Cover

Zwei Seelen - Ein Leben

Sebastian saß daheim auf der Couch und frustete so vor sich hin. Den Umschlag mit den Scheidungspapieren hatte er in der Hand, sein Leben leider nicht. Fünf Jahre hatte das Elend mit seiner Ehe gedauert und jetzt wusste er nicht, was er mit sich anfangen sollte.

 

Zum Glück hatten sie nicht auch noch Kinder produziert, die darunter leiden müssten. Wäre auch ein Wunder gewesen, so selten, wie sie gemeinsam im Bett gelegen hatten. Seine Frau, oder besser gesagt, demnächst Exfrau, war durch ihren hochdotierten Job viel unterwegs und ihn hatte der Sex ohnehin nie groß gereizt.

 

In dem Punkt war er schon seit seiner Pubertät eine Niete. Mit den kurzen, braunen Haaren, grünen Augen und ein Meter achtzig fand er sich zwar ganz passabel, doch er war nie so wild darauf gewesen wie seine Freunde und das genetisch bedingte Händezittern war für Flirts auch nicht förderlich. Essentieller Tremor nannte es der Arzt. Erblich und nicht heilbar, aber für andere sah es nach Alkoholabhängigkeit oder einer schlimmen Krankheit aus. Seine Frau hatte immer verächtlich den Blick abgewandt.

 

Ach Mann, hier rumzusitzen und zu grübeln war auch keine Lösung. Vielleicht sollte er einfach mal ausgehen, damit er auf andere Gedanken kam. Lange genug hatte er daheim gesessen. Fünf Jahre, um genau zu sein, immer in der Hoffnung, ob sie heute mal heimkommen würde. Auch das hatte sie genervt. Er sei zu anhänglich und würde ständig an ihr kleben. Wie denn, wenn sie nur alle paar Tage da war? Gab es eigentlich irgendetwas, das sie an ihm nicht gestört hatte?

 

Entschlossen schnappte er seine Jacke und machte sich auf den Weg in die City. Irgendwo gab es bestimmt einen netten Laden mit Musik, wo er den Abend verbringen könnte. Auf dem Weg in die Innenstadt fuhr er an einem Schild mit der Aufschrift „Charleston“ vorbei und parkte den Wagen. Der Schriftzug sah etwas altmodisch aus, doch die R&B-Musik, die durch die offene Tür schallte, war genau sein Ding.

 

Innen war alles im 20er-Jahre-Stil eingerichtet, mit Schwarz-Weiß-Fotos, Petroleumlampen und roten Polstersesseln. In der Mitte gab es sogar eine kleine Tanzfläche. Es war brechend voll, wie wahrscheinlich überall an einem Samstagabend, und ein Sitzplatz war weit und breit nicht zu finden. Also stellte er sich in die Nähe der Theke, das war ja erstmal nicht verkehrt. Hier lernte man am ehesten Leute kennen.

 

„Hallo, hast du einen Wunsch?“, wurde er von dem rotblonden Barkeeper angesprochen.

 

„Ich weiß noch gar nicht, was ich will“, antwortete Sebastian. Guter Witz, der Satz traf gerade in allem auf ihn zu.

 

„Dann sieh doch einfach hier in die Getränkekarte. Da findest du bestimmt etwas Passendes“, sagte der Mann freundlich und reichte ihm die Karte.

 

Scheinbar hatte er selbst schon etwas Passendes gefunden, denn er drehte sich zu einem anderen Mann um und nahm ihn liebevoll in die Arme. Hm, war er in ein Szene-Lokal für Schwule geraten? Nein, das sah jetzt nicht so aus, wenn er die anderen Gäste so betrachtete. Doch als er sich umsah, entdeckte er hier an der Bar noch zwei weitere Paare, die offensichtlich auch vom anderen Ufer waren.

 

Er fühlte sich ein bisschen unwohl, auch wenn er eigentlich keine Vorurteile hatte. Schwulen Männern beim Kuscheln zuzusehen war halt irgendwie ungewohnt und die Zärtlichkeit, mit der sie ihren Partner ansahen, machte ihn neidisch. So was hätte er auch gern, nur eben mit einer Frau. Von seiner eigenen Angetrauten war er nie so angesehen worden.

