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Prolog



„… so antworte mit „Ja, ich will!“
„Ja, ich will!“, flüsterte ich mit tränenerstickter Stimme. Tränen liefen mir seit dem Anfang der Trauung über mein Gesicht. Ich war zwar nicht nahe am Wasser gebaut, doch dieser entscheidende Tag in meinem Leben, brach selbst meine Dämme zum Überlaufen.
„Und somit erkläre ich euch zu Mann und Frau. Sie dürfen die Braut nun küssen!“, sagte der kleine etwas untersetzte Pfarrer.
James strahlte. Sofort zog er mich an sich und küsste mich tief und leidenschaftlich. Ich schlang meine Hände um seinen Nacken und zog ihn zu mir nach unten.
Alle Hochzeitsgäste sprangen auf, klatschten oder johlten.
Irgendwann waren um meine Taille auch noch andere Hände, die mich von meinem Mann weg zogen.
„Mum und Dad würden sich so sehr freuen, dass ihr kleines Mädchen nun verheiratet ist“, schrie mir mein Bruder Max ins Ohr und drückte mich einmal fest an sich.
Widerstrebend ließ er mich los und wandte sich meinem Mann James zu.
„Ich hoffe, du weißt, was für ein Geschenk sie ist. Wenn du ihr einmal weh tust oder sie deinetwegen weint, breche ich das Abkommen zwischen uns und breche dir alle beschissenen Knochen in deinem Leib. Haben wir uns verstanden, Vampir?“, zischte meinen Bruder James zu.
„Natürlich, Werwolf. Deine Schwester ist die Liebe meines Daseins. Ich würde sie nie verletzen. Nie“


Hochzeitstag



Ich ging leise die Treppen hinauf in unser gemeinsames Schlafzimmer. Heute war unser 5 Hochzeitstag. Ich wollte meinen Mann James überraschen. Ich hatte mir in einer teuren Boutique wunderschöne Dessous gekauft.
Mein Mann war ein Vampir. Er war 300 Jahre alt und ich 24 Jahre. Wir hatten als ich 19 war geheiratet, denn für mich war er der Mann mit dem ich für immer zusammen sein wollte.
In meiner Welt war es das normalste, wenn man mit einem mystischen Wesen zusammen war. Ich gehörte einem Clan der Werwölfe an. Mein älterer Bruder Max war das Alphatier, er hatte das Rudel von unserem Vater „geerbt“.
Ich selbst war keine Werwölfin. Das Gen ließ immer ein Kind aus. Und in diesem Fall war ich es. Ich hatte keine Probleme damit. Ich war nicht so scharf darauf, dass mir ein Pelz wachsen würde.
Mein Mann würde erst in drei Stunden nach Hause kommen, bis dahin könnte ich alles herrichten. Ich wollte ihn mit den Dessous empfangen und dann ihn in die Badewanne locken, wo wir uns leidenschaftlich lieben sollten.
Ich öffnete die Tür und was ich sah, brach mir das Herz. Mein Mann und eine andere Frau in unserem Ehebett.
Seine Lippen lagen auf ihrem Hals. Ich sah die Bewegungen seines Kehlkopfs. Er trank von ihr während sie mit einander schliefen. James konnte nicht von mir trinken, weil ich ein Bluter war und nicht einmal der Vampirspeichel schnell genug die Wunde schließen konnte. Deshalb ernährte er sich von anderen. Ich wusste, dass das Trinken lustvoll war, aber dass mein Mann mich mit einen der Opfer betrügen würde, hätte ich nie in meinem Leben gedacht.
Ich stand wie erstarrt in der Tür. Mir liefen die Tränen über meine Wangen. Durch mein leises Schluchzen blickten beide auf.
„Schatz, es ist nicht so wie es aussieht.“
Ich drehte mich um und lief los.
„Mary, warte. Mary!“
Ich spürte, dass er schon hinter mir war. Ich hasste zum ersten Mal die Vampirgeschwindigkeit.
„Mary. Es hatte nichts zu bedeuten. Ich liebe nur dich.“ James stand wie Gott ihn schuf vor mir. Er und sein kleiner bester Freund standen hab acht vor mir.
Ich mochte seinen Körper. Er war einfach wunderschön. Makellos. Wie eben jeder Vampirkörper war.
Er hatte behutsam mein Gesicht in seine Hände genommen und sah mir tief in die Augen. Ich konnte in seinen braunen Augen ertrinken.
Ich machte meinen Kopf los und trat einen Schritt zurück. Ich wollte die Wahrheit wissen. Wieso er mir das antat.
„Warum?“
„Es ist einfach passiert.“
Ich ging einen Schritt weiter weg von ihm.
„Wer ist sie?“
„Nur eine Bekannte.“
„Tz, dass ich nicht lache. Sag ihr endlich die Wahrheit!“, mischte sich die Frau ein. Sie stand in der Küche nur mit einem Laken bekleidet. Mit meinem Laken, dass ich vor einer Woche ausgesucht hatte. Sie sah nicht schlecht aus. Sie war molliger als ich und damit auch kurvenreicher. Um einiges kurvenreicher. Ihre schwarzen Kräusellocken standen ihr wirr vom Kopf ab. An ihrer rechten Halsseite sah ich die Bisswunden, sowie einen frischen Knutschfleck, der im Begriff war sich erst zu entfalten.
Ein weiterer Schritt.
„Sag“, krächzte ich.
„Sie ist meine Ex-Freundin.“
„Warum? Du…sie…ihr?“ Ich konnte nicht mehr klar denken. Ich wollte nicht mehr denken. Am liebsten würde ich mich in einer Höhle zu einer Kugel zusammen rollen und nie wieder heraus kommen. Nie wieder. Denn was ich hier erfuhr tat mir weh. Er war mein erster Freund und meine große und einzige Liebe. Er!
„Schätzchen, ich will ja nicht böse oder gemein sein, aber ich und er, wir sind seit 6 Jahren ein Paar, aber er trennte sich vor einem halben Jahr, denn er wollte dich nicht verletzten und er meinte, du würdest ihm doch für immer reichen und er wäre darauf gekommen, dass er dich so sehr liebe. Ich dagegen wollte ihn nicht loslassen. Mit ihm hatte ich den besten Sex in meinem Leben. Ich musste gar nicht viel machen, er kam nach einem Monat wieder zu mir zurück und ich nahm ihn wieder zurück, denn ich liebe ihn.“
Vor einem halben Jahr waren sie noch ein Paar und sie kamen wieder, vor was weiß ich zusammen. Vor einem beschissenen halben Jahr. Er war mit mir und mit ihr gleichzeitig zusammen. In dem Jahr, wo er mir einen Heiratsantrag machte. Und er meinte ich sei die Welt für ihn und die Sonne, die er nicht mehr sieht.
Alles Lügen.
Plötzlich ging mir ein Licht auf.
„Du warst nie auf den Geschäftsreisen in den Bahamas, oder?“
Er nickte stumm den Kopf.
Er fuhr mit ihr auf die Bahamas, während ich hier im beschissenen Regen versauern konnte. Toll, das nannte man Ehe.
In mir zerbrach etwas. Meine ganze Ehe war eine einzige Lüge. Er hatte mich nie geliebt. Jedenfalls nie genug und ich, dumme Kuh, wollte mit ihm mein ganzes restliches Leben verbringen. Ich wollte ein Vampir werden, obwohl ich vielleicht an der Verwandlung hätte sterben können, doch kein Opfer wäre mir zu groß gewesen um für immer mit meinem vampirischen Traummann zusammen zu sein.
Ich ging wieder einen Schritte zurück.
„Warum?“
„Ich weiß nicht. Es passte einfach. Aber nur dich liebe ich. Dich allein.“ Er steckte die Arme nach mir aus, doch ich schüttelte den Kopf und ging noch einen Schritt zurück.
„Du hast mich nie genug geliebt. Wieso verdammt hast du mich geheiratet, wenn du mit ihr zusammen warst?“
Ich griff nach meinem Armband, das ich von meinem Bruder Max bekommen hatte. Es symbolisierte meine Zusammengehörigkeit mit dem Rudel. Ich konnte immer auf alles und jeden zählen, vor allem auf meinen Bruder.
Das Armband war aus Titan mit einem einzigen Edelstein, einem gelben Diamanten. Es hatte keine bestimmte Form. Es sah einfach wie flüssiges Titan aus.
„Du warst die Frau meiner Träume. Mary, lass uns alles vergessen und neu anfangen.“
Er hatte es in der Vergangenheitsform gesagt. Ich war einmal seine Traumfrau. War.
„Da du die Betonung auf „war“ gelegt hast, glaube ich kaum, dass wir uns noch etwas zu sagen haben. Ich werde meine Sachen packen und verschwinden. Und da auch die Ehe eine einzige Lüge ist wie auch deine „Liebe“ zu mir, denn hättest du mich wirklich geliebt, hättest du sie verlassen, ist es am besten, wenn wir ab heute getrennte Wege gehen.“
Ich wollte mich umdrehen, doch James zog mich in seine Arme, um mich zu hindern die Küche zu verlassen.
„Lass mich los!“, fuhr ich ihn an.
„Nein.“
Ich gab ihm eine schallende Ohrfeige und riss mich los.
Es war das erste Mal in meinem 24 Jahre dauerndem Leben, dass ich irgendjemandem eine verpasst hatte. Und das sollte etwas bedeuten. Ich war ein friedliebender Mensch, der Gewalt zu tiefst verabscheute.
Zwei Treppen auf einmal nehmend, lief ich ins Schlafzimmer, riss verschiedenste Kleidungsstücke, auch meine neuen noch nicht gebrauchten Dessous, aus dem Schrank und stopfte sie in einen Koffer.
„Ich hole meine Sachen in den nächsten Tagen.“
Mit diesen Worten schlug ich die Haustüre zu und ging in ein Leben ohne James. In ein neues Leben.


