Cover

Leseprobe

 

 

 

 

CHRISTINE TROY

BAND 3

Copyright © 2017 Christine Troy

 

Alle Rechte vorbehalten.

Eine Kopie oder anderweitige Verwendung ist nur mit schriftlicher Genemigung

von Seiten der Autorin gestattet.

 

Lektorat: Romy Güntner, www.satzsilbe.wordpress.com

Korrektorat: Romy Güntner, www.satzsilbe.wordpress.com

Coverdesign und Satz: Michael Troy

 

Verwendete Fotos: © Dimec, www.shutterstock.com

© Volodymyr TVERDOKHLIB,www.shutterstock.com

© ESB Professional,www.shutterstock.com

 

Homepage: www.christinetroy.at

Facebook: www.facebook.com/ChristineTroyAutorin

 

 

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Widmung

 

Für Miriam und Nancy, meine beiden treuen Testleserinnen

Kurzbeschreibung

Nachdem Finn von der Polizei gefasst wurde, packt er über die ehemaligen Machenschaften seines Bruders aus. Damit gerät Noel ins Visier der Ermittler. Während der erfolgreiche Morning Show Moderator sich dem Gesetz stellen muss, quälen Cassidy jedoch ganz andere Sorgen. Nun, da sie den Grund für Noels geheime Zahlungen kennt, stellt sie sich mehr denn je die Frage, ob er der Richtige für sie ist. Und als hätten die beiden nicht schon genug Ärger, begibt sich Cassidy in eine Situation, in der sie einfach alles riskiert.

1. Kalter Schweiß

 

Mit zittrigen Händen sperre ich meine Wohnungstür auf und trete ein. Was für ein grauenvoller Tag. Ich stehe noch immer neben mir. Meine Finger sind kalt und mein Nacken steif, als hielte ihn eine eiserne Klaue gepackt. Hier, im Schutz meiner Wohnung, brechen die Emotionen über mich herein. Ich fühle, wie sich in meinen Augen Tränen sammeln, die in stummen Schluchzern aus mir herausplatzen. Finns wutverzerrtes Gesicht taucht vor meinem inneren Auge auf und die Waffe, die er auf mich gerichtet hält. Kopfschüttelnd zwinge ich mich, die Erinnerung zu verbannen, kicke achtlos meine Schuhe von den Füßen und gehe in die Küche, wo ich mir eine Flasche Wasser und einen Joghurt aus dem Kühlschrank hole. Zum ersten Mal in meinem Leben wünsche ich mir, Alkohol im Haus zu haben. Heute ist einer jener Tage, an dem es das einzig Richtige ist, sich die Kante zu geben, denke ich bitter und mache mich auf den Weg ins Wohnzimmer.

Gerade als ich mich auf die Couch plumpsen lasse, klingelt mein Handy. „Spitze, bestimmt wieder einer dieser Reporter,“ seufze ich, angle nach meiner Handtasche und krame das Gerät hervor. Zu meiner Überraschung ist es keiner der schlagzeilengeilen Pressefutzis, sondern meine beste Freundin Miranda. Ihren Namen auf dem Display zu lesen, ist eine Wohltat für mich. Gott, wie ich sie vermisse!

„Miri, hey Süße!“, begrüße ich sie und merke, wie ein Lächeln auf meinen Lippen erwacht. Das erste ehrliche heute.

„Cassidy!“ Sie klingt aufgeregt. Oh je!

„Hm?“, erwidere ich überflüssigerweise.

„Bitte sag, dass bei dir alles in Ordnung ist.“ Toll, die Buschtrommeln arbeiten schneller als ich gedacht hätte.

„Alles okay“, antworte ich, schnappe mir das Wasser und lasse mich zurück in die Kissen sinken.

„Was zum Teufel ist bei euch da unten los? Und warum verdammt noch mal erzählst du nichts?“ Oha, Miranda flucht, sie ist wütender, als ich dachte. Das fehlte mir gerade noch. Dennoch, ich kann sie verstehen. Bevor mein erschöpfter Kopf eine Antwort parat hat, plappert sie aufgeregt weiter. „Wer ist dieser Finn Welling? Und warum hat der Spinner es auf dich abgesehen?“

„Finn ist Noels Adoptivbruder“, erkläre ich mir die Schläfe massierend. „Warum er es auf mich abgesehen hat? Tja, gute Frage. Sieht so aus, als könne er es nicht ausstehen, wenn sein Bruder in festen Händen ist. Der Spinner hat wohl ein Problem mit Frauen. Keine Ahnung, wer versteht schon so ein krankes Hirn.“

„Wenn man dich so hört, könnte man meinen, du kämst gerade vom Einkaufen zurück und nicht von einem Irren, der dir mit einer Waffe gedroht hat“, schimpft meine Freundin ungläubig. „Im Fernsehen sagen sie, dass Noel dich gerettet hat.“ Ihre Stimme klingt plötzlich deutlich höher. Schon klar, das ist eine Story ganz nach Miris Geschmack. Noel Parker, der große gutaussehende Moderator, kommt genau zur rechten Zeit und rettet die hilflose kleine Wetterfee.

„Ja, ohne ihn hätte Finn mich erledigt“, erkläre ich und erinnere mich an den schmerzlichen Ausdruck auf seinem Gesicht. Er hat sich vor mich gestellt und mich mit dem Leben vor seinem Bruder beschützt. Das Schlimmste war, dass er erkannt hat, was dieser Verrückte ihm alles angetan hatte. Wenn hier einer das Recht hat fertig zu sein, dann er. Wie hart muss es sein, wenn du dahinterkommst, dass dein eigener Bruder alle deine Beziehungen sabotiert und dich sehenden Auges am Rande der Verzweiflung zurückgelassen hat. Noel liebte Finn über alles, genauso wie den Rest seiner Familie. Er hat stets alles für sie getan und das ist der Dank. Trotzdem hält sich mein Mitleid für ihn in Grenzen. Schließlich kenne ich diesen Mann nicht annähernd so gut, wie ich dachte. Die Tatsache, dass er sich nach drei Desaster-Beziehungen auf keine Frau mehr einlassen wollte und seine Verlobte bei einem Autounfall, bei welchem er am Steuer saß, ums Leben kam, ist noch lange nicht alles.

Weiß sie von den Zahlungen?, höre ich Finns bösartige Worte durch meinen Kopf hallen. Weiß sie, was du vor ihr zu verbergen versucht? Wenn ich nur wüsste, was er damit meinte. Es kostet mich das letzte bisschen Kraft, nicht zu wissen, was noch auf mich zukommt. Noel hat mir versprochen, keine Geheimnisse mehr vor mir zu haben und mich über alles aufzuklären. Zu meinem Pech kam er nach Finns Angriff nicht mehr dazu, weil kurz darauf beim Sender die Hölle ausbrach.

„Cassidy ... Cassidy?“, dringt die Stimme meiner Freundin zu mir durch.

„Wa...“, stammle ich.

„Sag mal, bist du sicher, dass ich mir keine Sorgen machen muss? Vielleicht solltest du doch einen Arzt aufsuchen ...“

„Nein!“, entfährt es mir. „Alles gut. Wirklich. Ich bin nur ein wenig in Gedanken. Was wolltest du wissen?“

„Hm ... okay“, lenkt sie wenig überzeugt ein. „Ich habe dich gefragt, was geschah, nachdem Noel Finn vertrieben hatte.“

„Natürlich. Okay, also Tina, die Set-Runnerin von der ich dir erzählt habe, kam in die Garderobe gestürzt ...“ Und so erzähle ich Miranda alles, was bisher geschah. Vom GCN Sender Security Team, das auf ihren Überwachungskameras Finn mit der Waffe in der Hand durch die Flure laufen sah. Davon, wie man Stella, die CO-Moderatorin, bewusstlos im Heizungskeller fand, und der Polizei, die kaum fünf Minuten später das Gebäude umstellte. Sie haben Finn gefasst und verhaftet. Geschieht ihm recht, diesem Spinner! Thomas Keylar, der Inhaber des Senders, verlangte nach einem Gespräch mit mir. Ich musste ihm bis ins kleinste Detail erklären, was vorgefallen war und wie es dazu kam. Noel und Giovanni, der Garderobier, wurden von der Polizei mit aufs Präsidium genommen.

„Irgendwie kommt mir das alles so surreal vor. Es ist, als wäre ich in einem Albtraum gefangen“, seufze ich. „Was gäbe ich dafür, aufzuwachen und zuhause in Helena zu sein.“ Na gut, das ist jetzt doch ein wenig übertrieben. Schließlich würde mir da oben in Montana Georgias Superstar fehlen. Schon komisch, ich kenne diesen Mann kaum einen Monat, und dennoch kann ich mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen.

„Das verstehe ich. Wo ist Noel jetzt?“, erkundigt sich Miranda.

„Ich schätze noch immer auf dem Präsidium. Aber wer weiß, vielleicht ist er inzwischen auch beim Sender. Mr Keylar wollte ihn sprechen.“

„Uh, der große Boss will ihn sprechen? Ich vermute, das bedeutet nichts Gutes?“, raunt sie.

„Keine Ahnung“, gebe ich zu und zucke schlapp die Schultern. Offensichtlich sinkt mein Adrenalinspiegel, denn plötzlich bin ich hundemüde. Ein Klingeln an der Haustür lässt mich aufblicken. „Du Miri, da ist jemand an der Tür. Ich melde mich später wieder, ja?“

„Okay. Aber wehe du vergisst mich wieder. Ich habe Spätschicht, also nur noch bis neun Zeit.“

„Schon gut, ich ruf nachher zurück. Bis dann.“ Damit lege ich auf und gehe mit dem Handy in der Hand zur Wohnungstür. Wieder klingelt es. Nur diesmal bleibt wer auch immer da unten vor dem Haus steht auf dem Klingelknopf. Und so schrillt der grelle Klang der Glocke durch meine Wohnung.

„Hallo?“, schimpfe ich fragend in die Gegensprechanlage.

„Ms Miller, mein Name ist Hunter, ich bin von der Georgia Post. Wären Sie so freundlich, mir ein paar Fragen zu beantworten?“ Das darf doch wohl nicht wahr sein! Jetzt belästigen mich die Paparazzi schon zuhause!

„Geht’s noch?“, fahre ich dem aufdringlichen Mann, der bereits zu seiner ersten Frage anhebt, dazwischen.

„Ms Miller, können Sie uns sagen, was da heute beim Sender los war. Was hat es mit Finn Welling auf sich? Ms Miller, bitte, wurden Sie verletzt?“, dröhnen plötzlich ein halbes Dutzend aufgebrachter Reporterstimmen aus dem Lautsprecher. „Hören Sie“, rufe ich über das Stimmengewirr, „ich werde weder jetzt noch sonst wann ihre Fragen beantworten, also lassen Sie mich gefälligst zufrieden!“

„Nur eine einzige Frage, Ms Miller! Noel Parker hat sie gefunden und ...“ Das reicht. Wutschnaubend schalte ich die Klingel samt Gegensprechanlage aus. Von jetzt auf gleich erstirbt die Geräuschkulisse. Herrlich. Die Augen geschlossen, lasse ich meinen Kopf für einen Moment in den Nacken sinken und genieße die Stille. Dann gehe ich zurück ins Wohnzimmer, wo ich überlege, Miranda wie versprochen zurückzurufen. Aber mir ist nicht nach Reden. Um ehrlich zu sein, will ich gerade nur eines, und das ist meine Ruhe. Also lege ich das Handy auf den Couchtisch, schlurfe in mein Schlafzimmer, wo ich mir frische Wäsche hole, und gehe unter die Dusche. Heute brauche ich zur Abwechslung kaltes Wasser. Es soll meine müden Knochen wecken. Außerdem hätte ich nichts dagegen mal wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Weil mich schließlich wegen Miri doch ein schlechtes Gewissen überkommt, rufe ich sie gegen Viertel vor neun zurück, doch sie geht nicht ran. Auch gut, denke ich und lege das Handy auf den Tresen meiner Küchenzeile. Gerade als ich den Kopf in den Kühlschrank stecken will, um zu sehen, was ich mir kochen könnte, klingelt das Smartphone. Mist, und ich dachte schon, ich hätte meine Ruhe. Naja, was soll’s, dann eben nicht. Außerdem ist es echt superlieb von Miri, dass sie sich solche Sorgen um mich macht. Sie ist eben eine wahre Freundin, denke ich und gehe mit einem: „Bist also doch noch nicht auf der Arbeit“, ran, während ich mich auf den Barhocker sinken lasse.

„Cassidy“, sagt eine tiefe Stimme, die mir das Herz gegen den Brustkorb stolpern lässt.

„Noel?“ Augenblicklich bin ich wieder auf den Beinen, lausche gespannt dem Anrufer.

„Ja, ich bin es. Hör mal, ich werde noch eine Weile auf dem Präsidium bleiben müssen.“

„Wie bitte?“ Was ist denn plötzlich los? Erst muss Noel, der mich vor seinem mordlüsternen Bruder gerettet hat, die Polizisten begleiten und nun wird er auch noch wie ein Verbrecher festgehalten. Hallo? Ich glaube, ich bin im falschen Film.

„Bitte, ich habe nur kurz Zeit und wollte dir Bescheid sagen, damit du dich nicht sorgst.“

„Aber ich versteh das nicht ... Warum?“ Inzwischen halte ich mein Handy mit beiden Händen fest. Die Augen geweitet, versuche ich zu verstehen, was hier vor sich geht.

„Die Herrschaften hier sind der Meinung, es bestünde der Verdacht auf Verdunkelungsgefahr. Aber Cassidy ...“, sagt er rasch, ehe ich was erwidern kann. „Meine Anwälte sind informiert. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen.“

„Noel ich ...“

„Ich melde mich, sobald ich hier raus bin“, fährt er mir mit autoritärem Ton dazwischen. Dann höre ich eine andere Stimme etwas murmeln, vermutlich die eines Polizisten.

„In Ordnung, bis dann.“ Schon ist die Leitung tot und mir bleibt nichts anderes übrig, als mit leerem Blick mein verschwommenes Spiegelbild im Chromstahlkühlschrank anzublinzeln. Wann, verdammt, hat dieser Wahnsinn ein Ende? Erst die Nacktbilder von mir in der Zeitung, dann Finn, der mich zu ermorden versucht, und nun hat sich die Polizei auf Noel eingeschossen. Aber warum? Er hat weder was verbrochen noch zu verbergen. Oh Mist! Plötzlich kommt mir ein schrecklicher Gedanke. Was, wenn Finn, diese Ratte, ausgepackt hat, wenn er der Polizei von früher, von ihrem „Autohandel“ erzählt hat. Noel und Finn waren bis vor acht Jahren Teil einer Autoknackerbande. Die zwei verdienten eine Weile eine ganze Stange Geld mit den gestohlenen Wagen. Was sagte Noel vorhin noch gleich? Es bestünde Verdunkelungsgefahr? Mit einem Mal kommt Leben in mich. Wie ein aufgescheuchtes Huhn eile ich in mein Schlafzimmer, hole den Laptop, den ich auf den Küchentresen stelle und einschalte. Während das Gerät hochfährt, gehe ich ungeduldig vor ihm auf und ab. Bitte, Finn kann doch unmöglich so dumm gewesen sein und den Bullen von ihrer Gang und den gestohlenen Wagen erzählt haben. Und wie er das kann, zischt die kleine Stimme in meinem Kopf, schließlich hat er nach dem versuchten Mord an dir nichts mehr zu verlieren. Er wandert auf jeden Fall in den Knast. Die gestohlenen Autos fallen da nicht weiter ins Gewicht. Aber es ist eine einzigartige Chance, sich an Noel zu rächen. Oh Himmel, ich kann nur hoffen, dass das nicht stimmt. Mit bebenden Händen rufe ich eine Suchmaschine auf und gebe den Begriff „Verdunkelungsgefahr“ ein. Mir bricht kalter Schweiß aus, als ich den Wikipedia-Eintrag dazu öffne und durchlese.

 

Bei Verdunkelungsgefahr (in der Schweiz vielfach auch Kollusionsgefahr) handelt es sich in der Rechtssprache um den dringenden Verdacht, dass eine zurzeit noch nicht inhaftierte Person Beweismittel vernichten, ändern oder Zeugen und Mitbeschuldigte beeinflussen könnte.

 

„Oh mein Gott“, murmle ich und lasse mich auf einen Barhocker nieder. Ich wusste es, wusste, dass Finn auspacken würde. Das ist seine Rache an uns. Eine mehr als effektive, denn damit schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe. Er nimmt mir wie versprochen Noel und zerstört das Leben sowie die Karriere seines Bruders. Den Kopf in die Hände sinken lassend, überlege ich, wie schlimm die Sache werden könnte. Ob sie Noel für die Verbrechen, die er vor knapp einem Jahrzehnt beging, tatsächlich verknacken werden? Auch wenn ich die Gesetzeslage nicht kenne, so kann ich mir doch kaum vorstellen, dass er aus dieser Angelegenheit so schnell wieder herauskommt. Ich sehe schon, das wird eine verdammt harte Zeit, in der unsere junge Beziehung auf die Probe gestellt wird. Mal wieder, denke ich bitter. Aber ich habe nicht vor, diesen Mann aufzugeben. Nein, ich wäre nicht Cassidy Miller, wenn ich jene, die ich liebe, in solchen Zeiten im Stich lassen würde. Also schlucke ich den Kloß, der sich in meinem Hals zu bilden beginnt, herunter und schalte den Laptop aus. Genug recherchiert für heute. Jetzt gilt es die Ärmel hochzukrempeln und sich durch den ganzen Mist durchzukämpfen.

2. Starallüren

 

Es wird eine lange Nacht, mit wirren Träumen von Waffenläufen, Tod und Ungeheuern, die mich verfolgen. Als der Wecker um 5:30 Uhr klingelt, sind meine Glieder steif und ich fühle mich erschöpft. Trotzdem beeile ich mich unter die Dusche und rüber zum Sender zu kommen. Wie erwartet, fangen mich vor dem Haus eine Hand voll Reporter ab, die mich mit ihren geistlosen Fragen zum gestrigen Vorfall löchern und die ich tunlichst ignoriere. Es klingt bizarr, aber langsam gewöhne ich mich an diese Presseratten.

Im Sendergebäude angekommen, fällt mir der gestrige Polizeieinsatz wieder ein, bei dem es hier wie in einem Ameisenhaufen zuging - Beamte, Sender und Rettungsleute stoben aufgebracht durcheinander. Heute deutet nichts mehr auf die gestrigen Tumulte hin. Die weitläufige Empfangshalle und die Flure sind größtenteils verwaist. Nur hie und da treffe ich einen Kollegen. Fast scheint es, als wäre nie was gewesen. Wenn da nicht das leise, aber fiese Gefühl der Furcht in meinem Bauch wäre. Keine Frage, Finns Überfall ist eine Sache, die ich mein Lebtag nicht mehr vergessen werde. Mir will noch immer nicht in den Kopf, wie ein einziger Mann so durchgeknallt, so abartig böse sein kann. Gegen Finn ist Stella, das Co-Moderatorin-Biest, das reiste Lamm. Stella ... mir fällt ein, wie die Polizisten sie gestern mit verschmiertem Make-Up und ruinierter Frisur aus dem Heizungskeller bargen. Finn, der Psycho, hatte sie mit Chloroform überwältigt und im Keller festgehalten, um in Ruhe an ihre Waffe zu kommen.

In Gedanken an ihr wutverzerrtes Gesicht lasse ich mir einen Kaffee aus dem Automaten laufen. Auf den obligatorischen Schokoriegel verzichte ich heute, den traue ich meinem Magen nicht zu. Dann mache ich mich auf den Weg in mein kleines Umkleidezimmer, wo ich in den marineblauen Nadelstreifenanzug schlüpfe, den Giovanni mir bereitgelegt hat. Er sitze wie ein Kartoffelsack, nämlich gar nicht. Wundert mich nicht, dass ich bei all dem Stress der letzten Tage abgenommen habe. Seufzend stelle ich mich vor den Spiegel und lasse den Blick an mir herab wandern. Ich sehe müde und abgearbeitet aus. Unter meinen Augen liegen dunkle Ringe und meine blasse Haut hat einen ungesunden Gelbschimmer. Das Schlimmste ist aber der Schlabberanzug. Weil ich mich nicht selbst bemitleiden will, wende ich den Blick ab. „Tja“, sage ich zu mir selbst, „das war’s dann wohl fürs Erste mit meiner Wohlfühlgröße 40.“ Ich nehme mir vor, den ganzen Stress nicht mehr so an mich heranzulassen und mehr zu essen. Schließlich wende ich mich meinem Spiegelbild ab und sehe zu, dass ich zu Andrea in die Maske komme. Die ist heute ungewöhnlich still. Das besorgt mich, weil sie normalerweise ein richtiger Wirbelwind ist. Auf mein vehementes Nachhaken hin erzählt sie irgendwann, dass sie gestern auf Finn traf, als der sich aus dem Sender stahl. Er hat die Waffe auf sie gerichtet und sie beschimpft, weil sie meine Freundin und damit dasselbe falsche Miststück wie ich sei. Andreas Rettung waren die aufheulenden Polizeisirenen, die den Spinner in die Flucht schlugen, bevor er ihr was antun konnte. Es tut mir leid das zu hören. Immer wieder entschuldige ich mich und beteuere, nicht gewusst zu haben, was Finn im Schilde führt. Ja, ich bin tatsächlich selbst auf ihn hereingefallen - auf diesen falschen Hund! Naiv wie ich war, habe ich dem vermeintlichen Frieden getraut.

Während meine Freundin mich schminkt und aufhübscht, reden wir noch eine ganze Weile über die gestrigen Ereignisse. Ich habe das Gefühl, dass es uns beiden guttut, den Mist abzureden. Gegen halb neun wird sie plötzlich wieder still. Vermutlich, weil ihr wieder irgendwas durch den Kopf geistert. Ich nutze die Ruhe, um meinen Text, den mir Tina, die Set-Runnerin, gebracht hat, durchzugehen. Obwohl ich eigentlich noch eine viertel Stunde Zeit habe, mache ich mich dann auf den Weg ins Studio. Ich möchte Andrea ihren Freiraum lassen. So ein Überfall will schließlich verdaut werden. Und so finde ich mich wenig später in dem kleinen Backstageraum ein, von welchem aus ich hinter einem Vorhang auf die Bühne linse. Ich erkenne Stella, die mit einem älteren Herrn auf der weißen Ledercouch sitzt. Das ist Hank Monegan, er kandidiert für den Bürgermeisterposten in Atlanta. Ich weiß es, weil wir gestern in der Besprechung über ihn redeten. Harald, der Programmchef, hat ihn eigentlich auf Donnerstag oder Freitag eingeplant, doch der gute Mr Monegan ließ sich nicht wie eine Marionette verschieben und bestand auf den Termin heute. Ein typischer Fall von Selbstüberschätzung, wie ich finde. Ich mag keine Leute, die sich zu wichtig nehmen und über andere stellen. Niemand ist mehr wert als ein anderer. Wir sind alle Menschen. Wie würde mein Kumpel Dan sagen? „Der sitzt genauso am Scheißhaus und stapelt seinen Dreck ab, wie alle anderen.“ Auch wenn mich Dans Fäkalsprache normalerweise abstößt, so muss ich gestehen, dass sie in diesem Punkt den Nagel auf den Kopf trifft.

