Wieder nur eine Spam. Er schickt mir nie mehr etwas Gescheites oder Sinnvolles. Er will mir zuvor kommen und dabei kommt er gar nicht. So ein Widerspruch. Ich werde so gleichgültig nicht mehr länger warten; keine weitere Zeit mehr verrinnen lassen; wird sie mir doch immer weniger. Und er muss das ganz genau wissen. Er wusste das jedenfalls sehr gut, als wir uns kennen lernten. Eigentlich wusste er das immer. So wie ich weiß, dass er es wusste. Und er macht sich jetzt einen Jux daraus, mich endlos warten lassen zu wollen. Ich weiß das. Und ich werde ihm den Gefallen nicht mehr länger erlauben, nein. Ich lasse mich ausloggen, wie es vorgesehen ist. Ich soll aus dem Netz genommen werden und ich bin nun einverstanden damit und bereit mich ausloggen zu lassen. Es ist keine weitere Zeit mehr vonnöten und schon gar nicht zu verschwenden, nein.
Es ist soweit. Ich werde mein Akzeptieren an die Zentrale weiterleiten, sofort. Ich will nicht mehr länger bleiben. Es kann so sein, wie abgemacht war. Ich werde das Netz verlassen, werde den Ort verlassen und alles verlassen. Ich brauche dann nicht mehr einzuloggen, nichts mehr posten, keinen thread mehr einstellen, keine Kommis mehr versenden, keine Mails mehr beachten und schon gar nichts mehr beantworten. Spam oder nicht, mich stört es dann nicht mehr, mich geht es nichts mehr an. Er meldet sich nicht, nicht zur rechten Zeit, wie es aussieht; wenn, dann zu spät. Seine Schuld. Mir wollte es erst nicht recht sein, zuvor, jetzt will es mir recht sein. Der wartet, ist derjenige, der zu spät kommt, wenn er nicht rechtzeitig geht, er verplempert seine Zeit. Die ist nun aber für mich vorbei. Endgültig. Ich schicke meinen Exit an die Zentrale!
Ab 23:30 Uhr bin ich nicht mehr online, ab dann und danach bin ich offline. Für immer. Er kann mich dann suchen, wo immer er will und wie er will und womit er will. Seine Sache. Es ist dann einfach für mich und ich kann nicht mehr antworten. Gut so. Ich weiß, er hatte sich viele Mühen gegeben, für mich, aber das war so verabredet und auch für diese letzte Zeit, die er auch versprochen hatte, da hat er dann leider versagt und alle Mühe war umsonst für ihn, wie jetzt für mich. Ich lasse ihn in Ruhe, atme nur noch für mich. Mein Körper will ein neuer sein. Wie eine Taube will ich von allem wegfliegen, von all der Gebundenheit über all die Jahre. Es wird mich eine Losgelöstheit tragen, wie ich sie lange nicht mehr kannte, noch spüren konnte. Ich brauche nichts mehr, von all dem, was mich immer gebunden hatte, verbunden hatte in diesem Netz der vielen Gebundenheiten.
Vorüber wird es endlich sein. Wo ich dann bin, ist so gleichgültig, wie auch nur einzig wichtig für mich. Alles wird gleich bedeutend sein, weil es nichts mehr von all dem Unbedeutenden haben wird, das mich die letzten Jahre binden wollte. Meine Bleibe außerhalb des Ganzen wird mein neues Zuhause sein, das ich klar sehen kann ohne Schleier, ohne Nebel, ohne Verworrenheiten. Ich werde nicht mehr müde sein, keine falschen Kommentare werden mich mehr aus der Bahn des Alltages werfen. Ich werde nur noch das Rauschen meiner eigenen Verursachungen zur Kenntnis nehmen müssen und kann mich daran erfreuen oder nicht, indem ich sie einfach missachte. Ich werde dann nicht mehr auf ihn warten müssen, will dann auf niemanden mehr warten müssen. Ich werde nur noch dem erlauben zurückzukehren, dem ich sicher sein kann oder das mir egal sein soll, wenn es nicht kommt.
Das Licht, das ich will, das schalte ich ein, das jenige, das ich nicht will, schalte ich ab. Ich werde meine freie Entscheidung dazu haben, endlich. Ich befinde mich dann wieder inmitten all meiner Elemente des Lebenden und kann mich meiner Freiheit erfreuen, die mich alles neu erspüren lässt. So wie ich das immer für andere geschrieben hatte und kaum noch der Ahnung gewahr wurde, es selbst erfahren zu wollen. Der Weg war leer und lang, der hierhin führte, holprig, wechselhaft, auch monoton und für andere gerechter als für mich.
