Simon und Finn treffen sich zweimal die Woche in Finns Wohnung, schön unkompliziert, nur für Sex. Das geht monatelang gut, bis Simon feststellt, dass ihm das zu wenig ist. Finn jedoch ist kalt, zeigt keinerlei Gefühle - bis zu dieser einen Nacht, als er mit hohem Fieber im Bett liegt und kaum etwas wahrnimmt.
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Schon wieder Donnerstag. Ich hasse Donnerstage. Montage hasse ich auch. An diesen beiden Tagen fahre ich zu Finn zum Vögeln. Anders kann man es nicht nennen, denn an diesen beiden Tagen machen wir für ein oder zwei Stunden nichts anderes.
Ich bin Simon, ein Meter achtzig, mit rotblonden Haaren, grünen Augen und dank meines Jobs als Möbelpacker kräftig gebaut. Finn habe ich vor ein paar Monaten in einem Darkroom kennengelernt und nach einigen Wochen, in denen wir uns immer wieder über den Weg gelaufen sind, haben wir beschlossen, dass ein anständiges Bett bequemer ist. Montag und Donnerstag sind die beiden Tage, an denen ich bei der Arbeit früher gehen kann. Darum haben wir uns darauf geeinigt, dass wir uns dann in Finns Wohnung treffen, um unseren Spaß zu haben. Finn legt Wert darauf, dass ich nicht abends zu ihm komme, damit wir nicht in Gefahr geraten, die Nacht miteinander zu verbringen. Eine bequeme, befriedigende Vereinbarung zum Poppen, ganz locker, nur um Druck abzubauen. Auch darauf haben wir uns geeinigt, denn mehr wollten wir beide nicht.
Blöd nur, dass meine Einstellung dazu sich geändert hat. Jedesmal fällt es mir schwerer, zu Finn zu fahren und jedesmal bekomme ich Magenschmerzen, wenn ich wieder gehen muss. Das war kein wohlüberlegter Entschluss, es ist einfach so passiert. Der Mann geht mir unter die Haut, greift mein Herz an und macht einen unentwirrbaren Knoten daraus. Im Bett passen wir hervorragend zusammen, auch wenn ich ihn nur von hinten lieben darf. Ja, meine Wortwahl hat sich auch geändert, wenn auch nur im Geiste.
Ich würde Finn gerne mal küssen und umarmen, doch er entzieht sich jedesmal. Zugegeben, meine beiden einzigen Versuche in dieser Hinsicht waren sehr zaghaft, schließlich ist diese seltsame Stimmung in mir für mich recht neu. Ich war noch nie verliebt und Gefühle dieser Art waren mir bei anderen bisher unverständlich.
Noch zwei Querstraßen, dann links abbiegen, am Hochhaus vorbei und dann wieder rechts bis zu dem achtstöckigen Appartmenthaus, in dem fast nur Studenten wohnen, wie Finn auch einer ist. Der Bildungsunterschied zwischen uns fördert natürlich nicht gerade meinen Mut, ihm zu sagen, was ich fühle. Was das betrifft, passen wir wohl eher nicht zusammen. Aber ich kann diesen kleinen Nerd, verdammt nochmal, nicht aus meinem Kopf bekommen.
Finn ist kleiner als ich, schlank mit braunen Haaren und blauen, ständig etwas abwesend wirkenden Augen. Zumindest sieht er mich selten an, was echt schade ist. Viel Aufmerksamkeit bekomme ich eh nicht, nach ein- oder zweimal Vögeln schwingt er sich aus dem Bett und zieht sich sofort wieder an. Fehlt nur noch, dass er über die Schulter ruft: „Du weißt ja, wo die Tür ist“. Bevor er so was äußern kann, gehe ich lieber freiwillig – und sitze dann zu Hause frustriert mit einem Bier vor dem Fernseher.
Eine Parklücke direkt vorm Haus, das nenne ich Glück. Oder Pech, wenn ich bedenke, dass es die Zeit verkürzt, bis ich mich wieder dieser unmöglichen Situation stellen muss, die ich mit jedem Treffen weniger ertrage. Heute werde ich ihm sagen, dass ich die „Vereinbarung“ beende, weil ich keine Zeit mehr habe, eine bessere Ausrede ist mir bis jetzt nicht eingefallen. Letzten Montag habe ich mich davor gedrückt, habe ihm auf den Anrufbeantworter geschwatzt und behauptet, dass ich einen Auftrag hätte und daher leider absagen muss.
