Begriffe vorweg:
Ronas: Im Osten liegende salbeanische Provinz
Benshir: Ronischer Reiter
Shiras: Riesenhafte Raubkatze, Reittier der Ronarit, größer als ein Pferd.Ein Shiras ist in Ronas heilig, in Salbea ein Schädling und Viehdieb
Shurri: Ronische Bezeichnung für einen Salbeaner, bedeutet so viel wie "Feigling"
Kigala: Ronische, selten genutzte Währung, von Salbeanern abfällig "Barbarentaler" genannt. (Eine Kigala, zwei Kigalat)
Shirahal: Ronische Gottheit, sie erscheint in Form einer hellgrauen Shirasa mit dunkelgrauen Streifen (Wie ein Tiger)und strahlend-blauen Augen.
Banjour: Salbeas Hauptstadt, im Norden des Landes, nahe der Küste.
Saikal: Ronische Hauptstadt, ganz im Osten von Ronas.
(Prolog kommt noch, der erklärt mehr die Fehde zwischen Ronas und Salbea)
Kapitel 1: Die Schlacht in Salbea
Unter seinem Körper bewegte sich sein Pferd. Es trug ihn über das taufeuchte Gras, führte ihn durch die Nässe. Ihn und seine Kameraden. Krieger, allesamt in prächtigen Rüstungen und auf Pferden. Vor ihnen lief das Fußvolk, welches den Feind zuerst gegenübertreten musste. Neben ihm ritt sein Vater, daneben sein Bruder. Der Einzige, dem er vertrauen konnte, seine bessere Hälfte. Ein Abbild seiner Selbst. Aber auch eine Kopie seines Vaters...
Leise strich der Wind über das niedrige Gras, strich den Männern über die Köpfe. Dem jungen Krieger zerrte er an seiner schwarzen Mähne. Die Strähnen klebten bereits nass an seiner Rüstung, die ihm wie ein Gefängnis vor kam. Das kalte Metall schnürte ihn ein, hinderte ihn daran, sich zu bewegen, wie er es gewohnt war. Wie eine Kette hielt es ihn an dem Platz, auf dem er stand oder saß. Leise fürchtete er den Fall von seinem Ross, er wusste, er würde nie mehr auf dessen Rücken sitzen. Das dunkelbraune Fell war durchnässt. Ebenso der Reiter, durch dessen Rüstung langsam die Kälte des Herbstes kroch. Kälte, die schon bald alles erstarren lassen würde.
Vor ihm blieb das Fußvolk stehen. Mehrere Reihen tapferer Männer ihres Königreiches, bereit, eine Rebellion aufzuhalten. Die Hügel vor ihnen vermochten es nicht. Blaue Augen fixierten einen Punkt auf dem Hügelkamm. Er hatte eine Bewegung gesehen...
„Vater?“, flüsterte er leise, als fürchtete er, dass der Feind ihn hören könnte. Schweigen antwortete ihm. Eisiges Schweigen.
„Sie sind da.“, vernahm der Krieger die Stimme seines Zwillings.
Nur wenig später bestätigte ein Späher die Ankunft des Feindes. Ein Feind, den der Schwarzhaarige nur aus seinen Büchern kannte, deren Seiten bereits blank gescheuert waren. Beschreibungen ihrer Kampfkunst und ihrer Reittiere standen auf bleichem Papier. Fasziniert hatte er die Nächte damit zugebracht, sie zu studieren, mehr über sie zu lernen. Ihm war ebenfalls ein Buch mit seltsamen Schriftzeichen in die Hände gefallen. Nur zu schnell lernte er sie auswendig, erkannte schon bald die Bedeutung einzelner Wörter. Viel lieber verbrachte er seine Zeit mit ihnen, anstatt mit dem Unterricht seines Lehrers, der ihm mehr Autoritätsperson als sein eigener Vater war. Sein Vater hatte bereits entschieden, wem er die Krone seines Landes vermachte. Für Dimarik hatte das Land Salbea keine Bedeutung, er fühlte sich eher fremd in seiner Heimat.
Die Heimat, die er verteidigen musste, lag hinter ihm, der Feind befand sich hinter dem Hügel vor ihm. Die Gestalt bewegte sich, schien zu wachsen, neue Formen anzunehmen. Zuerst sah er die blonde Mähne des Fremden, dessen nackter Oberkörper nur von einem Umhang verziert wurde. Neben dem Mann tauchten mehrere solcher Gestalten auf, alle besaßen sie ein Reittier. Eiskalt lief es dem Schwarzhaarigen über den Rücken, als er die Tiere als die katzenähnlichen Wesen erkannte, die in seinen Büchern beschrieben wurden. Leises Gelächter der Feinde drang zu ihm durch, aber auch das Zittern seiner Landsleute, seiner Untertarnen, deren Rüstung ein leises Rasseln erzeugte. Zuerst wollte er seine eigene loswerden, doch letztendlich dachte er an den Schutz vor den scharfen Schwertern der Feinde.
