Langsam schwamm ich immer näher.
Sie war so wunderschön. Rotes hüftlanges Haar. Zarter weiblicher Körper. Ein gemeißeltes Gesicht.
Und zwei Beine.
Ich sah an mir herunter. Blaugrüne Schuppen.
Ich seufzte.
Ich beobachtete sie seit drei Jahren. Jeden Tag um die gleiche Zeit. An der gleichen Stelle. Sie sah immer auf das Wasser. Sah sich den Sonnenuntergang an. Das Meer, wie es sanft hin und her schaukelte. Sie saß mit eingezogenen Knien da, die sie mit ihren schmächtigen Armen umfing. Ihr Kinn stützte sie auf die Knie auf und dann saß sie für Stunden einfach nur ruhig da und beobachtete.
Hin und wieder weinte sie. Ihre Schultern zuckten und gequälte Laute kamen aus ihrer Kehle. Am liebsten würde ich zu ihr gehen und sie in die Arme nehmen. Sie sollte sich an meiner Brust ausweinen. Ich wollte für sie dar sein. Sie sollte sich nach mir sehnen, wie ich mich nach ihr verzehrte. Es war eine Sucht, die mich jeden Tag antrieb immer wieder denselben Platz aufzusuchen um sie zu beobachteten und sie zu studieren.
Ich wollte sie am liebsten zu mir mitnehmen, damit sie immer bei mir blieb. Immer bei mir blieb, in meinem Reiche unter Wasser. Mit all den Farben und Formen. Und natürlich mit mir.
Aber würde sie mich lieben können, wenn sie wusste, was ich war?
Ich starrte auf das Wasser. Es hatte eine magische Anziehung auf mich. Die Bewegungen des Wassers. Die türkise Farbe. Alles an dem Meer zog mich an. Ich sah mir nie den Sonnenuntergang an, denn dieser interessierte mich nicht wirklich. Mich interessierte nur das Meer.
Es war als würde etwas mich rufen. Immer wieder hörte ich den Ruf und ihre Stimmen. Egal ob ich mich mit Musik zu dröhnte oder ich gar nichts tat. Der Ruf, er war immer da.
Heute war wieder einer dieser Tage. Der Ruf verfolgte mich seit ich aufgewacht war.
Es war wie ein Zwang. Nach der Schule war ich zum Meer gelaufen.
Ich konnte diesem Ruf nie wieder stehen. Nie, denn wenn ich mich weigerte, hörte ich ihn immer wieder, bis ich nachgab und hier her kam. Zu meinem Platz. Ein Platz, wo keine anderen Leute waren, denn das Meer war an dieser Stelle besonders gefährlich, auch wenn die ruhige Oberfläche einen anderen Anschein erweckte.
Der Ruf war an manchen Tagen wie eine persönliche Folter. Ich wusste nicht, wer mich rief, ob mich überhaupt wer rief. Oder es einfach nur eine Einbildung meinerseits war. Doch dieser Ruf berührte eine Seite in mir. Eine Seite, die nur frei war, wenn ich beim Meer war. Doch nicht immer konnte ich schwimmen gehen, dann schmerzte mich der Ruf so sehr, dass ich hilflos zu weinen anfing, wobei sich mein ganzer Körper schüttelte.
Und immer öfter hatte ich den selben Traum. Ein Traum, der mir eine Familie versprach. Eine Familie mit Flossen. Mein "Traum"-Mann war groß, hatte blaue Augen, braunes Haar und einen blaugrünen Fischschwanz. Ich wusste nicht, was ich von diesem Traum halten sollte, doch er machte mich immer glücklich. Doch das Aufwachen war schmerzhaft, wenn ich wieder realisierte, dass alles nur ein Traum war.
Den Rucksack schmiss ich in den Sand. Wer brauchte Bücher, wenn es das Meer gab? Ich brauchte nur das Meer. Ich liebte es hier zu sitzen und einfach nur das Meer zu beobachten. Dann wünschte ich mir ich könnte eine Meerjungfrau sein und allem entfliehen. Ich würde keine Sorgen mehr haben. Ich würde einfach nur schwimmen. Das Meer gab mir Kraft und war somit meine persönliche Kraftquelle. Das Rauschen des Meeres, vertrieb den Ruf und vertrieb meine Gedanken. Der salzig feuchte Wind trocknete mit meine Haut aus, doch er gab mir das Gefühl zu leben. Ich liebte das Meer einfach!