 

Ihre Verbindung war ja auch weniger aus Liebe entstanden und eher ein gelungener Geschäftsabschluss zwischen ihren Vätern gewesen. Dass er vor einem Jahr seinem Vater im Unternehmen den Job vor die Füße geworfen und sich selbständig gemacht hatte, war einer der vielen Gründe für das Zerwürfnis mit seiner Gattin.

 

„Und? Hast du dich entschieden?“, fragte der Barkeeper.

 

„Ja, ich hätte gerne den `Beloved green sea´“, sagte Sebastian. Der Barkeeper strahlte ihn an, als hätte er etwas Wichtiges gesagt, dabei war das doch nur eine Getränkebestellung. Seltsam.

 

„Den Drink hat er für seinen Lebensgefährten kreiert, weil dieser so schöne, grüne Augen hat“, klärte ihn der Mann neben sich auf und lachte. „Man hat dir die Verwirrung eben angesehen. Da dachte ich, du solltest wissen, warum Helge so gestrahlt hat. Das tut er immer, wenn jemand diesen Cocktail bestellt.“

 

Wow, wie romantisch. Er hatte gar nicht gewusst, dass Homosexuelle so gefühlvoll sein konnten.

 

„Dann muss er wohl ziemlich verliebt sein, oder?“, fragte er lächelnd.

 

„Ja, schon seit einem Jahr. Ich bin Marvin und du?“, stellte der Mann sich vor.

 

„Ich heiße Sebastian. Das ist ein schöner Club hier, gefällt mir gut.“

 

„Ja, das ist er. Du warst noch nie hier?“

 

„Nein. Ich … war nicht oft aus in den letzten Jahren“, antwortete Sebastian.

 

„Dann solltest du öfter herkommen. Nur daheim hocken tut nicht gut, da setzt man Spinnweben an“, erwiderte Marvin und lachte.

 

Ach ja, wem sagst du das. Wenn er seinen Job nicht hätte, wäre er vielleicht schon völlig vereinsamt und keiner hätte es gemerkt. Scheiße, klang das armselig, aber er hatte keine Eltern mehr und war ein Einzelkind. Seine Freunde hatten sich in alle Winde zerstreut, teilweise auf andere Kontinente.

 

„Hey Cedric, was ziehst du denn für ein Gesicht?“, sprach Marvin einen Mann an, der gerade ziemlich bedrückt auf sie zukam.

 

„Hi, Marvin, alles Mist, echt. Marko ist heute schon wieder alleine abgehauen. Das kommt in letzter Zeit ganz schön oft vor. Und er weicht mir ständig aus, obwohl wir zusammenwohnen. Da sollte man doch meinen, dass man irgendwann miteinander spricht“, sagte Cedric ärgerlich und schob sich mit der Hand die hellbraunen Haare aus dem Gesicht. Schöne, graugrünblaue Augen kamen zum Vorschein. In diesem Licht war die Farbe nicht definierbar, aber schön waren sie, darauf konnte sich Sebastian festlegen.

 

„Dann bleibst du eben hier. Der hat dich sowieso nicht verdient, wenn du mich fragst. Das hier ist übrigens Sebastian, dem war daheim auch langweilig“, stellte Marvin ihn vor.

 

„Hi, ich bin Cedric. Ist dir auch jemand abgehauen?“

 

„Ja, so könnte man das auch ausdrücken. Ich hatte heute meine Scheidungsunterlagen in der Post“, gab Sebastian bedrückt zu.

 

„Oh Mann, das tut mir leid“, entgegnete Cedric und sah ihn bedauernd an. Das waren wirklich selten schöne Augen.

 

Sebastian zuckte mit den Schultern. „Ach, muss es nicht. Das Ganze war von Anfang an ein Fiasko, eher so eine Art Kooperationsvertrag zwischen unseren Vätern. Meine Frau, äh, Exfrau, ist eher der kalte Typ. Ich hätte sie gar nicht erst heiraten dürfen.“

 

„Das kenne ich. Mein Freund wirft mir auch ständig vor, ich sei zu anhänglich. Aber nur Sex ist mir eben einfach zu wenig“, sagte der andere etwas verlegen. Wie gut er ihn doch verstand.

 

Die Unterhaltung mit Cedric begann Sebastian zu gefallen. Nach einer Stunde hatten sie herausgefunden, dass sie nicht nur das Interesse an Reiseberichten teilten, sondern auch den gleichen Musikgeschmack hatten. Dass Cedric, wie auch er selbst, in der Computerbranche arbeitete. Nach zwei Stunden wusste er, dass es Cedric in seiner Beziehung ähnlich ging wie ihm und es für ihn auch nicht die große Liebe war. Und dass sie in vielen Dingen der gleichen Meinung waren. Nach drei Stunden hatte er völlig vergessen, dass er sich hier sehr angeregt mit einem Schwulen unterhielt und viel Spaß dabei hatte.

 

Auch Cedric lachte immer wieder herzhaft und schien ihn zu mögen. Jedenfalls leuchteten seine Augen, wenn er Sebastian ansah und sein Lächeln war ungeheuer anziehend für einen Mann.

 

Nach vier Stunden bekam Cedric einen Anruf von seinem Freund, dass er in den nächsten Tagen seine Sachen rausräumen solle, die Beziehung sei beendet. Heute bräuchte er gar nicht mehr zu kommen, das würde den Besuch stören.

 

Cedric stand fassungslos da, starrte auf das Handy und flüsterte: „Wo soll ich denn jetzt hin?“

 

„Kannst du nicht zu deinen Eltern oder zu Freunden?“ fragte Sebastian ihn bestürzt.

 

„Ich weiß nicht … meine Eltern sind im Urlaub. So viele Freunde habe ich nicht … Ich weiß gar nichts mehr“, antwortete Cedric abwesend und starrte immer noch auf das Telefon in seiner Hand. „Nach fünf Monaten bin ich ihm nicht mal ein persönliches Gespräch wert. Er schmeißt mich raus wie einen One-Night-Stand.“

 

In Cedrics Augen sammelten sich Tränen, die erste lief schon an der Wange herunter. Sebastian konnte das Elend nicht mit ansehen, stand auf und nahm ihn in den Arm, fühlte den schlanken Körper an seinem, Cedrics Hände auf dem Rücken und ein leichtes Beben.

 

„Dann kommst du halt mit zu mir. Platz habe ich genug und bei mir gibt es niemanden, der sich gestört fühlen könnte.“ Die Worte waren ihm über die Lippen gerutscht, bevor er darüber nachgedacht hatte, doch er mochte den Kerl einfach und wollte ihm unbedingt helfen.

 

„Das würdest du tun?“ fragte Cedric, hob den Kopf und sah ihn hoffnungsvoll an. Sebastian fiel in diesen Blick hinein, versuchte die Augenfarbe zu erkennen und spürte, wie er hart wurde. Er verstand sich gerade selbst nicht.

 

„Na klar. Komm, wir fahren, es ist schon spät genug“, antwortete er. Auf der Heimfahrt versuchte er, seine Empfindungen im Kopf zu sortieren.

 

Zu Hause angekommen, zeigte er Cedric das Gästezimmer, gab ihm ein Handtuch und wartete, bis sich die Tür hinter ihm schloss.

 

Nachdem Sebastian zwei Stunden lang mühsam versucht hatte, einzuschlafen, stand er mit wirren Gedanken wieder auf. Dann dämpfte er das Licht im Wohnzimmer etwas, setzte sich nur in Shorts auf die Couch und überlegte, was das vorhin in der Cocktailbar gewesen war. Es hatte sich so gut angefühlt, Cedric in den Armen zu halten und dass es ihn erregt hatte, konnte er nicht bestreiten. War er etwa schwul und hatte es bisher nur nicht gewusst? Das würde manches in seinem Leben erklären.

 

Einige Zeit später öffnete sich die Tür des Gästezimmers und Cedric kam ins Wohnzimmer. Er schien ebenfalls nur in Boxershorts zu schlafen.

 

„Was machst du denn hier alleine mitten in der Nacht?“, erkundigte er sich besorgt und setzte sich neben Sebastian. „Deine Hände zittern. Geht es dir nicht gut?“

 

„Das ist normal, erblich bedingt, nichts Schlimmes“, erklärte Sebastian etwas verhalten. Es war ihm immer peinlich, wenn es jemand bemerkte.

 

Cedric griff nach seinen Händen und streichelte mit den Daumen über die Haut. „Sieh mal, jetzt bist du ganz ruhig“, stellte er erstaunt fest und sah Sebastian lächelnd in die Augen.

 

Ihm wurde schwindlig und er blickte auf dieses Lächeln - das war ein Fehler. Sein Hirn sammelte alle Zellen ein und reiste ab, dafür wurde seine Härte immer größer. Wie ein Magnet zog Cedrics Mund ihn an. Als sich ihre Lippen trafen, schloss er die Augen und spürte, wie sich Hitze in seinem Körper ausbreitete. Cedric leckte über Sebastians Lippen, tastete dazwischen, ihre Zungen trafen sich und verführten einander.

