Nicht auffallen. Keinen berühren. Das waren meine beiden „Leitmottos“. Ich schlängelte mich durch die Schülermengen meiner Schule. Ich war eine Außenseiterin mit keinen Freundinnen. Was sogar gut war. Doch ich war immer einsam. Von einem Freund brauchte man nicht einmal reden. Man mochte mich nicht und ich mochte keinen. Zu mir war man nur freundlich wenn man etwas von mir brauchte und nur dann.
„Streber!“, schrie mir einer aus der Footballmannschaft zu. Ich hob meine Hand und zeigte ihm meinen wunderschönen und oft benutzten Mittelfinger und ging Richtung Mädchenklo. Wie üblich standen die immer fröhlichen Cheerleader vor den Spiegeln und überprüften, ob ihr Make-up noch perfekt war.
„Oh, seht mal wer da gekommen ist. Unsere kleine graue Maus mit dem Superhirn“, spottete Sahara, die zu meinem Leidwesen mit mir in eine Klasse ging. Sahara war in den Augen aller perfekt. Lange blond Haare, tolle Figur und sie konnte sich gut bewegen. Sie war auch mit dem Quaterback Sam zusammen und waren das totale Traumpaar der Schule. Keiner legte sich mit einem von den beiden an, es sei den man war selbstmordgefährdet oder lebensmüde. Sobald einer dich hasste, hasste dich das ganze Team, Cheerleader und die Footballer und das war fast die halbe Schule.
Ich musterte stumm die Mädchen und wartete darauf, dass sie sagten was sie wollten. Doch komischer weise drehten sich alle zum Spiegel und redeten über die neusten Trends. Sie beachteten mich nicht einmal. Ich hatte keine Ahnung, warum mir so ein Glück zu Teil wurde. Ich wusch mir schnell die Hände und flüchtete aus dem WC.
Irgendetwas stimmte heute ganz und gar nicht. Ich kam aber nicht darauf, was anders war und das obwohl ich mir den Kopf regelrecht darüber zerbrach.
In meiner Klasse angekommen, setzte ich mich an meinen Platz in der letzten Reihe beim Fenster. Neben mir saß nie jemand freiwillig. Der Platz neben mir blieb immer leer, es sei denn der Lehrer versetzte jemanden aus Strafe zu mir.
Heute saßen alle schon beim Läuten auf ihren Plätzen, was ebenfalls komisch war. Normalerweise trudelten alle, ihrer Meinung nach, „wichtigen“ Personen nach dem Läuten oder nach dem Lehrer ein. Doch heute saßen alle auf ihren Plätzen und warteten gespannt auf den Lehrer. Mr. Lingam, unser Mathematik- und Chemieprofessor, ließ sich für seine Verhältnisse lange Zeit.
Als dann doch endlich die Tür aufschwang und Mr. Lingam hereinkam, wurde die Luft regelrecht schwer. Denn Mr. Lingam wurde von einer männlichen Person begleitet. Einer sehr männlichen Person, wie ich bei den diskret luftzufächelden Cheerleadern erkennen konnte. Einige stießen ein leises Aufseufzen aus.
„Das ist euer neuer Mitschüler Raphael Luzifaskas. Er wird sich selbst vorstellen.“ Mit einem Nicken bedeutete er unserem neuen vorzutreten und sich vorzustellen.
„Mein Name ist euch bekannt. Ich werde nicht allzu viel reden. Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit.“ Er deutete eine Verbeugung an, wobei sein leicht gelocktes schokobraunes Haar ihm in das ebenmäßige Gesicht fiel und blickte mir direkt in die Augen. Mich überliefen Schauer und ich konnte komischerweise meinen Blick nicht von dem seinen lösen. Mir war als sehe er in meine Seele, in meine persönlichen Abgründe.
„Du musst dich zu ähem, naja, wo der Platz frei ist, setzten.“ Das der Lehrer meine Namen nicht wusste, war ein Kracher, denn alle fingen zu lachen an. Während Raphael durch den Gang auf mich zu kam, wurde er von mitleidigen Blicken begleitet. Ich räumte meine Sachen zu einem kleinen Haufen, schob ihn in die Mitte, stand auf und wartete darauf, dass sich Raphael einen Platz aussuchte. Er nahm den beim Gang, wahrscheinlich um so schnell wie möglich von mir zu verschwinden.
Ich machte es mir am Fenster bequem und blickte in den strömenden Regen hinaus. Er peitschte gegen die Fenster. Es war wie Musik, die keinen Noten folgte und eine Wäsche für alles und jeden. Und ich würde am Heimweg wieder einmal bis auf die Knochen nass werden. Ich stieß lautlos einen Seufzen aus.
„Hej, ich bin Raphael, aber du kannst mich Raph nennen. Wie heißt du?“, flüsterte mein neuer Nachbar in einem Bass der mir eine Gänsehaut bescherte.
„Mein Name ist Cassandra, meine Eltern nennen mich Cassy. Aber in der Schule nennen mich alle Streber oder Mauerblümchen. Gewöhn es dir auch an, wenn du dazu gehören willst.“
Er setzte in diesem Moment zu einer Erwiderung an, doch er wurde von dem Schwarm der Cheerleader umringt, denn es hatte anscheinend geläutet.
Ich bekam einige Ellbogen zu spüren, doch es war mir egal. Ich drängte mich an dem Schwarm vorbei und lief regelrecht zum nächsten Fach. Chemie. Noch so ein Fach, dass man einfach hassen musste.
Ich saß natürlich auch wieder allein. Ich saß immer alleine. Ich hasste es, wenn man mich ablenkte oder voll quasselte. Ich wollte meine Ruhe haben, denn dann musste ich nicht zu Hause so viel lernen.
Ich hatte es gewusst. Raphael hatte ebenfalls Chemie. Er kam mit einer Traube von Mädchen in die Klasse und wieder fiel sein Blick auf mich und auf den leeren Platz. Doch Gott sei Dank, waren in Chemie noch andere Plätze frei und so wurde er von einer strahlenden Cheerleaderin auf einen leeren Platz gezogen.
Die Stunde begann. Er musste sich vorstellen. Der Lehrer wies ihn darauf hin, wenn er Fragen hätte, müsste er einfach nur mich fragen, denn ich war die beste Schülerin im ganzen Jahrgang. Ich lernte nun einmal leicht und ich hatte von meinem Dad das fotographische Gedächtnis geerbt.
„Miss Lunja, würden Sie mir bitte den Unterschied erklären?“
Natürlich konnte ich das. Es war einer meiner leichtesten Übungen. Also ratschte ich die Leier hinab und wurde mit einem Grinsen des Lehrers belohnt, während die „Coolen“ zu schnauben an fingen. Raphael sah mich bewundernd an.
