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Teil 1

 TEIL I

Kapitel 1 – 27. August 1684

Wien, Österreich

 

Mit einem lauten Donnern ließ Ruben den leeren Bierhumpen auf die schmutzige Theke krachen. Augenblicklich wurde es still in der spärlich beleuchteten Schenke Zur Traube. Keiner der Säufer und Taugenichtse wagte es, auch nur ein Wort zu sagen.

Dieses Loch von einer Wirtsstube widerte ihn an. Der üble Gestank von Schweiß und Erbrochenem kroch ihm in die Nase, vermischte sich mit abgestandener Luft und dem starken Rauch der Zigarren und Pfeifen.

Er blickte vermeintlich ruhig auf den leeren Krug vor sich, behielt dabei jedoch die kleinste Bewegung in seinem Umfeld im Auge. „Ich habe Euch gewarnt. Lasst die Frau in Ruhe“, knurrte er und starrte sein Gegenüber drohend an.

Der verlauste, erbärmlich stinkende Mann lachte hämisch auf. In der Rechten hielt er ein kurzes, dreckverkrustetes Messer. Mit der Linken presste er das verängstigte, blonde Mädchen so fest an sich, dass es einen erstickten Aufschrei von sich gab.

„Was will so ein dahergelaufener Bastard wie du mir schon drohen! Pah! Auf dich scheiß ich!“, spie der Schurke verächtlich aus.

Angewidert wischte sich Ruben, der noch immer an der Theke saß, die Spucke von seiner Jacke. Nun war das Maß endgültig voll. Mit einer raschen Bewegung zog er seinen Dolch, sprang elegant vom Hocker und forderte den ungehobelten Lustmolch zum Zweikampf heraus.

Erschrocken ließ dieser das Mädchen los, das sich sofort in die Arme ihres Vaters, bei dem es sich um den Wirt der Schenke handelte, flüchtete.

Ruben zögerte nicht lange und ging zum Angriff über. Sein Gegner parierte den ersten, überraschenden Hieb, fing sich unverzüglich nach seiner anfänglichen Verblüffung und stach mit seinem Messer zu, verfehlte jedoch sein Ziel.

Ruben war um einiges jünger und beweglicher als der Säufer, wich dessen Angriffen stets geschickt und nahezu elegant aus. Und allem Anschein nach war er auch um einiges nüchterner als sein Kontrahent.

„Dich mach ich fertig!“, schrie dieser außer Atem, mit hochrotem Gesicht und völlig in Rage.

Ruben konnte darüber nur lachen. Seine Miene blieb jedoch emotionslos und verschlossen. Der Zweikampf begann ihn allmählich zu langweilen, er wollte es hinter sich bringen. Mit einer raschen Bewegung wehrte er den nächsten Hieb ab, schlug dem Scheusal mit dem Knie in die Weichteile und zog ihm den Knauf seines Dolches über den Kopf. Sofort sackte der Lüstling in sich zusammen und blieb reglos auf dem Boden liegen.

Gemächlich steckte Ruben seine Waffe ein und blickte die gaffenden Männer in der Schenke finster an.

Der Verwundete stöhnte leise auf, er kam bereits wieder zu Bewusstsein.

Ruben schnaubte angewidert, trat an den Säufer heran und stieß ihm mit dem Fuß in den Schritt.

Der laute Schrei des Mannes war ihm eine Genugtuung. Der würde sich hüten, so bald wieder ein junges, anständiges Mädchen zu belästigen.

Ruben griff nach seinem Dreispitz auf dem Tresen, setzte ihn auf und blickte erneut in die Runde. Der Wirt, seine aufgelöste Tochter in den Armen, nickte ihm dankend zu. In den Gesichtern der Zecher konnte Ruben Bewunderung, Verblüffung und Argwohn erkennen. Er war ein Fremder und man mochte es nicht, wenn Fremde für Ärger sorgten. Er griff in seine Jackentasche und legte seine zwei letzten Münzen auf die Theke, ehe er wortlos die Spelunke verließ.

 

Erleichtert sog er die frische Luft ein und genoss für einen kurzen Moment die Ruhe.

Es war eine klare Vollmondnacht. Wie eine wunderschöne Perle hob der Mond sich vom dunklen Himmel ab.

Schmerzhaft krochen die Erinnerungen an sie in ihm hoch und drohten ihn zu zerfressen. Der Anblick des blonden, jungen Mädchens in den Fängen dieses Unholdes hatte ihn auf schmerzhafte Weise an Anna erinnert.

Schnell schüttelte er die Erinnerungen ab und konzentrierte sich stattdessen auf die Gassen, durch die er schritt.

Es war warm für eine späte Augustnacht, stellte er zufrieden fest und genoss den lauen Wind, der durch seine schulterlangen, blonden Haare wehte.

Er hatte bereits unzählige Gassen und Straßen durchquert, als ihn plötzlich das Gefühl beschlich, verfolgt zu werden. Seine Nackenhaare stellten sich auf und in der Regel konnte er sich auf seinen Instinkt verlassen. Er beschleunigte seinen Gang und versteckte sich in einer dunklen, stinkenden Seitengasse.

Schritte. Er hörte eindeutig Schritte.

Instinktiv hielt er den Knauf seines Dolches griffbereit und wartete gespannt auf seinen Angreifer. Als ihn die Schritte erreicht hatten, stellte er sich seinem Verfolger in den Weg und zog sogleich seine Waffe.

Der Unbekannte taumelte zurück, hielt beschwichtigend die Hände in die Höhe und sprach erschrocken: „Ho, mein Freund! Ich will Euch nichts anhaben!“

Ruben hielt den Dolch fest im Griff und musterte den dunkelhaarigen Unbekannten eingehend. Dieser war größer und kräftiger gebaut als er selbst. Seine Gestalt erinnerte Ruben in der Tat an die eines Bären. Bei einem Zweikampf wäre er mit Sicherheit der Unterlegene. Missmutig steckte er seine Waffe zurück.