 

In seinem ganzen Leben hatte Sebastian noch nie einen solchen Kuss bekommen - erst sanft und zart, dann heiß und fordernd. Cedric zog ihn an sich und drückte ihn sachte auf die Couch. Eine Hand spürte er im Nacken und die andere auf der Brustwarze. Seine eigenen Hände wanderten wie von selbst auf Cedrics Rücken und strichen über die glatte Haut.

 

Als Cedric leise an seinem Mund stöhnte, stockte Sebastian der Atem und Feuer kroch ihm durchs Blut. Kaum nahm er wahr, wie Cedric erst die eigene, dann seine Shorts herunterzog und seine Länge in die Hand nahm. Er fühlte das Kreisen um die Eichel, das Auf und Ab der Hand und ruckte mit den Hüften nach oben. Dann umgriff Cedric beide, eine Härte an der anderen und massierte sie gleichzeitig, immer heftiger und stürmischer, wie berauscht.

 

Tausend Flammen schossen durch Sebastians Körper, er brannte, bekam keine Luft mehr. Mit einer Hand krallte er sich in Cedrics Hintern, mit der anderen in dessen Rücken. Er zuckte rhythmisch mit den Hüften und mit einem lauten Stöhnen ergoss er sich in der fremden Hand. Während die Welle abebbte, hörte er leise Lustlaute, als auch Cedric stöhnend kam. Es klang wahnsinnig erotisch. Schwer atmend fiel Cedric auf ihn und zitterte dabei am ganzen Körper.

 

Sebastian hielt ihn fest an sich gedrückt und streichelte ihn im Nacken. Es kam ihm so vor, als hätte er ein Leben lang darauf gewartet, Cedric so nahe bei sich zu haben.

 

„Es tut mir leid“, nuschelte Cedric an Sebastians Ohr. „Ich … ich wollte dich nicht so überfallen. Das ist sonst gar nicht meine Art, aber du bist unwiderstehlich. Ich konnte einfach nicht anders.“ Das hatte ihm noch nie jemand gesagt.

 

„Ich weiß nicht, ob ich dir böse sein soll. Ich hatte gerade den himmlischsten Orgasmus meines Lebens“, entgegnete Sebastian schmunzelnd.

 

Cedric hob den Kopf und sagte ernst: „Du bist wunderschön, wenn du kommst. Und ich habe mich schon den ganzen Abend in deiner Nähe so wohlgefühlt.“ Er umrahmte mit den Händen Sebastians Gesicht und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. Dann gestand er leise: „In dich könnte ich mich verlieben. Wenn es nicht schon passiert ist.“

 

Seine Augen schimmerten in diesem einzigartigen Silbergraugrünblau. Sebastian konnte sich immer noch nicht für eine Farbe entscheiden, eine andere Entscheidung fällte er jedoch ganz spontan - er hatte gefunden, was ihm gefehlt hatte. Er wusste nicht, ob er schwul war und was das für seine Zukunft bedeutete. Doch er wusste, dass er den Menschen im Arm hielt, der ihn besser verstand als alle anderen und der ihn mehr faszinierte, als irgendjemand sonst in seinem Leben. Er wäre ein Vollidiot, wenn er wegen irgendwelcher Bedenken diese Chance verschenken würde.

 

„Dann bleib doch einfach hier und finde es heraus. Es würde mir viel bedeuten, denn ich glaube, ich bin schon verliebt“, erwiderte er bewegt und legte Cedric zärtlich eine Hand auf die Wange.

 

Cedric lächelte ihn glücklich an und flüsterte: „Das könnte länger dauern. Was hast du so vor in den nächsten Jahren?“

 

„Dich im Arm halten und nicht mehr loslassen“, flüsterte Sebastian ebenso glücklich zurück.

Impressum

Texte: Die Rechte am Buch und an den Figuren liegen natürlich alle bei mir :-)
Bildmaterialien: deviantart.com/valor90
Lektorat: Sissi Kaiserlos
Tag der Veröffentlichung: 21.06.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
„Darin besteht die Liebe: Dass sich zwei Einsame beschützen und berühren und miteinander reden.“ Rainer Maria Rilke

Nächste Seite
Seite 1 /