Aus dem Augenwinkel beobachtete er seinen Vater, der seine Schwertklinge aus der reichlich verzierten Scheide zog. Die silberne Klinge hob sich dem grauen Himmel entgegen, drohte dem Feind mit dem Tode. Der Kehle seines Vaters entkam der Schlachtruf der Heimat, einer fremden Heimat für den Schwarzhaarigen. Der Rest des Volkes blieb stumm, zu furchteinflößend war der Anblick der Raubtiere, auf denen die Anderen saßen. Angst kroch heimtückisch durch die Reihen der Krieger, ließ sie zu Eis erstarren.
Die Gestalt auf dem Hügelkamm rührte sich, blickte über die Reihen der Salbeaner. Männer, die den Pfeilen zum Opfer fallen würden. Die Klinge des Reiters hob sich ebenfalls empor, auch seiner Kehle entkam der Schlachtruf seines Landes, in den seine Männer einfielen. Tausend Kehlen stimmten den Chor des Krieges an, als die katzenartigen Reittiere lospreschten. Die riesenhaften Tiere überragten ein Pferd um dessen Haupteslänge.
Angst stieg in dem jungen Krieger empor, als er sah, dass mehrere Pferde begannen zu scheuen. Einige Männer des Fußvolkes wichen zurück, wurden von ihren Hintermännern gestoppt. Geräuschvoll zogen die Krieger ihre Schwerter, der Feind kam rasch näher. Angst regierte ihre Körper, doch zur Flucht war es zu spät. Auf den Befehl eines einfachen Mannes setzte sich das Fußvolk in Bewegung, stürmte auf die Raubtiere zu, die ihrerseits die Männer erreichten. Metall schlug auf Metall, Krieger sanken verwundet oder tot zu Boden. Selbst eine Rüstung schützte nicht vor dem Tode, wie der junge Prinz feststellen musste. Bei dem Anblick der von Pfeilen getroffenen Männer wurde ihm ganz anders, zumal die meisten Pfeile ihre eigenen Soldaten verwundet hatten.
Einen Augenblick später trieben die ersten Reiter ihre Pferde an, ließen sie auf die Raubkatzen zu rennen. Panik spiegelte sich in den großen Augen der Pferde, die der Schwarzhaarige erblickte, ihm war, als wollten ihn die Tiere warnen. Gleich den Soldaten seines Reiches trieb er das Pferd an, welches ihn den blutgierigen Klingen der Ronarit entgegen trug. Jene Reiter, die vor seinen Augen mordeten, die Gräser die Farbe wechseln ließen. Friedliches Blassgrün wich dem aggressiven Blutrot des Krieges.
Ein Krieg, der um den jungen Mann herum tobte, ihn verschluckte. Blut fremder Soldaten ergoss sich über seine Rüstung, hinterließ blutige Spuren in seinem Antlitz. Seine blauen Augen glühten dem Feind hasserfüllt entgegen. Entschlossen zog er seine Klinge, ließ sie durch den Körper eines Feindes gleiten. Kein Gedanke wurde an den Feind verschwendet, der stumm von seinem Reittier sank und sogleich von zwei Salbeanern erlöst wurde. Hinter sich konnte er das Brüllen der Raubkatze hören, auf der der Mann vorher saß.
Plötzlich riss sein Hengst die Vorderbeine in die Luft, schlug mit den Hufen nach einem der Feinde vor sich. Doch die Waffen des Hengstes besaßen keinerlei Effekt, gegen das Schwert des Kriegers vor sich hatte das Reittier keine wirksamen Schilde. Das Einzige, was man vom Rücken des Tieres sehen konnte, war die scharfe Klinge des Ronaris, der soeben das Pferd in die blutige Dunkelheit des Ablebens beförderte. Wiehernd sank das Tier zu Boden, drohte damit, seinen Reiter einzuklemmen. Hastig befreite der Krieger sich aus den Steigbügeln und sprang von dem sterbenden Körper des Tieres, der ihm fast der einzige Schutz war. Einzig die schwere Rüstung und seine Klinge blieben ihm, als er dem Feind gegenübertrat. Ein leichtes Grinsen war auf dem Gesicht des Älteren zu sehen. Blondes Haar umrahmte das schmale Gesicht des Kriegers aus dem Osten.