„Wissen Sie, Mr Monegan, ihren Vorschlag zur Erweiterung des Bildungssystems finde ich überaus angebracht. Zusätzliche Pflichtstunden in den Hauptfächern sind unerlässlich“, sülzt Stella, die in ihrem roten Einteiler und den passend geschminkten Froschlippen einem regelrecht ins Auge sticht. Mit gerader Haltung, als hätte man ihr einen Stock in den Hintern geschoben, sitzt sie da und strahlt über das ganze Gesicht. War ja klar, dass sie die Sache genießen würde. Das ist ihre Chance, mal so richtig im Rampenlicht zu glänzen. Normalerweise steht die Ärmste ja in Noels Schatten. Er ist nicht nur der Star von Get up Georgia, sondern auch der Liebling der Nation. Aber da er noch immer auf dem Präsidium festgehalten wird, ist die Sendung heute einzig und allein ihre Show. Und genauso benimmt sie sich auch - wie eine gottverdammte Königin. Ein gespieltes Lachen da, eine theatralische Handbewegung dort - würg. Das reicht, ich will mir Ms Ich-bin-die-tollste keine Sekunde länger ansehen. Also lasse ich vom Vorhang ab und trete zurück in den Backstageraum, wo ich meinen Text noch einmal durchgehe, und entnervt die Minuten bis zu meinem Einsatz herunter zähle. Währenddessen frage ich mich die ganze Zeit, wie es Noel geht und wie weit die Ermittlungen wohl sind. Ein Mann von seinem Kaliber muss doch über die besten Anwälte Georgias verfügen, oder? Und trotzdem wird er nach wie vor festgehalten. Ob das ein schlechtes Zeichen ist? Ich hoffe nicht!

Endlich verabschiedet Stella ihren Gast. Jetzt kommt jeden Moment mein Part, daher schlüpfe ich hinter dem Vorhang nach draußen und nehme auf der linken Seite der Bühne, auf den kleinen Podest mit der Wetterkarte, meinen Platz ein. Aus irgendeinem Grund, fällt es mir heute schwer den Kopf zu heben und die Zuschauerreihen vor mir anzulächeln. Irgendwie habe ich das Gefühl, sie würden mich mit ihren Blicken verurteilen. Schließlich ist es meine Schuld, dass ihr Liebling sie heute nicht durch die Sendung führt. Wenn ich daran denke, was die Zeitungen zuletzt alles über mich geschrieben haben, wird mir schlecht. Am meisten schäme ich mich für die gefakten Urlaubsbilder, die mich als nudistische Sextante abstempeln. Zeitungsberichte, die Pressemeute vor der Tür und tausend andere Dinge habe ich niemand geringerem zu verdanken als Finn. Die Tatsache, dass er nun hinter Gittern sitzt, ringt mir ein müdes Lächeln ab.

„ ... Cassidy ... den Wetterbericht“, dringt die unsympathisch hohe Stimme der Co-Moderatorin zu mir durch. Glücklicherweise bin ich inzwischen Profi genug, um mich direkt umzuschalten und auf Sendemodus zu wechseln. Also wende ich mich der strahlenden Stella zu und setze ein künstliches Lächeln auf.

„Vielen Dank Stella ...“ Gerade will ich mich der Einserkamera zuwenden, die auf mich gerichtete ist, und mit meinem Part starten, als sie fröhlich weiter plappert. „In den nächsten Tagen soll das Thermometer ordentlich in die Höhe klettern. Es wird also ganz schön warm für die Jahreszeit. Cassidy, wann hatten wir denn den letzten so lauen März?“ Wie bitte? Was soll das denn jetzt? Verlegen blinzelnd überlege ich, ob ich was vergessen haben könnte. Nein, bestimmt nicht. Um mich zu versichern, schaue ich auf den Teleprompter an der Kamera und überfliege Stellas Text. Verdammt, die Kuh will sich an mir rächen, indem sie zusätzlich was einbaut und mich bloßstellt! Aber nicht mit mir. Na warte!

„Tatsächlich“, sage ich honigsüß, „ist dieser Frühling der wärmste seit 1987. Du weißt schon, dem Jahr, in dem du geboren wurdest.“ Treffer und versenkt! Stellas Gesichtszüge entgleisen kurz. Doch sie hat sich rasch wieder im Griff, nickt mit einem verkniffenen Lächeln und lässt mich endlich in Ruhe meinen Job machen. Ich habe keine Ahnung, ob mir die willkürliche Jahresangabe Ärger bei Harald einbringt, aber selbst wenn, das war sie wert. Stella denkt wohl allen Ernstes, dass sie mich fertigmachen kann. Aber da hat sich die Bohnenstange in den Finger geschnitten. So leicht lasse ich mich nicht unterkriegen.

Nach der Sendung drängen einige der Zuschauer nach vorne zur Bühne, wo sie von Stella in Empfang genommen werden. Ich kann ihre Quitschstimme bis hierher hören. Man ist die Tante fangeil! Ob sie wirklich der Meinung ist, die Leute kämen nur ihretwegen zur Show? Das kann ich nicht glauben. Ich meine, nicht einmal sie kann so blind sein. Bemerkt sie denn nicht die enttäuschten Gesichter, weil die Leute mit ihr, anstelle ihres Lieblings Noel vorliebnehmen müssen? Ihre klebrigen und heuchlerischen Worte: „Oh, ein Autogramm? Aber natürlich! Wo soll ich unterschreiben?“, gehen mir auf die Nerven, darum mache ich, dass ich davonkomme.

Nach meiner Sprachtrainingsstunde bei Simon, einem sympathischen, aber leider recht launischen Typen in meinem Alter, laufe ich noch schnell in meine Umkleide, um nachzusehen, ob Noel mich angerufen hat. Zu meiner Enttäuschung habe ich nur einen verpassten Anruf von Dad. Verdammt, diese Warterei macht mich fertig. Wenn ich nur wüsste, was Sache ist. Mit einem fiesen Druck auf der Brust mache ich mich auf den Weg in den ersten Stock, wo wie üblich unsere Teamsitzung stattfindet. Wie erwartet sitzen die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen bereits auf ihrem Platz. Als ich gefolgt von Harald, dem kleinen und rundlichen Programmchef mit Habglatze, den Besprechungsraum betrete, sehen alle zu uns auf.

„Also dann“, beginnt mein Vorgesetzter und wirft die Tür hinter sich ins Schloss, „eines steht schon mal fest: Ohne Noel ist die Sendung nicht mehr wert als ein Hundehaufen mit Glitzerstreusel.“ Während er seinen Platz am Kopf des Tisches einnimmt, beeile ich mich auf meinen zu kommen. „Stella“, sagt er und wendet sich der Co-Moderatorin zu, die heute auf Noels Stuhl, also zu Haralds Rechten, sitzt. „Du hast die Sendung gerettet, warst die besagten Glitzerstreusel auf dem Hundehaufen. Ich bin sehr zufrieden, hast deine Sache hervorragend gemeistert.“ Stellas Froschmaulgrinsen ist so breit, dass man ihr problemlos einen kompletten Donut in den Mund schieben könnte.

„Das war´s dann auch schon, mehr Positives gibt es heute nicht zu sagen“, fügt Harald hinzu, „denn alles andere war gequirlte und durch den Fleischwolf gedrehte Scheiße!“ Obwohl seine Worte ruhig klingen, höre ich die Wut mitschwingen. „Cassidy, du hättest um ein Haar wieder deinen Einsatz verpasst. Das dulde ich nicht! Langsam müsste man doch meinen, dass du deinen Job beherrscht!“, donnert er und ich kann ihn nur mit großen Augen ansehen. Es ist das erste Mal, dass er mich rügt. Bisher war er sehr nachsichtig mit mir, das hat jetzt offensichtlich ein Ende. Und ich bin mir auch ziemlich sicher zu wissen, woher dieser Groll gegen mich rührt. Noel. Meinetwegen hat sein Star heute gefehlt. Meinetwegen gerät Get up Georgia, die meistgesehene Show, sein Baby, in die Negativschlagzeilen. Er war lange nachsichtig mit mir, vermutlich Noel zuliebe. Doch seine Geduld hat nun ein Ende. Schöne Scheiße, jammere ich innerlich und balle, unter der Tischplatte versteckt, meine schwitzigen Hände zu Fäusten. Mein Herz glüht und klopft aufgeregt gegen meinen Brustkorb. Ich sehe, wie die Blicke meiner Kolleginnen und Kollegen zu mir herüberschwenken. Sie alle betrachten mich mit einer gewissen Neugier, das heißt alle bis auf Stella. Auf ihrer Miene thront ein herablassender Ausdruck. Die wulstigen Lippen verzogen, die Nase gerümpft sieht sie mich an, als wäre ich ein Eiterpickel.

„Es tut mir leid, Harald. Ich war nur so überrumpelt, weil Stella ins Skript eingegriffen hat und ...“ Weiter komme ich nicht, da die Diva mich mit ihrer schrillen Stimme übertönt.

„Harald, du meintest letzthin, ich soll meinen gut bezahlten Kopf in der Show einsetzen, und genau das habe ich gemacht. Fionas Text war mal wieder so was von unzumutbar trocken, dass ich ihn einfach aufpeppen musste.“

„Wie bitte?“, entfährt es der blonden Cheftexterin, die mir gegenübersitzt. „Der Text war einwandfrei!“

„Einwandfrei? Dass ich nicht lache! Den letzten einwandfreien Text hast du vor Jahren abgeliefert“, giftet Stella mit erhobener Nase.

Oh, oh, das riecht nach Zickenkrieg. Fionas Wangen glühen, als sie sich im Stuhl vorbeugt. „Nur, weil du Spatzenhirn mit einem professionellen Text nichts anfangen kannst ...“

„Spatzenhirn? Spatzenhirn?!“, überschlägt sich die Stimme der Co-Moderatorin. „Was glaubst du eigentlich, wer du bist, um so mit mir reden zu dürfen?!“ Wow, da hat aber eine den Größenwahn! Da moderiert die Tante mal eine Sendung allein und schon meint sie, sich derartige Starallüren leisten zu dürfen. Nicht, dass Stella ansonsten eine zurückhaltende Person wäre, aber das hier schlägt dem Fass den Boden aus.

„Ladys, Ladys!“, mischt sich Harald mit einer schlichtenden Geste ein. Selbst schuld, denke ich, er hat den Stein ins Rollen gebracht.

„Ich bitte euch, wir sitzen doch alle im selben Boot, nicht wahr? Also bitte, reißt euch zusammen. Es reicht doch wirklich, dass die Einschaltquoten im Keller sind. Da brauchen wir nicht auch noch interne Streitereien. Stella ...“ Der an Danny DeVito erinnernde Harald wendet sich mit einem gewinnenden Lächeln an die Moderatorin. „Sei so gut und halte dich an Fionas Text. Erweitern oder etwas anfügen musst du nur, wenn der Zeitplan durcheinandergerät.“ Stellas halbherziges Nicken scheint ihm zu genügen, denn er widmet sich der Cheftexterin. „Und du Fiona, sei so gut und vermeide Schachtelsätze.“ Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin lässt Fiona nicht locker. „Also jetzt reicht es langsam. Seit Jahren vereinfache ich für diese Hohlbirne die Texte. Eine Info, Harald, eine einzige Info hat sie pro Satz an den Zuschauer zu bringen. Keine Schachtelsätze, keine Zungenbrecher. Verdammt noch mal ich vermeide ja sogar ausländische Ausdrücke. Was wollt ihr noch? Soll ich ihr vielleicht Zeichnungen machen? Hm? Ist es das, was ihr wollt?“ Unglaublich, so habe ich Fiona noch nie erlebt. Der Großteil von uns starrt sie mit offenem Mund an. Nur Harald und Stella nicht, ihre Gesichter sprühen vor Zorn.

„Das reicht, du hast für heute genug gesagt“, erklärt Harald, dessen Gesicht einer Tomate Konkurrenz machen könnte. „Du kannst gehen. Wir reden nach der Besprechung noch einmal.“

„Bitte!“, donnert die Blondine, schiebt ungehalten ihren Stuhl zurück und stampft davon. Niemand sagt etwas, bis die Tür hinter ihr ins Schloss fällt.

„Gut, dann kommen wir zurück zur heutigen Show ...“, fährt unser Chef Harald fort und sieht dabei abgearbeiteter denn je aus.

Die schlechte Stimmung verändert sich auch während der restlichen Besprechung nicht. Ohne Noel ist es einfach anders. Es ist, als wäre er unser Ruhepol gewesen. Und nun, da er fehlt, geht alles drunter und drüber. Vermutlich steckt meinen Arbeitskollegen aber auch noch der Polizeieinsatz von gestern in den Knochen. Ich glaube, das war für alle ziemlich aufreibend. Insbesondere für Stella. Doch ausgerechnet ihr ist am wenigsten anzumerken. Während ich sie so ansehe, wie sie da neben Harald sitzt, sich mit irgendwelchen Ideen in den Vordergrund zu spielen versucht und uns einfaches Volk mit herablassender Miene betrachtet, frage ich mich, wie ich mit diesem Mensch Mitleid haben konnte.

Irgendwann sind wir tatsächlich durch. Bis auf Ms Starallüren und Harald haben es alle eilig hier rauszukommen. Ich für meinen Teil habe nur einen Gedanken, ich will so schnell wie möglich in meine Umkleide, um zu sehen, ob Noel angerufen hat. Die Unterlagen vor mir zusammenraffend stehe ich auf. Doch gerade als ich gehen will, bittet mich Harald noch einen Moment zu bleiben. Na toll. Den Notizblock wie einen Schutzwall an meine Brust gedrückt, bewege ich mich auf ihn zu.

„Was gibt’s?“, frage ich und versuche mich gelassen zu geben. Er ist ab und zu wie ein Bluthund - riecht er deine Furcht, bist du fällig.

„Gibt es was Neues von Noel?“ Sein Blick ist eisig, seine Miene hart. Verdammt, er nimmt es mir wirklich übel, dass sein Star meinetwegen verhindert ist. Wobei, wenn man es genau nimmt, bin ich an seinen Autodiebstählen, wegen welchen er wie ich vermute festgehalten wird, nicht schuld. Aber das kann Harald ja nicht ahnen. Er weiß nur, dass Noel mich vor seinem verrückten Bruder gerettet hat, mit aufs Präsidium musste und seither nicht mehr aufgetaucht ist. Ergo, ist es meine Schuld, wenn sein Goldjunge die Show verpasst.

„Ich bedaure, aber ich weiß genauso wenig wie du, Harald, lüge ich, denn Noels Angelegenheiten gehen den kleinen Choleriker einen feuchten Dreck an.

„Verstehe“, sagt er schnippisch und ich habe das widerliche Gefühl, es bei ihm nun endgültig verspielt zu haben. „Das war’s dann. Wir sehen uns morgen.“ Damit bedeutet er seinem Assistent Daniel, der wie bestellt und nicht abgeholt neben uns steht, er möge ihm folgen und rauscht davon. Spitze, der Tag wird ja immer besser und besser, jammere ich stumm, bevor ich mich auf den Weg in meine Umkleide mache.

 

Mein Handy aus der Tasche kramend stelle ich fest, dass Noel noch immer nicht angerufen hat. Langsam bekomme ich es mit der Angst zu tun. Mir will einfach nicht in den Kopf, dass er für ein Verbrechen, das er vor Jahren begannen hat, jetzt zur Rechenschaft gezogen wird. Verdammt, der Mann hat doch Geld wie Heu, können seine Anwälte denn nichts ...

„Cassidy?“, lässt mich eine Stimme zusammenfahren. Es ist Tina, sie steht im Türrahmen und sieht wie üblich gestresst aus.

„Man hast du mich erschreckt!“, jammere ich, die flache Hand auf die Brust gedrückt.

