„Was kann ich Ihnen bringen?“ Deine Stimme klingt wunderschön, gut und sanft. Du warst schon immer gut und sanft, selbst wenn ich dich gepeinigt habe.
„Einen Kaffee, bitte.“ Vergebung, Hoffnung, Tod – ganz wie du willst.
„Hey, ich kenne dich doch.“ Aus einem anderen Leben, ja. Ich nicke. Ich bin der, der deinen Kopf in die Kloschüssel getunkt hat.
„Du bist David.“ Richtig, der Prinz für die anderen, das Monster für dich.
„Und du bist Philip.“Dein Name ist in meine Zellen eingraviert, jeder Buchstabe einzeln. Mein Lächeln geht schief. Ich habe es lange nicht benutzt. Für dich muss ich es versuchen. In deinen Augen blitzt kurz Erstaunen auf.
„Wir haben uns lange nicht gesehen, eigentlich seit der letzten Klasse nicht. Was machst du in der Stadt?“ Dich beobachten, mich vergewissern, dass es dir gut geht. Dir seit Tagen heimlich folgen, damit du unversehrt zu Hause ankommst. Es ist viel böses Blut in dieser Stadt.
Lebewohl sagen. „Ich habe ein paar Dinge zu erledigen, die ich in Ordnung bringen muss. Du bist nach dem Abschluss hiergeblieben?“
„Ja, ich musste. Aber ich wollte auch. Wie du siehst, habe ich von meinen Eltern das Café übernommen.“ Du blickst in die Runde auf die wenigen Gäste, die abends kurz vor Schluss noch hier sind und wendest dich wieder zu mir. „Und du? Was hast du so gemacht in den letzten Jahren?“ Gefeiert, gesündigt, gefallen, bereut. Büßen fehlt noch, das mache ich heute.
„Ich war überall und nirgends, einfach unterwegs.“ Europa, USA, Knast.
„Überall und nirgends?“ Neugierig siehst du mich an. „Dann hast du doch sicher einiges erlebt?“ Coming-out, Rumvögeln, Drogen, Therapie. Was man halt so macht, wenn man nichts taugt und sich nach den Sternen sehnt.
„Warte mal, ich hol dir deinen Kaffee und dann können wir reden, ist eh nicht viel los.“ Du lächelst leicht, warum eigentlich? In den ersten Jahren war ich dein quälendes Monster, später dein ignorierendes Monster. Ich habe dir deine Jugend zur Hölle gemacht.
„Ich warte gern.“ Ich habe oft gewartet – auf die nächste Schlägerei, den nächsten Alptraum, den Sinn des Lebens.
Du gehst zur Theke und setzt die Cappuccino-Maschine in Gang. Noch hübscher bist du geworden, bist gewachsen und jetzt fast so groß wie ich. Die zierliche Figur hast du behalten und in enge Jeans gesteckt, steht dir gut. Du drehst dich um und kommst zurück. Wieder lächelst du, deine blauen Augen wandern über mich, begutachten die blonden Strähnchen in meinen Haaren, bleiben am regenbogenfarbenen Armband hängen. Ja, du siehst richtig. Ich bin, was ich früher gehasst habe. Typische Klemmschwester eben.
Vorsichtig stellst du zwei Tassen auf den Tisch und setzt dich langsam mir gegenüber. Gut, dass du wachsam bist. Mutig bist du auch. Früher hättest du dich nicht mal in meine Nähe gewagt - zu Recht. Ich staune, dass du mir nicht vor die Füße spuckst. Der Staub unter den deinen hat mehr Anspruch darauf, bei dir zu sein als ich.
„Du hast dich verändert.“ Dein Blick fällt kurz auf mein Handgelenk und du zwinkerst mir zu. „Wissen das deine Freunde?“
Die wissen nichts. Früher wussten sie nur das, was der Prinz ihnen gesagt hat und heute würden sie nicht verstehen, dass alles eine Lüge war, von der er selbst nichts wusste. „Nein. Selbst wenn ...“. Ich zucke mit der Schulter. Ich habe keine Freunde. Es ist mir ziemlich egal. Nur du bist mir nicht egal. Bist mir mit jedem Jahr wichtiger geworden. Ich habe seit sechs Jahren ein zerknittertes Foto von dir in der Tasche, wusstest du das? Es lag irgendwann im letzten Schulhalbjahr auf dem Boden in der Nähe meines Spinds. Du hast es verloren, ich habe es aufgehoben. Jetzt bist DU gut aufgehoben und ICH bin verloren. Das ist auch völlig in Ordnung so. Es ist richtig, so soll es sein. So hätte es von Anfang an sein sollen. Das wäre gerecht gewesen.
„Ah, ja, irgendwann kommt man an diesen Punkt.“ Du nickst wissend. Kein Wunder, du warst schon immer der Intelligentere von uns beiden.
