Sie redeten miteinander. Sie hörten einander zu. Sie redeten von früher. Aber davon redeten sie nur. Erst als sie auch zu schreiben begannen, da hörten sie mehr von dem, was sie alles zu sagen wussten. Es konnte festgehalten werden.
Sie dachten schon viel nach über sich, über ihre vielen Götter und deren lasziver Menschlichkeit, wie es die nachfolgenden Wissenden hinstellen wollten.
Einer von denen, die zuerst mit dem Schreiben in Berührung kam und gerne damit beginnen wollte als sich auch die fünf Vokale zu den Konsonanten hinzu gesellten, war Homer.
Den Phöniziern sei Dank, zeigten die alten Griechen und ihr erster bedeutender Denker Homer, der schon blind geworden, seine Gesänge weiter und weiter verbreiten wollte, besonders da sie endlich niedergeschrieben wurden, dass man sie lesen und überall verbreiten durfte. Erst seine Ilias von den Trojanern des herrlichen Ilion handelnd, der Geburtsstätte von Europas Kultur. Später dann, im Alter, auch die Odyssee, die von den Reisen des Mannes handelt, der Troja wohl versehrt verlassen durfte und auf vielen Irrfahrten zu sich selbst, seinen Getreuen, seinem Sohn und seiner geliebten liebenden Frau Penelope zurückfinden sollte.
In seinen Gesängen gab Homer vor, was sich auch noch nach 2760 Jahren als Erfahrung in uns Menschen ausmachen will und viele Denker, Sophisten, Philosophen und Wissende nach ihm inspirieren ließ, ihm gleich tun zu wollen, das Kausale wie den Ursprung sowie das Finale und das nachfolgende Licht leuchten zu sehen. Sehen, das hieß, das Licht zu schärfen, seine Sicht damit zu schärfen, zu sehen, was vorher gewesen war, vor seiner Zeit, vor ihm und seinesgleichen und auch was nach ihnen kommen könnte.
So wie wir dem Urknall und dem Gott im Denken einverleibt sein wollen, so kam für ihn zuerst alles aus den großen Meeren. Ja, aller Ursprung sind die Ozeane, alles Leben kommt aus den Meeren. Stellte er bestimmend fest.
Aber wie war das eigentlich damals wirklich? War da schon ein Ich, das er beschrieb, das Ich aus einem Bewusstsein, wie wir es heute zu kennen glauben?
Nein, es konnte noch nicht da gewesen sein. Der Mensch hatte zwar schon viel an Bewusstsein, Gewissheiten machten sich in einem Homer schon breit, in seiner intensiveren Art zu denken, sein Gehirn zu benutzen, wie es sich bis dahin vernetzt hatte. Wie es sich mit seinen Vorfahren seit etwa 30.000 Jahren entwickelt hatte, aber sein Achille und genau so sein Odysseus waren noch von Göttern geleitete Menschen, welche für sie die Rolle des Ich übernehmen mussten, da sie von ihren Idealen geleitet wurden, wie von Zeus, Hera, Athene, Aphrodite und den vielen anderen Gottheiten, die sich in prekären Situationen einschalteten, die sich günstig oder ungünstig für sie unter die Menschen gesellten.
Zur Sommerwende des Jahres 710 vor unserer Zeit begab es sich, dass der alte schon erblindete Homeros, wie sie ihn nannten, sich gerade in Athen aufhalten sollte, fernab von seiner Heimat Smyrna auf Ilion, wo er geboren wurde. In dem jungen Athen wollte er seine Gesänge der Odyssee vortragen und auch schriftlich verbreiten lassen. Bei den hohen Bürgern der Polis fand er ebenso Interesse, wie bei den gebildeten Plebejern. Ich war gerade auch auf dem Weg zu dieser Stadt, da ich beabsichtigte den jüngeren Hesiod treffen zu wollen, den man mir auf meinem Weg nach Athen ankündigte. Wo ich ihn auch alsbald treffen sollte, mich als Santoni vorstellte, mein Anliegen vorbrachte, was er zwar nicht so genau verstanden haben mochte, aber einwilligte mit mir über seine jungen Schriften zu sprechen. Dabei ergab es sich, als wir auf dem Marktplatze der Stadt ankamen, dass gerade auch Homer dort eingetroffen war und vor einer Versammlung von Bürgern seine neuren Gesänge vortrug. Hesiod schien darüber sehr begeistert und meinte gleich:
„Sieh an, welch ein weiser alter Mann steht dort inmitten all der aufmerksamen Zuhörer, als hätte er sie gefesselt mit seinen Reden und Gesängen. Treten wir hinzu und hören das, was er zu sagen hat.“
Homer sprach in aller Ruhe und die Männer lauschten seinen Worten. Von Odysseus war die Rede, als er den einäugigen Polyphem auszutricksen gedachte, der seine Freunde in Schweine verwandelt hatte, die aber wieder zu Menschen wurden und jetzt gerade mit dem listigen Gottesliebling flüchten konnten. Homer beendete dann bald den Gesang und wies die Bürger darauf hin, dass sie alles Weitere der Geschichte der Odyssee auch geschrieben nachlesen könnten und zog sich alsbald leicht erschöpft zurück. Hesiod drängte mich sogleich doch den Alten anzusprechen und von ihm einiges mehr erfahren zu können. Der aber zeigte sich nicht so gewillt, uns noch einen Nachschlag zu erlauben. Als aber Hesiod seinen Namen nannte, zeigte er sich merkwürdig gerührt, obwohl er den jungen Mann aus Böiotion zuerst gleich rügen wollte. Wohl hatte er von dessen Reden und Schriften schon gehört, seiner Theogonie vor allem, in der er mit den Göttern nicht gerade sehr respektvoll umzugehen pflegte.
