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Brittle life

„Hi Colin, die Nummer 4“, sage ich fröhlich zu dem Mann hinter dem Tresen meiner Stamm-Tankstelle. Er nickt und tippt auf dem Display der Kasse die Zahl ein. Den heulenden Wind vor der Tür und die anderen Kunden hinter mir nehme ich nicht mehr wahr. Mein Blick klebt auf Colins schlanken Händen mit der durchscheinenden Haut. Bis vor drei Monaten war diese Adresse noch nicht mein bevorzugter Spritlieferant. Sie liegt am anderen Ende der Stadt und ich muss eine Weile fahren, um hierher zu kommen. Doch seit Colin hier dienstags und samstags bedient, weil er seinem Onkel Andreas aushilft, finde ich immer einen Grund herzukommen und wenn es nur zwei lächerliche Müsliriegel sind, die ich umständlich aus dem Süßigkeitenregal krame. Meinen Spritbedarf teile ich in möglichst kleine Portionen auf und ich könnte wetten, dass ich fast alle Artikel des kleinen Shops mindestens einmal gekauft habe.

„11,86 Euro für 8 Liter“, verlangt Colin. Wie er mit Vornamen heißt, weiß ich von dem grün umrahmten Namensschild auf seiner Brust. Er spricht nämlich kaum, zumindest nichts Privates. Natürlich habe ich das schon ausgiebig getestet – nach seinem Hauptjob gefragt, ihn um Dates gebeten, Witze erzählt. Von ihm kommt meist nichts außer „Privatsache“, „Keine Zeit“ und „Ja, ganz nett“, kombiniert mit einem unverbindlichen Lächeln, das er jedem anderen Kunden auch gönnt. Manchmal glaube ich, den Anflug eines Grinsens wahrzunehmen, ein kurzes Aufblitzen von Sympathie in den blauen Augen, aber vermutlich spielt mir mein Geist bloß fiese Streiche.

„Alles klar, behalt den Rest. Und, wie wär´s? Samstag? Du und ich?“

„Nein, auch diesmal nicht“, sagt Colin und zwinkert mir zu. Das hat er noch nie getan und mir werden die Knie weich. Sein Lächeln ist warmherzig und ein bisschen melancholisch. So unerwartet und schnell wie es kam, ist es wieder verschwunden. Noch bevor ich darüber nachdenken und etwas erwidern kann, steckt Colin die vierzehn Cent Wechselgeld in eine Tasche seiner voluminösen Winterjacke und wendet sich dem nächsten Kunden zu. Mir ist es ein Rätsel, wie er es darin aushält. Draußen ist es zwar kälter geworden, aber er arbeitet schon seit Anfang September mit diesem blauen Ungetüm hier und zu dieser Zeit hatten wir achtzehn Grad. Außerdem läuft jetzt die Heizung.

Mit leisem Bedauern wende ich mich zur Tür und rufe „Bis dann“ über die Schulter. Scharf bläst mir der eiskalte Wind entgegen und meine Laune sackt in den Keller. Jetzt muss ich wieder bis zum nächsten Samstag warten, um Colin wiederzusehen. Das ist dann auch der letzte Samstag, denn er hat Andreas nur so lange unterstützt, bis dessen Frau nach einer problematischen Schwangerschaft ihr Kind bekam. Das Baby ist jetzt eine Woche alt und meine Hoffnungen schwinden dahin. Warum er offensichtlich kein Interesse an mir hat, verstehe ich genauso wenig wie seinen Spleen mit der Daunenjacke. Ich bin der sportliche Typ mit Muskeln, Sonnenbräune und vollem, braunem Haarschopf. Außerdem bin ich mit meinen Erzählungen vom Surfen, Drachenfliegen und Wildwasser Rafting sehr unterhaltsam. Bis jetzt konnte ich jeden haben. Nur Colin nicht. Dabei bin ich mir ziemlich sicher, dass er auf Männer steht. Mein Instinkt hat mich in diesem Punkt noch nie im Stich gelassen.



Daheim werfe ich derart frustriert die Wohnungstür hinter mir zu, dass die Medaillen in der Vitrine scheppern. Ja, ich habe jede Menge Wettbewerbe gewonnen und etliche Auszeichnungen dafür bekommen. Ich war geil aufs Adrenalin, stolz auf meinen Körper und auf die Befriedigung, besser als andere zu sein. Die Bewunderung der Kerle und auch vieler Frauen habe ich ausgiebig genossen. Jetzt bin ich Anfang Dreißig und hänge seit einem Jahr fast jeden Abend auf der Couch herum. Bei einem Skiunfall hat es mich ordentlich zerlegt und ich musste einen mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt mit komplizierten Brüchen ertragen. Es lebe der Sport. Seitdem reizt es mich nicht mehr, bis zum Äußersten zu gehen, mich monatelang für einen Wettkampf zu schinden, Diät zu halten, im Urlaub am Ende der Welt Extremsport zu betreiben. Lediglich das morgendliche Joggen und zweimal die Woche Kraftsport sind von meinem Körperkult übriggeblieben. In meiner DVD-Sammlung finden sich heute mehr Spielfilme als Trainingsprogramme. Mittlerweile besitze ich sogar Bücher! Man stelle sich vor: Ich und Bücher! Aber mir gefällt mein verändertes Leben. Vielleicht braucht mein Körper nach den vielen Jahren Full Power einen Ausgleich und ich beschäftige nun eher meinen Geist als Sehnen und Muskeln.

Im Großen und Ganzen wäre ich also zufrieden, wenn, ja, wenn ich Colin endlich rumkriegen könnte. An dem Mann ist etwas Feenhaftes, das mich anzieht wie ein Licht die Motte. Ich hatte schon immer eine Vorliebe für Twinks, doch mit dem hübschen Gesicht, den blauen Augen und dem umgänglichen Wesen schlägt er alles. Ein Mensch, mit dem ich am Strand sitzen und den Sonnenuntergang beobachten möchte. Ein Mann, mit dem ich nicht ficken, sondern schlafen will. Ein Kerl, der mir mit seiner hohen, sanften Stimme und dem verhaltenen Lächeln schon neun Körbe verpasst hat ...

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Texte: Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.
Bildmaterialien: Shutterstock Design Lars Rogmann
Lektorat: Sissi Kaiserlos
Tag der Veröffentlichung: 01.09.2015

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