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1. Kapitel

Das Telefon klingelte. Ich hasste dieses Geräusch. Abgesehen davon, dass es furchtbar schrill klang, wurde es zunehmend lauter und schien mich spöttisch auffordern zu wollen, meinen Hintern in Bewegung zu setzen. Letztendlich tat ich dies auch, jedoch nur weil ich keine Sekunde länger diesen nervigen Ton ertragen konnte.
Ich schmiss meine Modezeitschrift in die hinterste Ecke des Zimmers, rollte vom Bett und dackelte in den Flur. Ich musste nicht auf die Nummer blicken, um zu wissen, dass meine Mutter am anderen Ende aufgelöst im Auto saß, weil sie ihren Einkaufszettel auf den Küchentisch liegen gelassen hatte.
„Ja?“ Ich leckte genüsslich an meinen Lolli. So laut, dass meine Mutter es hören musste, auch wenn nebenbei Musik spielte.
„Schätzchen? Ich habe meine Notizen für den Einkauf auf dem Tisch in der –“
„Ich weiß“, unterbrach ich sie gelangweilt und entdeckte, dass an meinem großen Zeh das Papier, in dem der Lolli eingewickelt war, klebte. Ich versuchte es schwankend mit dem linken Fuß zu entfernen.
„Was stand dort noch einmal drauf, Kleine?“
„Das merkst du dir sowieso nicht.“ Und wieder einmal musste ich feststellen, dass nicht meine Mutter, sondern ich sie großzog. Die einzige Bezugsperson, die ich je in meinem Leben hatte, war meine Großmutter gewesen.
„Komm schon. Butter und Nüsse für den Kuchen…, richtig?“
Ich antwortete nicht.
„Haben wir noch Mehl? Ja, oder? Aber Zucker müsste knapp werden…“
Ich schüttelte den Kopf. Die letzten zwei Wochen hatte ich jeden Abend das Essen zubereitet. Meine Mutter kam, wenn überhaupt, spät nach zehn Uhr nach Hause und lag am nächsten Morgen in ihrem oder in einem anderen Bett.
Um es zusammenzufassen, hatte sie keine Ahnung, wie unser Haus im Moment aussah, da sie sowieso nur drin schlief und ihre Kleidung in den Schränken lagerte.
„Wieso hast du eingewilligt die Feier zu organisieren? Du kannst nicht backen, nicht kochen, nicht aufräumen! Sollen die Gäste über deinen Slip, der neben dem Tisch auf dem Boden liegt, laufen?“
„Ted! Hör auf mit deiner Mutter so zu reden. Außerdem übertreibst du!“ Ihr Protest war schwach, sodass ich mir ein Grinsen nicht verkneifen konnte. In Wirklichkeit sah es schlimmer aus, als nur eine Unterhose auf dem Boden.
„Hast du das Bad schon aufgeräumt?“
„Ich war damit schon fertig als du aufgestanden bist“, war meine kalte Antwort.
„Ach ja? Das ist schön… Den Schnee! Hast du schon gestreut?“
„Das wollte unser Nachbar übernehmen.“
Sie schwieg kurz. „Stimmt.“ Ich ging jede Wette ein, dass sie sich nicht erinnern konnte.
„Weißt du, es tut mir leid, dass ich die letzten Tage kaum zu Hause war.“
Ich rollte die Augen. Jetzt versuchte sie wieder auf Gut Wetter zu machen. Sie erklärte mir ihren unheimlich schweren Job als Kellnerin in einer vergammelten Kneipe, dann klagte sie über ihre Migräneanfälle. Nach wenigen Lügengeschichten, die von ihren verblödeten Freundinnen stammten, ging sie meist über zu meinem Vater, von dem sie seit über sechs Jahren geschieden war. Ich sah ihn selten, er schrieb manchmal eine Weihnachtskarte oder einen Gruß zu meinem Geburtstag. Er hatte sechs Jahre nach der Trennung in einer anderen Stadt mit einer neuen Frau gelebt. Jetzt waren sie umgezogen- ins Nachbardorf, in dem meine Mutter arbeitete. Das setzte ihr schwer zu, ich konnte den Grund nicht finden.
„Ist schon gut. Man soll beim Autofahren nicht telefonieren“, ermahnte ich sie schwach. „Tschüss.“ Meine Stimme klang gebrochen, als ich an die Frau denken musste, die mir, nachdem meine Mutter mir ihre Lügengeschichten aufgetischt hatte, immer zur Seite gestanden hatte.