Ein undefinierbares Lautgemisch kam über die Lippen des Kriegers, der sofort zum Angriff überging, sein Schwert auf den Jüngeren niederfahren ließ. Diesem blieb nichts anderes übrig, als entweder auszuweichen oder sein Schwert als Schutz benutzen. Mehrfach ließen Beide ihre Klingen sprechen, doch das war nicht der einzige stumme Dialog zwischen den Kriegern. Furchtsam blickte der Schwarzhaarige den Anderen an, in dessen Gesicht sich ein Ausdruck schlich, der dem Wahnsinn glich. Wie ein Wahnsinniger kämpft er, schoss es dem Schwarzhaarigen durch den Kopf. Einzig das Geräusch ihrer Klingen unterbrach die Stille, riss ihn stets aus seinen Gedanken.
Geschickt wich der Blondschopf aus, sein hellbraunes Gewand entschwand der schnellen Klinge des Königssohnes. Deutlich fühlte er die Kraft des Feindes, dessen Klinge hart gegen seine Rüstung schlug. Angst kroch aus seinem Innersten, lähmte ihn für eine Sekunde. Die Sekunde, in der er feststellte, dass seine Rüstung nicht mehr so fest anlag, wie er es gewohnt war. Genügend Zeit für seinen Feind, erneut zuzuschlagen. Dem harten Schlag gegen seine Schulter konnte er nicht mehr ausweichen. Erneut blutete einer der Riemen, die seinen einzigen Schutz an seinem Platz hielten. Erst jetzt erkannte er, dass dieser Blondschopf mit ihm spielte!
Höhnische Phrasen einer fremden Sprache drangen an sein Ohr, als er erneut ausholte, aber den Blonden verfehlte. Spielerisch, ihren Reittieren gleich entwand er sich dem Radius der Klinge. Um sie herum tobte noch immer die Schlacht, in der mehr und mehr Salbeaner fielen. Angst zwang ihn zum Kämpfen. Ein leiser Gedanke galt seinem Bruder, seinem Spiegelbild. Doch der Rest seiner Gedankenwelt galt diesem Feind, der es darauf anlegte, seinen Gegner müde zu spielen. Hass auf diesen blanken Hohn verlieh ihm genügend Kraft, um seine Klinge erneut dem Fremden entgegen zu schleudern. Ein leicht überraschter Ausdruck erschien auf den Zügen des Älteren, als der Jüngere sich nahezu todesmutig auf seinen Gegner stürzte. Mit Genugtuung blickte er auf den langen Schlitz, der der Linie der letzten Rippe folgte. Blut rann über die leicht gebräunte Haut, schickte rote Flüsse über die Muskeln. Mit einem weiteren Angriff war das Leben des Kriegers verwirkt.
Der schöne Umhang nahm die Farbe des Herzens an, schien seine Landsfarben zu vergessen. Vergessen die wogenden Wellen aus sandfarbenen Gräsern und klaren, tiefblauen Flüssen und Seen. Ein Steppenkrieger, der da vor ihm lag. Erst jetzt wurde dem jungen Prinzen klar, dass es der Reiter war, der den Schlachtruf angestimmt hatte. Sein Schwert senkte sich, schweigend betrachtete er den schlanken Körper des Mannes unter ihm, der sich die tödliche Wunde hielt, aber keinen Laut des Schmerzes ausstieß. Einzig die in Todesqual verzogene Fratze erzählte von den unsäglichen Qualen, die der Mann erlitt.
„Erlös ihn, Dimarik!“, vernahm er die Stimme seines Bruders, der noch auf seinem Pferd saß. Kurz wandte er sich um, suchte nach seiner besseren Hälfte, doch kaum hatte er die nasse Mähne seines Zwillings ausgemacht, verschwand der kräftige Körper hinter einem der seltsamen Reitwesen. Sandfarbenes Fell versperrte ihm die Sicht. Nur einen Augenblick später riss ihn eine ungeheure Macht zu Boden, warf ihn auf den blutigen Leib des Mannes, den er eben noch bekämpfte. Keuchend erholte er sich von der Attacke, rollte sich augenblicklich zur Seite. Wieder stellte er fest, dass seine Rüstung lockerer wurde. Der 3. Riemen, der sich gelöst hatte. Hastig sprang Dimarik auf, krallte sich am Griff seines Schwertes fest. Panisch sah er sich um, suchte nach seinem Feind. Erneut hörte er ein Schwert gegen seine Rüstung schlagen, erneut spürte er den heftigen Schlag gegen seine Schulter – dieses Mal die andere Seite. Der letzte Riemen, der seine Rüstung an seinem Körper hielt. Gleich einer Muschel klappte der schwere Metallpanzer auseinander, sank zu Boden. Noch im selben Augenblick fuhr der Schutzlose herum, ließ seine Klinge für sich sprechen. Die Empörung über den Raub seines letzten Schutzes, den Hass gegenüber dem Feind, die nackte Panik, nun als wehrloses Beutetier weiterkämpfen zu müssen. All das drückte seine Klinge für ihn aus, seine letzte Waffe. Seine Klinge, deren Blutdurst erneut gestillt wurde, seine einzige Begleiterin. Doch auch sie würde ihn im Stich lassen, wenn er jetzt einem Feind zum Opfer fiel.