Auf mein Klingeln tut sich nichts, die Eingangstür lässt sich jedoch leicht aufschieben, sodass ich langsam die Stufen hinaufschleichen kann bis zu Finns Wohnungstür. Jeder Schritt fällt mir schwer angesichts dessen, was ich gleich tun muss, aber eine andere Lösung gibt es nicht.
Finn ist unglaublich sinnlich beim Sex, davor und danach jedoch kalt wie ein Fisch, interessiert sich nur für seine Studien und Zeichnungen, die überall herumliegen. Er studiert Physik, dafür kann er sich begeistern, redet wie ein Wasserfall mit leuchtenden Augen und wirbelnden Händen.
Nur mich behandelt er wie einen Einrichtungsgegenstand – nützlich, aber uninteressant. Wie man so zwiespältig sein kann, verstehe ich nicht, ich bin da einfacher gestrickt, direkter. Darum kann das mit uns auch nichts werden, das muss ich eben so akzeptieren.
Nachdem mir auch hier an der Wohnungstür keiner aufmacht, krame ich Finns Schlüssel aus der Jacke. Den hat er mir vor zwei Monaten mal gegeben, weil er nichts wahrnimmt, wenn er konzentriert am Laptop sitzt. Da hatte ich noch Hoffnung, habe es als Zeichen gesehen, dass da mehr ist als nur Sex.
Die Tür ist schnell geöffnet und als ich eintrete und sie hinter mir schließe, sehe ich vor mir Chaos und Unordnung. Das ist für Finn nicht ungewöhnlich, mit Aufräumen hat er nichts am Hut, weil er geistig so schnell wegrutscht, sich lieber mit Dingen beschäftigt, die seine Intelligenz fordern, als mit schnöder Hausarbeit. Heute jedoch scheint es noch mehr Durcheinander zu geben als sonst. Überall liegen Taschentuchpackungen und in der Küche stehen mehrere schmutzige Gläser und Teller. Hier hat schon lange keiner mehr was gemacht.
Finn ist nirgendwo zu sehen, sonst sitzt er meistens am Computer. Auf meine Rufe antwortet er nicht und auf dem Weg zum Schlafzimmer fällt mir die stickige Luft auf. Mann, warum macht der kein Fenster auf? Selbst ein kleiner Professor braucht doch hin und wieder etwas Frischluft.
Die Schlafzimmertür steht offen, Finn liegt nur mit Slip bekleidet auf dem Bett wie ein Toter. So hat er mich noch nie empfangen – auf dem Rücken liegend, den Kopf mir zugewandt, als hätte er nur auf mich gewartet. Erst beim Näherkommen sehe ich, dass seine Augen geschlossen sind. Sein Atem geht rasselnd und die schönen braunen Haare kleben ihm am Kopf, seine Haut glänzt schweißnass, das Bettlaken ist völlig zerwühlt. Oh Gott, der arme Kerl ist krank, das wirft meine Pläne natürlich über den Haufen.
Als erstes kippe ich das Fenster, dann decke ich ihn zu und wische ihm mit einem Tuch vorsichtig über die fiebrige Stirn. Finn stöhnt im Schlaf, nicht das lustvolle Stöhnen, das ich von ihm kenne, eher ein gequältes, rau und stockend. Er nuschelt etwas, das ich nicht verstehen kann, es klingt wie Ken, Ben oder Wenn. Was auch immer er sagen wollte, jetzt fehlt ihm wohl die Kraft dazu, liegt er wieder still da. Er glüht und die flachen Atemzüge kommen stoßweise, als müsse er jedes Quäntchen Luft mühsam in den Körper zwingen.
Verdammter Mist, warum hat er mich nicht angerufen, wenn es ihm so schlecht geht? Und warum kümmert sich sonst keiner um ihn? Was ist mit seiner Familie oder Freunden? Mir fällt auf, dass ich nicht viel über ihn weiß, kein Wunder, er spricht auch nie über etwas anderes als sein Studium. Nur seine Eltern hat er mal nebenbei erwähnt, dort ist er seit seinem Coming-out nicht mehr besonders willkommen. Doch jetzt muss ich ihn erstmal wieder gesund kriegen, bevor wir reden können.
