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Grauer Frühling

Nach dem maledivischen Fisch-Curry, lag Cosmin die zweistöckige Physalis-Mango-Sahnetorte mit geriebenen Cashews obendrauf schwer im Magen. Zu Taminos Geburtstag hatte sich Elli, die Haushälterin, selbst übertroffen. Zugegeben, es war sehr lecker, doch wenigstens einmal würde er bei den Familienfeiern gerne etwas Normales essen. Gänsebraten vielleicht oder Gulasch, mit einem Schokopudding danach. Aber nein, in seiner Familie musste Exotisches auf den Tisch. In den vergangenen Jahren hatte er hin und wieder verschiedene Alternativen vorgeschlagen, doch niemand interessierte sich dafür. Wie bei allen anderen Themen, wurde seine Meinung bestenfalls zur Kenntnis genommen, um dann bei der Entscheidungsfindung ignoriert zu werden. Müde ließ er den Blick über seine Angehörigen wandern, die gerade begeistert über das bevorstehende Interview mit einer regionalen Zeitung diskutierten.

„Natürlich werden wir diese Homestory machen. Wir passen hervorragend in die Serie Außergewöhnliche Familien.“ Mit einer Hand beschrieb Cosmins Vater einen Halbkreis in der Luft. „Cäcilia und ich sind in der Pharmaforschung, Lorcan organisiert Firmenübernahmen. Tamino und Berenike sind mit ihrer Event-Agentur europaweit bekannt.“ Ein kurzer Seitenblick streifte ihn. „Und Cosmin ist schwul.“

Na super. Cosmin ist schwul. War das seine außergewöhnliche Eigenschaft, sein Alleinstellungsmerkmal? Hätte sein Vater nicht sagen können: „Erfolgreicher Inhaber eines kleinen Unternehmens“? Okay, es war ein Schreibwarenladen und er der einzige Mitarbeiter. Cosmin seufzte leise. Das Jahr hatte erst angefangen und versprach, genauso mies zu werden, wie das vergangene.

Unerwartet traf ihn ein derber Schlag auf die Schulter. Wäre er fünfzig Jahre älter, würde sein Gebiss nun auf dem Tisch kleben. „Unser Kleiner wird bestimmt auch noch eine Berühmtheit.“ Lorcan, der Haifisch, hatte zugeschlagen. Wenn er Blut witterte, hielt ihn nichts mehr auf. „Vielleicht erfindet Cosmin Puzzleteile mit Peilsender.“ Nochmals landete die Hand brachial auf seiner Schulter, während Lorcan über seinen eigenen Witz losgackerte.

Wenn Lorcan zu den Haien gehörte, entsprach Berenike einer Muräne – hinterhältig und absolut tödlich. Ihr gekünsteltes Lachen sollte amüsiert klingen, doch Cosmin wusste, was sie damit sagen wollte: In ihren Augen war er ein Loser. Wenn schon schwul, hätte er wenigstens ein international anerkannter Modedesigner werden können. Aber nein, er war bloß Cosmin, Verkäufer von Kugelschreibern und Bastelpapier, zu gewöhnlich für diese exklusive Runde. Selbst bei Lorcans Sprösslingen machten sich schon Anzeichen der brillanten Gene bemerkbar, die die Familie Haas auszeichneten. Sein Neffe hatte die sechste Klasse übersprungen und die Kleine spielte mit ihren fünf Jahren besser Klavier, als viele begabte Teenager. Bei Cosmins Zeugung hatte den Gott der Vererbung vermutlich ein Schluckauf geplagt.

„Jetzt lenkt nicht ab“, warf seine Mutter ungeduldig ein. „Wir müssen uns genau überlegen, was wir den beiden Journalisten bieten, wenn wir sie nach Ostern treffen.“

Das waren sie – die zwei Minuten Aufmerksamkeit, die ihm bei jeder Zusammenkunft zuteilwurden. Zeit, zu gehen. Es würde niemandem auffallen, wenn Cosmin nicht mehr auf der Designercouch aus afrikanischem Wildleder saß. Sein Ikea-Polstersofa zu Hause war gemütlicher.

 

Wie erwartet, blieb sein Verschwinden unbemerkt. Kein Anruf, keine SMS in den Wochen danach und das Geschäft lief, jetzt im Februar, ebenfalls sehr ruhig. Da es sich in einer Seitenstraße befand, fiel die Laufkundschaft weg, und die Stammkunden der Stadt waren im Skiurlaub oder scheuten das nasskalte Wetter. Lediglich eine Handvoll Schüler betrat heute den kleinen Laden und eine ältere Dame hatte einen Gutschein in ein extravagantes Schreibetui eintauschen wollen. Es kostete Cosmin zwei Stunden, das Exemplar bei einem Großhändler ausfindig zu machen, und für sie zu bestellen. Den Außendienstmitarbeiter eines Herstellers für Luxuspapiere hatte er nach einer Stunde wieder hinaus gescheucht. Mit echtem Gold besetzte Glückwunschkarten und antiquarische Landkarten verkauften sich hier nicht.