„Wieso verfolgt Ihr mich?“, verlangte er zu erfahren.

Ein Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Fremden aus. „Ich habe Euch gesehen. Dort drüben in der Gaststube“, sagte der Bärenmann und deutete in die Richtung, aus der sie gekommen waren. „Ihr seid ein guter Kämpfer“, meinte er anerkennend und fuhr fort: „Ich suche Männer wie Euch. Mit Eurem Können und Eurer Courage. Ich möchte Euch ein Angebot machen.“

Ruben runzelte verwundert die Stirn. Obschon er dem Mann nicht traute, hatte dieser ihn neugierig gemacht. „Ich höre.“

„Nicht hier“, sprach der Dunkelhaarige und schlug mit einem wissenden Lächeln vor: „Solche Dinge besprechen sich besser bei einem guten Mahl. Kommt, ich lade Euch ein.“

Argwohn beschlich Ruben, ob dies nicht eine Falle war, in die er im Begriff war hineinzutappen. Erneut musterte er den Bärenmann, registrierte dessen hochwertige Kleidung, den sauber zurechtgestutzten Bart und befand, dass er keinen Mann vor sich hatte, der auf das Kopfgeld angewiesen war. Das Kopfgeld, das auf ihn, einen Vogelfreien, ausgesetzt war.

Er griff in die Innentasche seines alten, zerschlissenen Mantels und fühlte nichts als warme Luft. Er hatte doch tatsächlich sein letztes Geld versoffen. Nun ärgerte er sich über sich selbst. Wie tief er doch in so kurzer Zeit gesunken war! Beim Gedanken an ein warmes Essen lief ihm sofort das Wasser im Mund zusammen.

„In Ordnung. Aber nicht in dieses Loch von einer Wirtsstube“, brummte er zerknirscht.

 

***

 

„Noch zwei!“, rief der Bärenmann dem Wirt zu, nachdem Ruben den ersten Humpen in einem Zug geleert und sich gierig über das herrlich dampfende Fleisch und Gemüse hergemacht hatte.

„Ich bin übrigens Matthes“, stellte der Bär sich vor und streckte ihm die Hand entgegen.

„Ruben“, stellte er sich vor und ergriff die fein säuberlich manikürte Pranke des zufrieden dreinblickenden Mannes.

Ruben strich sich durchs schulterlange, verfilzte Haar. Wann habe ich mich wohl das letzte Mal gewaschen?, fragte er sich in diesem Moment. Zu lange hatte er sich gehen lassen. Nun schämte er sich für seine Aufmachung.

„Also, Ruben, wo habt Ihr so zu kämpfen gelernt?“

„Ist eine lange Geschichte“, meinte er ausweichend.

Matthes nickte verstehend und fragte: „Habt Ihr bereits Erfahrungen im Krieg gesammelt?“

„Ich war bei der Schlacht am Kahlenberg dabei“, antwortete er und kratzte sich den juckenden Bart. Wann habe ich mir diese Läuse eingefangen?, fragte er sich und empfand plötzlichen Ekel vor sich selbst.

„Wunderbar, dann wisst Ihr ja bestens Bescheid über die angespannte Situation zwischen der Heiligen Liga und dem Osmanischen Reich. Langer Rede kurzer Sinn: Ich suche fähige Männer für einen Entsatz nach Buda. Das Kaiserliche Heer braucht Hilfe. Ich diene als Kommandant unter Max Emanuel, dem Kurfürsten von Bayern. Wir benötigen dringend jede Hilfe. Und bei Euch, mein Freund, habe ich ein gutes Gefühl. Ich denke, wir könnten noch eine Menge von Euch lernen.“

Ruben fühle sich geehrt, doch der Kurfürst von Bayern war ihm kein Unbekannter. Was, wenn er ihm plötzlich begegnen würde? Würde der Fürst ihn wiedererkennen?

„Was sagt Ihr dazu? Habt Ihr Interesse?“, fragte Matthes abwartend und fuhr sich über den Bart.

Ruben rang mit sich selbst. Er hatte keine Ahnung, wohin er gehen sollte. Es war ohnehin eine Schnapsidee gewesen, nach Wien zu kommen. Alles hier erinnerte ihn an sie. Er begann an der Sehnsucht nach ihr zu verzweifeln.

Ein Zuhause hatte er nicht mehr. Sollte er es jemals wagen, in Warschau aufzukreuzen, würde er sofort gehängt – mit einem Vogelfreien würde man nicht zimperlich umgehen.

Genau deshalb hatte er sich bisher davor gescheut, sich als Soldat für den Türkenkrieg zu melden. Sollte er von seinen ehemaligen Kollegen erkannt werden, drohte ihm der Tod.

Allerdings schien ihm mit jedem weiteren Tag sein Leben weniger wert. Was also hinderte ihn daran, sich für Geld zu verdingen und in den Krieg zu ziehen? Er hätte einen Platz zum Schlafen und etwas zu essen. Mehr benötigte er nicht. Und auch die Aussicht, erneut gegen diese gottlosen Türken zu kämpfen, gefiel ihm durchaus.

Und sollte er doch erkannt werden, dann würde er eben sterben: Er war bereit, seinem Schöpfer entgegenzutreten.

„In Ordnung. Ich komme mit Euch“, meinte Ruben und blickte Matthes entschlossen an. „Wie hoch ist der Sold?“

Das Lachen des Mannes hörte sich wie ein Donnergrollen an. „Macht Euch darüber keine Gedanken. Ihr werdet großzügig entlohnt werden.“

Ruben blickte noch immer skeptisch in die erheiterte Miene des Mannes, kam jedoch nicht mehr dazu, etwas einzuwenden.

Matthes hob seinen Krug hoch in die Luft. „Auf erfolgreiche Schlachten“, sprach er zufrieden und prostete ihm zu.

