Cover

Ich weiß nicht genau, wie ich eigentlich hierher gekommen bin. Keine Ahnung, ob ich geklont wurde. Jedenfalls fand ich mich zum ersten Mal in einem riesigen Korb mit meinen gleich aussehenden Artgenossen wieder. Wir waren weiß mit schwarzen Punkten rings um- ziemlich langweilig. Als ich jedoch einmal nicht widerstehen konnte, einen meiner Nachbarn in den Hintern zu kneifen, habe ich die Erfahrung gemacht, dass wir ziemlich gut gepolstert zu sein scheinen. Das Problem ist, dass ich, um ehrlich zu sein, nicht wusste, ob ich ihm wirklich in den Hintern gepiekst habe oder doch vielleicht in ein anderes Körperteil. Wenn man es ganz genau nimmt, lässt unsere Form es gar nicht zu, weder zu kneifen noch gekniffen zu werden- wir sind nämlich so ziemlich rund. Und das kann ganz schön lästig sein. Bevor ich zum ersten Mal aus den Korb befreit wurde, hatte ich nicht einmal geahnt, wo ich hinkommen würde. Meine Kumpels, die so viele Tage lang mit mir über unsere intimsten Gefühle geredet hatten, wussten ebenfalls nicht oder taten so, als würden sie nicht wissen, wohin die Reise geht.
Schließlich aber kam der Tag, an dem ich frei gelassen wurde. Wir wurden zusammen in einem Netz ins Stadion getragen, das von lautem Tröten und Gebrüll gefüllt war. Bunt gestreifte Tücher hingen an den Wänden, rote und weiße Menschen liefen auf und ab.
Ich fand zum ersten Mal einen Vorteil darin rund zu sein und flink über die Rasenfläche zu fliegen. Ich brauchte mich nicht einmal besonders anzustrengen, sondern beobachtete, während ich gemütlich rollte, die kleinen Tierchen auf den Boden. Bevor ich aber eine Ameise ansprechen konnte den Schlag meines Lebens in den Nacken, zumindest dachte ich, es wäre mein Nacken. Wahrscheinlich war das schrille Pfeifen das Startsignal für die Folter der Bälle, denn plötzlich drückte eine ungemeine Kraft meinen Körper zu Boden, dehnte meine Form, sodass ich fast eher einem Ei glich als einer Kugel. Ich war ziemlich erbost, als dieses Gewicht mich für einen kurzen Moment losließ, um mich jedoch gleich darauf wieder nach links zu schieben. Mir blieb beinahe die Luft weg! Am liebsten hätte ich einerseits laut los gelacht, denn das grüne Gras kitzelte über meinen leicht gewölbten Bauch. Doch andererseits ging es mir ziemlich gegen den Strich, dass ich nicht wieder einfach fliegen konnte. Noch jetzt tut mein kleiner Popo weh, wenn ich daran denke, dass ich ganz unerwartet frei umherrollte und im nächsten Moment geschlagen wurde. Der Schmerz war grauenvoll und hätte ich eine Stimme, dann glaube ich, hätte ich diesen verdammten Typen, der mich misshandelt hat, so sehr angeschrieen, dass sein hübsches Ohr zu Boden fiele. Doch ich hatte gar nicht so viel Zeit über meine Rache nachzudenken, denn ich drehte mich furchtbar schnell. Ich wusste gar nicht, wo hinten und vorne war, als sich auf einmal rasant etwas Gelbes näherte. Ich prallte mit voller Wucht gegen diese breite Brust, die mich behutsam umarmte- und kurz darauf auf den Boden presste. Mein Gott, wie brutal! Langsam vermisste ich die Zeit, als ich mit meinen Kollegen entspannt herumlag und wir uns über das Gute und Schlechte der Welt unterhalten haben.