Der Weg ist gegangen worden und fast hinter mir, und vor mir ist nur noch das Ziel, das sich mir jetzt zeigt, ohne ihn, auf den ich wartete, der nicht mehr rechtzeitig kommen wird. Das ist fast schon sicher. Dazu ist es für ihn zu spät. Ich bin beinahe angelangt, wie ans Ufer des Meeres, das keinen weiteren Weg mehr zulässt, wenn man nicht in die offenen Fluten vordringen wollte. Alle Leitungen werden ganz lapidar abgeschaltet, alle Geräte für andere nutzbar gemacht. Es wird schon vor Mitternacht so aussehen, als ob ich nie hier gewesen wäre, als ob ich nie existiert hätte. Und alle Meldungen und Stimmen, woher sie auch kommen würden, sind dann wie tot oder wie für andere bestimmt, die sie für sich verstehen müssen. Wohin ich dann gehen werde, das ist eine völlig andere Welt, die eine Existenz nur für mich bedeuten wird und die für niemanden von Bedeutung ist, der mich jetzt noch erreichen könnte.
Es wird also eine getrennte Welt sein und für mich dann nur noch die meine, die andere hätte keinerlei Bewandtnis mehr, sie ist dann Gegenstandslos geworden. Ich werde schnell Fortschritte machen, denn mir bleibt und genügt nur noch die Ungebundenheit und das Sein und das Verharren darin, das ich mir jetzt schon vorstellen kann. Warum, das weiß ich nicht einmal, aber ich weiß nur, dass es mir immer so vorschwebte, weil ich es anderen so vorhergesagt hatte. Ich führte viele andere auf diesen Weg, den ich jetzt selber beschreiten werde und ich fühle mich wohl dabei, ja, mit voller Erleichterung. Nichts in mir ist mehr betäubt, ich kenne keinen Überdruss mehr und mir tut sich ein Himmel auf, der mir alle Farben, alles Licht, alle Luft und Energie geben will, die ich mir für diesen ersten neuen Tag danach genauso ersehne, obwohl ich das doch so, nur den anderen vermittelte, niemals für mich selbst in Anspruch nehmen wollte.
Ich kann dann sagen, dass ich endlich da bin, in einer Lebendigkeit, die ich nie zuvor so haben durfte. Ich werde mit geschlossenen Augen dann mehr sehen, als jetzt und zuvor mit weit offenen Blicken. Was mich jetzt noch stören will, ist der Übergang, der mir unmittelbar bevor steht. Habe ich dann alles getan, um es gut zu bewerkstelligen? Mit Gewissheit kann ich schon ja sagen. Es wird dann egal sein, dass er nicht gekommen ist, sein Versprechen nicht gehalten hatte, es wird mich in dem Wechsel, den ich vollziehe, nicht beeinträchtigen, nicht enttäuschen. Ich werde dann sofort keine Enttäuschung mehr kennen, weil ich sie nicht mehr zulassen werde, nicht mehr muss. Keine Meldungen werden sich mir mehr zeigen, keine Worte werden meine Stille zerreißen, die dann eine andere Verschwiegenheit und ein anderes Schweigen bedeuten wird als jemals zuvor. Diese schnelle Zukunft wird sich in eine Gegenwart verwandeln, die mir alles bedeuten muss, was ich mir hätte ersehenen können, obwohl dies sich für mich nie so ergab, nur für andere wusste ich es so.
Ich brauche dann auf nichts mehr zu warten und brauche auch nichts mehr zu finden, ich werde dann nur noch zu denken brauchen, dass alles genauso hatte kommen müssen, wie es gekommen ist. Denn ich weiß es schon ganz genau, so wie ich es für andere immer voraus gesagt hatte, so trifft es jetzt auch für mich ein. Nur, dass ich den Zeitpunkt gekannt haben werde, das verwundert mich jetzt doch noch sehr. Aber eines will ich auch noch wissen, weil es mir nun auch einfällt: es wird keine Jahreszeiten mehr für mich geben, in dieser lichten Stille. Und es bleibt nur noch zu wiederholen, er ist nicht gekommen! Er hat sein Versprechen für mich nicht gehalten.
Texte: vivyky.de
Tag der Veröffentlichung: 06.04.2011
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Widmung:
bookrix und allen die hinter Sprache blicken und das Verborgene finden.