Am selben Tag



„Max, kannst du mich abholen? Ja. Nein. Winzstreet 3. Ja. Ich werde auf dich warten. Bis dann!“
Zittrig klappte ich mein Handy zu. Ich zitterte unkontrolliert am ganzen Körper. Die Tränen liefen in Bächen über meine Wangen.
10 Minuten später hielt ein schwarzer Ford Escalade genau vor meiner Bank. Die Fahrertür wurde aufgerissen und Max sprang heraus. Ich breitete meine Arme aus und stürzte auf Max zu.
Er nahm mich sofort in die Arme und versuchte mich zu trösten. Er legte sanft eine Hand auf meinen Kopf und strich über meinen Kopf. Diese Geste ließ alle Dämme einbrechen. Wie ein 10-jähriges Kind, das sich das Knie aufgeschürft hatte, lag ich in seinen Armen und heulte Rotz und Wasser.
„Kay, du fährst!“ Er schmiss Kay den Schlüssel hin und verfrachtete mich auf die Rückbank.
Als ich mich wieder beruhigt hatte, erzählte ich meinem Bruder, was passiert war. Sein ganzer Körper spannte sich an. Ich wusste, er würde am liebsten James umbringen, denn James hatte mich nur benutzt. Selbst Kay musste sich zusammenreißen, obwohl er normalerweise die Ruhe in Person war. Ich wusste noch ganz genau, was Max James versprochen hatte an dem Tag an dem wir heirateten. Ich konnte ihn noch gerade so überreden, nichts unüberlegtes zu tun, denn der Frieden zwischen Werwölfen und Vampiren war gebrechlich.
Ich wischte mir resolut die Tränen weg.
„Kannst du meine Scheidung vorbereiten? Ich würde gern meinen Mädchennamen wieder an nehmen. Bitte!“ Ich sah Max bittend an. Er nickte sofort und zückte sein Handy. Er redete mit jemanden aus dem Rudel.
„Deine Scheidung ist in vier Tagen, wenn du willst!“
Ich umarmte ihn stürmisch.