 

Kapitel 2 – 11. September 1684

Buda, Ungarn

 

Nur der schwache Schein einer Öllampe erleuchtete die spärlich eingerichtete Kammer. Yana fühlte die Anwesenheit ihrer Mutter hinter sich, spürte deren Unruhe, die sich auf sie übertrug. Angespannt krallte sie ihre Finger in das Holz des Stuhls, auf dem sie saß.

„Es muss sein, mein Kind. Wir haben keine andere Wahl.“ Die Mutter griff zur großen Schere auf dem einfach gezimmerten Holztisch.

Yana schluckte den Kloß in ihrer Kehle herunter, schloss die Augen und nickte.

Sie fühlte die kalten Hände auf den Schultern. Fühlte die sanften Bewegungen, wie die Mutter ganz behutsam ihr langes, schweres Haar zusammenfasste. Sie hörte deren unregelmäßige Atemzüge, das tiefe Luftholen.

Das Geräusch der aneinander reibenden Klingen der Schere verursachte ihr eine Gänsehaut. Die langen, seidigen Locken rutschten über ihren Rücken und ihre Schultern. Eine Strähne fiel ihr in den Schoß, auf ihre verkrampften Hände. Vorsichtig griff sie nach der Locke und strich über ihre einstige Haarpracht. Im sanften Schein der Lampe wirkte sie beinahe schwarz.

Immer wieder hörte Yana das leise Quietschen der alten Schere und spürte das Kitzeln der Haare in ihrem Nacken. Der Verlust machte sie traurig und eine Träne bahnte sich schleichend einen Weg über ihre geröteten Wangen.

Rasch warf sie die Haarsträhne in ihrer Hand zu Boden. Sie atmete tief ein und schloss die Augen. Es hatte keinen Sinn, etwas so Vergänglichem wie ihrem Kopfschmuck nachzutrauern. Es gab wichtigere Dinge im Leben. Viel wichtigere.

Überleben. Überleben hatte in Zeiten wie diesen oberste Priorität.

„Möchtest du es sehen?“, fragte die Mutter mit bebender Stimme. Yana spürte, wie sehr diese um Fassung rang.

Sie nickte und nahm den kleinen, schmucklosen Handspiegel entgegen.

Überrascht keuchte sie auf. Was sie sah, versetzte sie in Staunen. Ihre großen, mandelförmigen Augen und die breiten Wangenknochen waren geblieben und verrieten ihr, dass sie noch immer dieselbe war. Doch die nun kurzen Haare lockten sich frech um ihren Kopf und verliehen ihr etwas Burschikoses. Unsicher fuhr sie sich durchs Haar und zog an einer der Locken. Sie reichten ihr noch knapp bis zum Kinn.

Schnell legte sie den Spiegel auf den Tisch vor sich und erhob sich energisch. Sie hatte sich fest vorgenommen, nicht zu weinen. Sie wollte stark bleiben.

Langsam drehte sie sich zu ihrer Mutter um, die schweigend und mit verräterischem Glanz in den Augen dastand. Es versetzte ihr einen Stich ins Herz, ihre geliebte Mutter so leiden zu sehen. Diese trug ein einfaches osmanisches Wickelkleid aus grünem Stoff, darunter ein helles Hemd. Yana beneidete ihre Mutter um die natürliche Schönheit einer reinblütigen Osmanin. Tuba, ein Name der zu ihr passte: ein Baum im Paradies.

„Hier“, sprach die Mutter und reichte ihr ein Stoffbündel. „Zieh dies an.“

Nickend nahm Yana das Bündel an sich und verschwand in ihrer Kammer.

Es war dunkel, nur der Mond spendete ihr etwas Licht. Sie trat ans Fenster und betrachtete die einfache Hose und das zerschlissene Hemd in ihren Händen. Mit einem tiefen Seufzer zog sie ihr Wickelkleid aus, band sich die Brust ab und tauschte ihr Gewand gegen die Hose und das Hemd eines Fremden.

Ein letztes Mal besah sie sich in dem kleinen Spiegel über der Kommode.

Ihr Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. Nun gab es kein Zurück mehr. Aus dem hübschen, achtzehnjährigen Mädchen war ein dreckiger, kleiner Junge geworden.

Traurig betrachtete sie ihre dunkelblauen Augen. Es waren die Augen ihres Vaters. Auch die helle Farbe ihrer Haut verdankte sie ihm. Die dunklen Haare und die Form ihrer Augen hatte sie jedoch von ihrer Mutter geerbt.

Ihr Äußeres verwirrte die Menschen im Allgemeinen. Niemand konnte mit Gewissheit sagen, woher sie wirklich stammte. Hatte dies in der Vergangenheit oftmals zu Ausgrenzung und Spott geführt, so konnte ihr diese Tatsache nun sogar dienlich werden.

Sie biss die Zähne zusammen und holte tief Luft. Mit zitternden Knien begab sie sich zurück zu ihrer Mutter, die gerade einen kleinen Laib Brot in einen Leinensack steckte.

Ohne ihre Tochter anzusehen, sprach sie: „Denk daran, was ich dir gesagt habe, Kind. Lauf immer entlang der Donau, so schnell du kannst! Eine Tagesreise entfernt liegt Waitzen. Du kannst es gar nicht verfehlen.“ Die Mutter kämpfte sichtlich mit den Tränen. „Dort gehst du zu meiner Schwester. Sie wird gut für dich sorgen, hab keine Angst.“ Ihre Stimme zitterte kaum merklich, doch Yana spürte, wie sehr ihre Mutter um Fassung rang.

Unruhig lief Tuba zum Kamin und zerrieb etwas Kohle in ihren Händen. „Und sollte man dich doch entdecken, sprich mit niemandem, hörst du? Nicht ein Wort! Deine Stimme würde dich sofort verraten.“

 

Ein paar Augenblicke später standen sie sich gegenüber und blickten sich traurig in die Augen. Tuba strich sanft über die Wangen ihrer Tochter und zerrieb den Ruß in deren Gesicht. Dies würde von Yanas Schönheit ablenken. Mit etwas Glück würde ihr die Flucht gelingen und sie würde ein langes und glückliches Leben führen.