Jetzt wäre der passende Moment, es zu tun. Mir ist speiübel, denn es ist bei Weitem nicht genug für das, was ich dir schulde. Aber es muss gesagt werden, wenigstens das. „Ich … bitte dich um Verzeihung, Philip … Für alles, was ich dir angetan habe.“
Hoffentlich hast du es gehört, so schamvoll leise, wie ich die Worte ausgesprochen habe. Den Kopf heben kann ich nicht, starre auf deine Hand, die die Kaffeetasse festhält. Kurz spannen sich die Sehnen unter deiner Haut an, werden wieder locker.
„Du warst nicht der Schlimmste, aber danke, dass du es gesagt hast.“ Ich war nicht der Schlimmste? Es gibt keine übleren Monster als mich. Ich habe dich täglich beleidigt, ausgelacht, zweimal sogar geschlagen. Irgendwann habe ich damit aufgehört, bin älter geworden, habe dich nur noch ignoriert. Schließlich war ich der Prinz und die Schwulen irgendwie monströs.
Jetzt blicke ich doch nach oben, in deine glänzenden Augen, verliere mich darin. Sie haben mich verfolgt, nachdenklich, ängstlich, aufmerksam, sechs Jahre lang, Tag und Nacht. Eine Obsession hat mein Therapeut es genannt. Er hat nie verstanden, was du für mich bedeutest, begriff nicht, dass ich lieben kann, was ich früher gehasst habe. Dass ich dich nicht vergessen, verdrängen kann, obwohl ich dich so lange nicht gesehen habe.
„Wer war der Schlimmste?“ Er wird schneller tot sein als ich - für dich töte ich jedes Monster. Die Zeit nehme ich mir noch.
„Ach, das waren einige, spielt keine Rolle mehr.“ Du blickst auf den Kaffee in deiner Hand und mir fällt erst jetzt die kleine Narbe an deiner linken Schläfe auf, verursacht einen Stich in meinem Herzen. Mühsam biege ich meine Finger wieder gerade, die beinahe die Tasse zerbrochen hätten. Zum Glück hast du es nicht mitbekommen. Du musst nicht wissen, dass ich ein Wrack bin, deiner Aufmerksamkeit nicht würdig.
„Aber jetzt geht es dir gut, ja?“ Das muss ich wissen, bevor ich gehe.
Dein Blick streift mich flüchtig, geht zum Fenster und kehrt zurück. Du siehst mich an, legst den Kopf etwas schief, lächelst. Zwei rotbraune Strähnen fallen dir in die Stirn. Ob deine Haare immer noch so weich sind, deine Haut immer noch so zart? Damals habe ich nicht darauf geachtet, wollte dich nur verachten, bestrafen. Doch die Erinnerung kam zurück – und blieb. Breitete sich aus, intensiv, überwältigend, alles vernichtend, was davor war. Sechs Jahre lang. Jedes Jahr kam ein Buchstabe deines Namens hinzu. Jetzt bist du vollständig in meinem Herz.
„Ja, jetzt ist alles okay.“ Deine Stimme klingt angegriffen, leicht bebend. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Du fixierst mich, analysierst mich. Ich sehe es in deinen Augen, in deiner Mimik. Das kann ich nicht zulassen, du darfst dich nicht mit mir belasten, es wird Zeit, zu gehen.
Ich lege dir das Geld für den Kaffee hin und stehe auf. „Danke … für den Kaffee und so. Ich muss weiter. Mach´s gut.“ So wie du immer alles gut gemacht hast, denn DU bist der Prinz und ICH bin monströs. Wenn ich das bloß damals schon erkannt hätte. Jetzt ist es zu spät.
„Schade. Aber wenn du noch was vorhast, musst du natürlich pünktlich sein.“ Oh, ich werde pünktlich sein. Bei Beerdigungen bin ich immer pünktlich. Genaugenommen bin ich schon tot, muss nur noch mein Äußeres meinem Inneren anpassen – zerstört, schwarz, in Einzelteile zerlegt.
Ich hebe zum Abschied die Hand und gehe zur Tür hinaus, blicke kurz hoch zu den Sternen und laufe in Richtung Eisenbahnbrücke. Dort haben wir früher herumgelungert, mein Gefolge und ich - die Kippen auf die Gleise geworfen, Passanten angepöbelt, gechillt. Das ist der richtige Ort für mich.
Spät ist es geworden, das ist gut, dann läuft hier auch niemand herum. Bleibt zu Hause, Leute, und lebt – ich bringe nur schnell den Müll weg.
Eine Hand hält dein Foto fest, die andere greift um das rostige Geländer. Noch zehn Minuten. Ich habe mir die Zeiten gemerkt, zu denen der ICE hier entlangfährt, unter der Brücke hindurch. Zu tun habe ich nichts mehr, muss auch niemandem Tschüss sagen. Von meinen Eltern habe ich seit einem Jahr nichts mehr gehört. Sie ekeln sich vor dem schwulen Sohn. Allen anderen Menschen, denen ich in den letzten Jahren begegnet bin, war ich unheimlich. Zu kaputt, zu zynisch. Übrig blieben bestenfalls flüchtige Kontakte.