Das Meer lag heute ruhig vor mir und die Wellen gingen sanft auf und ab. Es war ein ewiges ab und auf schaukeln. Jeden Tag im Jahr gab es Wellen. Jeden Tag auf und ab.
Heute hatte ich Lust zu schwimmen, denn dank des Rufes konnte ich an nichts anders mehr denken, als an das Meer. Während der Schule konnte ich mich nicht konzentrieren, was mir mehrere Minuspunkte einbrachte, doch das einzige, was ich an diesem Tag wollte, war das Meer. Mein Meer.
Der Bikini, den ich unter der Kleidung trug, zwickte mich heute schon den ganzen Tag, aber so brauchte ich mich nur mehr auszuziehen und ins Wasser zu laufen. Achtlos schmiss ich die Jeans, den Sweater und die Schuhe inklusive der Socken in den weißen Strand und fing zu laufen an.
Schnell lief ich in das Wasser. Ein Schock durchzuckte mich als ich mit dem kalten Wasser in Berührung kam. Doch ich lief ohne auf Verluste zu achten weiter. Mit einem Kopfsprung tauchte ich unter. Unter in eine wunderbare Welt.
Prustend kam ich wieder an die Oberfläche und schnappe nach Luft. Zeitweise vergaß ich, dass ich keine Kiemen hatte und somit nicht unter Wasser leben konnte.
Ich fing an zu schwimmen. Immer wieder einen Zug nach dem anderen. Immer gleichmäßig. Ich entfernte mich weiter vom Ufer. Bald konnte ich nicht mehr den Strand sehen, doch dies bereitete mir keine Sorgen, denn ich wusste, ich hatte genügend Kraft, um wieder zurück zu kehren. Ich liebte es zu schwimmen. Seit ich schwimmen konnte, ging ich immer wieder zum Meer. Erst als ich das erste Mal mit dem salzigen Meerwasser in Berührung kam, begann der Ruf zu existieren. Mein Vater brachte mir das Schwimmen bei indem er mich einfach in das Wasser schmiss und mich anfeuerte ich sollte doch meine Füße und Arme bewegen, denn dann konnte man schwimmen.
Nach drei bis vier Versuchen konnte ich tatsächlich meinen Kopf über Wasser halten. Mein Vater spendierte mir zu Feier des Tages ein Eis mit Streuseln. Ich strahlte wie ein Honigkuchenpferd.
Ich verbesserte mich immer mehr. Bald war es mein normaler Alltag nach der Schule schwimmen zu gehen. Denn einerseits wollte ich es, doch auf der anderen Seite gab es den Ruf, der mich zum Wasser zog.
Sobald ich in die Highschool kam, meldete ich mich für das Mädchenschwimmteam. Ein größeres Glück konnte mir nicht passieren. Ich würde während der Schule schwimmen gehen können. Doch aller Anfang war schwer. Als Neuling wurde ich natürlich belächelt. Der Coach, ein Mann, der seine besten Tage schon hinter sich hatte und sich nur für die knackigen nassen Körper der Mädchen interessierte, lies die Neulinge gegeneinander antreten. Zu dieser Zeit war ich auch noch ein namenloser Neuling. Ich besiegte alle im Wettkampf und unterbot sogar noch am selben Tag die Schwimmbestzeit des weiblichen Schwimmstar. Ich musste gegen Alana, die Schwimmerin schlecht hin, schwimmen und ich gewann um knapp zehn Sekunden. Alle, die schon länger im Team mit schwammen, waren sprachlos als ich als erste aus dem Wasser stieg. Nur Augenblicke später brannten Jubelschreie und Beglückwünschen los.
Ich war der neue Star. Der namenlose Neuling. Ich „durfte“ sogar gegen den männlichen Star der Schule antreten. Ein Junge, mit Ausdauer und Muskeln. Doch dies half ihm alles nicht, denn ich unterbot seinen Rekord ebenfalls. Ich gewann wieder.
Der Neuling war nun ein Star. Ich erschwam für meine Schule immer mehr Preise und war auch bald in den Medien bekannt. Bekannt als die „Nixe“.
Ich konnte mir nicht helfen, denn sobald ich Wasser spürte, war es um mich geschehen. Ich liebte einfach das Gefühl durch das Wasser zu pflügen.