4 Tage später



Langsam ging ich in den Gerichtssaal. Ich trug keinen Ehering, oder sonstigen Schmuck, den mir James je geschenkt hatte. Eine zierliche Kette meiner Mutter schmückte meinen Hals. Mein dunkelblaues Kostüm schmiegte sich um meinen Körper wie eine zweite Haut.
Meine schwarze Sonnenbrille verdeckte meine rot geränderten Augen. Sie ließ auch niemanden in meine Augen nehmen. Ich hatte die letzten Tage nur geheult, geschrien. Ich war regelrecht ausgeflippt. Verzweiflung. Hass. Schmerz. Schock. Verrat. Liebe. Ich musste alles fühlen. Die Bilder kamen immer wieder. Unter Tags. In meinen Träumen. Immer dasselbe Bild. Wie er sie angelächelt hatte und sie ihn. In unserem Ehebett. Nie hatte er mich so angelächelt, so voller Glück. Nie.
In diesen Tagen starben meine Gefühle ab.
Wie eine Eisprinzessin saß ich auf meinem Platz und wartete auf das Ende. Ich wollte mit dem Mann, der mir alles bedeutet hatte, nichts mehr zu tun haben. Ich hätte ihm vielleicht den Seitensprung verziehen, doch dass er seit dem Anfang unserer Beziehung und Ehe nur gelogen hatte, das könnte ich ihm nie verzeihen. Ich würde es auch nicht wollen.
Während der Verhandlung würdigte ich James keinen Blick. Ich wollte ihn vergessen für immer. Sollte er doch mit dieser Schlampe glücklich werden. Ich brauchte ihn nicht mehr. Ich hatte ihn nie gebraucht.
Endlich war die Prozedur vorbei. Ich fühlte mich von einem nervenden Insekt befreit. Mein Bruder hakte meinen Arm bei sich unter und zog mich aus dem Gebäude.
Kurz bevor ich einsteigen wollte, hörte ich eine Stimme.
„Mary, warte!“
Ich drehte mich um und verzog keine Miene als ich James sah. Max stellte sich neben mich um mir Halt zu geben.
„Mary, musste es gleich die Scheidung sein? Könnten wir es nicht noch einmal probieren?“
Er sah jämmerlich aus. Als hätte er seit Tagen kein Blut mehr getrunken. Normalerweise hätte es mich beunruhigt, doch nun war es mir scheiß egal, was mit ihm passierte. Würde er von Höllenhunden angegriffen werden, ich würde ins Auto steigen und ihn hier zurück lassen. Sollte er selbst sehen, wo er bleiben würde.
„Wieso sollte ich dir eine Chance geben? Du hast es von Anfang an nicht ehrlich gemeint mit mir. Außerdem wartet jemand schon auf dich.“
Mit einem Kopfnicken wies ich auf die Schlampe, die vor dem Gebäude auf ihn warten zu schien. Ich hasste ihn und sie.
„Hier!“ Ich warf ihm das Säckchen mit Schmuck zu, den ich von ihm bekommen hatte.
„Aber,…das gehört alles dir!“
„Wenn du glaubst, ich will mit irgendwas in Berührung kommen, das ich von dir bekommen hatte, hast du dich gewaltig geschnitten“, sagte ich gefühlskalt.
„Wieso bist du so?“ Er war eindeutig verzweifelt. Er kannte mich als fröhliche und lachende Person. Eine Person, die immer ein Lächeln auf den Lippen hatte und nie den Mut verlor.Doch ich hatte mich durch ihn verändert.
„Ich bin so, als ich erfuhr, dass die letzten Jahre meines Lebens, eine meiner glücklichsten Jahre, wo ich mich als geliebte und begehrte Frau fühlte, eine einzige Lüge waren.“ Gnadenlos spuckte ich ihm diese Wörter ins Gesicht. Er zuckte zurück, als hätte ich ihn geschlagen, was ich sehr gern getan hätte. Sehr gern.
Ohne ein weiteres Wort stieg ich ein.
„Du warst hart“, meinte mein Bruder beiläufig während er uns auf das Clangut brachte.
Ich zuckte bloß mit den Schultern. Ich wollte ihm nicht sagen, dass ich James am liebsten kastriert hätte und dann so lange auf ihn eingeprügelt, bis er mich anfleht, ihm den Gnadenstoß zu geben. Natürlich würde ich ihm seinen letzten Wunsch mit dem größten Vergnügen erfüllen.
Oh mein Gott! Was hatte ich gerade gedacht? Ich…wollte jemanden umbringen. Noch nie hatte ich dermaßen detaillierte Vorstellungen. Doch es fühlte sich so richtig an. So richtig, wie schon lange nichts mehr.
Ich war nicht mehr ich. Ich war etwas anderes und es wurde mir in diesem Moment bewusst.