Ich wand mich innerlich unter seinem Blick. Es war als würde…
Endlich war die Schule für mich aus. Ich durfte jeden Tag nach der 4 Stunde die Schule verlassen, denn ich musste mich um meinen Dad kümmern. Da ich die beste war, machte es dem Direktor und den Lehrern nichts aus.
„Hej Dad! Ich bin wieder da!“, flüsterte ich und beugte mich über meinen Vater, der in seinem Bett lag und mit starren Augen seine Umgebung musterte oder wie ich sagte, nieder starrte.
Seit meine Mutter sich das Leben genommen hatte und mein Vater es ebenfalls versuchte und scheiterte, liegt er in einem Art Wachkoma. Er nimmt laut Ärzten seine Umgebung war, doch ich wusste nicht, ob ich das glauben sollte, denn zeitweise zuckte er nicht einmal mit der Wimper. Ich musste für das Haus, die Pflege und die Versorgung aufkommen, so blieb kein Geld für Schnickschnack. Ich kaufe meist in einem Secondhandladen ein. Ich bekam Pflegegeld, Kindergeld, da ich noch keine 23 war und die Pension meines Vaters. Das Geld reichte gerade so.
Ich wusch ihn, fütterte ihn und las ihm eine Geschichte vor. Erzählte über meinen Tag in der Schule und über den neuen. Immer wieder fuhr ich liebevoll über das so vertraute und doch fremde starre Gesicht.
Ich hoffte jeden Tag, dass er erwachte, doch ich glaubte, er hatte keine Hoffnung und Willen um zu leben mehr. Seit meine Mutter…
Doch niemand machte sich auch nur Gedanken über mich. Keinen interessierte es, wie es mir in dieser Situation ging. Ich hatte keine Freunde mehr in dem Sinn, denn die meiste Zeit musste ich meine Dad pflegen. Tag und Nacht. 24h. Non Stopp.
Zeitweise wollte ich meinem Leben schon ein Ende machen, doch jedes Mal hielten mich die Gedanken an meinen Vater davon ab.
Doch hin und wieder ritzte ich mich. Denn ich brauchte den Schmerz um zu merken, dass ich noch lebte. Das ich etwas fühlen konnte. Ich fand es auch beruhigend, wenn ich sah, wie das Blut langsam auf die weißen Kacheln des Bades tropfte. Und mir gefiel der Kontrast zwischen einer unbefleckten Fliese und einer mit Blut befleckten.
Deshalb trug ich meist langärmelige T-Shirts, damit man die Schnitte und die Narben nicht sah. Man könnte mich als geisteskrank abstempeln, doch ich war nur noch eine Maschine, die funktionieren musste! Jeden beschissenen Tag.
Als ich sicher war, dass Dad wieder schlief, fing ich an das Haus zu putzen und meine Aufgaben zu machen.
Mein Dad wachte wieder einmal auf und machte seine komischen Geräusche, wenn er Hunger hatte. Also fütterte ich ihn und gab ihm seine Medikamente. Ich fühlte mich wie ein Mädchen, das als 13-jährige Mutter wurde.
Wenn er satt war, schlief er meist mehrere Stunden durch.
In dieser Zeit schlief auch ich.
Unsanft wurde ich aus dem Schlaf gerissen. Ich hasste meinen Wecker immer mehr.
Und wieder ging die gleiche Prozedur los. Dad füttern und waschen, sich selbst fertig machen und dann sich in die Schule schleppen.
„Hallo! Wo warst du gestern?“, fragte mich eine angenehme Bassstimme. Mist, ich hatte vergessen, dass ich nicht mehr alleine saß.
„Na, wo wohl? Unser Mauerblümchen trifft sich jeden Tag mit Typen, damit sie genug Geld hat“, dieser Kommentar wurde natürlich mit Johlern und Lacher begleitet.
Ich möchte einmal sehen, wie sie an meiner Arbeit zu Grunde gehen. Keiner würde es auch nur drei Tage aushalten. Ich hielt es schon seit 5 Jahren aus. Seit ich 12 war, kümmerte ich mich um meinen Dad.
Ich setzte mich einfach hin und blickte starr geradeaus. Ich sagte nichts mehr, denn ich würde nur ausgelacht werden.
Raph stieß mich an und schob mir einen Zettel hin, wo er fragte, wo ich gestern gewesen sei. Ich zuckte bloß mit der Schulter und sah wieder auf die Tafel.
Doch er gab sich nicht zufrieden.
„Bitte sage es mir. Ich werde es keinem erzählen. Vertrau mir!“
Vertrauen! Ich lachte mich zu Tode. Ich sollte einem neuen trauen, der keine Ahnung von mir hatte und mit den Cheerleadern herum hang. Für wie blöd hält mich der Typ.
„Ich vertraue keinen Menschen, die ich nicht kenne. Und es geht dich einen feuchten Dreck an, wo ich war.“
Er las es durch und zog die Augenbrauen zusammen.
„Dann lass mich dich besser kennen lernen!“
„Wieso sollte ich? Damit ich dir vertraue, meine Geheimnisse erzähle und du dann den Cheerleadern? So blöd bin ich nicht!“
Er wollte noch etwas sagen, denn er sah richtig wütend aus, doch ich gab ihm nicht die Chance. Die Glocke läutete. So schnell war ich noch nie aus dem Klassenraum geflohen.
Heute war Samstag. Ich war seit Dienstagnachmittag krank. Trotzdem schmiss ich den Haushalt und pflegte Dad. Unser Arzt kam einmal um meinen Dad zu untersuchen und als er da war untersuchte er mich gleich mit. Ich hatte bloß eine leichte Erkältung, aber ich sollte zu Hause bleiben.
Gerade als ich den Boden in der Küche schrubbte, läutete es an der Haustür.
Wer könnte es sein? War es unsere Nachbarin Ms. Dougl? Oder die Pflegeschwester?
Ich öffnete die Haustür und war überrascht. Es stand kein weibliches Wesen vor der Tür sondern Raph.
„Hallo! Ich habe dir alles mitgenommen, was wir in den letzten Tagen durch genommen haben.“
Wie selbst verständlich ging er an mir vorbei und sah sich im Erdgeschoss um. Als würde er sich in diesem Haus auskennen. Als wäre er schon ein Mal hier gewesen.
„Ahm, was machst du hier? Wieso weißt du wo ich wohne?“
„Ich hab dir schon gesagt, ich habe dir die Materialien mit gebracht und die Sekretärin hat mir deine Adresse gegeben.“
Er setzte sich an den Esstisch, wo schon lange keiner mehr gesessen hatte. Er musterte mich. Ich musste ein schönes Bild abgeben. Tiefe fast violette Augenringe, strubblige Haare und alte Klamotten.
„Möchtest du etwas trinken?“, fragte ich, denn mir war seine Musterung unheimlich.