Heute schwamm ich immer weiter weg. Bald sah ich das Ufer nicht mehr. Den Boden spürte ich schon lange nicht mehr.
Doch ich wollte weiter. Immer weiter. Hinaus auf das Meer. Dort, wo der Ruf endlich verstummte.
Sie zog sich aus und sprang resolut in das kalte Wasser. Ihre Schwimmbewegungen waren kraftvoll und doch graziös. Sie schwamm als hätte sie nie etwas anderes getan als zu schwimmen, wie eine Nixe. Gleichmäßig glitt sie durch das Wasser und teilte mit ihren kleinen Händen das Wasser.
Ich sank weiter zum Boden, damit sie mich nicht sah. Sie würde höchstens etwas Blaugrünes am Grund sehen. Ihr schlanker Körper glitt über meinen Kopf hinweg. Ich schwamm ihr hinterher. Ich konnte nicht wiederstehen und musterte ihren schwimmenden und spärlich bekleideten Körper. Ich sah ihr immer zu, wenn sie schwamm. Ich konnte gar nicht anders. Sie war in meinen Augen einfach perfekt.
Perfekt und Wunderschön.
Ich schwamm seit einer viertel Stunde im Wasser, oder länger, ich wusste es nie, ich brauchte dies auch nie zu wissen, denn ich konnte mir meine Kräfte einteilen. Ich merkte wie sich der Himmel langsam verdunkelte und die Meereswellen immer höher und stärker wurden.
Zuerst dachte ich mir nichts und schwamm einfach. Ich dachte mir nichts dabei. Denn es konnte sein, dass der Himmel wieder strahlend blau wurde und alles wie vorher war. Das Meer war unberechenbar, sowie das Wetter.
Doch plötzlich erhellten Blitze den Himmel. Sie zerrissen den nun fast schwarzen Himmel. Große Wellen drückten mich unter die Wasseroberfläche.
Ich ruderte hilflos und versuchte meinen Kopf über Wasser zu halten. Es war als würden mich die Wellen mit Absicht unter Wasser ziehen wollen. Doch ich wollte leben, also ruderte ich immer mehr, damit ich mich über Wasser halten konnte.
Doch schon die nächste Welle zog mich zum Meeresgrund. Ich wollte nicht aufgeben, also versuchte ich es immer wieder Luft an der Oberfläche schnappen zu können, doch ich hatte nicht die geringste Chance gegen eine Naturgewalt, wie diese.
Stetig aber doch kam ich dem sandigen Meeresgrund immer näher.
Immer noch ruderte ich mit meinen Armen. Mir ging langsam aber doch die Luft aus und somit auch die Kraft. Ich konnte nicht mehr und wenn ich es mir überlegte, wollte ich auch nicht mehr, denn ich fühlte mich, als wäre ich Zuhause angekommen. Und so ergab ich mich den Wellen. Zögerlich öffnete ich den Mund. Das Wasser drang in meine Lunge ein. Immer wieder schluckte ich mehr Wasser. Es schmerzte. Es brannte. Ich hustete doch es half nichts, denn somit drang immer mehr Wasser in meine Lunge vor.
Langsam versank ich im Meeresboden. Schwach streckte ich meine Hand Richtung Oberfläche. So weit entfernt und doch so nah.
Ich schloss die Augen und stieß den letzten Rest Luft aus. Ich berührte den Meeresboden. Sand wirbelte um mich herum. Fische flohen. Seegras umschlang mich sanft
Mein Leben verschwand aus mir. Mit jeder Sekunde unter Wasser.
Erschrocken starrte ich ihre zarte Gestalt an. Sie sank wie ein lebloses Blatt auf den Meeresboden. Sie ruderte immer wieder mit den Armen und schlug mit den Beinen um wieder an die Oberfläche zu kommen, doch es half nichts. Denn was einmal das Meer gefangen hatte, dies gab es nicht mehr frei.
Mit einer letzten Geste streckte sie den Arm in Richtung Oberfläche. Aus ihrer Nase und aus ihrem Mund kamen noch einige Luftblasen. Ihr rotes Haar schwebte um ihr Gesicht.
Ihre wunderschönen Augen schlossen sich langsam.
Ihre Haare bewegten sich nun sanft im Takt der See, wie auch ihr noch immer ausgestreckter Arm.