4 Monate später



„Was soll das heißen? Wer ist sie bitte? Ich bin deine Schwester, verdammt noch mal!“
Max hatte seine Gefährtin gefunden. Eine Frau die mich hasste. Sie sah nett aus. Braunen Bob, braune Augen und eine mollige Figur.
Wieso musste immer eine mollige Frau sich zwischen mich und meine Liebsten stellen?
„Ja, du bist meine Schwester, aber sie ist meine Frau. Ich werde sie immer lieben. Respektiere den Wunsch, dann machst du es allen leichter.“
„Aber es ist auch mein Elternhaus. Du darfst mich nicht hinaus werfen!“
„Es mag dein Haus deiner Kindheit gewesen sein, doch es ist nicht dein Elternhaus.“
„Was willst du damit sagen?“ Ich sah die Frau meines Bruders an. Erst jetzt mischte sie sich in das Gespräch ein.
„Lena!“, knurrte Max.
„Was? Du musst es ihr irgendeinmal sagen. Lieber früher als später. Glaubst mich interessiert es mit ihr das Haus zu teile? Was wenn wir Kinder bekommen? Wo sollen sie schlafen?“
Ich verstand nichts mehr. Gar nichts mehr. Was meinte sie? Was?
„Sag schon“, ich flüsterte und blickte auf den Boden.
„Genau, sag es ihr endlich! Sie ist alt genug!“ Lena schmiegte sich an Max, als Zeichen das er ihr gehörte und nicht mir.
„Naja, ahm, Papa konnte nach mir keine Kinder mehr zeugen, wegen einer Kriegswunde, aber sie wünschten sich noch eines, denn ich sollte nicht alleine auf wachsen. Und naja, du kommst aus dem Reagenzglas, wenn man das so sagen will.“
Ich war geschockt! Dad war nicht Dad. Max nur mein Halbbruder. Was hatte ich denn verbrochen, dass das Schicksal so brutal zu mir war?
Der Mann, der mich immer auf sich reiten ließ, mich auf der Schaukel an stupste oder auf seinen Schultern trug, war nicht mein richtiger Vater. Er war bloß mein Ziehvater.
„Wann?“
„Was wann?“
„Wann wolltest du mir das sagen? Dass ich nur eine Art Kuckucksei bin? Wann?! Wieso sagst du es ihr früher als mir? Deiner Schwester?“
„Mäuschen, du bist nicht seine Schwester. Nur seine Halbschwester!“, mischte sich Lena ein.
„Ich weiß es jetzt auch!“, schrie ich sie an.
Ich gehörte nicht mehr hier her. Ich hatte es nie. Ein Kuckuckskind. Ich hatte mich wohlgefühlt und dazu gehörig gefühlt, jetzt doch eigentlich gehörte ich nur zur Hälfte hier her. Auch deswegen konnte ich mich auch nicht verwandeln. Ich hatte zu wenig Gene, die die Verwandlung ermöglichen konnten.
„Wieso hast du mir immer geholfen? Ich gehöre nicht einmal richtig zum Clan!? Da Dad nicht mein Dad ist und Mum noch nicht zum Clan gehörte, als sie starb. Keins meiner Elternteile gehörte zum Clan. Ich gehöre laut meiner Schlussfolgerung auch nicht dazu. Also, wieso?“
Meine Hände schossen nach oben und ich schüttelte meinen Kopf.
Langsam löste ich mein Armband, das mich mit dem Clan verbunden hatte und schmiss es ihm hin. Er sah mich geschockt an. Fing aber das Band auf.
Wie in Trance setzte ich meine Füße in Bewegung und fing an in mein ehemaliges Kinderzimmer zu gehen. Die beiden folgten mir dicht auf.
Ich packte mir die wichtigsten Sachen, packte sie ein und ging dann zum Fenster. Ich öffnete es. Hockte mich auf die Fensterbank.
„Mary, nicht! Du wirst dich verletzen!“
Das letzte Wort bekam ich nur am Rand mit, denn die Luft zischte in meinen Ohren als ich sprang.
Ich landete auf meinen Ballen und ging einfach weiter als sei nichts gewesen. Ich hörte noch wie Max und Lena erschrocken nach Luft schnappten. Sie sollten sich Sorgen machen. Sie sollten vor Sorge krank oder wahnsinnig werden. Sie sollten einmal nach denken, was sie mir angetan hatten.
Dann verschmolz mit der Dunkelheit.
Ich ließ wieder einen Teil meines Lebens hinter mir.


Angst?!



„Hallo, ich bin Mary und heute ihre Bedienung! Was hätten sie denn gerne?“
Ich war seit etwa drei Wochen eine Bedienung in einem der teuersten Restaurants . Wenigsten einmal half mir mein Aussehen weiter. Ich hatte eine eigene Wohnung und ich konnte von dem Geld, was ich verdiente, meinen Lebensunterhalt bestreiten.
Mit Max oder anderen aus dem Rudel sprach ich nicht mehr. Was einmal meine Familie war, waren für mich nur mehr Menschen, die ich nicht kannte. Ich hatte heraus gefunden, dass es alle aus dem Rudel wussten, selbst die eingeheiratet hatten. Alle. Und keiner hatte es für nötig gehalten es mir zu sagen.
Ich hatte meine Handynummer gewechselt. In der ersten Nacht hatte niemand angerufen, doch je länger ich weg war, ohne ein Lebenszeichen, umso mehr Anrufe bekam ich. Max, Sendy und noch einige andere aus dem Rudel, die ich für meine Freunde hielt.
Nach einem anstrengenden Tag konnte ich endlich in mein Bett. Mein Leben bestand nur aus meinem Bett, meiner Arbeit und der Mall.
„Lady Mary! Ein Glück, dass ich Sie finden konnte.“