„Gerne, was hast du da?“
Ich wusste es nicht, ging schnell zum Kühlschrank und zählte das wenige, was ich eingekauft hatte, auf.
„Orangensaft, bitte.“
Leicht zitternd stellte ich ihm das Glas vor die Nase und setzte mich zu ihm.
„Was haben wir gemacht?“
„Oh, in Deutsch werden wir ein Buch lesen. In Biologie werden wir vielleicht eine Exkursion machen. …“, doch er wurde von dem Gebrabbel meines Vaters unterbrochen.
Ich merkte wie sich meine Wangen tiefrot färbten. Er sah mich mit einer hochgezogenen Braue an.
„T´schuligung.“
Schnell sprang ich auf und lief zu dem Zimmer, wo mein Vater lag und sich wie ein Wahnsinniger hin und her wälzte.
Ich hatte nicht bemerkt, dass Raph mir gefolgt war, doch plötzlich spürte ich wie er mich an der Schulter fasste.
Ich machte mich los und trat an das Bett von meinem Vater. Nahm seine um sich schlagende Hände in meine und redete beruhigend auf ihn ein.
Langsam wurde er ruhiger, bis er eingeschlafen war.
Mühsam erhob ich mich und blickte in die Augen von Raph, der wie erstarrt an der Tür stand.
„Und genug geglotzt?!“, fuhr ich ihn an.
Ich rauschte an ihm vorbei in mein Zimmer. Wieder folgte er mir.
„Was! Kannst du nicht einfach verschwinden?“, schrie ich ihn an. Ich hatte keine Geduld mehr. Ich wollte nicht mehr.
Doch er tat etwas völlig unerwartetes. Er nahm mich in den Arm.
Mich hatte seit 5 Jahren niemand mehr in den Arm genommen. Erst war ich steif doch Sekunden später ließ ich mich in seine Arme fallen.
Er zog mich auf mein Bett, setzte mich auf seinen Schoß und wiegte mich hin und her. Durch diese Zärtlichkeit fing ich zu weinen an. Ich erlaubte mir das erste Mal seit 5 Jahren zu weinen. Mich von jemanden trösten zu lassen.
Langsam glitt ich in den Schlaf.
Die Sonne weckte mich. Langsam kam ich zu mir und merkte, dass ich in den Armen von Raph lag und geschlafen hatte. Sofort schoss mir das Blut in mein Gesicht. Ich hatte noch nie mit einem Jungen im selben Bett geschlafen. Und noch nie hatte mich ein Junge die ganze Nacht in den Armen gehalten.
Ich musterte ihn. Er sah friedlich und verletzlich aus. Das Laken war verrutscht und bedeckte seine nackte Brust nicht. Nackt?! Aber er hatte etwas an als ich einschlief. Erst jetzt sah ich an mir hinunter. Ich hatte sein T-Shirt an und meine Unterhose, mehr nicht. Neugierig hob ich die Decke an und sah, dass er nur eine schwarze Boxershort trug.
Ich widmete mich nun seiner Anatomie. Bauchmuskeln, die nicht allzu stark ausgeprägt waren und doch vorhanden waren. Seine Arme und Beine waren ebenso muskulös wie sehnig. Sein Körper war auf Ausdauer trainiert. Seine Haut hatte einen wunderbaren hellbraunen Ton, der mich stark in Versuchung brachte. Am liebsten würde ich ihn überall streicheln und liebkosen.
Als ich in sein Gesicht blickte, merkte ich, dass er mich beobachtete. Peinlich wie es für mich war, lief ich tiefrot an.
„Morgen! Du siehst wunderschön aus, wenn du rot wirst!“, flüsterte er und strich mir leicht über meine Wange, die mit größter Wahrscheinlichkeit noch ein tieferes rot annahm.
„Morgen!“, krächzte ich, „Wollen wir aufstehen?“
Er schüttelte den Kopf und zog mich zu sich. Er legte meinen Kopf auf seine Brust und nahm mich wieder in die Arme.
„Ich muss dich etwas fragen“, fing Raph an, „ erlaubst du mir, dass ich dich besser kennen lerne? Und dann sehen, was aus uns wird?“
Stumme nickte ich. Mein Herz galoppierte wie verrückt.
Ich fühlte mich wohl. Es war als gehöre ich zu ihm. Mein Körper ergänzte seinen und umgekehrt. Wir passten zusammen.
Ich schloss meine Augen und genoss den Moment.
Als ich wieder aufwachte, war ich alleine. Der Platz neben mir war leer. Ein Aufseufzen entfuhr mir. Es war einfach ein zu schöner Traum gewesen.
Lautes Scheppern lockte mich in die Küche.
Raph stand in Boxershorts und Schürze vor dem Herd und hantierte mit den Töpfen. Er sah einfach sexy aus. Ich würde dieses Bild nie mehr vergessen. Es war einfach wunderbar.
Ich fing zu kichern an.
Er hörte es und sah mich über die Schulter an.
Aus einem Impuls heraus, ging ich zu ihm. Meine Hände legten sich um seine Taille und ich küsste ihn.
Ich ihn!!! Ich hatte noch nie einen Jungen geküsst, doch es fühlte sich wunderbar an. Es war als bliebe die Zeit stehen und wir beide wären in einer anderen Welt. In einer, wo es nur uns beide gab. Nur Raph und mich.
Erst war er überrascht, doch er zog mich an sich und er übernahm die Führung. Seine Zungenspitzte strich über meine Unterlippe und bat um Einlass. Zögernd öffnete ich meinen Mund. Er nutzte es sofort aus und tauchte in meinem Mund ein. Er erforschte ihn, wie ein Forscher den unbekannten Dschungel. Ich ließ mich auf ein Duell mit seiner Zunge ein. Mir schickte der Kuss Schauer über den Rücken. Raph merkte es und lächelte leicht an meinen Lippen und er zog mich noch fester an sich. Ich konnte gerade noch atmen. Doch es machte mir rein gar nichts aus.
Der Kuss war wunderbar. Süß. Zärtlich. Leidenschaftlich.
Ich wusste nicht wie lange wir in der Küche standen und uns küssten.
Mein Dad stieß sein forderndes Gebrabbel aus, das den Moment zerstörte.
Langsam lösten wir uns von einander. Beide keuchten. Meine Lippen fühlten und waren wund. Zögernd blickte ich in seine Augen. Ich wusste nicht, ob er es bereuen würde, dass wir uns geküsst hatten. Doch er lächelte mich an. Das Lächeln zauberte ihm zwei Grübchen in das Gesicht. Ich konnte nicht wieder stehen und drückte sanft meine Lippen erst auf das eine Grübchen und dann auf das andere.
Sein Lächeln wurde tiefer.
Mir fielen bestimmt tausende Steine vom Herzen.