Tuba war sich sicher, dass sie jetzt, da das Kaiserliche Entsatzheer eingetroffen war, alle dem Tode geweiht waren. Zu nahe wohnte sie mit ihrer Tochter an der Stadtgrenze. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Habsburger Buda gänzlich einnähmen. Die Judenstadt hatten sie bereits erstürmt und wie ein Mahnmal lagen die niedergebrannten Ruinen der Nachbarstadt Pest vor ihnen und kündeten das Unheil.

Tuba hatte gesehen, zu welchen Schandtaten diese Barbaren bereit waren. Ein hübsches, junges Mädchen wie ihre Tochter würde Fürchterliches erleiden müssen. Einen einfachen Jungen hingegen würde ein schneller Tod ereilen. Ja, ihre Entscheidung war richtig. Auf diese Weise gab es zumindest einen Funken Hoffnung für die Zukunft.

„Allah beschütze dich“, sprach sie leise und nahm ihr einziges Kind in die Arme. Der Schmerz der bevorstehenden Trennung war groß, denn ein Wiedersehen war unwahrscheinlich. Mit stummen Tränen lagen sich die beiden Frauen in den Armen.

Energisch schob Tuba ihre Tochter von sich. Ihr Mutterherz blutete, sie konnte den Abschied nicht noch länger hinauszögern, ansonsten würde sie ihr Kind vermutlich gar nicht gehen lassen.

Leise öffnete sie die Tür ihres Hauses und lugte vorsichtig nach draußen. Alles war ruhig, keine Menschenseele war zu sehen. Es war eine sternenklare Nacht und obwohl der Mond nur als schmale Sichel am Himmelszelt zu sehen war, spendeten die Himmelslichter genügend Helligkeit für ein klares Bild der Umgebung.

Langsam drehte sie sich zu ihrer Tochter um, die mit bebenden Lippen und tränennassen Augen völlig hilflos und verängstigt dastand.

Tuba fasste sie an den Armen, schüttelte sie leicht und sprach mit fester, eindringlicher Stimme: „Meine Tochter, es ist so weit. Du wirst es schaffen, Allah wird dafür sorgen. Du musst nur fest auf ihn vertrauen. Lauf, so schnell du kannst, und sprich mit niemandem!“ Sie drückte ihrer Tochter einen sanften Kuss auf die Stirn, ehe sie mit kaum hörbarer Stimme fortfuhr: „Ich liebe dich, mein Kind. Wir sehen uns im Paradies.“

 

***

 

Sie fürchtete sich nicht im Dunkeln. Zumindest versuchte sie sich das immer und immer wieder einzureden. Mit jedem weiteren Schritt, der sie von ihrem Heim und ihrer Mutter wegführte, wuchsen die Angst und Unsicherheit in ihr. Anfangs hatte sie einfach die Stadtmauer entlangschleichen können, doch diese lag nun hinter ihr. Vor ihr im Mondlicht erstreckte sich die reißende Donau, hinter ihr glommen in der Weite die Lagerfeuer des Feindes. Sie packte das Leinenbündel in ihren Händen fester, holte tief Luft und kroch im Schutz der Dunkelheit durch das Dickicht am Flussufer. Bei jedem knackenden Ast schrak sie zusammen und sah sich gespannt um. Doch niemand war zu sehen und so wurde sie mutiger, beschleunigte ihre Schritte und hatte ihr Ziel fest vor Augen, verbot sich jegliche Gedanken an die Mutter.

„Stehen bleiben“, knurrte es plötzlich hinter ihr und vor Schreck ließ sie den kleinen Leinensack fallen. Ihr Herz raste und stiftete sie dazu an wegzurennen, doch sie konnte sich vor lauter Angst nicht bewegen. „Umdrehen. Aber langsam!“ Die tiefe, drohende Stimme ließ Yana erzittern. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals und sie glaubte vor Angst zu sterben. Der barsche Ton des Unbekannten jagte ihr schon genug Schrecken ein. Doch als sie etwas Kühles, Hartes am Nacken berührte, hätte sie beinahe laut aufgeschrien. Im letzten Augenblick presste sie die Hände vor den Mund und unterdrückte den Schrei.

„Ich sagte, du sollst dich umdrehen!“, befahl die männliche Stimme erneut und sie spürte, wie der Mann das Metall fester gegen ihren Hals drückte.

Mit zitternden Knien wandte sie sich langsam um, stets darauf bedacht, der Klinge nicht zu nahe zu kommen.

Als sie sich völlig dem Angreifer zugedreht hatte, wagte sie es kaum, ihn anzusehen. Vor Entsetzen wäre sie beinahe hingefallen, doch der Hüne packte sie am Hemd und bewahrte sie vor einem Sturz. Reflexartig hatte sie sich an seinen starken Armen festgehalten, die sie nun sofort erschrocken losließ.

Der riesige Mann wirkte furchterregend, was sich auch nicht besserte, als er sein Schwert zurücksteckte. Die ausgeprägten Wangenknochen und das breite, harte Kinn verliehen ihm einen Ausdruck von unangefochtener Macht. Seine Nase schien mehrfach gebrochen, was ihm eine Wildheit und Entschlossenheit verlieh, die jedermann das Fürchten lehrte. Seine dunklen, zerzausten Haare sowie der zurechtgestutzte Bart unterstrichen den Eindruck eines heroischen Kriegers. Am meisten jedoch zogen Yana seine hellen, funkelnden Augen in den Bann.

„Wer bist du und woher kommst du?“, verlangte er barsch zu wissen und unterbrach sie in ihrer Musterung.

Schon wollte sie ihm antworten, als ihr die Worte ihrer Mutter in den Sinn kamen: Kein Wort zu niemandem!