Feinde gab es jetzt noch mehr, jetzt musste er ebenfalls darauf aufpassen, dass seine Landsmänner ihn nicht versehentlich für einen der Feinde hielten. Im Gegensatz zu ihnen hatte er sich gegen ein Kettenhemd oder einen Helm entschieden, denn die Helme hatten sein Sichtfeld so eingeschränkt, dass er so gut wie gar nichts sah. Das Kettenhemd zusammen mit der Rüstung zu tragen hätte ihn zu sehr behindert, beinahe wäre er zusammengesackt, als sein Lehrer ihn dazu zwang, die komplette Rüstung zu tragen.
Doch die flüchtige Erinnerung daran verblasste rasch, als die seltsamen Reitwesen an ihm vorbei schossen. Kurz wunderte er sich über die Schnelligkeit dieser riesenhaften Katzen, die mit wenigen Sprüngen mehrere Meter zurücklegten. Sie trugen ihre Reiter auf ein einziges Ziel zu – seinen Vater! Dimarik hatte keine Zeit, um sich nach diesem umzublicken, er wusste um den Schutz seines Vaters, die prächtige Rüstung, das schöne Pferd und die vielen Leibwächter. Die Schlachtrufe der einzelnen Krieger rissen ihn aus seinen Gedanken, die Klingen zwangen ihn zu einer Reaktion. Unablässig fuhren sie auf ihn nieder, er musste blitzartig Entscheidungen treffen, entweder ausweichen oder seine Klinge als Schild benutzen. Der einzige Schild, den er besaß. Zumindest kämpfte er nun ebenbürtig mit den Kriegern, auch sie trugen keine Rüstung. Ihr Schutz waren ihre Schnelligkeit und ihre Schwerter, bei den Meisten waren es zusätzlich die Reittiere, deren scharfe Krallen sich hin und wieder an den Salbeanern rächten. Wofür, das wusste der junge Krieger nicht. Er dachte nur daran, den Feinden als unbesiegbarer Gegner gegenüberzutreten. Todesmutig ließ er seine Klinge mit der seines Feindes kreuzen, bevor er den Nächsten eine bleibende Erinnerung an diese Schlacht vermachte.
Dem nächsten Reittier wollte er schon seine Klinge in eines der Beine jagen, doch das Wesen sprang über seine Klinge hinweg. Der Reiter ließ das Tier herum fahren, so dass der junge Krieger dem schneeweißen Wesen im Weg stand. Angst lähmte ihn für einen Moment. Der rothaarige Reiter stieß einige Worte seiner seltsam anmutenden Sprache aus, sie klangen ganz anders als die Schlachtrufe, welche die Salbeaner verhöhnten. Hastig sprang Dimarik zur Seite, als die riesenhafte Raubkatze auf ihn zu hetzte. Kurz schlossen sich seine Augen, hießen ihn in der Dunkelheit willkommen. Klirrend stießen die silbergrauen Klingen der beiden Kontrahenten aufeinander, als sich klares Wasser auf alle ergoss. Es prallte auf Dimariks nackten Oberkörper, wusch den Dreck von der Haut. Allerdings verwandelte der Platzregen den Untergrund in einen schlammigen Morast.
Dimarik blickte seinen Feind an, der grinsend vor ihm stand, seine Klinge erneut auf den schutzlosen Gegner zurasen ließ. Erschrocken schickte der Schlankere seine eigene Waffe der des Feindes entgegen. Dem Klingengesang um sich herum hörte er schon nicht mehr zu, einzig das Schlagen seines Herzens versicherte ihm, dass er am Leben war.
„Mutig für einen Shurri!“
Der Feind war seiner Sprache mächtig? Kurz hielt Dimarik inne. Beinahe hätte er die Worte nicht verstanden, der Rotschopf sprach mit einem schweren Dialekt. Verwundert und mit halb gesenkter Klinge blickte er den Fremden an. Nur eine Sekunde später registrierte er, dass sein Kontrahent auf ihn zu gesprungen war, im Begriff war, ihm den Todesstoß zu verpassen. Hastig sprang er aus der Reichweite des tödlichen Metalls, welches nur knapp an ihm vorbei durch die Luft zischte. Unter ihm bewegte sich der Boden, riss ihn in die Tiefe. Erschrocken stellte er fest, dass er auf dem noch warmen Leib eines Feindes gelandet war. Der Blondschopf, dessen Augen bereits leer und blicklos in den fallenden Regen starrten. Geschockt blieb Dimarik hocken, zitterte vor Kälte.