Nachmittags genoss Cosmin ein heißes Bad und bereitete seinen Samstagabend vor. Chips und ein Piccolo standen auf dem Tisch, die Stirb-langsam-DVDs lagen bereit und er ließ sich mit der Fernbedienung in die Kissen nieder. Er wollte es nicht anders. Ihm fehlten jegliche Entertainer-Qualitäten, sodass sich die meisten Menschen neben ihm schnell langweilten. Als das Telefon klingelte, schrak er zusammen. Wer würde ihn jetzt noch anrufen?

„Thorsten hier. Hör mal, mir ist jemand abgesprungen. Willst du mit ins Ex? Ich hab noch eine Karte für die Bye-Winter-Party.“

„Ach, ich weiß nicht. Das Exploded ist nicht so mein Ding. Da geht’s doch bloß ums Abschleppen.“

„Na und? Dir würde ein bisschen schmutziger Sex mal guttun. Lass dich nicht so hängen und komm mit. Die Show soll grandios sein“, lockte Thorsten mit schmeichelweicher Stimme.

Cosmin blickte an seinem hellbraunen Schlabbershirt und der grauen Jogginghose hinunter. Das war‘s wohl mit dem entspannenden Abend. In den letzten Monaten hatte er seinem alten Kumpel aus der Schulzeit schon zu oft abgesagt. Herbst und Winter zogen Cosmins Stimmung jedes Mal in den Keller, doch in letzter Zeit fühlte er sich so grau und einsam, wie der Fliederbusch vor dem Fenster. Oder so kalt und tot, wie der Hibiskus daneben.

„Gut, okay. Ich kann mich ja an die Bar setzen.“

„Super. Wir sehen uns dort um acht.“

 

Bunte Lichter zuckten rhythmisch über den Tresen und Cosmins Bierglas, während um ihn herum schwules Wochenendleben tobte. Kerle in allen Größen und Formen, mit und ohne Oberteile, lachten, tanzten, rieben sich aneinander. Manche standen am Rand und scannten die Menge, ob sich darunter ein kompatibler Partner fand, mit dem sie in den hinteren Bereich verschwinden konnten. Thorsten ließ sich seit einer Stunde nicht mehr auffinden, nachdem er mit einem blonden Goth im Arm die Theke verlassen hatte.

„Hey, du siehst aus, als wolltest du mir dringend deinen Namen nennen.“ Die fremde Hand, die nach Cosmins Hüfte grapschte, ließ ihn leicht zur Seite zucken.

Cosmin blickte nach oben, in ein hartes Gesicht mit gewinnendem Lächeln und raspelkurzen, schwarz gefärbten Haaren auf dem Kopf. Am Ansatz waren Reste der Tönung zu erkennen. Nun ja, originelle Anmachsprüche hatte er selbst nicht auf Lager und vielleicht musste er einfach nehmen, was er kriegen konnte. „Cosmin.“

„Cosmin wie kosmisch? Oder wie komisch?“ Haha, wie lustig.

„Einfach nur Cosmin.“ Er versuchte sich in einem Lächeln. „Und du?“

„Für Freunde heiße ich Stef. Für dich Mister Universe, wenn ich den hier versenke.“

Stef griff sich demonstrativ in den Schritt. Falls diese Geste, in Kombination mit einer erhobenen Augenbraue und den Fingern, die hinter Cosmins Hosenbund glitten, erotisch sein sollte, erreichte sie bei ihm leider nicht die erhoffte Wirkung. „Heute nicht.“ Er stand vom Barhocker auf. Die Finger rutschten von ihm weg, ebenso wie Stefs Grinsen erstarb. „Sorry.“ Verdammt. Warum spürte er immer den Drang, sich zu entschuldigen, wenn er sich nicht auf spontane Abenteuer einlassen wollte?

„Gott, bist du eine Spaßbremse“, stöhnte Stef genervt. „Was willst du überhaupt hier, wenn du keine Lust auf Ficken hast?“

Gute Frage. Cosmin zuckte ratlos mit den Schultern. Stef schüttelte irritiert den Kopf, drehte sich wortlos um und stürzte sich ins Getümmel auf der Tanzfläche. Er starrte frustriert in die kleine Pfütze Bier, die in seinem Glas noch übrig war. Sicher waren nicht alle hier so direkt und von sich überzeugt wie Stef, aber in einem Punkt hatte er recht: Cosmin war ein Spielverderber, der jedem den Abend ruinierte, der sich länger als fünf Minuten neben ihm aufhielt. Stef war schon der zweite Mann, den er hier vergrault hatte. Den ersten hatte er selbst vorsichtig angesprochen und eine genervte Abfuhr kassiert. Er sah an sich herunter und überlegte, warum er Stef überhaupt einen Versuch wert gewesen war. Die schlichte blaue Jeans (ohne spezielle Waschungen, Ketten oder strategisch gesetzte Risse) und das dunkelblaue, langärmlige Polo-Shirt (ohne Aufnäher, Sprüche oder Löcher) zeigten deutlich seinen Status als Blindgänger in einem Feuerwerk voller farbenfroher, energiegeladener Raketen. Stef hatte wahrscheinlich auf versteckte Qualitäten gehofft. Stille Wasser und so weiter.