Wie erstarrt blieb ich stehen und sah auf die kniende Gestalt vor mir. Leicht rötliches schütteres Haar. Er war älter als ich. Eindeutig. Sein Gesicht war von Furchen gezeichnet.
„Sie müssen sich irren.“
Ich wollte an ihm vorbei, doch als ich in die Augen meines gegenüber sah, blieb ich wie angewurzelt stehen.
Seine Augen. Sie waren rot. Leuchtendes Rot.
Sie zogen mich wie gebannt an. Es war, als würden sie mich rufen. Ich kannte diese Augen mein Leben lang, glaubte ich. Erst jetzt sah ich mir die Gestalt an. Ein untersetzter Mann.
Nein, es konnte nicht sein, dass es sie wirklich gab. Nein. Unmöglich.
„Lady Mary, ich weiß wie verwirrend alles auf Sie wirkt, aber lassen Sie sich von mir nach Hause begleiten. Zu ihrem Vater.“
Mein Vater. Der, mit dem Reagenzglas.
„Wieso sollte er mich jetzt wollen? Er hatte 24 Jahre Zeit.“
„Mein Herr wollte nicht, dass Sie durch sein Eingreifen, Ihre Familie verlieren. Sie wirkten so glücklich, hatte er einmal gesagt, als er Sie auf dem Spielplatz beobachtet hatte.“
Ich glaubte mich daran zu erinnern. Ich hatte einen Mann gesehen, der mich und die anderen Kinder beobachtet hatte. Das war mein Vater gewesen.
„Gut, ich komme mit.“ Zur Bekräftigung nickte ich noch einmal.
Der Mann schnippte und eine schwarze Limousine fuhr vor. Er hielt mir die Tür auf und verbeugte sich als ich einstieg.
Die Limousine fuhr sofort los, als sich meine Tür schloss. Ich saß alleine in dem hinteren Teil. Schwarzes Leder. Eine kleine beleuchtete Minibar. Ein Sternenhimmel.
Langsam streckte ich mich. Meine Gelenke knacksten. Ich war so müde. Wie auf ein Kommando, fielen mir die Augen zu und sank auf der Sitzbank zusammen.
Ich wurde in einem weichen flauschigen Bett wach. Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich nicht zu Hause war.
Dann fiel mir wieder alles ein. Der Mann. Die Augen. Die Limousine.
Ich stieß langsam die Luft aus. Versuchte mir den Schlaf aus den Augen zu reiben. Versuchte das Gesehene zu verarbeiten.
„Oh, Lady Mary, Sie sind schon wach. Wie geht es Ihnen?“ Eine Frau stand in der Tür und hatte den Kopf gesenkt. Ihr braunes Haar war zu einem dicken Knoten zusammen gesteckt. Sie hatte ein formloses schwarzes Kleid an und eine cremefärbige Schürze an. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, denn sie hatte noch immer ihren Kopf gesenkt.
„Wer sind Sie?“
Sie zuckte zusammen.
„Mein Name ist Samanthania, Lady.“
„Gut. Meinen Namen kennst du anscheinend schon. Kannst du mich bitte aufklären? Wieso bin ich hier? Wieso nennst du mich Lady?“
„Ich … Ich kann es Ihnen nicht sagen. Der Meister wird es Ihnen sagen.
Nun werde ich Ihnen helfen sich zu waschen, sich an zuziehen und dann kämme ich Ihnen Ihre Haare.“
Nach dem ich endlich fertig war und ich keine Informationen aus Samanthania heraus bekam, folgte mein Frühstück in einem riesigen Saal, in dem ein langer Tisch stand. Als ich fragte, wie viele hier sitzen könnten, antwortete Sam, wie ich sie nun nannte, denn ihr richtiger Name war mir eindeutig zu lang, dass 202 Personen an diesem Tisch Platz fanden. Ich war wortwörtlich sprachlos und es machte mich neugierig.
Wer war mein Vater? Eine berühmte Persönlichkeit? Ein reicher Sir? Oder eine Legende?
Ein älterer Mann brachte mir mein Frühstück. Toast. Erdbeermarmelade. Gefüllter Donut. Heiße Schokolade. Orangensaft. Mein Lieblingsfrühstück. Und wieder taten sich immer mehr Fragen auf.
Woher wusste „man“ was ich am liebsten frühstückte? Hatte man mich beobachtet? Wieso hatte man mich beobachtet? Doch nicht etwa allein, damit man mein Frühstück wusste.
„Der Herr erwartet Sie in seinem Arbeitszimmer“, teilte mir der Mann mit während ich noch an dem Donut knabberte.
Ich nickte, dass eine schlechte Idee war, denn ich biss mir leicht in meine Lippe. Ich war zeitweise so tollpatschig.
„Hier ein Taschentuch.“ Der Mann reichte mir ein Taschentuch. Ich lächelte ihn dankbar an, doch er war schon wieder weg.
Wo war bloß das Arbeitszimmer?
Ich ging aus dem Saal und lief direkt in die Arme von einem gutaussehenden Mann. Blonde Haare. Blaue Augen. Gebräunte Haut. Charmantes spitzbübisches Lächeln.
„Hoppla! Was machen Sie hier? Wer sind Sie?“, er sah mich irgendwie überrascht an. Seine Augen wanderten über meinen Körper und blieben einige Zeit auf meinem Dekolleté hängen. Erst als ich mich räusperte, sah er mir wieder in die Augen. Er lockerte die Umarmung ein bisschen um mich noch einmal gründlich an zu sehen.
„Könnten Sie mir das Arbeitszimmer zeigen?“, fragte ich so höflich wie möglich. Ich hasste es wenn Männer mit meinen Brüsten kommunizierten.
„Sicher. Treppe in den 1 Stock. Rechter Gang. Dritte Tür auf der linken Seite.“
„Danke!“, mit einem strahlenden Lächeln löste ich mich und lief schnell die Treppe hinauf.

