den Leyla so sehnsüchtig erwartete, kam nicht. Das wiederum machte sie nervös. Was ist, wenn ihm das Interesse an ihr, als Covergirl, vergangen war und er es deshalb nicht für nötig hielt hier aufzutauchen?
Sie dachte erneut an den Kuss, die Stimme und die besitzergreifende Umarmung von neulich Nacht.Trotz des Kribbeln in ihrem Bauch, bildete sich an ihren Armen leichte Gänsehaut.
So sehr sie sich auch nach ihm sehnte, so hatte sie immer wieder, das schreckliche Ende vor den Augen. Es war wie eine Dauerschleife. Wie ein Spielfilm, der immer wieder von der guten Szene zu der schlechten gespült wurde.
Sie versuchte jedoch, stets nur an den schönen Teil der Geschichte zu denken.
Die angenehme, erotische Erfahrung mit Eduard ließ Leyla Mathew sich ganz gewiss nicht von irgend einem dahergelaufenen Rick vermasseln!
„Ley, verdammt nochmal!“, schrie Fabian erneut und riss sie aus ihren Gedanken.
Kein Wunder, dass er so außer sich war.
Sie musste sich jetzt schließlich auf ihre Arbeit konzentrieren, und stattdessen stand sie nur da und war in ihren Traum von Eduard versunken.
Sie musste sich zusammenreißen.
Schließlich war sie jetzt ein anerkanntes Model und dafür extra für längere Zeit nach Rumänien gereist. Wenn Fabian irgendwann meinen sollte, sie wäre das Geld nicht mehr wert, würde sie mit einem Tritt wieder zurück nach London versetzt und müsste sich wieder, aus Angst dass Lucas sie finden könnte, verstecken. Nein,das wollte sie auf keinen Fall!
In der Hoffnung ihren Ex nie wieder zu sehen, gab Leyla, nun hundert Prozent bei der Arbeit. Sie wusste nicht wie lange sie dort ununterbrochen posiert hatte, doch es kamen ihr vor wie Stunden.
Als nächstes sollte sie sich auf ein Sofa legen, doch das Team, wie auch Leyla, wurden durch ein Klingeln, unterbrochen.
Fabian gestattete allen eine Pause, eilte zur Tür, fuhr sich dabei mit einer Hand durch das graue, kurze Haar und strich sich das Hemd glatt.
Leyla folgte ihm mit ihrem Blick, atmete tief ein und hielt gespannt die Luft an. Aus den Augenwinkeln fiel ihr der Große Spiegel, mit einem Hocker davor, auf. Sie eilte hinüber und nahm auf dem kleinen Ding platz. So hätte sie eine perfekte Sicht auf den Flur.
Als hätte irgendjemand auf Zeitlupe umgestellt, öffnete Fabian die Tür.
„Heute noch?!“, murmelte sie kaum hörbar in seine Richtung.
Sie hoffte, dass der späte Besucher der Mann war, auf den sie den ganzen Tag gewartet hatte. Voller Erwartung, bedeckten sich ihre Handflächen mit kaltem Schweiß.
Er muss es einfach sein!, sagte sie innerlich immer und immer wieder.
Eine breite Silhouette betrat den schlecht beleuchteten Flur, nachdem Fabian endlich die Tür geöffnet hatte.
Obwohl man den Mann nicht erkennen konnte, wusste sie, wem dieser atemberaubende Körper gehörte.
Der Neuankömmling hatte die Statur eines Schrankes, sodass Fabian neben ihm wie ein kleiner Wurm dastand. Dabei hatte ihr Fotograf schon einen kräftigen Körper.
Die beiden Männer begrüßten sich mit einem Händedruck und traten aus dem schlecht beleuchtendem Flur ins Licht.
Plötzliche Stille legte sich über die, vor sich plaudernden und lachenden Leute im Raum. Leyla warf einen Blick über die Schulter und musste sich das Lachen verkneifen. All ihre Kollegen waren wie erstarrt. Gelegentlich konnte sie ein kaum hörbares Flüstern, ihrerseits, vernehmen.
Langsam drehte sie sich wieder zu Eduard um und hatte bedenken, man könne in der Stille ihr rasendes Herz hören. Soviel also zum Beherrschen!
Doch bei seinem Anblick, war das, was sie sich vorgenommen hatte, quasi unmöglich.
Bis jetzt hatte Leyla ihn im Smoking zu Gesicht bekommen, doch nun stand er in einem hautengen, schwarzen T-Shirt da – seine Jacke hatte ihm Fabian bereits abgenommen -, wobei man seinem Muskelspiel stundenlang zusehen konnte, und einer weißen, breiten Sporthose, die leicht unter dem Ansatz einer schwarzen Boxershorts hing.
Sie konnte nicht anders, sie musste sich Eduard vorstellen, wie er wohl ohne diese Klamotten aussähe. Nackt!
Der Gedanke ließ sie erröten.
Mein Gott, ihr wurde so heiß, dass sie am liebsten aus dem Raum in die kühle Winternacht geflohen und erst wieder erschienen wäre, nachdem sie sich genug im Schnee gewälzt hatte und endlich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte.
Doch das würde sie nicht tun.
Sie war ein professionelles, selbstbewusstes Model.
Außerdem würde sie einem Schönling wie ihm nicht den Gefallen tun, zu zeigen, wie scharf sie ihn fand.
Bei seiner selbstbewussten Haltung konnte sie sich gut vorstellen, dass sie nicht die einzige Frau war, die ihn so anziehend fand. Er strahlte diese Gewissheit aus, die nur jemand an den Tag legen konnte, der auch von sich überzeugt war.
„Guten Abend, Herr Viezek, nehme ich an?“, meldete sich Caren als erste zu Wort, denn Fabians funkelnder Blick, bedeutete Ärger, wenn sich nicht alle auf der Stelle normal benahmen.
„Hallo, ja, Sie liegen richtig, der bin ich“, hörte Leyla Eduard antworten.
Ihr fiel wieder ein, dass er trotz der wunderbaren, männlichen Stimme immer so verärgert klang. In ihrem Traum hatte er eine schöne, verführerische Stimme gehabt. Eine, die Interesse zeigte. Aber in der Realität war er immer noch so ein Miesepeter wie sie ihn bereits kennengelernt hatte.
Auch Caren musste das Desinteresse bemerkt haben, denn sie hielt in ihrer Bewegung inne.
Die Leute begannen wieder das zu tun, was sie gemacht hatten, bevor Eduard den Raum betreten hatte. Sie schienen es jedenfalls zu versuchen.
Leyla jedoch, waren die anderen in diesem Moment egal. Sie hatte nur Augen für Caren und Eduard.
Doch würde sie die beiden weiterhin mit ihrem Blick durchlöchern, würde es Eduard auffallen.
Also drehte sie sich, gelassen, dennoch nach Luft ringend, wieder zu ihrem Spiegel um.
Verdammt!, dachte sie nur einige Sekunden später und hätte am liebsten laut geflucht.
Fabian würde sie später für ihre Unhöflichkeit köpfen, denn sie hatte Eduard noch nicht begrüßt. Schließlich war der Autor nur wegen ihr hier her gekommen.
Aber wie sollte sie denn auch?
Wenn sie sich jetzt vom Hocker erhob, würden ihre Knie nachgeben und sie zu Boden gleiten lassen, da war sie sich ganz sicher.
Oder sie würde mit zittrigem Körper auf ihn zugehen, was noch peinlicher wäre.
„Leyla!?“
Sie schrak auf, als sie ihren Namen rufen hörte.
Beinahe wäre sie wirklich vom Hocker gefallen.
Es war Fabian, der sie mit dem harten Ton aufforderte, ihren Arsch zu bewegen.
Leyla schloss kurz die Augen und atmete tief ein. Beherrschung, Witze reisen, zeigen was sie für eine tolle Frau sein kann! Sie musste sich an das halten, was sie sich heute vorgenommen hatte!
Sie erhob sich geschmeidig, langsam.
Keiner sollte bemerken, in welcher Nervosität sie sich gerade befand.
„Guten Abend, Herr Viezek“, begrüßte sie Eduard, nachdem sie es heil bis zu den beiden Männern geschafft hatte. Juhu! Ich habe es tatsächlich, ohne zu stolpern, zu ihm geschafft!, jubelte sie innerlich stolz über das gemeisterte Wunder.
Sie zauberte sich ein strahlendes, freundliches Lächeln auf die Lippen.