Noch immer hielt er mich in seinen Armen.
Langsam, zögerlich und bedauernd machte ich mich von ihm los, denn mein Dad schrie schon fast.
„Ich komme gleich“, flüsterte ich und löste mich sanft von ihm.
Es war wie in einem kitschigen Film, wo sich die Schauspieler bis zum Schluss in den Armen halten und keiner will den anderen loslassen.
Schnell lief ich die Treppe nach oben und ging in das Zimmer von meinem Dad.
Was ich dann sah, schockte mich. Mein Dad lag auf dem Boden und wälzte sich hin und her.
Scheiße. Wenn das passierte, hatte er einen Anfall gehabt.
Schnell lief ich die Treppen hinunter. Durch die Küche, vorbei an Raph, der mich überrascht anschaute.
In Dad seinem ehemaligen Arbeitszimmer stand das Telefon. Schnell wählte ich die Nummer des Krankenhauses. Da sie meinen Namen und meinen Dad kannten, kamen sie sofort.
Ich und Raph zogen uns in der Zwischenzeit an. Ich hatte ihm erklärt, was es bedeutete, wenn mein Vater vom Bett fiel und welche Konsequenzen dann kamen.
„Ich muss mitfahren.“
„Gut, kann ich auch?“
Ich sah einen Sanitäter fragend an und der nickte. Ich saß hinten bei meinem Vater und Raph vorne.
Dr. Walds wartete schon auf uns. Er war der beste Freund meines Vaters. Er war einer der wenigen, die sich Sorgen um mich machten.
„Wie geht es dir?“
Ich zuckte bloß mit der Schulter und legte meinen Kopf schief.
„Dein Vater hatte wieder einen Anfall. Sein Zustand hat sich verschlechtert. Es kann sein, dass er in ein Pflegeheim muss.“
Ich schluckte. In ein Pflegeheim. Woher sollte ich das Geld nehmen?
Verzweifelt blickte ich Dr. Walds an. Er nahm mich in den Arm. Wie früher. Er gehörte zu meiner Familie. Wir, also meine Eltern und ich und das Ehepaar Walds, machten öfters gemeinsame Ausflüge oder wir alle fuhren in den Urlaub. Zeitweise schlief ich bei den Walds, wenn meine Eltern wieder einmal ihr gemeinsames Wochenende hatten.
Ich war so etwas wie die Tochter der Walds, denn Maria konnte durch einen Unfall keine Kinder mehr bekommen. Seit mein Vater im Koma lag, kümmerten sich Edward und Maria sich um meine schriftlichen Angelegenheiten. Sie waren mein gesetzlicher Vormund. Sie unterschrieben alles was ich brauchte.
„Ahm, ich…“, stammelte Raph, der gerade um die Ecke kam und mich in den Armen von Dr. Walds sah.
Er sah mich erst geschockt, dann verletzt und abweisend an.
Ich befreite mich aus den Armen und ging in die Intensivstation. Ich wollte mit Raph im Moment nicht reden, denn die Diagnose hatte mir den Boden unter den Füßen weg gezogen.
Die grüne Kleidung hasste ich. Kam mir wie ein Alien vor.
Sanft setzte ich mich an das Bett. Vaters Augen waren geschlossen. Überall piepste es und ich musste aufpassen an keinem der Schläuche an zu kommen.
„Dad, bitte wach auf. Ich brauche dich doch! Dad!“
Lautlose Schluchzer kamen aus meinem Mund. Meine Seele schrie und doch erlaubte ich es mir nicht in Tränen aus zu brechen. Immer wieder strich ich über seine Stirn. Immer wieder.
„Cassy, wach auf! Du musst in die Schule“, Dr. Walds rüttelte mich leicht.
Verschlafen blinzelte ich ihn an. Ich war auf dem Bett von meinem Vater eingeschlafen, doch jetzt lag ich auf einer weichen beigen Couch.
„Wo…?“
„Du bist in meinem Büro. Ich schlafe auch öfters auf der Couch. Ist eigentlich ganz bequem, nicht wahr?“, fragte er mich mit einem Zwinkern.
„Hier sind ein Kaffee, ein Donut, ein gefülltes Brot und eine frische nagelneue Zahnbürste. Ich habe mir erlaubt, dir deine Schulsachen zu holen.“
Ich lächelte ihn dankbar an.
„Ach, der Junge von gestern. Er kam noch einmal vorbei um mich als Pädophiler zu beschimpfen.“
Oh Gott! Raph hatte Edward als pädophil beschimpft.
„Oh, das tut mir leid. Ich werde mit ihm reden.“
Doch Dr. Walds lachte nur.
„Nein, es ist in Ordnung. Ich glaube der Junge mag dich. Sehr sogar. Ich finde du passt zu ihm. Außerdem würde ich niemanden meinen Schatz geben, der ihrer nicht würdig ist.“
Ich nickte benommen.
„Bring ihn am nächsten Samstag mit. Er ist zum Abendessen eingeladen. Maria will ihn unbedingt kennen lernen.“
Ich stöhnte auf. Das würde peinlich werden. Maria würde ihn aus fragen.
Edward der meinen Gedanken erraten hatte, lächelte mich aufmunternd an.
„Hier, Maria borgt dir ihren Wagen. Mach ihr ja keine Kratzer in den Lack.“
Mit diesem letzten Satz ging er wieder und lies mich in seinem Büro alleine.
Automatisch machte ich mich für die Schule fertig.
Als ich in meine Klasse kam, wurde es schlagartig still. Raph saß bei den Cheerleadern auf dem Tisch. Die Mädchen kicherten und lächelten um die Wette. Raph würdigte mich nicht eines Blicks.
Ich hatte mich doch getäuscht. Ich dachte er wäre anders. Ich war dabei mein Herz an ihn zu verlieren. Scheiße.
Der Geschichtsunterricht war langweilig. Wir nahmen die Unterschiede zwischen dem antiken Rom und dem antiken Griechenland durch.
„Professor Norm, stimmt es, dass in dieser Epoche das normalste war, wenn man so zu sagen pädophil war?“
Ich merkte wie ich mich versteifte.
„Miss Amber, ich weiß nicht wie Sie auf dieses Thema kommen, aber in gewisser Weise war es das normalste wenn ein älterer Mann einen jüngeren Liebhaber hatte. Würden Sie mir bitte verraten, wie Sie zu dieser Frage kamen?“
„Nun ja. Ich habe gehört, dass ein Mädchen aus unserer Klasse“, sie warf mir ganz zufällig einen Blick zu, „einen älteren Mann als Freund oder was auch immer habe. Ist es eigentlich gesetzlich verboten?“
Professor Norm´s Blick blieb auf mir hängen.
Ich dagegen starrte Raph an. Er hatte keine Miene verzogen aber er sah mich auch nicht an.