„Ja…und vergiss nicht zu saugen! Möglicherweise könntest du auch meinen Slip…“ Ich legte auf und stampfte durchs Haus. Ich hatte es im Laufe des Vormittags blitzeblank geputzt. Die Fenster glänzten, auf der Couch hockte kein einziger Staubfusel und alle Kleidungsstücke meiner Mutter waren in der Waschmaschine unserer Nachbarin verschwunden- unsere alte war kaputt.

Der Wind peitschte mir ins Gesicht. Vielleicht empfanden manche Menschen dieses Gefühl als lästig. Ich war süchtig danach. Es erfrischte mich zutiefst und schwächte den Zorn gegenüber meiner Mutter ab.
Ich stoppte an unserer kleinen Lampe. Diese Ampel war die einzige in unserem Kuhdorf und jeder Dorfbewohner war so stolz darauf, dass ein Kaff wie dieses eine eigene Ampel, dass wir sie liebevoll unsere kleine Lampe getauft hatten. Welches Kaff konnte schon behaupten einen Metallstab mit drei Leuchten, die in drei unterschiedlichen Farben leuchteten, zu besitzen?
Ich fuhr auf meinem Fahrrad durchs Dorf. Das tat ich öfters, um einfach nur meinen Kopf von all den Problemen, die sich leider in letzter Zeit häuften, freizubekommen. Im Januar stellte sich aber leider die Fahrt durch die Straßen schwerer, denn alles war verdammt glatt. Niemandem fiel ein, einen Schritt vor die Haustür zu machen und ein wenig Sand auf den Gehweg zu schütten.
Ich hatte meinen Schlüsselbund übers Lenkrad geschoben. Jetzt schlug er andauernd an meine Knie. Ich versuchte ihn zu fassen und streckte meine Hand aus, jedoch dabei versucht weiterhin den Blick auf der Straße zu behalten. Als meine Finger sich nach fehlgeschlagenen Versuchen immer noch nicht um das kalte Metall schlossen, musste ich meinen Blick von der vereisten Straße lösen. Das erwies sich als schwerwiegender Fehler: Ich fuhr zu nah an die Bordsteinkante heran. Das Rad stoppte, drehte sich weiter und schleifte für einen kurzen Moment am Stein.
Ich erfasste meinen Schlüsselbund, schaute auf und riss im letzten Moment mein Gefährt herum, denn wenige Schritte vor mir stand Frau Kent, die prompt ihren Einkauf- zwei Tüten Katzenfutter- fallen ließ. Die Dosen rollten vor mein Rad, so dass ich letztendlich umkippte und in den Schnee fiel. Mein Handgelenk begann schmerzhaft zu pochen, doch es störte mich nicht. Vielmehr galt meiner Aufmerksamkeit der alten Frau, die wie hypnotisiert da stand. Sie hatte sich keinen Zentimeter gerührt und starrte trostlos ihre Büchsen an, an denen nun der Dreck des Januars klebte. Da ich die alte Dame nicht verärgern wollte, sammelte ich das Futter für ihre Lieblinge, von denen sie, wenn man den Gerüchten Glauben schenkte, mehr als zehn besaß, wieder auf.
Gewöhnlich machten alle einen großen Bogen um Frau Kent, denn niemand war die Hexe geheuer. Ja, Hexe. Sie sah nicht nur so aus, sondern benahm sich auch so. Ihr Aussehen, ihre Lebensweise reizte die Menschen im Dorf über sie zu tratschen. Selbst ich hatte mich von ihnen beeinflussen lassen.
"Es tut mir leid. Ich hab sie nicht gesehen", begann ich mich zu entschuldigen. Im gleichen Moment vibrierte mein Handy. Ich wollte es ignorieren, um mich liebevoll der Frau vor mir zu widmen, doch das Vibrieren war deutlich durch meinen Wintermantel zu vernehmen- auch für Hexen.

2. Kapitel

Ich lächelte der alten Frau entschuldigend zu, drehte mich jedoch schnell weg, denn schließlich starrte sie mich immerhin seit einigen Minuten unentwegt an.
Ich klamüserte mein Handy aus der Tasche und warf einen kurzen Blick aufs Display. Derek. Ihn konnte ich jetzt wirklich nicht gebrauchen.
„Was ist denn?“ Meine Stimme war gereizter als ich.
„Wo bleibst du denn? Ich stehe hier vor verschlossener Tür.“
Etwas regte sich in mir. Ich überlegte kurz, dann fiel mir ein, dass Derek Tische und Stühle für die Trauerfeier brachte.
„Oh nein!“
„Was?“
„Ich…hab es vergessen. Ich komme gleich. Bitte warte auf mich, ja?“
Ein Grunzen ertönte vom anderen Ende. „Es fängt an zu nieseln.“
Ich blickte zum Himmel. Meine Nase wurde von einem Tropfen attackiert. Er hatte Recht.
„Ich bin gleich da“, wiederholte ich eindringlich und legte auf. In diesen wenigen Sekunden, in denen ich das Handy einsteckte und gleichzeitig noch mal zum Himmel blickte, verzehnfachte sich die Anzahl der Tropfen auf meiner Haut. Ich drehte mich zu der Hexe um, die jedoch schon über die Straße gelaufen war und nun in einem Tempo, der einer Schnecke glich, über den Gehweg schlich.
„Warten Sie doch!“, rief ich ihr hinterher, hob mein Fahrrad auf und eilte ihr nach. In ihrer rechten Hand trug sie einen altmodischen Regenschirm, doch da ihr Haus schon in Sicht war, machte sie sich nicht die Mühe ihn zu öffnen. Zuerst wollte ich ihr auch nur erneut die Tüten aus den Händen nehmen, doch dann entschied ich mich, mein Fahrrad gegen den Zaun zu lehnen und den Regenschirm für sie zu entfalten. Gemeinsam liefen wir zu ihrem Gartentor und öffneten es. Hilfsbereit übernahm ich sogar noch die würdevolle Aufgabe das Katzenfutter zu tragen. Als der alten Dame der Hausschlüssel runter fiel, bückte ich mich und schloss die Tür auf. Ich war stolz auf mich.
Unsicher, ob ich eintreten durfte, hielt ich nach Frau Kent Ausschau, die schon in dem dunklen Gang verschwunden war. Es war furchtbar kalt und obwohl mir ein ungewohnter Geruch aus dem Haus die Sinne vernebelte, würde die Wärme in der Bude meine Glieder wieder auftauen lassen.
„Darf ich hineinkommen?“, fragte ich laut und kam mir auf den rutschigen Stufen mehr als albern vor. Es dauerte ziemlich lange bis ich ein krachendes Geräusch aus dem hinteren Teil des Hauses hörte.
„Frau Kent? Ist alles in Ordnung?“ Ich versuchte etwas zu erkennen, aber da ich keine Giraffe war, konnte ich nicht in die Räume blicken ohne den Flur zu betreten.
Ich lief durch den Gang, die Dosen immer noch im Arm. Rechts und links sah ich gedrungene, düster gehaltene Räume.
„Haben Sie sich verletzt?“, fragte ich vorsichtig und blickte im selben Moment ungehalten in die Küche. Ich dachte schon Frau Kent hätte sich einen besonders exquisiten Teppich besorgt, bis ich bemerkte, dass der Boden unter meinen Füßen aus Katzenhaaren bestand.
Mau! Eines dieser mauzenden Exemplare kam mir nun mit hoch erhobenem Schwanz entgegen getippelt.
Mau!
„Na?“ Sie schaute mich erwartungsvoll an. Ich muss zugeben, dass ich mit Katzen nicht viel am Hut habe. Sie schauen niedlich aus, rennen aber auch gerne weg. Meine Freundin hatte einen Kater, der eines Tages plötzlich spurlos verschwand. Ich hatte einen ganzen Nachmittag durch die nassen Straßen unseres Dorfes rennen müssen, um schließlich am Abend durchweicht nach Hause zu kommen und feststellen zu können, dass der vergessliche Großvater meiner Freundin das Haustier im Gartenschuppen eingesperrt hatte.
„Hast du Hunger?“ Ich zeigte dem Tier die Beutel mit dem Futter.
Mau?
„Ja, gleich!“ Ich wollte die Dosen auf die Theke stapeln, als mir ein weiteres dieser Viecher zwischen die Beine sprang, ich erschrocken zurückstolperte und mitsamt all dem Futter auf dem Hosenboden landete. Sechs Augenpaare musterten mich. Eins saß auf der Mikrowelle, ein zweites thronte im leeren Obstkorb und die restlichen flitzten über und unter meinem Körper lang. Eilig rappelte ich mich auf und sammelte die Dosen ein. Dabei entdeckte ich den Traumfänger. Er hing am Griff des Schrankes über der Spüle. Ich hatte solche Teile schon öfter auf Jahrmärkten gesehen und sie nicht weiter betrachtet. Doch dieser schien mich anzuziehen. Bevor ich auf das seltsame Gefühl in meinem Inneren lauschen konnte, hörte ich das Knarren der Fußbodendielen und Frau Kent stand in der Tür. Ihre kleinen, runden Augen wechselten von dem Traumfänger und mir hin und her.
„Entschuldigung. Ich bin ausgerutscht“, erklärte ich, nickte freundlich und legte das Futter auf den Tisch ab. „Aber ich glaube, ich gehe jetzt.“ Ich war so froh, dass dieser Satz meinen Mund verlassen hatte. Frau Kent jedoch drehte sich um und lief langsam los. Erstarrt lauschte ich ihren kurzen Schritten. Es quietschte und dann folgte das Knallen der Haustür. Zu.
„Aber…!“ Ich lief in den Flur und konnte gerade noch Frau Kent in ihr vermeintliches Wohnzimmers abbiegen sehen. Ich wollte heftig protestieren, doch da ich eigentlich nicht ernsthaft vorhatte, mir das Nieselwetter anzutun, folgte ich ihr.
Ich fand sie in einem Schaukelstuhl, der ihrem Image nicht gerade gut tat, vor.
„Frau Kent,…“, setzte ich an und warf einen kurzen Blick aus dem Fenster. Es war ziemlich dunkel im Zimmer, da sie keine Lampe angeschaltet hatte. Doch trotzdem konnte ich erkennen, dass draußen keineswegs Nieselregen das Sagen hatte, sondern vielmehr die Kübel, die von oben geleert wurden und mein Fahrrad bombardierten. „…darf ich Ihnen noch kurz Gesellschaft leisten?“ Die Frau starrte mich nur an. Ich hatte sie noch nie sprechen gehört und machte mir nun ernsthafte Sorgen um ihre Stimme. Ich ertappte mich dabei, ihr einen Tee anbieten zu wollen, so armselig sah die Dame in ihrem Meer von Kissen und Katzen aus. Aber schließlich war ich der Gast und nicht sie meiner.
Zuerst dachte ich, wir würden uns die nächsten Minuten anschweigen und ich die Sekunden zählte, die mein Freund Derek am anderen Ende des Dorfes mit Fluchen verbringen würde. Doch bevor ich mit Gewissensbissen gefüllt das Haus verlassen konnte, regte sich die alte Frau. Sie beugte sich sacht vor, sodass ihr Schaukelstuhl quietschend stehen blieb und klappte ein Kochbuch auf, das auf dem kleinen Holztisch neben ihr lag. Mitten der vergilbten Seiten hing ein Ahornblatt, sie versuchte es zu lösen, wobei ein Teil des Blattes kleben blieb und reichte es mir. Verwundert nahm ich es an.
„Danke.“ Mehr fiel mir dazu nicht ein. Eine Hexe in ihrem Stuhl mit einem Kochbuch, in dem ein getrocknetes Ahornblatt steckte.
„Das ist nett.“
Sie starrte mich reglos an. Wollte sie sich etwa über mich lustig machen?
Langsam bekam ich es mit der Angst zu tun, denn auf einmal verdunkelte sich der Himmel vor dem Fenster und die Wolken schienen sich Schulter an Schulter zu drängen, damit alle ihren Regen über die Welt unter ihren Füßen streuen konnten. Nur wenige Sekunden später donnerte es. Ich erschrak furchtbar und sprang auf. Eine der Katzen, die sich zu meinen Füßen gelegt hatte, fauchte mich wahrscheinlich genauso geschockt an. Mein Herz raste, Frau Kent aber hatte sich keinen Zentimeter gerührt. Da ich nun schlecht beteuern konnte, dass ich nun wirklich gehen musste, setzte ich mich wieder langsam hin und blickte Angst erfüllt aus dem Fenster bis ich merkte, dass ich das Ahornblatt endgültig bei meiner Panikattacke zerstört hatte.
Die alte Frau wippte in ihrem Stuhl vorwärts und rückwärts, vorwärts und rückwärts. Hin und her, hin und her- den Blick starr auf die Brösel in meiner Hand gerichtet.
Ich fand keinen Grund, warum ich mich entschuldigen sollte. Es war schließlich nur ein Blatt eines Baumes, der reichlich in der Gegend vorhanden war. Wenn sie wollte, konnte ich ihr jederzeit ein neues besorgen.
Ich senkte meinen Kopf, als es plötzlich blitzte und schlagartig wurde mir klar, was mich vor wenigen Minuten so auffahren ließ: Ein Gewitter im Winter?