Wie tot lag sie da auf dem Meeresgrund. Sand wirbelte um ihre zierliche Gestalt herum und Seegras verfing sich in ihrer roten Mähne.
Vielleicht war sie ja tatsächlich tot. Nein, sie durfte nicht tot sein, denn sie gehörte zu mir. Ich spürte es. Spürte, dass diese Mädchen meine Bestimmung war.
Mit schnellen und kräftigen Flossenschlägen schwamm ich zu ihr.
Sie hatte ihre wunderschönen Augen geschlossen. Sie sah wie eine Eisskulptur aus. Ihre sonst leicht rosige Haut hatte nun die Farbe von Eis. Durchscheinend und weiß. Man sah die blauen Äderchen, die sich immer wieder verzweigten.
Behutsam nahm ich sie auf meine Armen und drückte sie vorsichtig an mich. Sofort schwamm ich los. Sie hing wie eine schlaffe Puppe in meinen Armen. Ihr rotes Haar umströmte meine rechte Seite. Ich musste ihren Kopf stützen, denn sonst wäre er immer wieder nach hinten gekippt.
Immer weiter entfernte ich mich von der Unglücksstelle. Schneller und immer schneller. Hin und wieder konnte ich einen schwachen Herzschlag hören. Wieso ihr Herz noch schlug, konnte ich mir nicht erklären, aber dieses kleine unregelmäßige Pumpen gab mir die Hoffnung, dass sie vielleicht eine der wenigen Auserwählten war, die ein Leben unter Wasser führen konnten. Die Auserwählten waren teilweise die Partner meines Volkes.
Ich hoffte, dass sie eine Auserwählte war und zwar die, die für mich bestimmt war.
Viele Meeresbewohner kamen mir entgegen. Sie sahen sich das Mädchen in meinen Armen an. Doch wenn sie mit mir reden wollte, ignorierte ich sie, denn ich musste meine kleine Schwimmerin an den Platz bringen, wo die Verwandlung ohne Gefahren vollzogen werden konnte.
Es war nicht mehr weit bis zu diesem Platz. Ich versuchte noch schneller zu schwimmen, denn diese Augenblicke konnten über Leben oder Tod entscheiden. Es waren schon einige Auserwählte gestorben auf dem Weg zu dieser heiligen Stätte.
Endlich ich war da. Der Eingang versteckte sich gut hinter Algen, die saftig grün waren. Schnell schob ich sie beiseite und schwamm in das schwarze Loch geradewegs hinein. Die Wächter, „Heilige Haie“, eine eigene Art, die nur alle Jahrhunderte Nachwuchs hatte, bewachten den Eingang. Sie sahen wie jeder normale Hai aus. Doch ihre Färbung war eine andere. Sie waren weiß und hatten auf ihrer „Stirn“ das Zeichen der Auserwählten. Eine Träne. Diese war bei den „Heiligen Haien“ komplett schwarz. Das waren aber nicht die einzigen Merkmale, die sie von anderen Haien unterscheidete. Ihre Augen waren grün. Grün, wie Algen. Nicht ein blasses Blau, wie bei normalen Haien, sondern ein sonderbares kräftiges Grün. Auch traute sich kein anderer Fisch in die Nähe dieser Haie, somit konnte sich auch kein Fisch in dem Inneren der Hölle verirren.
Zwei von diesen heiligen Wesen eskortierten mich in das Innere der Hölle. Die Wände waren mit der alten Schrift meiner Vorfahren bedeckt. Diese Schrift aber konnte heutzutage keiner mehr lesen, denn irgendwann im Lauf der Zeit hatten wir es einfach verlernt. Grünlich waren die Wände mit Algen verziert, doch von der Schrift hielten sie sich fern.
Ich war noch nie in dieser Höhle gewesen, denn es durften nur welche, die einen Auserwählten bei sich hatten und diesem ein Leben unter Wasser möglich machen wollten. Doch viele meiner Art schafften es nicht und der Mensch starb auf dem Weg hierher.
Doch jedes Kind wusste, wo sich die Höhle befand und man erzählte ihnen auch die Geschichten, die sich hier abgespielt hatten. Es war für jedes Kind ein geheimer Traum einmal in seinem Leben einen Auserwählten in diese Höhle zu bringen, damit man die Höhle sah und auf der anderen Seite wollte man ein Teil der Geschichte der heiligen Stätte werden. Man wurde in Geschichten und Liedern unsterblich, wenn man einem Auserwählten rechtzeitig hierher bringen konnte.
Heute war es anscheinend bei mir soweit. Ich konnte heute Geschichte schreiben, doch im Moment interessierte mich dies wenig, denn ich wollte nur eines, dass sie überlebte und an meiner Seite hier im Meer lebte und wir gemeinsam eine Familie gründeten.
Endlich war ich im Innern der Höhle angelangt. Hier war das Wasser klarer und wärmer. In der Mitte befand sich ein Stein, der von Anemonen bewachsen war. Somit hatte er allerlei verschiedene Farben. Ich wusste nicht, was genau ich tun sollte, doch die Haie wiesen mir den Weg. Sie schwammen zum Stein und drehten sich, dass sie mich ansehen konnten.
Langsam schwamm ich näher und erst jetzt bemerkte ich die Pracht dieses Raumes. Die Wände waren frei von Algen und sonstigen Sachen. In diesen Wänden waren Kristalle eingeschlossen, die das Licht, welches von einem Loch in der Decke kam, streuten und somit den ganzen Raum in strahlendes Licht tauchten. Es gab auch grüne und rote Strahlen, die von Rubinen und Smaragden stammen. Diese anderen Farben gaben dem ganzen Licht auch einen mysteriösen Effekt.
Sanft bettete ich das Mädchen mit den roten Haaren auf die Anemonen, die sich geöffnet hatten und sie erwarteten. Zart berührte ich ihre blasse Wange und schwamm an die Wand, damit ich nicht die Verwandlung störte.
Von allen Seiten strömten nun Fische zu der Mitte, wo mein Mädchen lag. Es waren die sagenumwobenen Geisterfische. Sie waren nur 25 cm groß, weiß, aber ihre Flossen, welche wie Stoff im Wasser aussahen, waren durchsichtig und sie hatten auf der Stirn auch die schwarze Träne. Sie legten sich wie eine Decke um das Mädchen. Bald war sie von Geisterfischen bedeckt. Man sah nicht einmal die rote Mähne. Überall waren diese weißen Fische mit ihren blauen Augen.
Sie fingen an sich zu bewegen. Rauf und runter, aber immer unter den wachsamen Augen der Haie.
Plötzlich wurde das Meer merklich kälter und ich bekam eine Gänsehaut, was völlig untypisch war für mein Volk. Wir bekamen nie eine Gänsehaut, wir bemerkten, wenn das Wasser wärmer oder kälter wurde, doch unserem Körper machte dies nichts aus. Wir konnten eigentlich keine Gänsehaut bekommen, hatte ich mir gedacht, doch anscheinend hatte ich mich getäuscht.
Hier stand ich nun und sah mir eine Verwandlung an, was ein heiliger Brauch für mein Volk war. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Es war einfach anders. Es war etwas Besonderes. Etwas, was ich nie wieder in meinem Leben miterleben würde.
Ehrfürchtig beobachtete ich diese Verwandlung. Die Fische schwammen hin und her und immer wieder über den leblosen Körper. Ich spürte die Bewegung der Fische. Es wurden immer mehr Haie. Sie stellten sich um den Platz herum auf und fingen an in einem Kreis zu schwimmen. Es waren mehrere Haie in einer Reihe und darüber wieder eine Reihe Haie. Jede Reihe schwamm in eine andere Richtung. Es entstanden mehrere Wirbel. Ich stand an der Seite wurde hin und her geschüttelt, doch ich hielt mich an einem Stein fest, der aus der Wand hervor lugte. Meine braunen längeren Haare hingen mir ins Gesicht, doch ich wischte sie mir mit der Hand aus der Stirn, damit ich keinen Augenblick verpasste.
Plötzlich durchbrachen die Geisterfische die Wirbel und verschwanden wieder. Ich bemerkte plötzlich ein Leuchten in der Mitte des Wirbels. Das Leuchten war noch heller als das Licht, das von den Kristallen in der Höhle gebrochen wurde. Langsam stieg das Leuchten immer höher. Ich konnte nicht genau erkennen, was passierte, denn der Wirbel ließ meine Sicht verschwimmen. Doch auf einmal wurde das helle Leuchten noch stärker und dann explodierte das Leuchten.