Es dauerte nicht lange, bis ich erneut losgelassen wurde (Nicht ohne einen Schlag in meinen zierlichen Hintern) und über das Grüne schoss. Hellgrün, dunkelgrün, hellgrün, dunkelgrün… weiß. Erst zu spät sah ich die Wand näher kommen. Vergeblich versuchte ich meine Lesekünste einzusetzen, doch fand keinen Sinn in den angereihten Buchstaben AD- I- DAS. Dann setzte ich meine gesamte Kraft auf, um meine Geschwindigkeit zu drosseln, doch daraus wurde nichts. Ich knallte gegen das I und blieb benommen liegen. Nach Luft schnappend, nahm ich nun an, dass es vorbei sei, doch mit flimmerndem Blick, sah ich einen roten Typen angetrabt kommen. Bevor ich es registrieren konnte, wurde ich unter lautem Protest der Zuschauer ins Feld geschleudert, gegen die Brust eines roten Spielers gepresst und nach unten gedrückt. Grauenvoll, einfach nur grauenvoll! In diesem Moment erwachten meine Rachegelüste gegen die Roten und als mich einer von ihnen unliebsam packte, begann ich mich zu wehren. Ich wackelte mit meinem wunden Po und fiel zu Boden. Triumphierend rollte ich davon, doch der Rote folgte mir fluchend. Wenig später knallte ich wieder ins Feld, diesmal gegen einen Weißen. Sofort kam einer dieser fiesen Roten an, der den Weißen am Shirt packte, ihn schob und dieser stolperte. Ich checkte nicht ganz was los war, doch tatsächlich nahm man mich für kurze Zeit herzlich entgegen. Ganz entspannt wurde ich umher getragen und fühlte mich fast schon geborgen, als ich unverblümt auf den Boden gedrückt wurde. Der Weiße zögerte nicht lange und grub mit voller Wuchte seinen spitzen Schuh genau in mein empfindliches Kreuz. Doch dieser Schmerz war nach dem nächsten schon bald vergessen. Ich flog, ja ich flog, wie ich es mir erträumt hatte. Höher und weiter, über alle Spieler hinweg. Doch dann flachte ich ab und näherte mich dem seltsamen Viereck, in dem dieses gelbe Männchen stand und wild mit den Armen wackelte. Es hatte eine komische Pose eingenommen und auf einmal überkam mich eine unsagbare Wut gegenüber dem brutalen Gelben- der sollte mich nicht noch einmal betatschen! Deshalb begann ich meinen Körper anzuspannen, hob meine Brust, zog meinen Bauch ein und … wurde gegen den Pfosten gedrückt, rasselte hinab und flog wieder hinauf zu dem gelben Männchen. Das war meine Chance: Ich wich ihm aus und rollte ziemlich erfolgreich und zufrieden mit mir selbst zufrieden ins sichere Netz. Als ich bemerkte, dass auf einmal das ganze Stadion aufsprang, die weißen Männchen plötzlich schreiend umher rannten und die Roten den Kopf schüttelten, wusste ich, dass sie meinen Sieg feierten.
Ich war so heilfroh über diesen ausgelassenen Jubel, dass ich den harten Tritt des gelben Männchens ohne zu murren über mich ergehen ließ. Prompt fiel ich auf den nassen, klebrigen Kopf eines Weißen und ließ den grünen Boden unter mir zurück. Die Luft wurde dünner, auf alle Fälle hatte ich gehört, dass bei ansteigender Höhe dies der Fall sei. Deshalb war ich heilfroh, als ich endlich wieder hinabsauste. Nur dummerweise hatte der Weiße mich ungünstig getroffen oder vielleicht hatte ich mich auch etwas vor seinen Haaren gefürchtet… jedenfalls flog ich kurzerhand nicht mehr auf saftiges Gras zu, sondern auf kreischende, angemalte Wilde, die alle ihre Krallen ausgefahren hatten, um mich aufzufangen. Ich war mir nicht ganz so sicher, ob ich wirklich dort landen wollte, aber meine Geschwindigkeit war zu hoch, als dass ich eine Landung noch verhindern konnte. So fuhren zuerst die spitzen Fingernägel einer blonden Hässlichkeit über meinen Bauch und kitzelten meine fiktive Brustbehaarung. Dann rollte ich über die scheißnasse Glatze eines Trottels, der eine lange Röhre in der Hand hielt und mich gar nicht mitbekommen zu haben schien. Schließlich plumpste ich in die Hände eines kleinen Kindes. Die begeisterten wenn auch wilden Fans mussten angesichts des Mädchens aufgeben mich berühren zu wollen. Seltsam- wäre das Mädchen ein stattlicher, Bier saufender, Fußball liebender Mann gewesen, hätten sie sich sicherlich auf ihn geworfen und um mich gekämpft. Jedenfalls bildete ich mir dies ein, als das Mädchen mich ziemlich ratlos seinem grinsenden Vater übergab, der ihm stolz auf die Schulter klopfte.
Nun… seit meinem ersten und erfolgreichsten Spiel (Ich wollte hier nicht letzten einsetzen) sitze ich hier still in meiner Vitrine neben einem kleinen Fußballpokal und ein paar schwarz-rot-goldener Farben. Zuerst saß ich im Flur auf einem kleinen Schrank neben einem gepunkteten Schirm, doch als mich dann Miro, der fette Köter, eines Morgens dem Postboten vorstellen wollte, wurde Herrchen richtig wütend und ich wurde hierher platziert. Es ist ganz gemütlich und die Aussicht ist OK, aber auf Zeit wird sie etwas langweilig. Immerhin wischen sie mir alle vier Wochen die weißen Fusseln, die immer aus dem Nichts auftauchen, vom Buckel und lächeln leicht bei meinem Anblick- wahrscheinlich denken sie an meine Glanzleistung im Stadion. Ach, was würde ich geben nur noch einmal über den Platz rollen zu können und nur noch einmal zu Boden gedrückt zu werden. Noch einmal dem gelben Männchen auswischen, das Netz berühren und die Schlachtrufe hören zu dürfen, als Schwarz- rot-gold Weltmeister wurde.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 05.07.2010

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /