Mal ganz ehrlich! Ich sehe viel jünger aus als ich es tatsächlich bin. Meist werde ich zehn, ja sogar fünfzehn Jahre jünger geschätzt. Zwar sind meine Haare inzwischen weiß geworden. Doch sie präsentieren sich in aller Fülle. Besuche ich Frau Stolte in ihrem Antiquitätengeschaft, so ist sie des Lobes voll, was meine Gesichtshaut betrifft. "Zu welcher Kosmetikerin gehen sie?", fragt sie jedes Mal. Doch dabei erkläre ich ihr immer wieder, dass ich drei Mal in der Woche Nordic Walking betreibe und regelmäßig zum Sport gehe. "Fitness" ist meine Devise. Und viel Schlaf.
Aber wie es so ist. An manchen Tagen fühlt man sich wie eine Achtzehnjährige, dann wieder ist man hundert Jahre alt. So kommen Zweifel auf, ob die These mit dem jüngeren Aussehen zu Recht besteht. Eine Gräte brachte weiteres Licht ins Dunkel !
Beim Fischessen hatte ich sie verschluckt, und sie war im Hals stecken geblieben. "Sofort in die Notaufnahme!", rief meine Tochter und hatte das Auto schon startklar gemacht. Mir stockte der Atem als der diensthabende Arzt das Zimmer betrat. Mausgraue Stubbelhaare, von deren Pracht nicht mehr viel übrig war, zerknittertes Gesicht, dicke Brille. Mein Gott, das war doch Hans aus meiner letzten Abiturklasse - hat oft neben mir gesessen. Wie alt der geworden war! Ob er mich wiedererkennt?
Nachdem die Gräte neben mir lag und ich wieder besser sprechen konnte, wagte ich zu fragen: "Haben sie ihr Abitur in der Gerhard-Hauptmann-Schule in Dresden gemacht?" "Ja", meinte er zögernd, "und waren sie auch dort?" Seine Stirn wies noch mehr Falten auf. Er grübelte. - Und dann kam der für mich so entscheidende Satz:
"Und in welchem Fach haben sie unterrichtet?"
Tag der Veröffentlichung: 25.01.2015
Alle Rechte vorbehalten