Um Mitternacht herum war Cosmin klar, dass er sich den Clubbesuch hätte sparen können. Er war nun mal nicht gemacht für so was. Auf der Tanzfläche wirkte er so dynamisch wie ein Straßenschild, bei Flirts versagte regelmäßig sein Sprachzentrum und die Anonymität des Darkrooms schreckte ihn ab. Viel Interesse hatte er eh nicht erweckt. Der Suchradar der anwesenden Singles war über ihn hinweggeglitten, wie über ein Möbelstück. Als sei der Barhocker, auf dem er saß, unbesetzt. Vielleicht wären die schwarzen Chucks geeigneter gewesen als die dunkelgrauen Slipper, aber das hätte die Sache wohl auch nicht mehr gerettet. Er warf einen letzten Blick in den aufgeheizten Raum. Die Lichter der Scheinwerfer stachen in seine Netzhaut, die Beats schlugen unbarmherzig ihren Takt hinter seiner Stirn und in seinem Magen grummelte die Niederlage. Thorsten war immer noch nicht zu sehen. Resigniert zog Cosmin seinen warmen Anorak an und quetschte sich an den Feierwütigen vorbei nach draußen.

 

Der Heimweg dauerte in der Regel zu Fuß dreißig Minuten und mit einem kleinen Umweg führte er an einem Park vorbei. Er war erst zwei- oder dreimal hier gewesen, immer nachts. Tagsüber sprudelte das Gelände über vor Familien mit Kindern, Hunden, Bällen und Frisbees. Die jetzige Stille legte sich wie Watte um seinen gequälten Brummschädel. Cosmin sank auf eine Holzbank, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Nach wenigen Minuten löste das Plätschern des Seeufers das Pochen in der Stirn auf und die Schwärze hinter den Lidern vertrieb die Erinnerung an das Lichterzucken in seinen Augen.

Schwere Schritte ertönten auf dem Kiesweg und der einsame Vogel, der in einer mächtigen, kahlen Eiche gezwitschert hatte, verstummte. Cosmin öffnete schnell die Augen, als die Steinchen des Spazierwegs kein Geräusch mehr preisgaben. Gegen das Wasser des Sees hob sich eine schwarze Silhouette ab, der Statur nach ein Mann. Der Vogel flötete wieder und Cosmin fühlte sich an Shakespeare erinnert. Es war die Nachtigall und nicht die Lerche. Beinahe hätte er gekichert, doch der Fremde drehte sich zu ihm um und plötzlich hatte die Szenerie eher etwas von Edgar Wallace. Der Park lag noch im Winterschlaf und um diese Uhrzeit waren sie die einzigen menschlichen Wesen weit und breit. Er verfluchte sich, so lange vor sich hin geträumt zu haben. Er könnte schon längst zu Hause sein.

Unauffällig rieb Cosmin seine feuchte Handfläche über den Jeansstoff. Er war weder besonders mutig, noch muskulös. Blieb er sitzen, erweckte er den Eindruck leichter Beute. Wenn er aufstand und bemüht ruhig in Richtung Straße ging, würde der Fremde ihm folgen, wie ein Greifvogel dem Hasen. Ihn zusammenschlagen und ausrauben. Oder waren seine Ängste albern und er machte sich hier vor sich selbst lächerlich? Er entschloss sich, so cool wie möglich sitzenzubleiben, die Hände in die Taschen zu stecken und abzuwarten. Seinen erhöhten Herzschlag konnte der andere ja nicht sehen; der Fremde, der jetzt auf ihn zuging, schweigend neben ihm Platz nahm und auf den See hinaus blickte. Cosmins Kopfhaut kribbelte. Vielleicht sollte er einfach losrennen. Unmerklich beäugte er den Kerl an seiner rechten Seite. Die nächstgelegene Laterne war offensichtlich defekt, sodass der Bereich um die Parkbank im Dunkeln lag. Der Schein der dünnen Mondsichel ließ nur wenig von dem Mann erkennen und die spärlichen Details trugen nicht zu Cosmins Beruhigung bei. Schwere Stiefel, schwarze Lederjacke, große Hände, dunkle Haare, drei kleine Ringe am Ohr.

„Ist es nicht großartig hier? Diese Stille ...“

 

...

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Texte: Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.
Bildmaterialien: Shutterstock Design Lars Rogmann
Lektorat: Sissi Kaiserlos
Tag der Veröffentlichung: 19.03.2018

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