Erst die Klinge des Rotschopfes riss ihn aus seiner Starre. Furchtsam sprang er davon, wich zwei Schritte zurück, ehe er seine Klinge erhob, sich gegen den Feind wappnete. Mit rasendem Puls erwartete er die Attacke. Mit kalter Miene stürzte der Rothaarige auf ihn zu, hatte seine Klinge erhoben. Dimarik umfasste sein Schwert eisern, erwartete den Schlag von oben. Blitzartig fuhr die Klinge des Ronari auf ihn nieder, seine Eigene riss er in die Höhe, um sich gegen die Attacke zu wehren. Doch blitzartig wich der Rothaarige zur Seite aus, beschrieb mit seiner Klinge einen raschen Richtungswechsel, welcher den unerfahrenen Jüngling überraschte. Erschrocken wich er zurück, sah nur die feuerrote, nasse Mähne seines Gegners an sich vorbei wehen. Wütend über diese Finte setzte er seine Klinge in Bewegung, doch sie erreichte nicht seinen Feind, der außerhalb des Klingenradiusses stand.
Erneut verriet der Untergrund den Salbeaner, welcher hilflos auf die Knie sackte. Erst jetzt bemerkte er ein leichtes Ziehen in seinem Unterleib. Als das Ziehen zu einem Brennen wurde, wagte er einen Blick hinab. Schreck weitete seine Augen, als er das Blut sah, welches über seine Beine rann, sich mit dem Regenwasser vermischte. Es entsprang einer Quelle, welche sich linienförmig über seinen Unterbauch zog. Bebend starrte er auf die Wunde, aus der unablässig sein Lebenssaft sickerte.
Selbst der Schlag gegen seine Klinge riss ihn nicht aus seinem Schockzustand. Furchtsam blickte er zu dem Krieger auf, der ihn soeben seiner Klinge beraubte. Klirrend kam das Metall einige Meter entfernt zum Liegen. Dimarik nahm allerdings nur den Krieger wahr, ihm wurde bewusst, dass er bereits in seiner ersten Schlacht besiegt vor dem Feind saß. Schande, schoss es ihm durch den Kopf, Schande für den zweiten Sohn des Königs!
Grob packte der Krieger seinen Arm, riss ihn auf die Beine. Kurz darauf pfiff der Mann und stieß einen seltsam klingenden Ruf aus. Dass er sein Schwert weggesteckt hatte, bemerkte Dimarik nicht. Er presste die Arme gegen seine Wunde, die wie Feuer brannte. Erledigt wollte er zusammensacken, doch der Rothaarige schlang einen Arm um Dimariks Brust. Mit den Füßen bedeutete er dem Jüngeren, die Beine weiter auseinander zu nehmen. Völlig wehrlos ließ Dimarik dies zu, fragte nicht einmal nach dem Warum. Sein Kopf war wie leer gefegt. Kein Gedanke kreiste um die Tatsache, dass der Krieger ihn nicht hier auf dem Schlachtfeld tötete.
Stechender Schmerz riss ihn wieder zurück in die Wirklichkeit, als er gegen den Älteren sackte. Schmutzig-weißes Fell sah er vor sich, zweifelsohne das Reittier des Feindes hinter ihm. Ein muskulöser Arm schlang sich um seinen Unterbauch, drückte die Arme des Jüngeren stärker gegen die Wunde. Aufstöhnend krümmte er sich, drohte von dem Rücken des Raubtieres zu fallen. In seinem Delirium blickte er in die wabernde Tiefe, die sich unter ihm befand. Erneut riss etwas an seinem Körper. Hart wurde er an den Oberkörper des Mannes gezogen, der ihn jetzt eisern festhielt. Vor Schmerz stöhnte er auf, verzog das Gesicht.
Hinter sich hörte er Jemanden seinen Namen rufen. Langsam sickerte die Stimme in seinen Verstand, der die Stimme als die seines Bruders interpretierte. „Kato...“, kroch es schwach aus seiner trockenen Kehle. Keuchend lauschte er auf eine Antwort. Unablässig rief die Stimme nach ihm, doch sie verschwand zunehmend im Dunkel, welches sein Blickfeld gefangen nahm.
„Kato!“
Seine gesamte restliche Energie legte er in den Namen seines Bruders, der ihn aus den Fängen des Feindes befreien würde. Mit der Antwort seines Zwillings versuchte Dimarik sich zu befreien, doch er krümmte sich erneut, als der Rothaarige seinen Griff verfestigte und somit auf die Wunde drückte. In einem stummen Schrei bäumte er sich auf, als der Feind ihn erneut grob zurück riss.
„Still halten, Shurri.“, flüsterte der Fremde. Dimarik fiel es schwer, die Worte zu verstehen, der Dialekt verwischte den Klang seiner Sprache. Oder war es bloß die sich ausbreitende Dunkelheit, die ihn zunehmend schluckte? Katos Stimme wurde zunehmend leiser...