Ihr Pokerface – niemand hatte je an diesem falschen Lächeln gezweifelt.
Niemand außer ihrer besten Freundin.
Bei dem Gedanken an Elisabeth schmerzte es kurz in Leylas Brust. Doch sie schüttelte den Gedanken an sie sofort ab. Ihre Freundin gehörte von nun an der Vergangenheit an.
„Sie scheinen nervös zu sein, Frau Mathew“, stellte Eduard fest und blickte ihr in die Augen. Fast hätte sie dabei den Blick abgewendet, rief sich jedoch wieder in Erinnerung, dass sie sich verdammt noch mal beherrschen wollte.
Sie musste sich zusammenreißen!
„Nervös? Ich bitte Sie, wie kommen Sie denn darauf?“, antwortete sie und inszenierte eine wegwerfende Handbewegung.
Na das war ja gar nicht mal so schlecht! Weiter so!, ermutigte sie sich in Gedanken.
Sie sollte anfangen, an eine Karriere als Schauspielerin zu denken. Immerhin schaffte sie die gelassene Leyla zu spielen, obwohl sie sich am liebsten irgendwo in ein kleines Loch verkriechen würde.
Erschrocken trat Leyla einen Schritt zurück, als Eduard sich zu ihr herunter beugte – er war mindestens zwei Köpfe größer als sie, und sie war schon 1,76 m.
Sie riss erstaunt die Augen auf, hatte sich jedoch eine Sekunde später wieder im Griff und lockerte ihre Körperhaltung.
„Ich kann es riechen“, sagte der Mann.
Seine Mundwinkel zuckten ein wenig, als wollte er gerade lächeln.
„Sie sind wohl kein Freund von Körperkontakt?“
„Wie …?“, fragte Leyla und spürte wieder die Hitze in sich aufsteigen.
„Also … ich denke, es wird höchste Zeit! Leyla, begib dich, bitte, wieder an deinen Platz“, unterbrach Fabian ihr Gespräch und funkelte sie verärgert an.
Sie war sich sicher, später eine Standpauke von ihm anhören zu müssen.
Doch das war ihr egal.
Sie war froh, dass sie Eduards genauer Beobachtung entkommen konnte.
Obwohl er Leyla beim Fotoshooting genau im Visier hatte – schließlich war er nur deswegen hier –, machte es ihr nichts aus.
Das war das Tolle an ihrem Beruf.
Deshalb hatte sie schon immer Modeln wollen.
Sobald sie vor der Kamera stand, vergaß sie die Umgebung um sich herum.
Sie hatte nur sich und ihre Gedanken, die im Moment zwar alle bei Eduard lagen, sie jedoch nicht von der Arbeit abhielten.
Da er jetzt hier war, konnte sie sich nun auf das Posieren konzentrieren.
Sie musste sich nicht mehr fragen, wo er blieb.
Sie fühlte sich schön vor der Kamera und so … lebendig.
Es mussten wieder einige Stunden vergangen sein, als Fabian allen wieder eine kurze Pause gestattete.
Leyla blinzelte ein paarmal, ehe sie sich wieder auf die Realität konzentrieren konnte.
„Hier …“, hörte sie Caren hinter ihr sagen. Sie reichte ihr einen Bademantel.
Trotz der netten Geste, schien sie gereizt zu sein.
Eigentlich war es kein Wunder, dass sie Leyla womöglich hasste. Im Flugzeug war sie unfreundlich zu ihr gewesen und sich immer noch nicht dafür entschuldigt.
„Caren … hast du eben eine Minute?“
Ihre Assistentin, die schon Anstalten machte zu gehen, drehte sich zu ihr um.
„Natürlich, was gibt´s denn?“, fragte sie trocken, desinteressiert.
Leyla zog den Mantel über und lief zu ihrem Spiegel.
Sie musste sich setzen, ehe es mit dem Shooting weiterging.
Caren folgte ihr unaufgefordert.