Ich werfe einen letzten besorgten Blick auf ihn und eile in die Küche, um dort den Wasserkocher für den Tee einzuschalten. Dann spüle ich schnell das Geschirr, um etwas Platz zu schaffen und lasse danach im Badezimmer lauwarmes Wasser in die Wanne. Ich muss Finns Fieber runterbekommen, wer weiß, wie lange er schon so hilflos da liegt. Auf dem Rückweg durch den Flur fällt mir ein Foto an der Wand auf, das ich bei meinen Besuchen bisher nicht wahrgenommen habe. Ein gutaussehender junger Mann ist hier abgebildet, etwas älter als Finn, aber er sieht ihm ähnlich. Die gleichen braunen Haare, dasselbe verschmitzte Lächeln und eine ebenso schlanke Figur. Nur das schwarze Band am Rahmen irritiert mich. Ist das ein Verwandter von Finn? Vielleicht sein Bruder?
Wieder beschleicht mich der Verdacht, dass es einiges gibt, das ich von Finn gerne erfahren würde. Leise Hoffnung keimt auf, dass er vielleicht nicht so ist, wie er sich mir gegenüber bisher gezeigt hat. Vor allem, da in seiner Wohnung sonst nur Weltraumposter an den Wänden hängen.
Wer stellt schon Fotos von Verstorbenen aus? Das kenne ich nur von meiner Oma, da steht ein ganzes Regal, gefüllt mit Abbildern ihrer verblichenen Lieben.
Bei Finns Bett angekommen, hebe ich ihn vorsichtig hoch. Dünn ist er geworden, hängt schlapp in meinen Armen und regt sich kaum. Ich trage ihn zur Badewanne und lasse ihn langsam ins Wasser gleiten, halte ihn an den Schultern fest, damit er mir nicht absäuft. Nur kurz öffnen sich seine Augen, trifft mich ein matter, fragender Blick, dann fallen sie wieder zu.
Nachdem ich ihm den Schweiß von der Haut und aus den Haaren gewaschen habe, wickele ich ihn in ein großes Handtuch und trage ihn zurück ins Schlafzimmer, lege ihn dort kurz auf den Teppich, damit ich das Bett frisch beziehen kann.
In seinem Kleiderschrank finde ich Bettwäsche und an der Innenseite der Tür ein leicht verschwommenes Foto, das einer der Clubbesitzer vor ein paar Wochen von uns gemacht hat. Verblüfft stehe ich vor dem Schrank und versuche zu begreifen, warum Finn das Foto nicht nur vergrößert, sondern auch hier hingeklebt hat. Bedeute ich ihm vielleicht doch etwas mehr, als er zugibt? Mein Herz flattert und ich muss tief durchatmen.
Das Bett ist schnell gemacht, den Tee habe ich auf die kleine Kommode gestellt und Finn wieder aus dem Handtuch gewickelt. Er fühlt sich immer noch heiß an, langsam kriecht Angst in mir hoch – wenn meine „Kur“ ihm nicht hilft, werde ich ihn morgen zum Arzt bringen. Ich ziehe mich bis auf die Shorts aus und lege mich neben ihn, kann nicht anders, als seine Gesichtszüge zu betrachten und ihm liebevoll die Haarsträhnen zur Seite zu streichen. Finn seufzt und dreht sich um, bis er in meinem Arm liegt, was ich natürlich genieße, auch wenn er krank und nicht ganz bei sich ist.
„Ben, bleib hier“, wispert Finn und greift nach meiner Hand, drückt sie trotz seiner Schwäche fest an sich.
„Ich bin es, Simon“, antworte ich etwas verwirrt.
Wer ist Ben? Ein Ex-Lover? Eifersucht grummelt in mir, doch ich tröste mich damit, dass nicht dieser Ben hier ist, sondern ich. Würde Finn diesem Kerl etwas bedeuten, würde der jetzt nicht durch Abwesenheit glänzen.
Finn zittert am ganzen Körper, ich halte ihn fest und würde ihm am liebsten von meiner Stärke etwas abgeben. Ein Kraftprotz war er noch nie, doch jetzt fühlt er sich an wie zu früh aus dem Nest gefallen. Nicht nur, dass ich hoffnungslos verknallt bin, nein, jetzt läuft auch noch mein Beschützerinstinkt auf Hochtouren.
Der Mann in meinem Arm öffnet die Augen und sieht zu mir hoch. Nein, falsch, er sieht mit glasigem Blick durch mich hindurch.