„Lass los, du Barbar!“, knurrte der Schwarzhaarige mit verzogenem Gesicht. Darauf reagierte der Ronari scheinbar nicht. Er ließ sein Reittier nur weiter auf das Grenzgebiet zu laufen. Keuchend versuchte der Jüngling, hastige Bewegungen zu vermeiden. Doch bei der Weise, wie das Tier sich unter ihm bewegte, war das fast unmöglich. Dankbar ließ er sich in die warme, weiche Dunkelheit gleiten, die ihn gnädig aufnahm und seinen Schmerz auslöschte.
Langsam drang wieder etwas zu ihm durch. Geräusche, die ihn aus dem sanften Dunkel rissen, ihn zurück in die Realität holten. Zögerlich öffnete er seine Augen, blickte sich vorsichtig um. Ein leises Stöhnen entkam seiner Kehle. Vage erinnerte er sich an eine Schlacht, an das, was er durchgemacht hatte. Siedend heiß fiel ihm die Wunde ein, die die Klinge des Feindes riss. Zaghaft hob er eine Hand, legte sie an seinen Unterbauch, dort wo die Wunde noch immer dumpf schmerzte.
„Zilet!“, zischte eine Stimme, eine Hand griff grob nach seiner, riss sie brutal von der Wunde. Gequält stöhnte der Schwarzhaarige auf, verzog das Gesicht, als der Schmerz seiner Wunde sich grausam zurückmeldete. Keuchend erholte er sich, hob jedoch die andere Hand, um sich damit die Verletzung zu halten, welche offenbar noch unversorgt war. Allzu viel Zeit konnte demnach nicht vergangen sein.
„Nicht.“ Dieses Mal war die Stimme sanfter, ebenso der Griff. „Nicht an die Wunde.“
Dimarik spürte, wie der Fremde seine Hände zu Boden drückte. Ihm fiel erneut der Akzent auf. Allerdings konnte er jetzt die Stimme zuordnen. Sie gehörte dem Ronari, der ihn verwundet hatte. Erledigt schloss er die Augen. Im Lager des Feindes lag er also. Kato hatte es also nicht geschafft, ihn zu befreien. Aber dafür hatte der Fremde ihn befreit – Die Reste seiner Rüstung waren fort! Dimarik schluckte, versuchte ruhig zu bleiben. Er musste hier weg! Erneut blickte er sich um. Er lag in einem Zelt, um ihn herum lagen ebenfalls Krieger. Ein Feuer in der Mitte spendete Licht.
Aufstöhnend zuckte er zusammen, als er fremde Finger an seiner Wunde spürte. Sofort riss er seine Hände hoch, wollte die Finger wegschlagen. Fast sofort wurden seine Hände gepackt und neben seinem Kopf zu Boden gedrückt. Über sich sah er das Gesicht des Ronari, der ihn verwundet hatte. Panisch versuchte er sich zu befreien, doch das blieb zwecklos. Der Rotschopf war stärker.
„Ruhig, Shurri.“, brummte der Barbar über ihm. Augenblicklich erstarb seine Gegenwehr. Hektisch atmend blickte er zu dem Älteren empor. Doch dieser bedeutete ihm, zur Seite zu sehen. Dort saß ein Krieger, ein weiterer hielt ihn gut fest. Ein dritter Krieger hob gerade eine Flasche mit einer durchsichtigen Flüssigkeit an. Das klare Nass ergoss sich nur kurze Zeit später über die Wunde, was der Verwundete schreiend zuließ. Der Aufschrei wurde vom Oberkörper des Kriegers erstickt, welcher seinen schraubstockartigen Griff verfestigte, damit der Verwundete nicht entkam.
Dimarik schluckte schwer, ein Zittern durchlief seinen Körper. Leise versuchte er sich einzureden, dass dies alles ein Alptraum war. Doch mehrere Hände, die seine Beine und seinen Oberkörper zu Boden drückten, belehrten ihn eines besseren.
„Nein... Nein.“ Flehend blickte er zu dem Rotschopf auf. Erneut ertasteten Finger seine Wunde, was den jungen Mann zum Aufstöhnen brachte. Unruhig versuchte er den Fingern zu entgehen. Panik eroberte ihn mehr und mehr. Der Geruch von Alkohol stieg ihm in die Nase. Erst jetzt begriff er, was sich in der Flasche befand. Wie erstarrt blieb er liegen. Die Finger an seiner Wunde verschwanden.
„Zilet!!!“, entfloh es seiner Kehle. Der Schwarzhaarige hoffte, dass diese Barbaren das richtig verstehen würden, es war schließlich ihre Sprache. Betend, dass das Wort soetwas ähnliches wie „nicht“ hieß, blickte er zu seinem Entführer auf, um sich danach panisch einen neuen Fixpunkt zu suchen. Auf den Alkohol in seiner Wunde konnte er verzichten! Hektisch versuchte er sich zu befreien, wand sich unruhig unter den Händen der Feinde. Doch diese hatten anscheinend keine Mühe, ihn unten zu halten. Sie setzten ihr gesamtes Gewicht ein, so dass der Gefangene keine Chance hatte, sich zu bewegen. Selbst, als er sich verausgabt hatte, wichen diese schmutzigen Barbaren nicht.