„Also … ich wollte mich bei dir für mein Verhalten im Flugzeug entschuldigen … Ich war so gestresst, naja … wie soll ich es sagen …“
„Lass es gut sein. Ich nehme deine Entschuldigung an!“, sagte sie und lächelte Leyla an. Na das war doch ein Schauspieltalent! Natürlich war Caren immer noch sauer auf sie und das falsche Lächeln hatte sie auch sofort erkannt. Aber es reichte Leyla aus um sich besser zu fühlen. Schließlich hatte sie sich bei ihrer Assistentin entschuldigt. Wenn diese es nicht annehmen wollte, dann war es ihr Problem.
„Sie waren gut, Frau Mathew“, hörten die beiden Frauen Eduard sagen und drehten sich ruckartig in seine Richtung.
Er stand etwas links von ihnen, an die Wand gelehnt.
„Leyla hat großes Potential, finden Sie nicht auch?“, sagte Caren, bevor die eigentliche angesprochene antworten konnte.
„Ich habe nicht mit Ihnen geredet!“, brummte der Mann an der Wand.
Leyla bemerkte, wie Carens Körper sich versteifte.
Verdammt, es wurde selbst ihr unangenehm, ihre Assistentin so zu sehen.
Sie erhob sich: „Herr Viezek, ich weiß Ihre Anwesenheit hier wirklich sehr zu schätzen … aber ich muss Sie darum bitten, meine Assistentin etwas freundlicher zu behandeln. Wir gehen hier nämlich alle gut miteinander um.“ Sie zeigte mit der Hand auf einige Leute im Raum und ließ diese wieder sinken.
Eduard schien zu überlegen und musterte Leyla von Kopf bis fuß.
Jedoch nicht mit den Augen eines Auftraggebers, sondern den eines Mannes. Ihre Blicke trafen sich nur für einen kurzen Moment, denn gleich danach drehte Leyla sich abrupt zur Seite. Da diese Aktion einfach nur peinlich war, tat sie so, als würde sie sich im Spiegel betrachten. Etwas anderes blieb ihr auch nicht übrig.
Durch den Spiegel konnte sie sehen, dass er sich aufgerichtet hatte und mit langsamen Schritten auf sie und Caren zukam.
Seine Schritte waren voller Stolz und Männlichkeit.
Er baute sich vor Caren auf. Der Unterschied seiner Statur war überwältigend. Fast so, als würde ein großer Bär neben einem Häschen stehen.
Leyla musste heftig schlucken, als sie sich langsam in ihre Richtung drehte und sah, wie dicht er sich ihr genähert hatte.
Entweder war er kurz davor, sie zu schlagen … oder zu küssen. So sah es jedenfalls aus.
Caren stand wie erstarrt, den Blick auf seine Lippen gerichtet.
Atmete sie noch? Es sah ganz danach aus, als wäre sie eben im stehen gestorben.
Beide schauten sie sich auf die Lippen.
Einige Sekunden blieben sie in dieser Position, bis Eduard die Hand hob und mit seinen langen, schlanken Fingern Carens Wange zu streicheln begann.
Das Theater entsetzte Leyla.
Entsetzt, durcheinander und wütend auf sie und die Welt, drehte sie sich wieder zum Spiegel.
Was sollte denn das jetzt bitteschön werden? Eben hatte er nicht einmal mit Caren sprechen wollen, und nun … fasste er sie so an?
Durch den Spiegel konnte sie sehen, wie Caren anfing zu lächeln und wie sie Eduards Hand umfasste.
„Schätzchen, wärst du so lieb und holst mir eben einen Kaffee?“, fragte er und entzog sich.
„Ja … sicher doch!“, antwortete sie ihm einige Oktaven höher und eilte ins Nebenzimmer, wo die Kaffeemaschine stand.
Leyla erwischte sich dabei, dass sie vor Erstaunen den Mund geöffnet hatte.
Schnell schloss sie ihn wieder, ehe Eduard es bemerken konnte.
„War das nett genug, Frau Mathew?“, fragte er Leyla und tratt an sie heran.
Nun musste sie sich wieder zusammen reisen. Nicht weil sie, die Verlegenheit in seiner Gegenwart plagte, sondern weil sie sauer war. Und das Gefühl war genau so schwer zu verbergen.
„Jedenfalls besser als vorher …“, antwortete sie seinem Spiegelbild.
Sie tat so, als würde sie ihre Frisur unter die Lupe nehmen, schauen, ob alles in Ordnung war.
Er durfte nicht merken, wie sie sich fühlte.