Die Haie blieben stehen und verschwanden ebenso wie die Geisterfische.
Langsam sank mein Mädchen mit dem feuerroten Haare wieder zurück auf die Anemonen. Man konnte nun die gleichmäßige Atembewegung der Brust wieder erkennen. Sie hatte nun einen Fischschwanz wie ich.
Einen tiefgrünen, der hin und wieder mit einer silbernen Schuppe bestückt war. Wunderschön, ein anderes Wort wollte und konnte mir zu diesem Mädchen nicht einfallen. Es war als wäre sie schon immer für das Leben unter Wasser bestimmt gewesen und auch für das Leben an meiner Seite. Ich hoffte zumindest. Hoffte es mit jeder Faser meines Seins.
Langsam näherte ich mich meiner schlafenden Prinzessin. Ihre Haut war nicht mehr erschreckend blass. Sie war einfach perfekt in meinen Augen. Ihr blauer Bikini war verschwunden, wie ich erst jetzt bemerkte, was mich aber nicht wirklich verwunderte, denn wie hätte sonst die Verwandlung stattfinden sollen.
Ihr grüner Fischschwanz begann oberhalb ihrer Hüftknochen und endete dann in einer großen sehr blassen grünen Flosse, welche mit jeder Bewegung silbrig schimmerte. Ihr rotes Haar, war gleich geblieben, nur es war etwas länger geworden. Es reichte ihr nun bis zu der schmalen Taille. Zum ersten Mal konnte ich mir auch ihren Bauchnabel ansehen, der immer beim Schwimmen geglitzert hatte. Ich hatte mich nie getraut ihr näher zu kommen und diesen glitzernden Bauchnabel zu untersuchen. Ihr Nabel hatte mich regelrecht fasziniert und mich auch in Träumen verfolgt, denn er gab mir Rätsel auf. Wieso glitzerte ihr Bauchnabel und das auch noch in verschiedenen Farben. Nun konnte ich es herausfinden. Ich beugte mich über ihren Bauch um den Nabel näher zu betrachteten. Ich sah zwei verschieden große Kügelchen, die mit einem Stift verbunden waren, der unter ihre Haut ging. Die obere Kugel hatte einen weißen Stein im Inneren während die untere einen grünen Stein beherbergte. Unfähig zu wiederstehen, berührte ich diese komische und mir unbekannte Vorrichtung. Wenn ich die obere Kugel an stupste bewegte sich der Stift nach unten, aber wenn ich die untere Kugel berührte, ging der Stift nach oben. Interessant und faszinierend.
Ich wusste nicht wie viel Zeit ich verschwendete um mit ihren glitzernden Bauchnabel anzusehen, jeden falls als ich ihren Schwanz berührte, zuckte sie zusammen, doch sie entspannte sofort und schmiegte sich in meine Berührung. Unfähig meine Hände bei mir zu lassen, fuhr ich mit der flachen Hand über ihren Fischschwanz. Er fühlte sich genauso an wie meiner, aber irgendwie doch auch anders. Ich konnte es nicht benennen.
Langsam wachte ich auf, doch ich wusste nicht, wo ich mich befand. Ich wusste nicht wie ich hier her kam, ich konnte mich nicht erinnern. Ich erinnerte mich nur mehr, dass ich unterging. Doch ich lebte.
Zögerlich öffnete ich die Augen und sah in ein Gesicht. Ein Gesicht, das ich nicht kannte. Braune Haare und blaue Augen. Blaue Augen, die mich genau musterten. Ich sah nur seinen Kopf und seinen Oberkörper, doch was ich sah gefiel mir. Er hatte Muskeln, die aber nicht zu sehr definiert waren. Auf seinen Schultern und über seinen Brustkorb schlängelte sich ein blaues Tattoo. Desen Spitzen grün waren. Der Junge war einfach schön.
„Willkommen zurück!“, meinte dieser Junge vor mir mit sanfter Stimme, die mir einen Schauer über den Rücken schickte.
„Wo… Wer..?“, flüsterte ich und plötzlich bemerkte ich, dass ich unter Wasser war. Richtig unter Wasser. Ich konnte atmen. Im Wasser! Blitzschnell setzte ich mich auf und stieß somit mit dem Jungen zusammen.
