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"Lass uns doch morgen eine Tour mit dem Fahrrad starten", sagte Tom zu Lisa. Es war beginnender Frühling, und sie hatten Ferien - Abiturklasse. Außerdem war Sonnenschein angesagt. "Das geht nicht, habe doch gar kein Vehikel, weder mit vier noch mit zwei Rädern", antwortete sie ihrem Schulfreund etwas schnippisch. Beide überlegten, Tom wußte Rat: "Aber Deine Großmutter hat ein Fahrrad, ich habe sie schon oft damit gesehen. Frage doch mal, ob sie es dir borgt." Gesagt, getan. Mit Erfolg. "Aber dass Du es mir behütest wie Deinen Augapfel. Ohne mein Rad wäre ich aufgeschmissen", gab die Großmutter zu bedenken. "Na klar, versprochen! Was soll auch schon passieren", meinte Lisa.

Am nächsten Tag ging es frühzeitig los: Von Blasewitz bis zur Elbe. Das eine Flussufer hoch bis Pirna, dort über die Brücke und das andere Ufer wieder zurück nach Dresden - so war derPlan. Sie fuhren hinter einander, und Lisa sah den schlacksigen Rücken von Tom, der lässig in die Pedale trat. Sie überlegte: Von allen Schulfreunden ist er der Größte, aber auch der Dünnste. Bei einem Kartoffelwettessen hatte er 36 Knollen verdrückt, musste sie lachen. "Hast Du etwas gesagt?" fragte Tom nach hinten. Er öffnete seine Jacke, darunter guckte ein kariertes Hemd hervor. Sie selbst war in eine giftgrüne Wolljacke gehüllt, trug hellbraune Schuhe mit Rubbersohlen und eine kanariengelbe lange Hose. Es war immer noch recht frisch. Die Schneeschmelze hatte gerade begonnen.

Bis auf große Pfützen, die sie umfahren mussten, war die Hinfahrt nach Pirna ohne Vorkommnisse. Die Elbe trug Hochwasser, und es roch nach Schlammm und Morast. Die beiden Freunde fuhren, ohne sich zu unterhalten, aber sie pfiffen eine undefinierbare Melodie. Zuerst fing Tom zaghaft an, dann stimmte Lisa ein. Pirna begrüßten sie pfeifend - lautstark, kess und mit vielen falschen Tönen. Aber was machte es schon. Sie waren jung! Hinter einer Fassade des Sportlichen, Vernünftigen, war bei beiden noch etwas Kindhaftes verborgen. Das gab ihnen eine ungezwungene Art des Zusammenseins.

Auf der anderen Elbseite führte der alte Treidelpfad entlang des Ufers. Dieser war aus dem Fluss heraus halb gewölbt aus großen Steinen gemauert. Früher zogen hier die Treidler, die Schiffszieher, die Kähne elbaufwärts. Auf die großen Kopfsteine schwappte das schmutzige Elbwasser, und der Weg war glitschig. Sie fuhren deshalb nach Möglichkeit neben dem Treidelpfad, der an matschige Wiesen an- schloss. Vor Pillnitz mündeten jeweils von den kleinen Ortschaften schmale Abwasserkanäle in die Elbe. Über die Kanäle führten kleine Brücken, und an diesen Stellen machte der schmale Pfad einen Bogen.

Als nun Tom dem Treidelpfad folgend im rechten Winkel in Richtung Brücke abbog, rutschte ihm das Hinterrad weg. Mit allen Kräften trat er in die Pedale und konnte das Rad halten. Zu Lisa rief er: "Steige lieber ab, die Ecke ist glatt!" Aber das hätte er besser nicht sagen sollen. Als gleichberechtigte Partnerin wollte sie zeigen, was sie kann, und fuhr den gleichen Weg, wie er.

Tom erreichte die Brücke, drehte sich um - und lachte!
Er musste vom Rad absteigen und konnte sich vor Lachen nicht halten. - Lisa guckte mit dem Oberkörper aus dem Elbwasser. - Der Treidelpfad war in der Kurve aalglatt. Auf ihm war sie sang- und klanglos in den Fluß gerutscht. - Lisa saß in der Elbe auf dem Fahrrad! - Das versank immer mehr im Schlamm. Das Mädchen überwand ihren Schrecken und brüllte: "Willst Du mir nicht helfen!. Ich kann das Rad doch nicht loslassen. Dann ist es weg,
meine Großmutter macht mich kalt!" Jetzt schwappte die morastige Brühe schon fast bis in die Ohren. -
Zum Glück kam ein Paddler mit seinem Booot. Der half vom Wasser aus, und Tom zog vom Ufer bis das Fahrrad und das Mädchen tropfnass gerettet waren.

An Aufatmen war nicht zu denken! Ein schnelles "Danke schön" an den Wassersportler. Die Fröhlichkeit von vorher war dahin geschmolzen, wie an einem heiteren Tag plötzlich eine Wolke das Licht dämpfen kann. Tom gab jetzt seine "Befehle": "Geh hinter den Busch dort und wringe Deine Sachen aus!" Der Strauch hatte zwar noch kein einziges Blatt, aber was machte das schon. Tom sah zu Lisa hinüber. Das Mädchen war wunderschön, und es war so bitterkalt. Sie zitterte. Er sah den weichen Flaum ihrer Haut. Verflucht noch mal, was hatten sie doch für ein Glück gehabt! "Nun schnell aufs Rad und nach Hause". Tom trieb Lisa so sehr an, dass sie in den nassen Klamotten dampfte.

Das Fahrrad war gerettet, und Lisa heil geblieben, nicht aber ihre Sachen. Der moorige Schlammgeruch der Elbe blieb erhalten, trotz mehrerer Wäschen und Reinigungen - sie waren hinüber. Was der Fluss einmal hat, gibt er nicht gern wieder her, so sagt man.

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Tag der Veröffentlichung: 26.04.2009

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