Eine kurze Pause entstand, ehe er sich die Stirn runzelte. „Wie schon gesagt, Sie modeln für meine Verhältnisse gut. Ich hätte Interesse, Sie auf dem Cover von meinem neuen Roman zu sehen“
Stille...
Kurz hatte es ihr die Sprache verschlagen doch dann drehte sie sich hastig zu ihm um.
„Ist das Ihr Ernst?“, fragte sie nun verblüfft.
„Natürlich, wieso sollte ich denn sonst so etwas sagen?“
„Weiß Fabian schon davon?“
Glücksgefühle stiegen in ihr hoch.
Am liebsten wäre sie mit einem lauten Jubeln aufgesprungen.
„Nein, ich wollte es zuerst Ihnen …“
Leyla schmiss sich Eduard um den Hals.
Sie drückte ihn fest, voller Freude.
Fabian wird stolz auf mich sein, dachte sie.
Ihr Fotograf war jedoch nur der kleinere Grund, weshalb sie sich so sehr freute.
Sie war glücklich, weil der Mann, den sie so begehrte, sie auserwählt hatte. Trotz der ganzen peinlichen Aktionen, wollte er sie immer noch haben.
Als sie Edauards räuspern hörte, wurde ihr klar, was sie gerade tat.
Sein Körper fühlte sich steif an. Als würde sie sich gerade nicht um ihn, sondern eine Statue aus Stein klammern.
Und wieder hatte sie etwas dummes getan!
Wie ein kleines Schulmädchen klammerte sie sich gerade um seinen Hals. Was ihm offenbar alles andere als gefallen tat.
„Um Gottes willen!“, sagte sie und ließ ihn los, als hätte sie sich verbrannt.
Eduard schien von ihrer Aktion alles andere als begeistert zu sein. Er wirkte sogar gereizt.
„Es tut mir Leid … ich weiß nicht, wieso … was in mich gefahren ist …“, wisperte Leyla. Ihre Wangen brannten, als hätte sie einen Sonnenbrand. Wahrscheinlich war ihr Kopf in diesem Augenblick einer Tomate gleich.
Weshalb hatte sie ihn überhaupt umarmt? Es war natürlich toll, dass er ihr den Auftrag als Covergirl geben wollte, doch war das ein Grund genug um jemandem um den Hals zu fallen?
Es schien wie ein Traum, als sie daran zurückdachte, wie sie sich vom Hocker erhob und an ihn heran geschmissen hatte.
„Machen Sie das nie wieder.“ Ein leises Knurren war aus Eduards Brust zu hören.
Mit diesen fünf Worten brachte er Leylas Herz zum Bluten.
Zögerlich schaute sie ihn an. Sein Blick war voller Abneigung und Kälte, ihr gegenüber.
„Kommt nie wieder vor“, murmelte sie und drehte sich abrupt um. Sie wollte wieder vor die Kamera zurück.
Dorthin, wo sein finsterer Blick sie nicht mehr erreichen konnte.
„Autsch!“, schrie Caren auf, als Leyla gegen sie stieß und sich der heiße Kaffee über ihrem weißen Hemd ergoss.
Augenblicklich wurde der Stoff durchsichtig und bot perfekte Sicht auf einen schwarzen BH.
Leyla erstarrte.
Sie brachte kein Wort heraus.
Sie starrte nur auf … auf was starrte sie eigentlich? Carens BH war nicht so interessant wie die Tatsache, dass Leylas Gehirn womöglich einem Kurzschluss bekommen hat.
„Leute, wir machen weiter!“, hörte sie Fabian rufen.
Leyla murmelte eine Entschuldigung und drehte sich, trotz der ausbreitenden Schwäre vor den Augen, auf dem Absatz um und eilte vor ihre geliebte Kamera.
Beim abstreifen des Bademantels schaute sie noch einmal zurück. Wäre die Szene, die sie nun zu Gesicht bekam, eine Rolle in einem romantischen Film, so würde sie mit einem „Ooooh“ darauf reagieren. Doch die Tatsache, dass Eduard Caren seinen Ellbogen reichte und beide Arm im Arm in Richtung Badezimmer gingen, zog ihre Brust schmerzlich zusammen.
Fortsetzung folgt ^.^ .....
Tag der Veröffentlichung: 03.09.2010
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