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Es riecht nach Moder im Keller. Anna stiert angestrengt in die Regale. Es ist zappenduster. Die Fäuste stemmt sie in die Taschen der Kittelschürze. Sie kann sich gar nicht mehr erinnern, wann es anfing mit dem Kaufen. Flasche für Flasche! Jetzt verstaubten sie und waren mit Spinnweben überzogen. Zu eng wurde es im Keller. Müde lässt sie sich auf den Hackklotz nieder. Der liegt jetzt in der Ecke. Karl hatte immer darauf das Holz gehackt. Ihre Hände zittern. Im Dunklen können die trüben Augen die gestapelten Flaschen an der Wand entlang nicht erfassen.

Karl! Sie erinnert sich noch genau an ihn. Angeschrien hatte sie ihn: "Wehe dir, wenn das noch einmal vorkommt!"
Und natürlich hatte er sich wieder übergeben. Sie war nach dem Eimer gerannt. Aber es ging schon daneben. Alles Rotwein! Und so ging das Tag für Tag, Woche für Woche!

Gefeuert hatte sie ihn. Viel zu lange hatte er bei ihr gelebt. Es gab bei den Nachbarn schon kein Getuschel mehr.
Jawohl, gefeuert! Und darauf war sie mächtig stolz. Aber es gab niemand, der ihr sagen konnte, wie gut sie das gemacht hatte. Damals war sie noch ein properes Weibsbild gewesen. Die Männer pfiffen oft hinterher. Aber da war Karl. Er hatte das Holz gehackt. Abends, wenn sie nach Hause kam, sah er sie so an, dass sie sofort wusste, was er wollte. Das war eine glückliche Zeit! Aber dann fing seine Sauferei an.

"Hau bloß ab," hatte sie ihn angebrüllt. Aber wahrscheinlich doch zu viel. Und dann ist er wirklich gegangen. Schwankenden Schrittes und ganz langsam. Und dann fing das Warten an! Tag für Tag, Woche für Woche.
Und so kaufte sie die erste Flasche Rotwein. Es konnte ja sein, dass Karl mal vorbei kam. Dann eine zweite, die dritte. So ging das weiter. Die verdammte Warterei.
Die Frau vom Förster hatte ihr längst gesteckt, dass er bei der Schmitten lebte. Und nun sah er der tief in die Augen, der Saufkerl. Die Schmitten lebte seit dem Tod ihres Angetrauten am anderen Ende des Waldes.

Aber das ist alles lange her. Die Zeit könnte man an den Flaschen ablesen. Es sind mächtig viele. Und heute hat sie Geburtstag. Karl müsste das wissen! Er brachte ihr immer einen Blumenstrauß. Und nachts kam er zu ihr gekrochen, wenn er nicht besoffen war. Das war schon was! Aber jetzt ist der bestimmt schon tot. Zu viel Rotwein! Oder auch nicht? Man müsste jemand fragen. Die Schmitten vielleicht?

Sie will aufstehen. Da merkt sie, wie der Rücken schmerzt von dem Hackklotz. Kaum dass sie hochkommt, muss sich hochziehen. Ihr ist kalt. Hätte sie bloß die Jacke übergezogen. Wenn er noch lebt, überlegt sie, warum war er nie gekommen? -- Während des Laufens zieht sie ihre Jacke über. Beinahe wäre sie über eine Baumwurzel gestolpert. Sie legt an Tempo zu und rennt durch den Wald. Immer schneller.

Vor der Tür der Schmitten macht sie Halt. Ihr ist hundeelend. Am liebsten würde sie umkehren. Aber da - steht die Schmitten schon vor ihr. Jetzt bemerkt sie, dass sie die Jacke falsch zugeknöpft hat. Karl würde sicher lachen. Aber der sitzt auf dem Kanapee und stiert sie groß an . Komm mal raus, will sie sagen, aber es kommt kein Ton heraus. Was wollte sie eigentlich hier? Ihre Kopfbewegung deutet nach draußen . Sie sieht noch, wie Karl nach einem Krückstock greift. Auch gut, dass er alt geworden ist! Bloß fort, damit die Schmitten nicht dazwischen kommt. Sie hastet atemlos. Nur am Tack, Tack des Stockes merkt sie, dass er ihr folgt. Umdrehen? Nein, das würde noch fehlen! Sie ist mehr tot als lebendig.

Die Kellertür stößt sie auf und schaltet die spärliche Lampe an. Karl war immer maulfaul. Doch jetzt sagt er sehr viel: "Mein Gott! Da hol mich doch der Teufel!" Er fasst nach einer Flasche. Anna setzt sich auf den Hackklotz nieder. Wahre Schätze liegen da an der Wand. Stolz ist sie! Karl zieht aus der Hosentasche sein Messer, daran der Korkenzieher. Sie nickt ihm zu. Da setzt er sich neben sie. Mit einen Ruck ist die Rotweinflasche geöffnet. Mit Kennerblick setzt er sie an. Einen Schluck - und noch einer. Plötzlich spuckt er alles auf den Boden. "Ist das Gift? Hast'de mich deswegen hergelockt?"

"Was hast'de bloß? Verstehst dich nicht mehr aufs Trinken?" Karl öffnet eine andere Flasche, riecht und verzieht das Gesicht zur Grimasse. Sie nimmt ihm die Flasche weg und probiert.
"Sauerlump!" flüstert sie tonlos. Der Wein ist über die Zeit zu Essig geworden. So ist das Leben, denkt sie. Einfach angeschmiert! Karl glotzt sie verständnislos an!

Nebeneinander sitzen sie auf dem harten Hackklotz. "Habe heute Geburtstag," flüstert sie. Karl begreift nicht gleich. Dann fasst er nach ihrer Hand. Wie mag er sie wohl jetzt ansehen? Seinen Blick kann sie nicht erkennen.Vor ihnen die vielen Flaschen! Der wievielte Geburtstag mag es sein? Sie wissen es beide nicht mehr.
Ist auch egal!

Impressum

Texte: Hintergr.M.R. Cover BX 000548
Tag der Veröffentlichung: 17.05.2011

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