Mein Brustkorb hob und senkte sich schneller. Ja, so was soll es ja geben. Hört man nicht andauernd von seltsamen Begebenheiten im Fernsehen, hört man sie nicht gelegentlich beim Frühstücken im Radio oder stößt man nicht täglich am Zeitungsstand auf sie? Nein.
Ich kaute auf meiner Unterlippe herum und versuchte mich an den Geografieunterricht zu erinnern. Vielleicht half mir auch Biologie oder möglicherweise war ja sogar das Wissen, dass uns unsere Mathematiklehrerin überbrachte, nützlich, um ein Gewitter im Winter zu erklären. Aber ich fand keine Antwort auf diese Frage. Ich konnte nur das Ticken der Wanduhr hören und sah nur diese alte merkwürdige Dame vor mir, die hin und her wippte. Hin und her. Wieder blitzte es. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Eine Katze miaute.
Mau! Miau!
Ihre Laute kamen mir unsagbar laut vor. Das Quietschen des Stuhls störte mich absurder Weise. Und das Ticken der Uhr rann mit meinem Herzschlag um die Wette.
Frau Kent hielt plötzlich inne, beugte sich vor und ergriff meine Hand. Ihre Haut fühlte sich trocken an (und bevor ich ihr eine Feuchtigkeitscreme empfehlen konnte^^, sagte sie:)
„Die Zeit ist gekommen.“
Zunächst man der Tisch zu wackeln. Er bebte neben mir auf, sodass alle Bücher und die ganze bunte Wolle umherhopsten und schließlich auf den Boden plumpsten. Im erstem Moment kam mir in den Sinn,jemand bohrte im Keller des Hauses ein Loch in die Wand, wodurch diese erzitterten. Doch kurz nach dem Tisch, wackelte mein Stuhl und die Bilder an den Wänden schwangen hin und her. Der Zeiger der Wanduhr drehte sich rasend schnell, schneller als die Tassen, die aus dem Schrank purzelten und weitaus eleganter, als die Bücher die allesamt wie Dominosteine umkippten.
Nach wenigen Sekunden stellte ich mich auf und sah mich um. Die Erde bebte! Im nächsten Moment wurde mir klar, dass ich nicht mich, sondern zuerst die alte Dame retten musste.
„Frau Kent! Ein Erdbeben, wir müssen das Haus verlassen!“ Noch während ich sie rief, drehte ich mich hektisch um und stürzte auf den Schaukelstuhl zu, doch er war leer.
„Frau Kent!“ War sie etwa hinters Sofa gefallen? Für einen Augenblick erfasste mich furchtbare Panik, weitaus heftiger als bei dem Donner, als ich über den bebenden Boden stolperte. Ich knickte um und wurde aufs Sofa geschleudert. Meine Nase presste sich in ein Meer von Katzenhaaren und der Duft der alten Frau umgab mein Haupt.
„Frau Kent?“, schrie ich abermals und klammerte mich an der Lehne fest. Doch nur die umgekippte Lampe lag hinter der Couch.
Flap, flap, flap
Die Fensterläden klappten, Vorhänge schaukelten, der altmodische Kalender, der das heutige Datum zeigte, blätterte zurück. Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Nicht nur der Tag und der Monat änderte sich- die Zahl des Jahres wechselte. Bevor ich das endgültige Datum lesen konnte, wurde ich unter dem Schrank begraben, der sich von der Wand löste.
Ich brauchte einige Minuten bis ich registrierte, dass das Schütteln geendet hatte und dann musste ich noch Herr meiner Angst werden.
„Frau Kent?“ Zum dritten Mal wiederholte ich ihren Namen, doch diesmal klang meine Stimme höher und leiser als die vorigen Rufe. Ich bewegte mein linkes Bein, hob meinen rechten Arm, rutschte wenige Zentimeter nach rechts und schob somit die Tür des Schrankes von meinem Körper. Nun hatte ich wieder frei Sicht und den Schrotthaufen vor mir bewundern. Zeitschriften, Zeitungen und Bücher lagen zwischen Decken und Kissen auf dem Fußboden. Das Sofa, auf dem ich zusammengekauert hockte, war das einzige Möbelstück, was noch aufrecht stand.
Meine Augen tasteten sich vorsichtig über das Chaos. Keine Frau Kent, keine miauenden Katzen. Mein Blick wurde wieder von dem Kalender angezogen. Von dem Kalender, der in der Zeit gesprungen war.
Ich lugte über die Sofalehne zur Wand und konnte die Jahreszahl ohne Zweifel erkennen, doch glauben wollt’ ich sie nicht: 1910.


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Tag der Veröffentlichung: 06.02.2010

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