Als ich versuchte aufzustehen, stieg ich auf. Geschockt sah ich auf meine Beine. Meine Beine, die nicht mehr meine Beine waren. Sie waren ein Fischschwanz. Ein grüner Fischschwanz.
„Oh, du heilige Scheiße!“, schrie ich auf. Ich hatte einen Fischschwanz. Ich war eine Nixe. Eine waschechte Nixe. Eine Nixe mit grünem Schwanz. Es war wie ein Wunsch, der endlich in Erfüllung gegangen war. Endlich konnte ich meinen Träumen folgen und unter Wasser leben.
„Bitte, beruhige dich!“
Sie war geschockt als sie ihren Schwanz sah. Richtig geschockt, aber plötzlich fing sie wie wild zu lachen an. Sie lachte und lachte. Sie konnte gar nicht mehr aufhören. Ihr ganzer Körper bebte unter ihrem Lachen. Einem melodischen Lachen.
„Ahm, vielleicht sollte ich dir erklären, was mit dir geschehen ist. Als du unter gegangen warst, hatte ich dich hier her gebracht. Das hier ist eine heilige Höhle meiner Vorfahren. Hier werden die Auserwählten verwandelt. Sie werden zu Meerjungfrauen oder Meermännern. Jeder Auserwählte hat ein Symbol, welches ihn als Auserwählten auszeichnete. Eine schwarze Träne.
Nun ja, viele Auserwählte aber kamen nicht rechtzeitig an und somit sind verwandelte Auserwählte sehr selten.
Oh, ich habe vergessen mich vorzustellen. Mein Name ist Sebastian und ich hatte die Ehre dich zu der Höhle zu bringen.“
Sie hatte mir die ganze Zeit in die Augen gesehen, während ich erzählte. Hin und wieder nickte sie oder runzelte ihre glatte Stirn.
„Oh, ich bin Anna. Hallo. Danke, dass du mich hier her gebracht hast. Es war ein Wunsch von mir eine Nixe zu werden, doch ich dachte nie, dass es Nixen gibt. Doch eine Frage hab‘ ich, Sebastian. Hören alle Auserwählten eine Ruf?“
Ah, der all bekannte Ruf, der schon so manchen Auserwählten verrückt machte.
Ich wollte es ihr nicht erzählen, also nickte ich nur und beobachtete sie weiter. Sie lächelte mich plötzlich an und fing zu weinen an.
Panisch fragte ich, was denn los sei.
Endlich hatte ich ihn gefunden.
Der Junge, der mir immer wieder in meinen Träumen vorkam. Ich träumte immer wie wir eine Familie haben. Eine Familie mit Fischschwänzen.
„Du...“, hauchte ich und küsste ihn einfach. Ich wusste nicht, was in mich gefahren war, aber ich musste ihn einfach küssen.
Sobald sich unsere Lippen berührten, rastete etwas in meinem Inneren ein. Es fühlte sich an, als wäre ich Zuhause angekommen.
„Lion, komm wieder her! Du weißt, dass deine Mutter es hasst, wenn wir zu spät zum Essen kommen. Sie lässt sonst die Algen verbrennen“, schrie ich meinem Sohn zu, der munter herum tobte und mit einer älteren Schildkröten-Dame spielte. Doch wieder einmal wollte Lion, der kleine Teufelsbraten nicht hören, also musste ich ihn einfangen, was uns beiden viel Spaß bereitete.
Mein Sohn, ein kleiner Rotkopf mit blauem Fischschwanz, war wendig wie ein kleiner Jungfisch und nicht leicht zu fangen. Er versteckte sich im Riff, in kleine Höhlen, wo ich leider nicht mehr hin konnte, damit ich ihn nicht finden konnte. Und als ich ihn endlich fangen konnte, lachten wir, da er mir mehrere Male entwischt war. Die Fische, die uns beobachtet hatten, schüttelten den Kopf über so viel Unfug.
Aber nur so lange, bis wir alle die wütende Stimme meiner Frau Anna hörten.
Sofort schwammen wir zu ihr hin, denn kein Mann der Welt und kein Sohn der Welt wollte eine schwangere Frau reizen.
Eine wunderschöne schwangere Frau namens Anna, die Auserwählte.
Texte: alle Rechte liegen bei mir!
Tag der Veröffentlichung: 10.06.2011
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