Rasch schloss sie ihren Mund und machte eine hilflose Schulterbewegung.

Als er einen Schritt auf sie zutrat, zuckte sie erschrocken zusammen.

„Ich tue dir nichts, Junge. Sag mir nur deinen Namen und woher du kommst“, sprach er etwas freundlicher. Doch als sie nicht antwortete, fuhr er mit ernstem Gesichtsausdruck fort: „Es ist gefährlich hier draußen, du solltest nicht hier sein. Ich frage dich also ein letztes Mal: Wer bist du und woher kommst du?“

Hilflos blickte sie um sich, suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, sich ihm mitzuteilen. Sie wollte ihn durch ihr Schweigen nicht verärgern. Schließlich zeigte sie in die Richtung der von Bränden schwelenden Stadtmauern Budas und blickte ihn traurig an.

Er schien zu verstehen, was sie ihm mitzuteilen versuchte. Doch er sah sie mit einer Mischung aus Unglauben und Ärger an.

Seine Augen verengten sich und er verschränkte die Arme vor der Brust, was ihn noch bedrohlicher erscheinen ließ.

„Gehörst du etwa zu diesem Türkenpack?“, fragte er gefährlich ruhig.

Erschrocken über seine Reaktion, schüttelte sie den Kopf und hoffte, er würde ihr glauben.

Der Hüne strich sich nachdenklich über den vollen, dunklen Bart. Er schien sich nicht sicher zu sein, ob er Freund oder Feind vor sich hatte.

„Kannst du nicht sprechen, Junge?“

Rasch schüttelte sie den Kopf.

Er stöhnte auf und fragte: „Aber du verstehst meine Worte?“

Kopfnickend sah sie ihn an, versuchte das heftige Pochen ihres Herzens in den Griff zu bekommen und wartete ängstlich seine Reaktion ab.

„Also gut, Junge. Vorerst werde ich dir Glauben schenken. Du kommst mit mir“, sprach er und griff nach ihrem Arm. Doch sie war schneller. Sie duckte sie sich unter seinem Arm hindurch und ergriff die Flucht.

Laut fluchend setzte der Mann ihr nach und packte sie nach nur wenigen Schritten am Genick.

Wild strampelnd versuchte sie sich zu befreien, doch alles Treten half nichts, er war viel zu kräftig. Ganz nah an ihrem Ohr hörte sie seine drohenden Worte: „Ich rate dir, dich zu benehmen! Ansonsten werde ich andere Saiten aufziehen und glaube mir, das möchtest du nicht erleben.“

Grob presste er seine Finger in ihren Nacken. Verzweifelt versuchte sie die Tränen zurückzuhalten.

„Hast du mich verstanden?“, zischte er ihr ins Ohr und drückte noch ein klein wenig fester zu.

Mit einem leisen Keuchen nickte sie und betete zu Allah, der Riese möge sie sogleich umbringen.

Doch dieser ließ sie augenblicklich los, umfasste stattdessen erneut ihren Arm und zog sie in raschem Tempo mit sich.

Verwirrt griff sie sich an den schmerzenden Nacken und konzentrierte sich darauf, nicht hinzufallen.

Ohne sie eines Blickes zu würdigen, zog er sie grob durch die riesige Zeltstadt der Habsburger. Fassungslos blickte sie um sich, betrachtete die merkwürdige Kriegsmaschinerie. Sie war entsetzt über das riesige Ausmaß des Lagers und mit jedem Schritt wuchs ihre Angst.

Stets hatte sie Gerüchte über die Stärke des Kaiserlichen Heeres gehört. Nun, da sie der Krieger an schier endlos erscheinenden Reihen von Zelten vorbei führte, die von zahlreichen Lagerfeuern erhellt wurden, schenkte sie sämtlichem Gerede Glauben. Die Furcht ließ ihr Herz erneut rasen.

Endlich, nachdem sie schon geglaubt hatte, sie würden ihr Ziel niemals erreichen, verlangsamte der Hüne sein Tempo und blieb vor einem der etwas kleineren Zelt stehen.

Er zog den Vorhang beiseite und bugsierte sie unsanft in das spärlich beleuchtete Innere des Zeltes.

„Matthes!“, hörte sie die erfreute Stimme eines Mannes. Als sie sich nach links drehte, erkannte sie an einem kleinen Tisch mit zwei Stühlen einen blonden, jungen Mann. Er erhob sich hastig und starrte sie neugierig an. Sein irritierter Blick schweifte zwischen ihr und dem Hünen hin und her. Sie ertappte sich dabei, wie sie ihn für attraktiv befand. Doch auch er kam ihr ernst und verschlossen vor, und das blutverkrustete Schwert, das an seinen Hüften hing, wirkte nicht gerade beruhigend.

„Matthes, was hat das zu bedeuten? Wer ist das?“, wollte der Blonde wissen.

„Ich habe ihn draußen beim Herumschnüffeln erwischt“, antwortete Yanas Häscher.

Sie rieb sich erleichtert über den schmerzenden Arm, als er sie endlich aus seinem harten Griff entließ.

„Ein unbedeutender Mulatte aus der Stadt. Er ist stumm, scheint uns aber zu verstehen. Nicht wahr, Bursche?“

Er sah sie aus seinen unglaublich klaren Augen mit solch bohrendem Blick an, dass ihr der Atem stockte. Oh, wenn er doch nur nichts von ihrem Versteckspiel bemerken würde! Glücklicherweise war sie ja stumm, denn sonst hätte ihre Stimme vor Furcht sicherlich versagt.

Schnell nickte sie und schluckte die Angst tapfer hinunter.

„Gut“, meinte Matthes und wandte sich dann an den Unbekannten. „Lass uns essen, mein Freund. Ich bin hungrig wie ein Bär.“

„Freu dich, Matthes! Es gibt frisches Fleisch! Endlich, nach so langer Zeit wieder etwas Rechtes zu essen.“ Der Blonde schenkte roten Wein in zwei schmucklose Messingkelche.