„Ich muss ihn rausschmeißen, Ben, verstehst du?“, flüstert Finn angestrengt. Sein Blick flackert, dann fährt er leise fort: „Wenn er bleibt, dann tut es irgendwann weh, wenn er geht.“
Die Augen fallen wieder zu und Finns Worte hallen in mir nach. So verdreht er sie auch geäußert hat, irgendwie habe ich sie doch verstanden. Meint er mich damit? Kann ich mir doch Hoffnungen machen? Und wer, zum Teufel, ist Ben?
Die halbe Nacht liege ich wach, dämmere nur kurz weg, und halte Finn fest an mich gedrückt, als könnte er davonfliegen, wenn ich nicht aufpasse. Zum Glück sieht mich hier keiner, das würde mir ohnehin niemand glauben – dass ich mit einem Mann im Bett liege und ihn nur in den Armen halte, mit den Fingern seine Wangen streichele und ihm Küsse aufs Haar drücke. Diese Weichei-Nummer passt nicht zu meinem Image als harter Kerl, der nichts anbrennen lässt. Doch es ist mir egal, Finn braucht mich und ich werde nicht eher gehen, bis er wieder fit ist.
Nachts um drei wird Finn wach und fragt nach Ben. Innerlich fluchend flöße ich dem schwachen Körper Tee ein, von dem er die Hälfte wieder ausspuckt. Ich komme mir vor wie eine Krankenschwester, eine gänzlich neue Rolle, in der ich mich nicht wirklich wohl fühle. Doch für Finn tu ich es gern, kann seinen Zustand kaum ertragen und überlege ernsthaft, doch zum nächsten Krankenhaus zu fahren.
Zwei Stunden später ist das Fieber offensichtlich gesunken, Finns Atemzüge kommen regelmäßiger und mir fällt ein Stein vom Herzen.
Finn dreht den Kopf nach oben und sieht mich an. „Was machst du hier?“, fragt er mich verwirrt und runzelt die Stirn.
„Dich gesundpflegen, damit wir den Donnerstag nachholen können“, antworte ich und merke sofort, wie gefühllos und taktisch unklug meine Worte klingen.
Prompt entgegnet Finn gleichgültig: „Das ist nicht nötig. Mir geht es besser, aber heute wird das nichts. Du kannst ruhig wieder gehen.“
Er rappelt sich hoch, schiebt mühsam die Beine aus dem Bett und schwankt in Richtung Bad. Mein Herz zieht sich zusammen und mein Verstand raunt mir ein entschiedenes „Idiot“ zu. Diese Chance habe ich gründlich versaut und ich hoffe, dass ich das wieder gutmachen kann. Ich laufe ihm durch den Flur hinterher, doch die Tür ist schon geschlossen. Aus dem Badezimmer höre ich die Spülung und das Wasser im Waschbecken rauschen. Nach zehn Minuten kommt Finn wieder heraus. Zwei Schritte schafft er, dann stolpert er und kippt nach vorne. Schnell fange ich ihn auf, damit er nicht hinfällt.
„Finn, es tut mir leid. Ich habe das nicht so gemeint, ich … ich wollte eigentlich, also eigentlich wollte ich was anderes sagen ...“, stottere ich ungeschickt. Mist, warum kann ich nicht so wortgewandt sein wie andere? Ich weiß nicht, was ich sagen soll und ziehe Finn stattdessen näher an mich.
„Was soll das heißen? Was tut dir leid? Ich verstehe nicht, was du meinst“, erwidert Finn und versucht, mich von sich zu drücken. Dafür reicht seine Kraft allerdings noch nicht und ich weigere mich, ihn loszulassen.
„Wer ist Ben?“, rutscht mir unbedacht heraus. Die Eifersucht scheint doch stärker an mir zu nagen als gedacht.
„Woher weißt du … Oh Scheiße, habe ich etwa im Schlaf geredet?“, antwortet Finn verunsichert. Er dreht den Kopf zur Seite und erklärt leise: „Ben war mein Bruder. Er ist vor
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Savannah Lichtenwald - Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.
Bildmaterialien: © Savannah Lichtenwald - Motive: Pixabay.com, Andrew Neel on Unsplash
Cover: Savannah Lichtenwald
Tag der Veröffentlichung: 16.12.2015
ISBN: 978-3-7396-2841-7
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