„Miss Cassandra, wollen Sie sich zu diesem Thema äußern?“, fragte mich der Professor.
„Wieso sollte ich? Ich weiß nicht, wieso wir das durch nehmen, wo es doch nicht im Lehrplan steht.“
„Ach komm, Cassy, gibs doch zu!“, meinte Manuel, ein Footballspieler.
„Was sollte ich zu geben?“
„Na, dass du etwas mit einem alten Mann hast?!“, zwitscherte Sandra. Freundin von Manuel und ebenfalls Cheerleader.
Nun sah mich Professor Norm geschockt an. Seine beste Schülerin mit einem alten Mann!
„Ich habe nicht mit alten Männern. Wie kommt ihr auf diesen Scheiß?“, fragte ich etwas lauter.
„Nun, Raph hatte eine Wette mit und abgeschlossen. Er meinte er wäre der erste, der dich, das verklemmte Mauerblümchen flach legt. Und siehe da, er war der erste! Und er hat uns erzählt, dass du dich mit einem alten Arzt triffst und dich wie ein Kätzchen an seine Brust geschmiegt hast.“
Die ganze Klasse brüllte vor Lachen und wieherte.
Geschockt sah ich Raph an. Ich konnte es nicht glauben.
„Was bist du doch für ein mieses Arschloch. Ich hätte dir nie vertrauen dürfen und doch war ich so blöd. Du hast nicht die geringste Ahnung von mir oder meinem Leben. Nicht die geringste und doch musst du dich darin einmischen. Ich hatte gedacht du wärst anders und doch bist du nur ein beschissener Arschkriecher. Verschwinde aus meinem Leben. Verschwinde aus meinen Augen!“, zischte ich ihm zu, packte meine Sachen und stürmte aus dem Klassenzimmer.
Mir kamen die Tränen und doch lief ich immer weiter. Ich reagierte nicht einmal auf die Rufe von Lehrern. Ich lief einfach.
Über die Straße. Durch den Park. In den Wald hinein.
Ich lief immer weiter bis ich vor meinem Lieblingsplatz stand.
Die Höhle hatte ich im Alter von 9 Jahren mit meinem Dad erforscht. Die Höhle und der Wald gehörten meinem Dad. Er war einer der reichsten hier und doch konnte ich nicht von dem Vermögen leben. Erst mit 18.
Der Höhleneingang lag versteckt hinter einer alten verfallenen Hütte.
Ich kannte die Höhle wie meine Wespentasche. Schnell war ich in der Höhle drinnen. Ich folgte den Gängen bis ich in der größten Höhle war.
In der Mitte lag ein kleiner See, der von einer warmen Quelle gespeist wurde. Seine türkise Farbe lud mich immer wieder zum Baden ein. Der See war ganz jährig angenehm warm.
Schnell zog ich mich aus und sprang hinein. Das Wasser umfing mich warm. Es schmiegte sich an mich wie eine zweite Haut.
Ich liebte es in diesem klaren Wasser zu schwimmen. Seit ich ein kleines Kind war, schwamm ich immer wieder in diesem geheimen See.
Langsam und gleichmäßig schwamm ich im See meine Runden.
Ich schaltete ab. Ich vergas alles. Die Schule. Dad. Raph.
Ich wusste nicht wie lange ich schwamm. Irgendwann hörte ich auf. Im seichten Gewässer blieb ich am Rücken liegen mit geschlossenen Augen.
Langsam musste ich aber wieder gehen, ich wollte zu meinem Dad.
Schnell trocknete ich mich mit Handtüchern ab, die ich und Dad immer hier gelagert hatten.
Meine Haare waren nass, doch es war mir egal, ob ich sterben würde.
Schnell lief ich zur Schule zurück. Ich musste Maria das Auto auch zurück bringen.
Als ich bei dem Auto stand traute ich meinen Augen nicht. Lässig an die Motorhaube gelehnt stand Raph. Sobald er mich sah erstrahlte ein Lächeln sein Gesicht.
Was wollte dieses Arschloch hier?
„Hey! Ich muss mit dir reden!“, fing er an.
Wortlos ging ich bei ihm vorbei und kramte nach dem Autoschlüssel. Ich ignorierte ihn. Ich wollte ihn nicht mehr sehen. Nie mehr.
„Bitte, lass mich alles erklären.“
Er wollte nach mir greifen, doch ich wich ihm aus.
Endlich hatte ich meinen Autoschlüssel gefunden. Sperrte das Auto auf, stieg ein und fuhr vom Parkplatz. Ich sah im Rückspiegel wie Raph zu seinem Auto lief, hinein sprang und mir nach fuhr.
So ein Scheißkerl.
Zügig fuhr ich zum Haus der Walds.
Er fuhr mir den ganzen Weg nach.
Mit quietschenden Reifen blieb ich in der Einfahrt stehen. Raph blieb gleich neben der Einfahrt stehen. Er sprang aus dem Wagen während ich Richtung Eingangstür ging.
„Cassy, warte doch bitte!“
Ich ignorierte. Lässig schüttelte ich mein feuchtes Haar.
„Cassy, mir tut es leid. Ich hätte nicht…“
„Nein, hättest du nicht, hast du aber“, fuhr ich ihn ins Wort. Ich musterte ihn kalt. Er wand sich unter meinem Blick.
„Verschwinde von hier. Du bist nicht willkommen. Nie mehr. Fick eine der Cheerleaderinnen und lass mich in Ruhe!“, zischte ich ihm zu.
„Süße, du bist ja schon da!“
Maria stand in der Tür und strahlte mich an. Sie humpelte zu mir und breitete die Arme aus.
Ich floh in ihre Arme und kuschelte mich in ihre Arme. Ihr Duft hüllte mich ein. Er erinnerte mich an meine Kindheit. Für mich bedeutete er Zuhause.
„Oh, wer ist der junge Mann?“
Sie ließ mich aus ihrer Umarmung und musterte neugierig Raph.
„Niemand. Er wollte gehen.“
„Ma´am, mein Name ist Raphael und ich gehe mit Cassy in die Klasse. Sie hat mir geholfen mich ein zu gewöhnen.“
„Oh, dann bist du der Junge, der meinen Mann als pädophil bezeichnet hat.“
Meine Augen mussten sich eingetrübt haben, denn ich sah tatsächlich wie Raph rot wurde. Ich sah wirklich schlecht. Schnell schüttelte ich meinen Kopf.
„Ich möchte mich entschuldigen. Die Pferde sind mit mir durchgegangen, als ich Cassy in den Armen ihres Mannes sah. Es tut mir leid.“
Er verbeugte sich leicht.
Meine Tante musterte ihn noch einmal genau.