Nur dich wollte ich noch ein letztes Mal sehen, wissen, dass du glücklich bist. Obwohl ich so lange alles getan habe, dass du es nicht wirst. Ich denke, du bist es jetzt, trotz mir, hast es geschafft, hast das Böse überlebt. Gut hast du im Café ausgesehen, entspannt, freundlich, fast wie auf dem Foto. Wenn es nicht so gewesen wäre, hätte ich es vorher noch in Ordnung gebracht. Was auch immer ich dafür hätte tun müssen. Das wäre ich dir schuldig gewesen.
Noch fünf Minuten. Das Foto zittert vom Wind – nein, meine Hand zittert. Ich schließe sie zur Faust, umhülle dich, damit dir nichts passiert, wenn es soweit ist.
„Wusstest du, dass ich es absichtlich vor deinem Spind habe fallen lassen?“. Erschreckt reiße ich den Kopf herum, will dich nicht hören. Du hast hier nichts zu suchen. Geh nach Hause, wo du sicher bist.
Du siehst mich an, einen Hauch von Lächeln im Gesicht, die Hände in den Hosentaschen. Ganz locker stehst du da, als wüsstest du nicht, was ich vorhabe. Mich täuschst du nicht. Ich weiß, dass du klug bist und schnell von Begriff, ganz anders als ich. Ich kann nichts denken, kann keine passenden Worte herauswürgen, schüttele nur den Kopf.
„In den ersten Jahren habe ich dich gehasst, hatte Angst vor dir.“ Natürlich hattest du die, hattest ja keine Chance gegen das Monster und seine Lakaien. „Später warst du mir egal … und am Ende, in den letzten Monaten, hätte ich mich gefreut, wenn …“. Du blickst in den Himmel über uns und atmest tief durch. Unter uns zischt der ICE vorbei. Macht nichts, dann muss ich eben ein bisschen länger warten. Der Plan steht seit Wochen, der Termin wird nur ein wenig verschoben.
Deine glitzernden Augen wenden sich mir zu, mustern mich beinahe liebevoll. „Ich habe lange nicht verstanden, warum ich dich plötzlich so gut leiden konnte, obwohl du früher ein Kotzbrocken warst.“ Das verstehe ich auch nicht, nichts von dem, was du sagst. „Wahrscheinlich habe ich unbewusst geahnt, dass in dir noch ein anderer steckt. Einer, den ich kennenlernen wollte … den ich immer noch kennenlernen will.“ Du nimmst die Hände aus den Taschen und gehst zwei Schritte auf mich zu, bis du vor mir stehst.
Ich zucke ein wenig zurück. Du darfst mir nicht zu nahe kommen, das ist nicht gut für dich. „Nein, Philip, nein. Ich bin das Monster, du der Prinz. Du musst gehen. Sofort.“ Ich bin verzweifelt, höre es in meiner Stimme, bin erregt, spüre es in meinem Körper. Warum gehst du nicht? Ich zerstöre alles, was um mich ist, kann es nicht verhindern.
Unaufhaltsam kommst du näher, schreckst nicht zurück, nimmst das Monster in die Arme und hältst es fest, flüsterst unglaubliche Worte. „Du wirst mich nicht los, ich gehe nicht.“
Das ist inakzeptabel, ausgeschlossen. Ich muss das Monster töten und das geht nicht, so lange du hier bist. „Ich bin völlig nutzlos, wertlos. Auf jeden Fall nicht gut für dich.“
„Es gibt kein Monster und auch keinen Prinzen, nur David und Phil, dich und mich.“ Du lehnst deinen Kopf an meinen, ich höre, fühle dich seufzen. Meinen Körper presst du an dich, drückst wimmernde Laute aus mir heraus. Ich zittere, schlinge meine Arme um dich, drücke die Finger durch den Stoff in deine Haut, obwohl mir das nicht zusteht.
Still stehe ich hier, an dich gelehnt, gesichert, ungefährlich, Minuten, Stunden, keine Ahnung. Irgendetwas splittert, blutet, löst sich auf, lässt mich ratlos zurück. Ich lege meine Stirn auf deine Schulter, schließe die Augen.
„Phil?“ Rau und heiser.
„Hm?“ Sanft und gut.
„Ich weiß nicht, wer David ist ... Bleibst du trotzdem?“
„Ja, unbedingt. Ich glaube, ich weiß, wer David ist.“ Du bleibst und küsst zärtlich meine Schläfe.
Sachte vergrabe ich meinen Kopf an deinem Hals, atme Liebe ein und Böses hinaus. Du kannst sagen, was du willst. Wer ich bin, weiß ich nicht - doch du wirst immer mein Prinz sein.
*** ENDE ***
Texte: Die Rechte am Buch und an den Figuren liegen natürlich alle bei mir :-)
Bildmaterialien: faceless_by_sareph-d5n8gbw/deviantart, Joujou/pixelio, günther gumhold/pixelio + Savannah Lichtenwald
Tag der Veröffentlichung: 20.02.2014
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