Wer war diese kleine Hübsche? Sie lief die Treppe hinauf und verschwand in die Richtung, die ich ihr gesagt hatte.
Meine Augen folgten unwillkürlich ihrem Hintern, der knackig war und mit jedem Schritt sich wunderbar bewegte. Am liebsten würde ich hinein beißen oder ihr einen Klaps geben, nur um zu testen, ob er wirklich so knackig war, wie er aussah.
Sie hatte ein wunderschönes Dekolleté und natürlich wunderschöne Augen. Sie wusste anscheinend nicht, wer ich war. Sie hatte mir ohne Angst in die Augen geschaut. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte mir ein Mensch in die Augen geschaut.
Doch diese Augen bekamen mir so bekannt vor. Woher kannte ich diese Farbe?
Ich war auch perplex als sie mich fragte, wo das Arbeitszimmer sei. Das Arbeitszimmer, des Chefs.
Wer war sie?




Vater?



Vor der besagten Tür blieb ich stehen. Atmete tief durch und klopfte an. Zuerst nichts dann ein herein.
Ich öffnete die Tür und blickte direkt in meine Augen.
„Hallo Mary-Ann. Komm setz dich. Ich glaube du hast viele Fragen an mich.“
Nickend setzte ich mich gegenüber meines angeblichen Vaters. Doch als ich ihm in die Augen bzw. in das Gesicht sah, stockte mir mein Atem. Er könnte als mein Zwilling durchgehen.
Schwarze Haare, genauso wie ich, nur waren seine kurz geschnitten, während meine Harre bis zu meiner Taille reichten.
Dieselben blau-grauen Augen, die mir jeden morgen aus dem Spiegel entgegen blicken.
Er konnte mein Vater oder irgendein Verwandter sein. Irgendeiner. Er konnte mich natürlich auch anlügen, ohne dass ich es merkte.
„Bist du wirklich mein richtiger Vater? Mein Erzeuger?“, fragte ich ihn leise.
„Ja, ich habe dich am 15.05.1985 in Wales um ca., weiß ich gar nicht mehr, ah, ja, um 3 Uhr morgens, in einem kleinem schäbigen Hotel gezeugt“, sagte er während er sein Kinn auf seinen Händen abstützte und mich musterte.
„Ahm, so genau, wollte ich es nicht wissen, glaub ich. Warte, Moment mal… Ich dachte ich entsprang einer Samenspende in einem Reagenzglas?“, fragte ich ungläubig, das würde ja dann bedeuten meine Mum und … Oh Gott!
„ Nein, ich hatte deine Mutter zufällig getroffen. Sie hatte sich aus Kummer betrunken, weil dein Ziehvater sie wieder einmal vergessen hatte, weil ihm zeitweise das Rudel wichtiger als seine Familie, vor allem nach seinem Unfall, wo er seine Zeugungsfähigkeit verloren hatte. Um allen seine Männlichkeit zu beweisen, half er immer und überall im Rudel, dabei vergaß er seine Frau und seinen Sohn, für den er ein Held war.
Nun ja, wenn ich ehrlich bin, mir gefiel deine Mutter sehr. Ich war auch erstaunt wie viel sie trinken konnte. Sie trank alle Männer unter den Tisch. Sie trank Tequila, Whiskey oder Rum, als wären sie Wasser. Doch irgendwann war auch bei ihr Ende. Ich bot mich an sie nach Hause zu fahren.
Ahm, wir hielten vor diesem Hotel, weil ihr schlecht war und da ist es eben passiert. Wir hatten mit einander geschlafen. Sie sagte, sie würde die Pille nehmen und ich nahm auch noch ein Kondom, aber anscheinend half nichts von beiden, denn neun Monate später warst du da. Meine Tochter, die mir wie aus dem Gesicht geschnitten war.
Dein Ziehvater war natürlich sauer, doch als ihm alle sagten, dass er seine Frau im Stich gelassen hatte und sie sich irgendwie trösten musste, wusste er, dass er einen Fehler gemacht hatte. Doch als er dich sah, sah er dich sofort als sein eigen Fleisch und Blut an. Er wurde sogar als dein Vater in der Geburtsurkunde eingetragen.
Du hattest einen Vater und du brauchtest mich nicht mehr. Ich hatte nur aus Zufall von dir gehört. Ein Freund von mir betreibt Geschäfte mit dem Rudel und du bist ihm in die Arme gefallen, wortwörtlich, und er hatte dich als meine Tochter erkannt.
Du weißt gar nicht, wie geschockt ich war als er mir sagte, ich habe eine Tochter. Ich. Eine Tochter.
Seit diesem Tag beobachtete ich all deine Schritte und alles was du machst. Dein erster Schultag. Dein erster Freund. Deine Hochzeit, bei der ich ganz hinten saß und dir zu deinem Glück gratulieren wollte. Bei dem Begräbnis deiner Eltern und bei deiner Scheidung. Ich hatte alle Höhepunkte, sowie Tiefpunkte deines Lebens von außen mit erlebt. Wichtige auch unwichtige Dinge, waren für mich nun überlebenswichtig. Alles, was du gemacht hattest, war eine Freude für mich.
Durch meine Tochter, die nicht von mir wusste, lebte ich wieder und konnte mich an den kleinen Dingen des Lebens wieder freuen“, schloss mein Vater seine Erzählung ab. Er blickte mir direkt in die Augen.
Ich wusste, er sah mir das Gefühlschaos in meinem Innern an. Ich fühlte so viel, dass es sich nicht in Worte fassen lassen konnte.
„Ich weiß, dass es viel auf einmal ist, aber du musst wissen, was du zur Hälfte bist. Was ich dir vererbt habe. Was einmal deine Aufgabe sein wird. Aber ich werde es dir erst morgen sagen, denn du wirst viel Schlaf brauchen morgen. Ich wünsche dir eine gute Nacht“, wünschte er mir und bedeutete mir, dass ich gehen sollte.
Ich kam sofort dieser Aufforderung nach, denn mein Gehirn war voller wirrer Gedanken. Ich wusste nicht, was ich denken sollte.
„Gute Nacht“, flüsterte ich leise und verschwand aus dem Arbeitszimmer.
Mechanisch lief ich in Richtung meines Zimmers. Es war erst Mittag und doch fühlte ich mich so müde, als hätte ich Nächte nicht geschlafen.
Automatisch zog ich mein Gewand aus, schlüpfte unter die Decke und versuchte meine Gedanken zu ordnen, doch nach einigen Versuchen gab ich es auf.
Ohne mein bewusstes zu tun fielen meine Augen zu und ich verschwand in meinen Träumen.


Fürst der was?!



„Lady, bitte stehen Sie auf. Sie sollen frühstücken und dann zu ihrem Vater gehen. Er will Sie einweihen“, sagte Sam sanft, während ich versuchte mir den Schlaf aus den Augen zu reiben.
„Ich komme gleich frühstücken“, meinte ich verschlafen und konnte mir ein Gähnen nicht unterdrücken.
Sam nickte und verschwand wieder.
Schnell machte ich mich fertig und ging in den Saal um mein Frühstück zu verputzten.
Doch heute fühlte ich mich nicht besonders. Meine Haut am Rücken und auf der Stirn juckte und kribbelte komisch. Ich hatte das schon öfters gehabt, aber heute war es als würde meine Haut sich schälen.
Das Tragen meines Shirts war mir unangenehm, denn es rieb an meinem Rücken und verstärkte somit das komische Gefühl.
Nachdem ich mein Frühstück hinunter gewürgt hatte, sprintete ich regelrecht in das Arbeitszimmer, wo ich meinen Vater vermutete.
Er saß ganz gemütlich in seinem Sessel und lass die heutige Zeitung.
„Morgen“, keuchte ich etwas außer Atem. Ich gab der Tür mit meiner Hüfte einen Schwung, damit sie zufiel.
„Morgen! Wie hast du geschlafen?“, fragte er mich mit seiner tiefen Stimme während er die Zeitung ohne jegliche Hast zusammen faltete und mich musterte.
„Ganz gut, nur meine Haut am Rücken und an der Stirn juckt etwas, aber das ist ja nichts besonderes, das hatte ich schon öfters. Oh, ahm, wie hast du geschlafen?“
„Gut, danke der Nachfrage.
Da du schon die Zeichen anzeigst, muss ich dir die Wahrheit sagen, was dich und mich gleichermaßen betrifft. Ich werde dir nach unserem Gespräche eine Salbe geben, die die Schmerzen abklingen lässt.
Also… wo soll ich anfangen.
Ich führe so zu sagen einen riesigen Betrieb. Eines Tages, früher oder später wirst du ihn übernehmen. Für den richtigen Zeitpunkt der Ernte, wie wir so schön sagen und die verschiedenen Aufgaben, die jeder übernehmen muss.
Wenn du jetzt denkst, dies sei eine leichte Aufgabe, hast du dich geschnitten. Es ist wichtig, dass alles seinen korrekten Weg geht. Abweichungen sind nicht erwünscht, sie könnten unerwünschte und nicht angenehme Probleme verursachen und das will niemand.
Ein bis zwei Mal im Monat sind Treffen mit meinen Geschäftspartnern. Ich werde dich natürlich mit nehmen und dir ein zwei Tricks zeigen.
Ich werde dich natürlich einführen und einlernen und das alles, was dazu gehört“, sagte er und blickte mir geradewegs in die Augen.
„Welchen Betrieb denn?“, ich hatte nicht gewusst, dass er einen Betrieb hatte, obwohl ich es mir eigentlich hätte denken können bei dieser protzigen Villa.
„Nun, ich möchte dass du mir zu hörst und nicht ausflippst. Also mein Betrieb ist ein Teil der Hölle.“
Stille.
Ich blickte ihn ungläubig an und fing schallend zu Lachen an. Das war der Witz des Monats. Er leitete einen Teil der Hölle. Dass ich nicht lache.
Doch als ich zu ihm blickte, blieben mir die Spucke und die Luft weg. Was ich sah konnte nicht sein.
Meinem Vater ragten aus der Stirn schwarze Hörner und aus dem Rücken lederne Flügel.
Meine Augen konnten nicht fassen, was sie sahen. Mein Gehirn versagte seinen Dienst.
„Wenn du … dann ich … ich mein … Hälfte…“, stotterte ich.
„Genau, du bist mein Kind also bist du zur Hälfte dasselbe wie ich.
Mary, du bist …“