„Junge, du wirst ab jetzt nur Befehle von mir oder Ruben entgegennehmen“, sagte er und deutete dabei auf den Blonden und sich selbst. „Hast du verstanden?“

Rasch nickte sie und senkte den Blick. Es war ihr unangenehm, von diesen Männern so angestarrt zu werden.

„Hat er überhaupt einen Namen?“, fragte Ruben, während er sein Schwert abnahm und es auf einen Haufen aus Rüstungen und Waffen hinter sich legte.

Der Hüne zuckte mit den Schultern und setzte sich an den Tisch. „Er wird ihn uns wohl kaum sagen können.“

Auch Ruben setzte sich und nahm einen großen Schluck Wein. Mit einem wohligen Seufzer ließ er den Kelch auf die Tischplatte knallen. Der Wein schwappte über den Rand und färbte das Holz rötlich.

Die Männer beachteten sie nicht weiter, sondern widmeten sich den Speisen auf dem Tisch und tauschten derbe Witze und Geschichten aus.

Yana hörte jedoch nicht hin. Sie stand noch immer in der Mitte des Zeltes und wusste nichts mit sich anzufangen. Sollte sie sich auf den Boden setzen oder doch besser stehen bleiben? Würden sie ihr Verschwinden überhaupt bemerken, wenn sie jetzt das Zelt verließe?

Sie ballte die Hände zu Fäusten und zwang sich zur Ruhe. Sie durfte jetzt nicht in Panik geraten. Solange niemand bemerkte, dass sie eine Frau vor sich hatten, war alles gut, versuchte sie sich selbst zu beruhigen.

Matthes laute Stimme ließ sie zusammenzucken. „Bist du jetzt etwa auch noch taub, Bursche?“, fragte er sie ärgerlich.

Zitternd schüttelte sie den Kopf und sah ihren neuen Herrn entschuldigend an.

Ruben, der es sich auf dem Stuhl gemütlich machte und seine Beine weit von sich streckte, verzog das Gesicht zu einer spöttischen Grimasse und meinte: „Was für einen Dummkopf hast du uns da bloß angeschleppt, Matthes?“

Sie fühlte sich ob seiner Beleidigung gekränkt, wenngleich sie wusste, dass dies lächerlich war. Da sie sich verbal nicht verteidigen konnte, begnügte sie sich mit einem bösen Blick in Rubens Richtung.

Matthes schnaubte genervt auf. „Schluss jetzt. Dort drüben liegen unsere Rüstungen und unsere Waffen. Nimm dir den Lappen und den Eimer dort und fang an zu putzen. Ich will keinen einzigen Fleck mehr sehen!“

Sein barscher Ton ließ Yanas Herz vor Furcht toben und mit zitternden Händen griff sie nach dem dreckigen Lappen über dem Eimer, kniete sich hin und begann hektisch die Rüstungsteile zu reinigen.

Stumm arbeitete sie vor sich hin, lauschte den Gesprächen der Männer, die sich noch immer am Wein gütlich taten, verstand jedoch deren Sinn nicht. Sie sprachen von Kavallerie und Infanterie, von Mörsern, Arkebusen und Musketen, von Strategien und damit einhergehenden Gefahren. Die vielen Namen von Offizieren und Fürsten ermüdeten sie. Ihr Herzschlag beruhigte sich allmählich, stattdessen begann ihr Magen zu rumoren und ein dumpfer Bauchschmerz, der nicht mehr weichen wollte, setzte ihr zu. Mit jedem weiteren sauberen Panzerstück wurden ihre Augen schwerer, bis schließlich die Erschöpfung über ihre Angst siegte.

 

Kapitel 3 – 12. September 1684

Buda, Ungarn

 

Hustend und prustend schreckte Yana aus ihrem tiefen Schlummer und rieb sich fröstelnd über das völlig durchnässte Hemd.

Mit Entsetzen starrte sie in die zu Schlitzen verengten Augen des blonden Mannes. Die Arme in die Hüften gestemmt, den leeren Eimer in der Hand – in dem sich kurz zuvor noch Wasser befunden hatte –, stand er strotzend vor Selbstvertrauen vor ihr. „Baran, du Dummkopf, steh auf!“, herrschte er sie an.

Bestürzt stellte sie fest, dass sie wohl über ihrer Arbeit eingeschlafen war. Die Rüstungen waren noch lange nicht sauber. Sie hoffte nur, die beiden Männer würden dies nicht sofort bemerken. Doch glücklicherweise schienen sie andere Sorgen zu haben.

Ruben stieß sie unsanft mit dem Fuß an, als sie nicht sofort reagierte. „Nun mach schon! Hilf uns beim Anlegen der Rüstung“, verlangte er ungeduldig.

Yana spürte eine große Unruhe von ihm ausgehen. Dennoch grinste er den Bärenmann überheblich an, als dieser ihn fragte, seit wann ihr neuer Sklave den Namen Baran trüge.

„Baran ist polnisch“, erklärte er, während er spöttisch den Mundwinkel verzog. „Es bedeutet Schafbock, oder einfach Dummkopf.“

„Ha!“, rief Matthes so laut aus, dass sie erschrocken zusammenzuckte. „Das gefällt mir! Ein Name, der zu dir passt, nicht wahr, Baran?“

Am liebsten hätte sie ihm das dreckige Grinsen aus dem Gesicht gewischt, doch sie hielt ihre Wut im Zaum, presste fest die Zähne aufeinander und rappelte sich mit steifen Gliedern hoch.

Mit einem prüfenden Blick stellte sie erleichtert fest, dass die Bandagen um ihre Brust nicht so stark durch das nasse Hemd hindurchschimmerten wie befürchtet. Erleichtert dankte sie in Gedanken Allah und beeilte sich, ihrer Arbeit nachzukommen.