Erneut sprach der Rotschopf ihn an, aber dieses Mal verstand er die Laute nicht. Angst lähmte ihn, verzerrte die Zeit. Jemand ganz in seiner Nähe sprach in der selben seltsamen Sprache. Eine weibliche Stimme. Kurz darauf hörte er, wie geräuschvoll eine Flasche geöffnet wurde. Höhnisch drang das Geräusch in seinen Verstand, als ob die Flasche mit sadistischer Absicht geöffnet wurde. Dass er zitterte, bemerkte er schon nicht mehr. Nur, dass der Rotschopf seine freie Hand nahm. Auf der Anderen hatte er sein Knie liegen.
Eisig-kalte Flüssigkeit berührte seine Haut, rann glühend heiß in seine Wunde. Wie wild versuchte er der Hitze zu entgehen, doch die Krieger hielten ihn weiterhin am Boden, ließen ihn nicht entkommen. Tränen stiegen ihm in die Augen, doch auch das bemerkte er nicht. Der glühende Schmerz in seinem Unterleib raubte ihm die Sinne, trieb ihn fast in den Wahnsinn. Verlockend griff die Schwärze der Ohnmacht nach ihm, entzog sich ihm jedoch, als wolle sie mit ihm spielen oder ihn verspotten.
Etliche Minuten verstrichen, ihm kamen sie allerdings wie Jahre vor. Keuchend und völlig wehrlos lag er unter diesen Kriegern, die ihm jetzt etwas Freiraum gaben. Schwach spürte er, wie etwas in seine Haut stach und daran zog. Etwas hielt die Wunde zusammen, doch davon spürte er nicht mehr viel. Erneut breitete sich wohltuende Dunkelheit um ihn aus, gewährte ihm diese späte Gnade.
Gespräche, Laute aus dem Lager des Feindes drangen zu ihm, weckten ihn langsam aber sicher. Die Krieger schienen keine Rücksicht auf die Verletzten zu nehmen, was die Geräuschkulisse verriet. Dennoch waren die meisten Laute seltsam gedämpft. Nur leider nicht der pochende Schmerz seiner Wunde, die von einem Verband geschützt wurde. Dennoch war dieser Schmerz halbwegs zu ertragen, wenn er sich nicht übermäßig rührte. So beschloss er, erst einmal ruhig liegen zu bleiben, vielleicht ergab sich ja irgendwann die Möglichkeit zur Flucht. Dennoch weckte sein momentaner Aufenthaltsort sein Interesse.
Über sich sah er weiße Zeltplanen und hölzerne Stangen, die das transportable Lager aufrecht hielten. Neugierig sah er sich in der kleinen Lagerstätte um. Viel zu sehen gab es nicht, außer vielleicht die zwei „Betten“ aus Fell, ein kleiner Haufen Kleidung, welche nicht von Blutflecken, Schlamm oder anderen Flüssigkeiten verschmutzt war. Stillschweigend stellte der Schwarzhaarige fest, dass es sich bei der Kleidung um Leder und Fell handelte. Daneben standen zwei seltsam anmutende lederne Socken, welche eine Sohle aus Pferdehufen besaßen. Die Außenseite dieser vermutlich als Schuhe dienlichen Kleidung war von unzähligen, kleinen Mustern in unterschiedlichen Farben verziert, dazwischen hingen Knochensplitter, kunstvoll zu Motiven geschnitzt, die Dimarik noch nie vorher zu Gesicht bekam. Eine helle Tasche, ebenfalls aus Leder gefertigt, besaß ebensolchen Schmuck, noch dazu erkannte er einige Schriftzeichen. Ronische Schrift, wie er sie in einigen Lehrbüchern fand. Allerdings war er nie hinter den Sinn dieser Symbole gestiegen, welche eher an die gerade Kante einer Klinge erinnerten, welche mit kleinen, runden Ornamenten verziert war.
Plötzlich drang kühle Luft ins Zelt. Der Stofflappen, der den Eingang verschlossen hielt, lag jetzt auf dem Zelt, welches an einen Quader mit dem Querschnitt eines Dreiecks erinnerte. Statt einer Lage schmutzig-weißen Stoffs starrte er auf die muskulösen Beine seines Entführers. Gnädigerweise verhüllte eine Lage Stoff das Geschlecht des Älteren. Beschämt sah der Schwarzhaarige zur Seite, also auf die zweite Schlafstätte. Geräuschvoll zog sich der Rothaarige um, ohne sich irgendeiner Scham bewusst zu sein. Langsam verloren sich die Geräusche des Leders in dem Lager.