„Mary, du bist die nächste Fürstin der Hölle.“
Das war das letzte an das ich mich erinnern konnte. Dann war alles schwarz.
Tja, und nun lag ich auf einer bequemen Chaiselongue im Arbeitszimmer meines Dads.
„Gott sei Dank bist du wieder wach. Ich hab mir Sorgen gemacht.
Aber anscheinend hast du diese Ruhepause gebraucht.
Und bevor du mich fragst, nein, du hast nicht geträumt. Du bist meine Nachfolgerin. Ja, wir beide sind Fürsten der Hölle. Da du meine Tochter bist, wirst du bald meinen Platz einnehmen. Ich werde das „Geschäft“ nieder legen, denn langsam werde ich zu alt. Ich habe schon viel erlebt und es ist viel passiert.“
„Wie alt?“, krächzte ich.
„Hmmm, sehr alt. Ich habe Kulturen kommen und gehen sehen.
In Menschenjahren bin ich über 1 500 Jahre alt. Genau genommen 1 789 Jahre. In vier Tagen werde ich 1 790. Ich werde feiern und ich dachte mir, ich werde dich an diesem Tag vorstellen als meine Nachfolgerin. Ich werde dir alles lernen, was deine neuen Aufgaben sind.“
Ich nickte, denn ich wusste nicht wirklich, was ich zur Antwort geben hätte sollen.
Wenn ich alles zusammenfasste, war ich eine Höllenfürstin, deren Vater über 1 500 Jahre alt war. In einigen Tagen würde ich Flügel und Hörner bekommen.
Hörner!!!
Ich wollte aber keine dummen Hörner. Wie unsexy ist das denn?!
„Gut, dass wir das geklärt haben. Wir werden heute noch anfangen.“