„Seit es die Schriften erlauben unsere Reden zu verfassen, wird man den Schreibern auch schneller gewahr.“ Meinte Homer.
„Du übst dich darin sehr gewagt, junger Freund. Aber im Grunde sind mir die Götter schon sehr menschlich gewachsen. Übertreibe dein Schreiben nicht, es kann eine gefährliche Fertigkeit sein, wenn man sie zu übertreiben gedenkt.“
„Da gebe ich dir Recht, verehrter Homer, aber ich habe mich auch gerne darin geübt, was du in deiner Ilias niederschreiben wolltest. Es ist lediglich eine jüngere Sicht der Dinge, die ich zu vermitteln suche. Das Schreiben ist uns bestimmt noch nicht so flüssig eingegeben, wie dir das Reden, worin du dich überaus geübt zeigtest vor all den Bürgern der Stadt.“ Worauf der alte Mann entgegnete.
„Das vermag ich nicht so zu beurteilen, wie du es jetzt hinstellen willst. Lassen wir es so stehen. Aber sage mir, wen hast du noch mitgebracht, einen Santoni sagtest du, stammt er etwa aus Dakien?“ Fragte Homer.
„Nein, er sagte mir, er stamme aus den westlichen Landen und wollte mich und auch dich jetzt näher kennen lernen, wegen etwas, das ich nicht so richtig verstehen konnte, also sage er es dir besser selbst.“ Entgegnete Hesiod. Woraufhin ich mich endlich selbst einbringen musste.
„Verzeiht, großer Homer, aber ich wollte euren Gesprächsfluss nicht gleich unterbrechen, weil ich auch nicht viel Gleichwertiges hätte sagen können. Ich komme aus den Landen Lusitaniens, von denen ich ähnlich verschlagen wurde, wie euer Odysseus, aber eher mehr aus freien Stücken, da ich die wissenden Geister auf der Peleponnes und besonders des Ilion kennen lernen wollte. Vieles kam mir unterwegs zu Gehör, sogar in den nördlichen Gegenden Ägyptens, ebenso wie auf Kreta und Cypris. Man spricht sehr viel von eueren trojanischen Gesängen.“
„Das wundert mich auch nicht.“ Stellte Hesiod dazu fest. Da der blinde Mann bescheiden weiter zuhörte und nicht zu entgegnen beabsichtigte. Erst jetzt fühlte er sich aufgefordert, etwas sagen zu sollen, als handele es sich gar nicht um ihn, dem das gemeinsame Interesse galt.
„Diese Schriften, sie verbreiten sich schneller, als man sie korrigieren könnte. Gut, dass ich nicht mehr sehen kann, so erübrigt es sich für mich, das Lesen zu lernen.“ Brummte er mit klarer deutlicher Stimme.
„Umso besser, dass du deine Gesänge mit dir trägst und sie jederzeit vortragen kannst, so ersparst du dir das Lesen. Aus deinem Munde klingen sie auch viel verständlicher als auf den Papieren geschrieben nach zu lesen.“ Sagte ich und der Alte gab mir sofort seine Antwort zu verstehen.
„Das magst du richtig sehen, junger Freund, dennoch ist es mir wohler, wenn ich auch die Odyssee zu Papier gebracht haben werde und sie in Smyrna vor mir liegen wird, denn allzu lange dürfte sich mir die Zeit nicht mehr genügen. Es ist doch ein Wohl, dass wir unsere Gedanken und Gesänge mit den Schriften auf bewahren können und der Nachwelt so besser dienlich sein dürfen, als mit den Nacherzählungen, die von Generation zu Generation ihre Variationen finden, dass in hundert Jahren wieder eine neue Geschichte daraus gesponnen sein wird.“ Ich bestätigte ihn darin.
„Womöglich. Wenn man nicht so eine gute Erinnerung sein Eigen nennen kann wie du." Wollte ich festgestellt haben. Worauf der Blinde mich anblickte, als könne er mich doch sehen und erkennen.
„Was bewegte dich zu uns, junger Santone, was Hesiod ansprechen wollte?“
„Ach, das ist soweit nur eine Nebensächlichkeit, die in eurer Zeit noch keine große Bewandtnis haben kann. Es geht dabei um den persönlichen Bezug unseres Wesens, seit wir dazu mittels der neuen Sprache mächtig sein dürfen, seit wir mit den fünf Vokalen den Konsonanten mehr Ausdruck geben können. Euer Odysseus spricht noch nicht in dieser neuen Sprache, hörte ich heraus, er verlässt sich noch ganz auf seine Götter. Da stimmt ihr mir doch zu, oder?“ Wollte ich wissen.
„Ja, er brauchte auch die Götter. Ohne einen Poseidon oder seine Beschützerin Aphrodite wäre er nicht wieder auf Ithaka angekommen. Keine Frage. Wie Odysseus benötigen wir alles Gottvertrauen, um wohl erhalten bis zum Hades zu gelangen.“ Antwortete Homer, mit direktem Blick auf mich gerichtet.
Ich kam jetzt doch in arge Verlegenheit mit diesem Mann über unser neues Bewusstsein zu sprechen, doch Hesiod sollte mir mutig aus der Patsche helfen, hatte er doch schon die neue Sprache der Person in seinen Werken und Tagen angedeutet. Das schien ein guter Übergang zu sein, den weisen Homer zu überzeugen. Wovon ich aber später berichten will.
Texte: vivyky.de
Tag der Veröffentlichung: 15.07.2011
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