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Himmel und Hölle

Du läufst an der Seitenlinie entlang, suchst nach mir. Ich weiß es, weil du immer zu mir wirfst. Wir sind ein eingespieltes Team. Seit Monaten spielen wir Handball in der gleichen Mannschaft. Du bist hierher gezogen und alle waren froh, weil uns noch ein Angriffsspieler fehlte.

 

Ich sehe, wie du den Arm hebst, deine Muskeln sich anspannen, die blauen Augen mich erkennen. Du lächelst und wirfst - und ich fange. Du kommst aufs Spielfeld zurück und ich verfolge deinen Lauf, beobachte, wie du die blonden Haare aus dem Gesicht schüttelst und ein paar Schritte rückwärts läufst.

 

Du bist nur wenige Meter von mir entfernt. Ich kann die Schweißtropfen an deinen Schläfen erkennen und doch sind es Welten, die zwischen uns liegen. Denn sie wartet schon, draußen im Auto. Sie wartet immer auf dich. Jede Woche sehe ich, wie sie dir entgegenlächelt und du dich freust, weil sie dich abholt.

 

Zwei Tage in der Woche bin ich im Himmel und in der Hölle. Im Himmel, weil du hier bei mir bist und in der Hölle, weil sie draußen steht. Sie ist älter als du, aber sehr attraktiv. Jede Nacht träume ich von ihr, doch immer erst am Ende. Vorher träume ich von dir, vergrabe mein Gesicht in deinen Haaren und meine Zunge in deinem Mund. Bin selig, weil ich dir nahe bin, höre dich meinen Namen stöhnen, spüre, wie du kommst, wie ich dir folge.

 

Und dann ist sie wieder da. Ich habe ihr Gesicht vor Augen und wache auf, die Hände im Kissen verkrampft und die Decke durchgeschwitzt und weiß, dass die Nacht für mich vorbei ist.

 

Meine Gedanken kreisen nur noch um dich. Ich weiß, wie du lachst, wie du gehst, welche Sachen du gerne anziehst. Was du am liebsten isst und über wen du dich aufregst. Das Online-Spiel, das du so cool findest, spiele ich auch. Denn dann kann ich bei dir sein, wenn auch nur virtuell. Hier sind wir das gleiche gute Team wie in der Sporthalle, perfekt aufeinander abgestimmt.

 

Das Spiel ist vorbei und ich melde mich freiwillig fürs Aufräumen. Kann es nicht ertragen, dir zuzusehen, wie du dich umziehst. Meine Hände zittern, die Bälle fallen mir aus der Hand und rollen durch die Halle. Bis ich sie aufgesammelt habe, sind wieder ein paar Minuten vergangen. Das ist gut, dann bist du wenigstens schon weg, wenn ich zum Umkleideraum gehe, bist mit ihr nach Hause gefahren. Ich kann mir Zeit lassen. Der Trainer hat mir die Schlüssel für die Halle gegeben, weil er einen Termin hat.

 

Heute leide ich noch mehr als sonst. Du hast Scherze gemacht und mit mir gelacht, hast mir die Hand auf die Schulter gelegt und leicht zugedrückt. Alles nur Spaß, klar, nur für mich nicht. Deine Berührung, dein Duft, deine Stimme, machen mich verrückt. Ich liebe alles an dir, würde sterben für dich.

 

Ich weiß, wie irre das klingt. Andere Schwule vögeln sich durch die Gegend, haben jede Nacht einen anderen. Ich nicht, ich habe dich vom ersten Moment an geliebt und kann nicht mehr anders. Es quält mich, macht mich fertig, und doch weiß ich, dass ich nicht aufhören kann, obwohl du mich nie so sehen wirst, wie ich dich sehe.

 

Jetzt habe ich alles weggeräumt, schleiche zu meinem Spind, ziehe mich um. Ich habe mein Sweatshirt schon an, die Tasche gepackt und starre in den leeren Schrank. Die Dunkelheit darin heizt meine Fantasie an. Dich sehe ich und mich, Hand in Hand, habe dein schönes Gesicht vor Augen und einen Steifen in der Jeans. Die Sehnsucht nach dir verschmort meine Hirnzellen, mein Verlangen nach dir verkrampft mir die Muskeln. Mein Herz rast und mir bricht der Schweiß aus.

 

Meine rechte Hand klammert sich an die Tür des Spinds und ich schlage meinen Kopf gegen den Türrahmen. Zu fest, denn mir läuft etwas Warmes über die Nase, Blut wahrscheinlich. Es ist egal, ich kann nicht mehr. Habe keine Kraft mehr. Meine Stirn lehnt am kühlen Metall des Schranks und mir ist klar, dass ich so nicht weitermachen kann. Aber ich finde keine Lösung. Kann dich nicht aus meinem Herzen schneiden.

 

Hinter mir höre ich Schritte. Es sind deine, ich weiß, wie sie klingen. Du drehst mich um, fragst mich besorgt, wie das passiert ist. Ich sehe zur Seite, kann es dir nicht erklären. Deine Hand wischt mit einem Taschentuch vorsichtig über mein Gesicht und ich schließe die Augen, genieße die kurze Berührung. Mein Kopf fällt gegen deine Schulter, deine Arme umschließen mich. Ich höre deinen Herzschlag, rieche deinen Duft und denke, dass es vorbei sein muss, egal, wie es ausgeht. Leise nuschele ich in dein T-Shirt, hauche die Wahrheit in den Stoff. Sage dir, dass ich dich liebe, dass ich das nicht mehr aushalte, dass ich weggehen werde.

 

Deine Hand legt sich auf mein Kinn, drückt meinen Kopf sanft nach oben. Ich sehe deine blauen Augen, drifte geistig weg. Kaum dringt es durch, wie du mich fragst, warum ich nichts gesagt habe. Von Weitem höre ich meine Stimme, die dir antwortet. Dass sie doch immer draußen auf dich wartet. Dein Mund lächelt, deine Augen glänzen verdächtig. Du erklärst mir, dass sie deine Mutter ist, dass sie schon mit fünfzehn schwanger war und deshalb noch so jung ist.

 

Du flüsterst mir ins Ohr, dass du mich auch schon lange liebst und dich nur nicht getraut hast. Ich sehe dir ins Gesicht, meine Hand legt sich wie von selbst auf deine Wange. Ich höre die Worte, verstehe sie nicht. Deine Finger gleiten sachte durch meine Haare, deine Lippen liebevoll über meine Haut. Dein Mund legt sich auf meinen und unsere Zungen begegnen sich vorsichtig. Ich spüre, wie du deine Arme wieder um mich legst, mich fest an dich ziehst, mir beinahe die Luft rausdrückst. Dein Herz schlägt genauso schnell wie meines, deine Erregung drückt gegen meine, unsere Hände wandern fieberhaft über den Körper des anderen.

 

Unsere Lippen lösen sich, unsere Blicke treffen aufeinander und unsere Worte verlassen gleichzeitig den Mund

 

Ich liebe dich

 

 

 

*** ENDE ***

Impressum

Texte: Die Rechte am Buch und an den Figuren liegen natürlich alle bei mir :-)
Bildmaterialien: deviantart.com/sweetscissorlips
Tag der Veröffentlichung: 26.06.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
„Daß vieles sich nicht verwindet, wenn's einmal empfunden ist, daß es immer wiederkehrt, ist nicht traurig; aber daß die Ufer ewig unerreichbar bleiben, das schärft den Schmerz.“ Bettina von Arnim

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