Die neue Höllenfürstin



Mit tat jeder einzelne Knochen im Leib weh. Meine Flügel, die ich wie eine Wahnsinnige trainieren musste, brannten. Es tat jedes Mal weniger weh, wenn ich sie wieder in meinen Körper zurück ziehen musste. Doch wenn sie aus meinem Rücken „heraussprangen“ machten sie regelrecht ein Plopp-Geräusch.
Gott sei Dank konnte ich schon fliegen, obwohl der Anfang sehr schwer und schmerzhaft war. Vor allem der Anfang, wenn es hieß, dass ich meine Flügel öffnen sollte. Es war schwer sich so zu konzentrieren, dass die Flügel sich langsam aus dem Rücken bildeten. Vom wirklichen Fliegen wollte ich nicht einmal sprechen. Ich musste aus dem Stand heraus aufsteigen. Eine vollkommen verzweifelte Situation für mich. Mein Vater war ein sehr strenger Lehrer. Immer wieder schrie er mich nieder, dass ich endlich fliegen sollte. Einmal standen mir ausversehen meine Kräfte im Weg.
Ich hatte meinen Vater mit Feuer beworfen aus Wut. Eine der guten Sachen am Höllenfürsten-Dasein war, dass ich verschiedene Kräfte entwickelte, wie das Element Feuer, welches jeder Höllenfürst beherrschte.
In den letzten 4 Tagen hatte ich alles gelernt, was eine gute Höllenfürstin wissen musste und sollte.
Ich war für die „Koordination“ von Dämonen verantwortlich. Ich schickte sie in die verschiedenen Dimensionen, wo sie ihre Aufträge erledigen mussten. Sie lieferten mir Informationen, Geschenke, Geld und hin und wieder auch eine Leiche, die man dann dem Kunden zurück gab, natürlich nur auf dessen ausdrücklichen Wunsch hin.
Die höher gestellten Dämonen wurden mir vorgestellt und diese schworen mir ewige Treue und Ergebenheit. Ich lud sie auf einen kleinen Trink ein und plauderten nett über Gott und die Welt. Naja, über Gott nicht wirklich, aber egal.
Wenn es Krieg geben würde, würde ich alle Dämonen befehligen, aber nur mit der Unterstützung der anderen Fürsten.
Zuerst war ich überrascht, dass die Dämonen „normal“ aussahen. Sie waren keine Schreckensgestallten, wie sie in den Märchen und Sagen beschrieben wurden. Sie waren regelrecht heiß. Einer der Dämonen kamen halbnackt, er meinte, dass er das Treffen vergessen hatte und um Entschuldigung bat. Gnädiger Weise verzieh ich ihm, denn ich wollte nicht gleich jemandem bestrafen. Im Gegenzug dafür, dass ich so „nett“ war, hätte ich einen persönlichen Gefallen von ihm bekommen. Mit diesem wunderschönen anzüglichen Grinsen war klar, dass er auch für „versaute“ Sachen mir zu Diensten stehen würde.
Irgendwie liebte ich mein neues Leben!
Heute war die Geburtstagsfeier meines richtigen Vaters. Alle wichtigen Mitglieder der verschiedensten Wesen kamen heute, denn meine offizielle Vorstellung und Übergabe des Amtes meines Vaters waren in die Party eingebaut.
Ich stand vor dem mannshohen Spiegel und betrachtete mich.
Ich sah richtig heiß aus. Natürlich objektiv betrachtet.
Das rote Seidenkleid schmiegte sich an mich wie eine zweite Haut. Es ging bis zum Boden uns ließ den Rücken frei. Meine schwarzen Haare waren hochgesteckt mit kleinen schwarzen Haarnadeln.
Es klopfte an der Tür und mein Vater kam ins Zimmer. Er trug einen schwarzen Smoking. Er war eindeutig eine Sünde. Ich fragte mich, ob er eine Frau hatte, denn das hatte ich ihn noch nicht gefragt.
„Du siehst wunderschön aus, Tochter“, meinte er während er sich rasch räusperte. Ich war gerührt, denn zuvor hatte mir nur Max Komplimente gemacht, die nun in meinen Augen nicht mehr zählten.
„Danke, du bist auch nicht schlecht für einen so alten Mann, der heute auch noch zufälligerweise das Geburtstagskind ist.
Alles Gute zum Geburtstag, Dad!“, wünschte ich ihm und schmiss mich in seine Arme und gab ihm viele kleine Küsse auf sein Gesicht.
Er hatte mich aufgefangen und drückte mich an sich während er tapfer meine Zuneigung über sich ergehen ließ. Aber anscheinend hatte er nichts dagegen, denn er lachte, wie ich ihn in der Zeit, welche ich schon hier war.
„Mary, du weißt, wie man einen alten Mann einfach glücklich machen kann.“
Ich grinste ihn bloß an, als er mich wieder frei gab. Ich war ebenfalls glücklich, denn ich fühlte mich hier geliebt und respektiert.
„Warte, ich hab noch ein Geschenk für dich.“
Umständlich krabbelte ich unter mein Bett, wo ich das Geschenk versteckt hatte. Es war ein selbst gebasteltes. Ich hatte einfach Lust meinem Dad etwas zu basteln. Während des Bastelns kam ich mir wie ein kleines Kind vor und die ganze Zeit kicherte ich vor mich hin. Ich hatte einfach das Bedürfnis zu kichern.
Es war nicht wirklich etwas Besonderes. Ich hatte einen Bilderrahmen verziert mit kleinen „Hörner“ und Flügel und kleine Fledermäuse. Typisches Klischee, aber es hatte einfach wie die Faust auf das Auge gepasst.
Ein Bild von ihm zu bekommen, war schwerer als gedacht, denn mein Vater wollte sich nicht fotografieren lassen. So musste ich einen Diener bedrohen, dass er ein Foto von meinem Dad und mir machte, wenn wir beide zusammen waren und lachten. Tatsächlich kam bei einem geheimen „Fotoshoot“ ein wunderschönes Bild heraus. Wir beide waren im Profil und lachten lautstark. Dieses Bild passte perfekt in den „gruseligen“ Rahmen.
Als er mein Geschenk sah fingen seine Augen verdächtig zu glänzen an.
„Ich weiß, dass es etwas kindisch ist, aber..“, weiter kam ich nicht. Er zog mich an sich und flüsterte die ganze Zeit, dass ihm der Rahmen gefiel und ich die beste Tochter sei.
Langsam ließ er mich los und küsste mich auf beide Backen.
„Ich werde diesen Rahmen für immer in Ehren halten.“ Mit diesen Worten ließ er mich endgültig los und meinte dann, das wir erwartet würden.
Ich hackte mich bei ihm ein. Er führte mich durch die Gänge zu dem Ballsaal, der laut seiner Aussage aus allen Nähten sprang, denn kein Dämon, Fürst, ja, sogar einige Engel waren gekommen, wollten sich dieses Spektakel entgehen lassen. Einfach jedes mystische Wesen war dabei, zumindest ihre Vertreter.
Außerdem wollte jeder die Tochter des Fürsts sehen, die auch noch der Nachfolger war.
Als wir vor der Tür standen, die noch geschlossen war, drehte sich mein Vater noch einmal zu mir um.
„Ich möchte dich noch einmal vorwarnen, denn heute hat jeder seine ursprüngliche Gestalt angenommen. Das heißt, wir müssen auch unsere Flügel und Hörner zeigen.“
Wie auf das Stichwort begann er sich zu verändern. Sobald er fertig war, kam ein Diener und fing an, die Stirn meines Vaters mit Ornamenten aus schwarzer Farbe zu bemalen.
Als mein Vater verschwörerisch mir zu zwinkerte, begann ich mich ebenfalls zu verändern. Sofort trat eine Dienerin vor und bemalte meine Stirn, doch dieses Mal waren auch Juwelen dabei. Fragen sah ich meinen Vater an, doch dieser zuckte nur mit der Schulter und das brachte ihm einen genervten Seufzer des Dieners ein. Darauf musste ich einfach lächeln.
Der Pinsel mit dem die kühle schwarze Farbe aufgetragen wurde, kitzelte meine Stirn. Ich merkte nicht einmal das Gewicht der Steine, doch ich war wirklich froh, als meine „Bemalung“ endlich beendet war.
Sobald wir wieder mit dem Blick zur Tür standen, öffnete sich diese langsam und knarrend. Sie kündete uns regelrecht an.
Hand in Hand traten wir ein. Sofort verstummten die Gespräche und die Musik.
„Willkommen! Ich freue mich euch alle heute in diesem Saal zu empfangen. Ich möchte euch gerne meine Tochter vorstellen. Diese junge Frau an meiner Seite wird die nächste Fürstin, sie wird die Fürstin Mary-Ann. Ich erwarte von euch, sie zu respektieren, denn wenn nicht werdet ihr es mit mir zu tun bekommen. Ich mag zwar heute alt werden, doch ihr wisst wie ich sein könnte.“

Da stand sie. Wunderschön in ihrem roten Kleid. Ihr Dekolleté war zum anbeten schön. Wie ich schon das erste Mal bemerkt hatte. Ich hatte meinen Blick nicht losreißen können. Es war einfach wunderschön gewesen.
Doch als ich sah, dass sie am Arm des alten Sackes hing, begann ich innerlich zu kochen.
Was fiel diesem Sack ein, eine solche Frau zu bekommen?! Er stand doch schon mit einem Bein in seinem Grab.
Und wie sie ihn anlächelte! Am liebsten hätte ich ihn getötet, dass er überhaupt neben ihr stand.



Impressum

Texte: Ich bitte euch, keine Teile, Handlungen, Personen zu kopieren. Danke!
Tag der Veröffentlichung: 17.06.2010

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Widmung:
Für alle, die gerne lesen Es ist auch als kleine Entschädigung gedacht, weil ich bei keinem meiner anderen Bücher weitere Seiten online gestellt habe...

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