„Tut mir leid, Kindchen. Ich habe hier die Anmeldung für das alljährliche Firmen-Frühjahrspicknick. Sei so gut, füll den Wisch im Laufe der Woche noch aus, ja?“ Mit ein paar großen Schritten ist sie bei mir und legt einen Zettel vor mir auf den Tisch. Dann rauscht sie davon und lässt mich allein zurück. Die Einladung zu mir herziehend starre ich mit leerem Blick darauf. Meine Gedanken kreisen schon wieder um Noel. Nicht zu wissen, was die Zukunft bringt und wie es ihm geht, ist zermürbend. Ein kurzes Klopfen und wieder geht die Tür auf. Ich wende mich in meinem Drehstuhl um und sehe das mit roten Stresssprenkeln übersäte Gesicht der Set-Runnerin, die ihren Kopf hereinstreckt.

„Tina, hast du was vergessen?“

„Keylar“, erklärt sie schnaubend. „Du hast heute um 15 Uhr einen Termin bei ihm.“ Ach ja? Wie schön, dass mir das auch noch einer sagt, denke ich entnervt.

„Aber das ist ja in nicht einmal zwanzig Minuten“, sage ich nach einem Blick auf mein Handy.

„Entschuldige, Kindchen, ich bin nicht eher dazu gekommen ...“

„Schon gut“, winke ich ab. Tina ist ein Engel. Ich habe sie lieb und will sie nicht mit meiner schlechten Laune gegen mich aufbringen. „15 Uhr, beim großen Boss, ist notiert“, zwinkere ich und sehe zu meiner Freude, wie ihre Gesichtszüge einen entspannteren Ausdruck annehmen. Als sie mein Umkleidezimmer verlässt, stütze ich die Ellenbogen auf der Tischplatte auf und lasse meinen Kopf in die Hände sinken. Keylar, der nächste, der mir an den Kragen will, weil Noel nicht hier ist. Es ist zum Verzweifeln. Ich drohe gerade im Selbstmitleid zu ertrinken, als ich die Tür höre und sich jemand räuspert. Tina, denke ich. Welche Hiobsbotschaft hat sie jetzt für mich? Erschöpft hebe ich den Kopf, sehe in den Spiegel vor mir und erwarte die rundliche Set-Runnerin im Türrahnem zu finden. Doch da steht niemand Geringerer als er. Mein Herz überschlägt sich vor Freude.

„Noel!“, entfährt es mir, als ich vom Stuhl hüpfe, auf ihn zu eile und mich in seine Arme werfe.

3. Chayenne

 

Wie eine berauschende Wolke hüllt mich Noels Duft ein. Ich spüre, wie der Stress nachlässt, von mir abfällt und mich sein Kraftfeld einnimmt. Oh Gott, wie habe ich diesen Mann vermisst.

„Hey meine Schöne“, sagt er mit sanfter Stimme und drückt mir einen Kuss auf den Scheitel. „Alles okay bei dir?“ War ja klar, dass ihm meine Anspannung nicht entgeht.

„Hallo?“, spiele ich seine Besorgnis herunter, „die Frage ist doch eher, wie geht es dir?“ Von ihm abrückend hebe ich den Blick und schaue in sein hübsches Gesicht. Unglaublich, er wirkt frisch und gelassen. Der Tag auf dem Präsidium und all die Strapazen sind ihm nicht anzusehen. Wie ungerecht und ich laufe mit Augenringen, die einem Waschbären Konkurrenz machen, durch die Welt.

„Erzähl, was wollte die Polizei noch und ist jetzt alles wieder gut?“ Meine Frage lässt einen Schatten über seine Züge huschen.

„Nun, es wird wohl noch eine Weile dauern, bis alles geklärt und erledigt ist. Aber meine Anwälte kümmern sich darum. Wie sich zeigte, habe ich ein sehr fähiges Team.“ Noel klingt zuversichtlich, doch mein Bauchgefühl sagt mir, dass die Sache nicht so leicht wird.

„Was meinst du mit wie sich zeigte?“

„Na ja, meine Leute haben mich nach nicht einmal 24 Stunden auf Kaution rausgeholt.“

„Auf Kaution?“, echoe ich.

„Ja, wenn ich die Füße stillhalte, was ich werde, bin ich bis zur Verhandlung auf freiem Fuß.“

„Bis zur Verhandlung?“ Verdammt, ich wusste doch, dass die Sache nicht so leicht wird.

„Cassidy“, meint er sanft, hält mich an den Oberarmen fest und sieht mir in die Augen. „Bitte, ich will nicht, dass du dich sorgst. Du hast wirklich genug durchgemacht und sollst dich nicht mit meinem Müll ärgern. Es wird alles wieder gut, versprochen.“

„Wie kannst du das sagen?“, frage ich kopfschüttelnd. Wenn man ihn so hört, könnte man meinen, er würde von einem harmlosen Strafzettel sprechen und nicht einem schweren Delikt, das seine Zukunft zerstören könnte. Aber so einfach ist das nicht!

„Hör mal“, sagt er eindringlich, „ich habe nicht vor, mir den Kopf deswegen zu zerbrechen, schon gar nicht, weil es andere Dinge gibt, die geklärt gehören.“ Das versetzt meinem Magen einen glühenden Stich. Ja, es gibt da in der Tat eine Sache, die wichtig ist und besprochen gehört. Finn hat Noel gestern in meiner Gegenwart auf irgendwelche Zahlungen angesprochen und mich so darauf aufmerksam gemacht. Offensichtlich verschweigt er was vor mir. Mein Magen fühlt sich wund an, als ich in seinem Gesicht nach Emotionen forsche. Doch da ist nichts, nichts bis auf einen Hauch Wehmut. Okay, ich halte diese Ungewissheit nicht länger aus. Ich werde jetzt den Termin mit Keylar wahrnehmen und danach will ich die

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Christine Troy
Cover: Michael Troy
Lektorat: Romy Güntner, www.satzsilbe.wordpress.com
Korrektorat: Romy Güntner, www.satzsilbe.wordpress.com
Satz: Michael Troy
Tag der Veröffentlichung: 19.07.2022
ISBN: 978-3-7554-1744-6

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