„Gut. Das gehört sich nun einmal. Ich und mein Mann Edward sind uns einig, dass du Cassy verdient hast.“
Mir stand der Mund offen. Ich musste mich verhört haben. Eindeutig.
„Danke.“
„Du kannst zum Abendessen bleiben, aber nur wenn du willst.“
„Ich würde sehr gerne. Noch einmal herzlichsten Dank.“
Sprachlos ging ich in mein Zimmer. Zog meinen Pulli aus. Als ich mich gerade aus dem feuchten BH schälen wollte, klopfte es und gleich darauf ging die Tür auf.
Raph .
Scheiße!
Schnell riss ich meine Bettdecke vor meine Brust.
„Was in Dreiteufelsnamen, machst du hier? Das ist mein Zimmer.“
Er sah auf den Boden.
„Ich möchte mit dir reden. Nein, bitte, hör zu. Ich habe die Wette angenommen, denn das war meine Ausrede, damit ich in deiner Nähe sein konnte. Ich mag dich, wirklich.
Ich wollte wissen, wie du tickst. Was du magst oder nicht. Wie du wirklich bist. Ich wollte dich kennen lernen.
Ich habe allen gesagt, ich hätte mit dir geschlafen, damit ich und du in Ruhe gelassen werden.
Ich wollte dich nicht benützen. Ich wollte dich nie im Leben verletzten.
Bitte glaub mir. Bitte, Cassy.
Ich…“
Ich sah ihn wartend an.
„Du bist wunderschön in meinen Augen. Du bist die schönste Blume der Welt, die gerade erst am erblühen ist. Dein Duft macht mich schwindelig. Dein Lächeln erwärmt mich.
Alles an dir ist perfekt.
Ich möchte nicht ohne dich leben. Keinen einzigen Tag.
Ich weiß es ist zu bald, aber ich bin mir sicher. Meine Gefühle für dich sind unermesslich tief.
Ich … liebe dich.
Cassy, ich liebe dich!“
Stille.
Unangenehme Stille.
Peinliches Anschweigen und Anstarren.
Ein Räuspern.
„Würdest du mich bitte alleine lassen?“, krächzte ich leise.
Ich wollte alleine sein, denn ich wusste nicht, was ich mit meinen Gefühlen und mit seinem Geständnis anfangen sollte.
„Cassy…“
„Bitte, ich muss …“ Ich wusste nicht, was ich machen musste. Ich fuchtelte nichts deutend vor meinem Gesicht herum.
In seinem Gesicht spiegelten sich die verschiedensten Emotionen.
„Gut, ich bin dann unten…“
Die Tür schloss sich leise hinter ihm.
Ich lehnte mich an die Wand und rutschte sie langsam nach unten. Mein Kopf war leer. Was sollte ich nun tun. Einerseits wollte ich ihm verzeihen aber auf der anderen Seite hatte er mich betrogen und angelogen. Konnte ich ihm das verzeihen? Wollte ich ihm verzeihen?
Eindeutig ein Dilemma.
Was sollte ich tun?
Mechanisch machte ich mich fertig. Ich hatte hier einen eigenen Schrank mit Kleidung und allem drum und dran.
Eine schwarze Röhre und ein schwarzes enges Shirt. Kein Schmuck. Kein Make-up.
Langsam ging ich die Treppen nach unten. Vor der Tür blieb ich stehen.
„…es tut mir wahnsinnig leid, dass ich Sie beleidigt habe. Ich wusste nicht… und als ich Cassy in Ihren Armen sah… nun, da sind mir einige Sicherungen durchgebrannt…“
„Ist schon vergessen. Aber eine Frage hätte ich schon. Was fühlst du für unsere Kleine?“
„… Ich möchte sie am liebsten vor allem und jedem beschützen. Ich möchte sie nicht loslassen. Ich…liebe sie. Ja, ich liebe sie!“
Mein Herz schlug schon wieder schneller. Verdammt, ich sollte ihm noch nicht verzeihen.
Langsam öffnete ich die Tür.
Alle saßen am Tisch. Raph saß da, wo ich immer saß. Maria und Edward saßen ihm gegenüber.
Scheiße. Ich musste mich eindeutig neben Raph setzten.
Er sprang auf und zog den freien Sessel ein Stück zurück, damit ich mich hinsetzten konnte. Ich ließ mich nieder und er schob sanft den Stuhl zum Tisch.
Dankend neigte ich den Kopf und wandte meine Aufmerksamkeit dem Essen zu. Es gab einen Schmorbraten mit Kartoffeln und Brokkoli. Mein absolutes Lieblingsessen.
Kräftig langte ich zu.
Raph sah mich ungläubig an.
„Was?“, fragte ich unfreundlich. Ich hasste es wenn man mir beim Essen zu sah. Da kam ich mir immer fett vor.
„Nichts, ich bin erstaunt, dass du etwas isst.“
Fragend sah ich ihn an.
„Die ganzen Cheerleader zählen Kalorien und mühen sich im Fitnessstudio ab. Und du … Du hast eine geniale Figur und isst trotzdem etwas.“
Mit einem Nicken machte ich mich wieder um mein Essen her.
„Was hältst du davon, wenn Raph heute hier schläft?“, fragte mich Maria.
Vor Schreck verschluckte ich mich. Hustend versuchte ich wieder Luft zu bekommen. Raph klopfte mir sacht auf den Rücken.
„Was?“, krächzte ich fassungslos.
„Wir gehen heute noch wo hin. Ihr werdet euch aus sprechen. Raph, du hast etwas getan, was man einfach nicht tut. Ich verstehe dich auch, Cassy, aber gib ihm eine Chance“, sagte Edward.
„Vielleicht werdet ihr einmal heiraten und dann seid ihr uns dankbar.“
„Ich würde gerne hier schlafen, wenn Cassy es auch wünscht“, meinte Raph leise. Er sah mich an.
Ich überlegte. Sollte ich ihm noch eine Chance geben und es in Kauf nehmen, dass er mir wieder das Herz brach? Oder sollte ich es wieder versuchen und glückliche Stunden mit ihm verbringen?
Nichts sagend zuckte ich mit der Schulter und machte mich wieder über das Tiramisu her.
Als ich zu ihm schielte, sah ich dass er erleichtert lächelte. Meine Tante und mein Onkel schienen mit sich zufrieden. Edward strich Maria zärtlich über ihre in einander geschlungene Hände.
Nach dem Abendessen halfen Raph und ich das Geschirr weg zu räumen. Ich wollte so schnell wie möglich in mein Zimmer gehen und alleine sein.
Ich stieg die Treppen hinauf und Raph folgte mir auf den Fuß. Vor meinem Zimmer zeigte ich auf die letzte Tür und meinte, dass er da schläft. Ich wollte gerade in mein Zimmer gehen als ein Arm mich umschlang.
