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Im Schwielowsee, wo sich die Havel wohlig an ihrem südlichsten Punkt ausbreitet, bevor sie den Weg zum Meer wieder aufnimmt, behauptet seit alten Zeiten ein Nix sein Reich. Wenngleich er auch unter dem schützenden Wasserspiegel schon viele Habseligkeiten angesammelt hatte, so war er doch sehr einsam. In Vollmondnächten, oder sogar an sonnenhellen Mittagsstunden, hielt er Ausschau nach einem Gespielen für sich. Er ordnete dann die Schuppen seines Habits, dass sie günlich glitzerten. Seine Haare aus Seetang strich er glatt, doch sie ringelten sich leicht als wären sie kleine Seeschlangen. Die Augen fluoriszierten verführerisch.

Es war der zeite Neujahrstag. Um die Mittagsstunde glitzerte und glänzte das Eis des Sees in der Sonne ganz hell, obwohl es am Tag vorher etwas Neuschnee gegeben hatte, so dass die Oberfläche teilweise wie in ein flauschiges Tuch gehüllt war.

Vier Freunde Heinz, Karl, Ralf und Leo hielt es nicht mehr zu Hause. Über Handy verabredeten sie sich für den zweiten Januar, 13 Uhr, am Seeufer. Sie waren Schul- und auch Sportfreunde. Aber das lag schon länger zurück. Mit ihren 67 Jahren waren sie immer noch begeisterte Schlittschuhläufer. Heuer wollten sie Eishockey spielen. Heinz und Karl hatten Schneeschieber mitgenommen, um freie Bahn zu bekommen. In der Zwischenzeit liefen Ralf und Leo einige Runden.

Auf einmal bog Leo ab und fuhr allein bis zur roten Boje in der Mitte des Sees. Ihm war es langweilig geworden. Man muß bedenken, dass alles sehr schnell von statten ging, da die Männer auf ihren Schlittschuhen in Windeseile dahin sausten.

Durch das Gekratze der Schneeschieber war der Nix im See erwacht. Er witterte eine große Chance, dass sich sein Wunsch erfüllen könnte, einen Gespielen für sich zu erwischen. Wenn er eines Menschen habhaft werden konnte, würde er ihn ergreifen und in sein Wasserreich ziehen.
Dann schlug er vor lauter Aufregung mit seinem Nixenschweif wild um sich.

Nach geraumer Zeit sagte Heinz zu Karl: "Sieh mal, an der roten Boje weit draußen steht einer!" Und Heinz antwortete: "Ja, das scheint der leichtsinnige Leo zu sein!" Und sie bearbeiteten mit ihren Schneeschiebern weiter das Eis. Als Heinz nach einer Weile wieder Richtung rote Boje blickte, bemerkte er einen kleinen schwarzen Punkt auf dem Eis, der sich aber nicht veränderte. Und er schrie zu Karl: "Los, wir müssen zur roten Boje, Leo muß etwas passiert sein!" Letzterer entgegnete: "Er könnte eingebrochen sein. Ich hole schnell eine Leiter von zu Hause und komme nach."

Heinz, in Angst um Freund Leo, achtete nicht auf das Eis und brach selbst mit einem Bein ein. Er schlug nieder, konnte sich aber an seinem Schneeschieber aus dem eisigen Wasser ziehen. Er lief weiter auf Leo zu und sah ihn dann in einem Wasserloch von etwa fünf mal sechs Metern.

Der Nix frohlockte, als Leo zur roten Boje kam. Hier war die tiefste Stelle des Sees und das Eis entsprechend am dünnsten. Leo brach ein, und als er sich am Rand des Eislochs festhalten wollte, brach das Eis ab. Der Nix wollte am liebsten Leo sofort nach unten ziehen. Diesem schien es auch, dass er in seinen nassen Sachen und mit den Schlittschuhstiefeln an den Beinen zentnerschwer wurde. Er war aber durchtrainiert, machte Wassertreten und konnte sich dadurch zunächst noch über Wasser halten.

Heinz robbte bis auf zwei Meter an Leo heran und sprach ihm gut zu: "Halte durch, es kommt Hilfe!" Als Karl mit einer etwa 15 Meter langen Eisenleiter kam, schob Heinz diese zu Leo. Er wollte sich daran hochziehen, aber der Nix hatte mehr Gewalt. Die Leiter brach ein und versank sofort im See. Die Männer hatten enormes Glück, nicht mit der Leiter unter Wasser zum Nix gezogen zu werden.

Als Karl die untergehende Leiter sah, ergriff ihn Panik, und er haute ab. Er ließ die Freunde in ihrer Not allein.

Als der Vierte im Bunde, Ralf, bei ihnen eintraf, überblickte er die Situation und fuhr sofort im Eiltempo zum Bootshafen, um eine lange Holzsteckstange zu holen.

In der Zwischenzeit entbrannte ein Kampf zwischen dem Nix und dem ins Eis eigebrochenen Leo. "Ich kann nicht mehr", so rief dieser. "Ich bin bei Dir. Es
kommt ganz bestimmt Hilfe" ,antwortete Heinz . Und Leo: "Ich habe keine Kraft mehr!" Heinz sah in die angsterfüllten Augen. Der Nix freute sich diebisch! Er muß gewinnen! Und ließ das Wasser noch kälter erscheinen, dass das Blut von Leo fast erstarrte.

Da kam Ralf mit einer sechs Meter langen Holzstange. Er legte sie aufs Eis, Leo konnte mit Mühe ein Bein darüber schlagen und sich daran festkrallen. Mit größter Kraftanstrangung zogen Heinz und Ralf schließlich Leo aus den eisigen Fluten.

Und wenn sich die Spaziergänger wunderten, warum sich das Wasser des Sees unter dem Eis wie wild gebärdete, so wie man es noch nie bemerkt hatte, wußten sie nicht, dass es der Nix war, der dort vor Wut unbändig auf den Boden stampfte, dass der Schlick nur so um ihn herumwirbelte.

Ralf hatte nicht nur die Holzstange geholt, sondern über Handy auch die Feuerwehr benachrichtigt. Sie brachten Leo sofort ins Krankenhaus. Sein Blut war auf 34 Grad Celsius abgekühlt. Leo konnte rundum gerettet werden, und er hat sich bei beiden Lebensrettern, Heinz und Ralf, gebührend bedankt.

Es dauerte lange, bis der Nix seine Niederlage eingesehen hatte und sich beruhigte. Nie hatte er gelernt, nach den Gefühlen anderer zu fragen. Und er hörte mit großem Zorn, wie die Menschen wiederholt die Parole ausgaben, auf dem Eis besonders vorsichtig zu sein und mit dem eigenen Leben sorgsam umzugehen. Dann waren seine sonst so fluoreszierenden Augen ganz trüb, und er grub sich im Seeschlamm ganz tief ein.


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Tag der Veröffentlichung: 19.07.2009

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