Erneut rissen Geräusche seinen Blick zum Ausgang des Zeltes. Stimmen, ein paar junge Ronarit, die ihn neugierig musterten. Sie waren alle in etwa in seinem Alter, doch man sah ihnen schon an, dass sie Kampferfahrung besaßen. Ruhig und furchtlos blickte Dimarik ihnen entgegen, drehte sich auf die Seite, damit er seinen Nacken nicht ganz so strapazieren musste. Diese Wilden glichen eher ihren Reittieren als Menschen, so wie sie sich kleideten. Ihre Haut war braun gebrannt, erinnerte ein wenig an dunkles Holz, obwohl sich deren Hautfarbe nicht viel von der eines Salbeaners unterschied. Seelenruhig unterhielten sie sich über ihn, als wäre er irgendeine seltsame Attraktion oder ein seltenes Tier. Schweigend ließ Dimarik es zu, konnte er doch gegen diese Jungspunde nichts ausrichten. Sie waren in der Überzahl, trauten sie aber nicht in das Zelt. Ihre langen, vorwiegend dunklen Mähnen verdeckten ihm den Ausblick auf das Lager. Ruhig stellte der Liegende fest, dass auch auf der nackten Brust dieser Wilden Schriftzeichen prangten. Jeder dieser Krieger trug eine andere Kette ihrer Schriftzeichen, deren Bedeutung sich dem Schwarzhaarigen entzog.
Plötzlich stoben die Jünglinge davon, schienen sich hektisch für ihre Neugier zu entschuldigen. Anscheinend stieß das auf taube Ohren, denn er vernahm die Stimme seines Entführers, der die Jüngeren mit derben Flüchen davonscheuchte. Zumindest klangen die Worte danach, dass der Rothaarige von den jüngeren Reitern nicht sehr angetan war. Doch kaum hatten die Fremden die Flucht ergriffen, waren sie für den muskulösen Krieger nicht mehr von Belang. Er stellte zwei hölzerne Krüge auf den Boden seines Zeltes, bevor er selbst hineinkroch. Dampf stieg von den Krügen auf, welche ebenfalls verziert waren. Der Geruch von Pflanzen erfüllte das Zelt. Seelenruhig ließ der Ältere sich auf seiner Lagerstätte nieder und sah auf den Schwarzhaarigen hinab. „Wieder wach, Shurri?“ Widerwillig musste er diese beleidigende Bezeichnung für sein Volk hinnehmen. „Nach was sieht es denn aus, Barbar?“, fauchte Dimarik angriffslustig. „Verzeih den jungen Benshir, sie sehen zum ersten Mal einen Shurri, der nicht furchtsam davonläuft. Du hast dich uns auf dem Schlachtfeld furchtlos entgegen gestellt, obwohl deine Rüstung dir keinen Schutz mehr bot. Du wirkst mehr wie ein Ronari als wie ein Shurri.“ Der Ältere war die Ruhe selbst, anscheinend hatte er es mit einer ruhigen Person zu tun. Ungewöhnlich, bisher hatte er gedacht, dass alle diese Barbaren wirklich wild, aufbrausend und hitzköpfig waren.
„Setz dich.“, forderte der Krieger ihn auf. Seelenruhig zog er einen der Krüge zu sich und nippte an dem Gebräu. Wohlig brummte der Ronari, schien die Wärme des Kruges zu genießen. Kaum versuchte Dimarik sich aufzurichten, machte ihm seine Wunde einen Strich durch die Rechnung. Mit verzogenem Gesicht ließ er sich wieder auf seinen Rücken sinken, um sich erholen zu können. „Zu weich, ihr Shurrit.“, murmelte der Sitzende mehr zu sich selbst, ehe er den Krug wegstellte und den Liegenden einfach packte und zu sich zog, so dass er vor ihm saß und sich bequem zurücklehnen konnte. Das Fell, welches sich über ihn legte, schützte ihn vor der kühlen Luft. Kurz darauf hatte er den anderen Krug in der Hand. „Trink, Shurri. Das wird dir gut tun.“ Deutlich spürte er die Hand an seinem Unterbauch, die wie ein Damoklesschwert auf seiner Wunde lag. „Davon wirst du weniger spüren, wenn du trinkst.“ Schweigend trank Dimarik den ersten Schluck des Gebräus, welches sofort Wärme durch seinen noch müden Körper schickte.
Texte: Storyline, Setting und Charaktere by Maureen Doß
Bildmaterialien: CassyK (Unter Verwendung mehrerer Motive von http://sophie-y.deviantart.com/ http://mjranum-stock.deviantart.com/)
Tag der Veröffentlichung: 25.08.2012
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