„Bitte, gib mir eine Chance. Wenn du mich nicht ansiehst oder mich nicht einmal beachtest, fühlt es sich an als würde mir etwas Wichtiges in meinem Leben fehlen.
Was soll ich tun, damit du mich wieder anlächelst oder dich an mich klammerst? Was? Sag es einfach! Ich würde alles tun, nur damit du mich wieder ansiehst.“
Ich drehte mich in seinen Armen zu ihm um und sah ihm direkt in die Augen. Blickte in diese wunderschönen traurig und doch hoffnungsvoll blickende Augen. Augen, die zu dem Mann gehörten, in den ich mich zum ersten Mal verliebt hatte und der mir auch zum ersten Mal weh tat.
„Würdest du dich zu mir bekennen? Ich meine, so richtig. Nicht im Heimlichen, wo uns niemand sehen kann, sondern, wenn ich in der Schule Lust bekäme dich zu küssen und so… Dass du mich nicht weg stößt und dann sagst, nein, nicht hier… Würdest du das für mich tun?“
Ich merkte wie er die Luft angehalten hatte und nun stieß er sie mit einem erleichterten Seufzer aus.
„Natürlich! Du gehörst zu mir, wie ich dir gehöre. Wieso sollte ich das nicht wollen?“
„Heute in der Schule… warst du so…“, weiter kam ich nicht, denn er versiegelte meine Lippen mit den seinen. Zärtlich war dieser Kuss. Behutsam.
„Heute war ich nicht ich. Irgendwie wollte ich dich verletzten als ich dich in den Armen von Edward sah. Ich war rasend vor Wut. Ich konnte nur mehr denken, sie hat dich ausgenützt und einen anderen hat sie schon längst. Doch so richtig wollte ich es nicht glauben, denn dein Kuss in der Küche, der war so anders, so viel mehr, als ich jemals erlebt hatte. Ich wollte, dass du nur mir gehörst und niemandem anderen, vor allem keinem alten Arzt.
Gott, ich hoffe, du wirst mir irgendwann, diese peinliche und verletzende Sache vergeben. Ich hoffe so sehr. Ich möchte, dass wir unser Leben gemeinsam leben.
Als ich neben dir aufwachte und dich sah, so zart, so wundervoll unschuldig, wollte ich, dass es immer so ist. Dass, du immer neben mir bist an meiner Seite. Meine beste Freundin. Meine größte Konkurrentin und doch nur die meinige.
Du hast dich perfekt angefühlt, wie du dich im Schlaf an mich geschmiegt hast und …“
Ich fühlte mich richtig gerührt. Er hatte wieder mein Herz in der Hand.
Ich konnte nicht anders und schmiegte mich wieder an ihn.
„Meinst du es wirklich ernst?“, fragte ich schüchtern und linste zu ihm hoch.
Ungläubig sah er mich an.
Bevor ich überhaupt reagieren konnte, kniete er sich vor mir nieder.
„Liebste Cassandra, auch wenn wir zu jung sind, möchte ich dich hier und heute in einer etwas weniger romantischen Umgebung fragen, ob du mich heiraten willst.“
Stille.
Meine Kehle war staubtrocken.
Ich brachte kein einziges Wort aus meiner Kehle.
„Also, willst du meine Frau werden und mich zu deinem Mann nehmen?“, fragte er mich und blickte mich flehend und doch resigniert an.
Ich konnte mich nicht bewegen.
Konnte nicht richtig denken.
Ich konnte es nicht glauben, dass Raph mir einen Heiratsantrag gemacht hatte.
Plötzlich seufzte er tief, stand auf und lies langsam meine Hand los.
„Wahrscheinlich habe ich es verdient, dass du mich nicht willst und doch habe ich mir Hoffnungen für eine gemeinsame Zukunft gemacht.“
„Was?“, krächzte ich verwundert. Was meinte er? Verdammt noch mal, ich kam nicht mit.
„Ich.., naja, ich hatte gehofft, dass… du und ich… naja, du weißt schon“, stammelte er, drehte sich um und ging langsam mit hängenden Schultern die Treppen nach unten.
Zögernd streckte ich meine Hand nach ihm auf. Er durfte nicht gehen! Er durfte mich nicht alleine lassen in dieser Welt.
„Raph“, probierte ich es. Zu leise, er merkte es nicht einmal.
„Raph“, dieses Mal etwas lauter.
Ich merkte, wie er langsamer wurde und seinen Kopf leicht in meine Richtung drehte.
„Raph!“, schluchzte ich auf und schmiss mich in seine Arme ohne darauf zu achte, dass er noch auf der Treppe stand.
Ich wollte ihn nicht mehr hergeben. Nie mehr. Er gehörte mir, wie ich ihm.
Er war mein Leben.
„Was hast du?“, fragte er mich erschrocken nachdem er verhinderte, dass wir die Treppen nach unten fielen.
„Natürlich! Natürlich! Wie kannst du etwas anderes denken?!“
„Was meinst du? Ich verstehe dich nicht“, meinte er etwas überfordert und wischte mir meine Tränen von den Wangen.
„Natürlich will ich dich heiraten!“, jubelte ich.
Sofort senkten sich seine Lippen auf meine und er küsste mich, wie er es noch nie tat. Als gäbe es kein morgen mehr.
„Gott und ich dachte, du willst mich nicht, weil du nicht geantwortet hast“, keuchte er als er sich endlich von mir lösen konnte.
„Nein, ich war so, ich weiß nicht, schockiert, überrascht, nein ich weiß kein Wort, das das Gefühlschaos in mir erklären könnte.“
„Ich liebe dich bis ans Ende unserer Tage!“
Bevor ich überhaupt antworten konnte, hatte er mich schon geküsst.
Ich weiß nicht wie lange wir auf der Treppe standen und uns küssten.
Plötzlich waren seine Arme und seine Lippen weg. Suchend öffnete ich meine Augen um zu sehen, wo Raph war. Doch schon wurde ich hoch gehoben und in mein Zimmer getragen.
Vor der Tür blieb er stehen und sah mich ernst an.
„Darf ich dich über die Schwelle tragen?“, fragte er mich ernst.
Schnell nickte ich, was mir einige Sterne, die vor meinen Augen tanzten, bescherte.
Lächelnd trug er mich in mein Zimmer.
Sanft stellte er mich auf den Boden und fing an mich aus zu ziehen. Er bückte sich zog mir die Socken aus. Dann schälte er mich aus meinem restlichen Gewand bis ich nur mehr in Unterwäsche vor ihm stand.
Er musterte mich leicht lächelnd, was mir irgendwie unangenehm war, was er anscheinend merkte, denn er blickte mir in die Augen als er anfing sich aus zu ziehen.
