Spinne am Morgen
written by Antonia Schön
Ich sitze im Auto, bin auf‘m Weg ins Büro,
noch etwas verschlafen, ein Aug‘ noch halb zu.
Schau verträumt aus‘m Fenster – halt plötzlich inne –
da sitzt sie und webt. Eine riesige Spinne!
Mich reißt’s erstmal richtig, jetzt bin ich wach!
Steh zum Glück an der Ampel, sonst hätt’s am End‘ noch gekracht.
Die Spinne, die ahnt nichts, hockt da und webt
in einer Seelenruhe! Ihr Netz, das im Wind leicht bebt.
Die Ampel springt auf grün, ich gebe Gas,
lass das Vieh nicht aus dem Auge. Mit dem richtigen Maß
an beschleunigen und bremsen könnte es vielleicht gelingen,
ihre acht Beinchen zu lösen, die an den Weben dran hängen.
Im Fahrtwind wird’s wacklig, sie klammert sich ran
an die feinen Fäden. Und was passiert? – Oh Mann!,
Nichts dergleichen! Sitzt unschuldig da und schwingt
in dem Lüftchen, womit sie mich ganz draus bringt.
Gleich bieg ich ab, bin schon am Südwestpark
da fällt mir was ein, es erschüttert mich bis ins Mark:
Um ins Parkhaus zu kommen, muss das Fenster runter
meine Hand dran vorbei und die spinnt da drunter munter!
Was nun, frag ich mich, wenn ich das Fenster aufmache
und das Untier sich ins Auto schwingt, rein aus Rache
dafür, dass ich solch unfreundliche Gedanken habe
und es betrachte als unerwünschte Plage?
Kurzerhand mach ich einen Umweg, fahr auf den Parkplatz
und plane, die Weben zu entfernen, das geht doch ratz-fatz.
Doch sitz ich da reglos und unentschlossen in meinem Wagen.
Allein, ihr beim Spinnen zuzusehen, schlägt mir schon auf den Magen.
Da entsinne ich mich – ja, ich erinner mich genau!
Wie macht die das nur? Sie ist anscheinend schlau!
Schon mehrmals habe ich entfernt ihre Weben
und geputzt das Auto, in meinem Sauberhaltungs-Streben.
Nur: das war auf der anderen, der rechten Seite.
Was baut die da jetzt links? Ein Haus für ihre Meute??
Und warum hab ich die Spinne selbst nie geseh’n?
Erst heute, nach WOCHEN! Wie kann das nur geh’n?
Langsam, fast zögernd, nähert sich meine Hand dem Türgriff
- sie verpasst ihrem Netz grad den letzten Schliff –
als sie mich wahrnimmt und urplötzlich huscht
sie hinter den Außenspiegel! Mir das Herz in die Hose rutscht…
Wie passt die da rein? Die ist doch riesig groß!
Kann sich wohl dünne machen, wenn sie muss?!
Bestimmt ist die giftig! So wie sie aussieht, oh Graus!
Wenn sie sich bedroht fühlt – macht die mir gar den Garaus?
Todesmutig schnappe ich mir eine Waffe – den Eiskratzer -,
schleich zur Türe mich raus, jetzt nur keinen Patzer
passieren lassen! Mit einem Streich kappe ich die Seile.
Schnell wieder rein ins Auto, ich sprinte, ich eile!
Mein Triumphgeschrei bricht abrupt ab, denn ich seh:
da lugen zwei Beinchen hinterm Spiegel hervor - oh weh.
Die rudern empört, als wolle sie das Kriegsbeil schwingen
und drohen, ihre vielbeinigen, großen Brüder mitzubringen.
Dann verschwinden die Beinchen, sie will wohl ihre Wunden lecken
und sich, bis der Jetta unbewacht im Parkhaus steht, hinterm Spiegel verstecken.
Ich denk an das Sprichwort: „Spinne am Morgen….“ –
ja, in der Tat, ich mach mir jetzt Sorgen.
Was, wenn sie nun wahr macht, was sie mir gedroht
und sich Verstärkung holt – dann winkt mir der Tod
durch Ersticken oder Gefressen werden in einem riesigen Netz. Igitt!
Vielleicht lässt sie mich da auch nur zappeln, dann wären wir quitt.
Drum tut mir einen Gefallen, das macht ihr doch, ja?
Falls ich morgen nicht komme, dann seht doch mal nach,
ob ihr ein Netz findet, mit mir drin. Und falls ich noch lebe
befreit mich doch bitte aus der überdimensionalen Webe.
Tag der Veröffentlichung: 15.02.2011
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