 

Es war harte Arbeit, den Männern in die schweren Kettenhemden zu helfen, die sie über einem einfachen Wams trugen. Schultern und Arme wurden von Eisenplatten bedeckt, Rumpf und Beine blieben jedoch weitgehend ungeschützt.

Nachdem sie erst Ruben geholfen hatte, schleppte sie nun das zweite Kettenhemd zu Matthes, der sich über der Waschschüssel wusch.

Verstohlen betrachtete Yana seinen muskulösen, breiten Oberkörper. Sie beobachtete fasziniert das Schauspiel seiner angespannten Muskeln und hatte keine Zweifel: Dieser Mann war tödlich. Zahlreiche, längst verblasste Narben zeugten von seiner Mordlust und ließen Yana frösteln.

„Gib mir mein Wams“, befahl er und unterbrach sie in ihrer Musterung. Unbeholfen verlagerte sie das Gewicht des Kettenhemdes auf einen Arm und versuchte mit dem anderen das nicht minder schwere Lederwams hochzuhieven. Unter Aufbringung aller Kraft schaffte sie es knapp, ihren Herrn zu erreichen. Mit einem lauten Schnauben riss er ihr das Wams aus der Hand und zog es sich kopfschüttelnd über das einfache Hemd, das er in der Zwischenzeit übergestreift hatte.

„Ruben, komm und hilf du mir, der Dummkopf hier bricht uns sonst noch zusammen.“

Yana hoffte, die Männer würden ihre vor Zorn geröteten Wangen nicht bemerken. Mit geneigtem Kopf kam sie seiner Aufforderung nach, das Zelt aufzuräumen. Wenigstens dazu war sie in der Lage.

 

Als beide Männer vollständig bekleidet waren, packte Matthes ihren Arm und sah sie mit zusammengekniffenen Augen scharf an. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals und sie wollte sich am liebsten seinem harten Griff entwinden.

„Du wirst hierbleiben und dich nützlich machen“, meinte er und gab ihren Arm frei. „So Gott will, werden wir heute Abend wiederkehren.“ Seine Stimme war emotionslos und kalt. Ganz anders als in den Momenten, wenn er mit Ruben begeistert über die gewonnenen Schlachten sprach.

Verunsichert sah sie den beiden Männern nach, die ihr keine Beachtung mehr schenkten und ohne ein weiteres Wort das Zelt verließen.

Ihr Herz schlug plötzlich noch schneller, ihre Glieder zitterten vor Aufregung. Das war ihre Chance zur Flucht! Niemand würde die Anwesenheit eines jungen Sklaven im Lager in Frage stellen. Sie würde sich einfach aus der feindlichen Linie schleichen und nach Waitzen gehen.

Sie straffte die Schultern, versuchte ihre hektische Atmung zu beruhigen, packte zur Tarnung den zerbeulten Eimer und trat aus dem Zelt in die wärmende Morgensonne.

Ein geschäftiges Treiben herrschte im Lager, die Soldaten bereiteten sich auf den Kampf vor, die Sklaven und Diener brachten ihren Herren Brot und Dünnbier und gingen ihnen helfend zur Hand.

Das vertraute Zirpen der Heuschrecken, der Ruf der Amseln und das Rauschen des Laubes in den Baumkronen vermittelten den Anschein absoluter Normalität. Und doch erkannte Yana die Umgebung kaum wieder. Nur wenige Monate zuvor hatte sie noch auf dieser Wiese mit ihren Freundinnen Blumenkränze geflochten und die herumtollenden, jungen Ziegen beobachtet.

Energisch verscheuchte sie diese Erinnerungen. Das alles war Vergangenheit und es half niemandem, dieser nachzutrauern. Schnellen Schrittes lief sie um das Zelt herum, Richtung Norden, wo sie einen alten Ziehbrunnen vermutete, an dem früher die Hirten ihre Tiere zu tränken gepflegt hatten.

Da entdeckte sie auch schon in der Ferne den hoch in die Luft ragenden Stamm des Brunnens. Erleichtert eilte sie zwischen den Zelten hindurch in dessen Richtung, stets darauf bedacht, nicht aufzufallen.

Endlich hatte sie den Brunnen erreicht, neben dem ein gut acht Ellen hoher Stamm in den Himmel ragte. An diesem war eine lange Stange mit einem Schöpfeimer befestigt. So einfach dieses Konstrukt auch war, es erleichterte die Arbeit erheblich.

Sie stellte den Eimer auf die Brunnenumrandung, beugte sich über den Rand des Reservoirs und blickte hinab in den dunklen Schlund. Einen Moment lang genoss sie die Wärme, welche die Steine der Brunnenumfassung ausstrahlten, bevor sie sich auf ihr eigentliches Ziel besann.

Angestrengt überlegte sie, in welcher Richtung Waitzen wohl lag. Die Donau entlang, hatte die Mutter gesagt. Mit zusammengekniffenen Augen blickte sie in die Ferne. Plötzlich schien ihr alles völlig fremd, nichts war mehr an Ort und Stelle, alles hatte sich verändert. Verunsichert rutschte sie von den Steinen herunter und wollte sich in die Richtung begeben, in der sie die Donau vermutete.

„Hast du meine Worte etwa bereits vergessen?“ Ihre Nackenhaare sträubten sich, als sie seine donnergrollende, düstere Stimme so unerwartet traf.

Mit pochendem Herzen blieb sie stehen und sah angestrengt um sich. Sie entdeckte ihn im Schatten der Zelte. Mit verschränkten Armen stand er dort und beobachtete sie.

Langsam schritt er auf sie zu. Seine Miene war ernst, ließ jedoch nicht erkennen, ob er wütend war oder nicht. Ihr Herz schlug immer heftiger in ihrer Brust. Als er vor ihr zum Stehen kam, hatte sie das Gefühl zu ersticken. Sein bloßes Erscheinen verursachte in ihr das Bedürfnis zur Flucht.