Nur mit seiner schwarzen Boxershorts bekleidet stand er vor mir und hielt mir sein T-Schirt hin. Ich schlüpfte schnell hinein. Sein Duft stieg mir in die Nase und ich sog ihn tief in mich.
„Komme, lass uns schlafen“, meinte er leise und legte sich mit mir hinein.
Ich kuschelte mich an seine Brust. Bevor ich einschlief, berührten mich seine Lippen.
Ich wachte auf und war alleine.
Desorientiert suchte ich Raph doch nur sein Geruch hing im Zimmer. Schnell stand ich auf, was mich sehr nahe dem Fußboden brachte uns stolperte in die Küche.
Dort lehnte Raph in frischen Jeans und einem Hemd, welches ihm unendlich gut stand an der Wand mit einer Kaffetasse in der Hand.
Sobald er mich sah, ging ein Strahlen durch sein Gesicht. Er kam auf mich zu, beugte sich zu mir herunter und küsste mich ganz sanft.
Doch ich drehte mich um.
„Was?“, fragte er leicht verärgert.
„Ich hab noch nicht Zähne geputzt und außerdem …“
Es war ihm egal, denn er küsste mich wieder, diesmal schnellte seine Zunge in meinen Mund, was mir ein Stöhnen entlockte.
„Mir ist egal, ob du die Zähne geputzt hast oder nicht. Ich liebe alles an dir“, ohne auf meine weitern Proteste zu achten, stahl er mir einen langen Kuss.
„Oh, guten Morgen. Wie ich sehe versteht ihr euch wieder“, sagte Maria erfreut, die mit Edward Hand in Hand in die Küche kam.
„Wir verstehen uns wieder gut. Sehr gut“, meinte Raph mit einem Grinsen und umarmte mich von hinten. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich nur in einem T-Shirt vor ihnen stand. Doch als ich Maria sah, musste ich lächeln, denn sie trug ein Hemd von Edward.
Als sie merkte, dass ich sie musterte, lächelte sie mich an. Ich konnte nicht anders und grinste sie an.
„Soll ich ihnen sagen, dass wir uns verlobt haben ohne Ring?“, fragte mich Raph flüsternd.
Ich zuckte unbestimmt mit den Schultern. Ich wusste nicht, ob ich es ihnen sagen sollte. Würden sie sich für mich freuen? Oder würden sie mich drängen, dass ich es nicht tun sollte?
„Warten wir noch bis ich 18 bin, denn dann können sie nichts sagen, oder?“, meinte ich zu ihm.
Er nickte, auch wenn er nicht wirklich glücklich mit meiner Entscheidung zu scheinen schien.
„Ich möchte, dass wir dann gleich zusammen ziehen, wenn du willst…“, flüsterte ich unbestimmt, denn ich wusste nicht, wie er auf meinen Vorschlag reagieren würde.
Doch sofort strahlte sein Gesicht.
Stürmisch senkten sich seine Lippen auf meine und küsste mich als gebe es kein morgen.
Maria und Edward räusperten sich.
Wie von einer Tarantel gestochen fuhren wir auseinander.
„Kommt, lasst uns frühstücken“, sagte Maria fröhlich und zog Edward hinter sich her. Ich merkte, wie er Maria auf das sanft hin und her schwingende Hinterteil starrte und ein genüssliches Lächeln sich auf seinen Lippen ausbreitete.
„So werden wir auch einmal sein. Wir werden uns lieben, wie am ersten Tag, das verspreche ich dir. Und wenn nicht, werden wir beide daran arbeiten, dass es so wird. Hmmm, habe ich dir heute schon gesagt, dass ich dich liebe?“, fragte er mich. Ich schüttelte den Kopf und lehnte mich an seine Brust.
„Ich liebe dich“, hauchte er mir zu.
„Ich dich auch.“
„Nein, unser Schlafzimmer soll dunkelrot werden und nicht ein steriles weiß. Ich mag weiß nicht, das ist so … Kalt.“
Raph diskutierte mit mir, wie unser gemeinsames Heim werden wird. Wir haben beschlossen, dass wir beide in mein Haus ziehen werden und mein Kinderzimmer unser Schlafzimmer werden wird. Und nun stritten wir um Farben. Wo ich immer auf neutrales weiß plädiere, doch irgendwie ist Raph immer der, mit dem Dekotrick und mit den Farben.
Wir haben uns, nach knallhartem diskutieren, geeinigt, dass wir die Küche in ihrem jetzigen Zustand belassen, aber das Wohnzimmer, sowie das Esszimmer würden neu gestrichen und möbliert werden.
Esszimmer wird in Brauntönen gehalten mit einigen Akzenten in orange. Das Wohnzimmer wird grün mit beige. Alles ging nach Raph.
Er konnte nicht still halten, also musste ich ihm helfen, die Zimmer aus zu messen, damit er einen Plan zeichnen könnte, damit ja nichts schief ging.
Zwei schweißtreibende Wochen später, wo wir beide noch immer das Schulgespräch schlecht hin waren, waren unsere, seine, Pläne in die Tat umgesetzt worden.
Ich musste zugeben, es hatte das gewisse Extra. Gemütlich. Wohnlich. Heimelig.
Raph war mit sich sehr zufrieden. Er sprühte regelrecht vor Zufriedenheit und Besitzerstolz über. Am liebsten würde ich ihm zeitweise, das Grinsen aus dem Gesicht wischen.
In diesen beiden Wochen war viel passiert.
Am Montag holte mich Raph von zu Hause ab und wir fuhren gemeinsam zur Schule. Als ich aus seinem Auto aus stieg, konnte ich förmlich die Blicke spüren, die mir alle Schüler zu warfen.
Ich glaube, es wurden viele Mädchen ohnmächtig, als sie sahen wie Raph mich gegen das Auto drückte und mich fünf Minuten lang leidenschaftlich küsste. Unsere Zungen duellierten sich. Nach den ersten Sekunden war es mir egal, ob mich Lehrer oder irgendwelche Schüler mit Raph sahen. Er gehörte mir und das sollte jeder sehen.
Ich konnte nicht anders ich musste ihn näher an mir spüren. Also legte ich meine Arme in seinen Nacken und zog ihn zu mir. Seine Hüften an meinen.
Da spürte ich es. Seinen kleinen großen Freund. Mir entfuhr ein Keuchen. Raph drückte sich automatisch enger an mich. Ich konnte nun seine vollen Ausmaße spüren. Mir lief ein Schauer der Erregung durch mich hin durch.
Langsam löste er sich von mir und blickte mir tief in die Augen.
„Ich liebe dich“, hauchte er an meinen Lippen.
„Ich dich auch“, flüsterte ich und küsste ihn zart.
Texte: Alle Personen und die Handlung sind mein "Eigentum", darum bitte ich euch diese nicht nach zu machen. Danke!
Tag der Veröffentlichung: 08.02.2010
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