 

Matthes wurde aus der Erscheinung des Jungen nicht schlau. Er schätzte ihn auf fünfzehn oder sechzehn Jahre, auch wenn er etwas Schwächliches, sehr Kindliches an sich hatte.

Er sah nicht aus wie ein Türke, aber eben auch nicht wie ein Deutscher oder Ungar. Womöglich war er ein Mischling, ein ungeliebter Bastard.

Die Tatsache, dass er der deutschen Sprache mächtig war, sprach allerdings für ihn. Und zudem hatte Matthes schon immer etwas für verstoßene Bastarde übriggehabt. Sie erweckten sein Mitgefühl.

Nun ärgerte er sich jedoch über den Jungen. Ohne lange nachzudenken, holte er aus und verpasste ihm eine Ohrfeige.

Verwirrt griff sich der Bursche an die glühende Wange und starrte ihn an. Es hatte beinahe den Anschein, als wollte er den Mund öffnen, um etwas zu sagen. Doch er presste die Lippen sofort wieder fest aufeinander und blickte zu Boden.

Matthes hatte den Jungen lange genug beobachtet, um dessen Plan zu durchschauen. Dessen suchende Blicke waren ihm nicht entgangen. Er hatte bereits vermutet, dass der Bursche nicht kampflos aufgeben würde. Der Widerstandswille des Jungen war ihm bereits nach der ersten Begegnung aufgefallen.

Deshalb hatte er sich dazu entschieden, ihn zu beobachten und notfalls einzugreifen.

„Lass dir das eine Lehre sein.“ Grob packte er den Jungen am Arm und schüttelte ihn, sodass dieser erschrocken aufsah. „Untersteh dich, erneut wegzulaufen“, sprach er und fuhr drohend fort: „Du würdest es schmerzlich bereuen.“

Mit geweiteten Augen sah ihn der Junge an und nickte zögerlich.

Matthes war zufrieden. Seine Drohung schien Wirkung zu zeigen, denn der Junge griff zum Schöpfeimer und goss das Wasser in den zerbeulten Putzeimer.

Matthes machte einen Schritt zur Seite und nickte mit dem Kopf in Richtung seines Zeltes.

Gehorsam hob der Junge den Eimer auf und lief hastig los.

Matthes folgte ihm mit etwas Abstand und schüttelte verärgert den Kopf. Der Bursche sah nicht nur schmächtig und schwächlich aus, allem Anschein nach war er dies auch. Der Eimer schlug immer wieder gegen seine Beine. Er hatte ganz offensichtlich große Mühe das Gewicht zu stemmen.

„Halt, Junge“, rief er ihm zu und ärgerte sich darüber, dass er Mitleid mit dem Dummkopf empfand.

Dieser blieb nur widerwillig stehen, die Angst stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.

Kopfschüttelnd griff Matthes nach dem Henkel des Eimers.

„Mach, dass du vorwärts kommst!“, befahl er dem Jungen knurrend, der beschämt vor sich hinstarrte.

Zum Teufel, dachte Matthes verdrießlich. Was hatte er sich da nur für eine Bürde auferlegt?

Er wurde allmählich ungeduldig, er hätte längst auf dem Schlachtfeld seine Position einnehmen müssen. Stattdessen musste er sich hier mit dem kleinen Spion herumschlagen.

Energisch schob er den Burschen ins Zelt und stellte den Eimer ab. Er traute dem Jungen nicht, und nach dem Vorfall geradeeben, war er sich sicher, dass dieser jede Gelegenheit zur Flucht nutzen würde. Wenn der Jüngling tatsächlich ein Spion war, durfte er auf keinen Fall zulassen, dass dieser das Lager verließ. Im Normalfall hätte er ihn dem Oberst übergeben. Matthes wusste jedoch, dass einem vermeintlichen Spion in Kriegsgefangenschaft Schreckliches angetan wurde – gleichgültig, wie jung dieser war.

Entschlossen packte er den Jungen am Arm und führte ihn zur Mitte des Zeltes.

„Du wirst hierbleiben“, meinte er drohend und ließ das metallene Schloss um den mageren Fußknöchel des Jungen zuschnappen.

 

Entsetzt keuchte Yana auf und starrte den Hauptmann entgeistert an. Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Er wollte sie hier anketten wie einen räudigen Köter?

Sie funkelte ihn wütend an und rüttelte mit ganzer Kraft an den Ketten, welche am Mittelstamm des Zeltes befestigt waren. Sie wollte ihn anschreien, ihm die Meinung sagen. Nur unter Aufbringung des letzten Quäntchens Selbstbeherrschung konnte sie den Mund halten.

Tränen des Zorns stiegen ihr in die Augen und als sie sicher war, dass er sie nicht mehr hören konnte, verfluchte sie ihn auf das übelste.

Zitternd vor Wut saß sie auf dem nackten Boden und wünschte sich verzweifelt zurück in die warmen Arme ihrer Mutter; zum schutzspendenden Baum im Paradies.

 

***

 

Schon von weitem hörte Yana die Soldaten von der Schlacht nach Hause kommen. Laut grölend und feiernd kehrten sie zurück. Anscheinend war das Ergebnis des Tages zufriedenstellend.

Traurig dachte sie an ihre Mutter. Ob sie sich hatte retten können? Waren die Kaiserlichen schon in die Stadt eingefallen oder hatten die Osmanen die Stellung halten können?

Ihr Magen begann laut zu rumoren – ob vor Sorge oder Hunger, konnte sie nicht so genau einordnen.

Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe, als der Vorhang des Zeltes zur Seite geschoben wurde und die beiden Männer laut grölend eintraten.

Ihren stummen Sklaven beachteten sie gar nicht. Matthes, einen Krug Wein in der Hand, prostete Ruben freudig zu und nahm einen kräftigen Schluck, bevor er das Gefäß seinem Freund in die Finger drückte.

Mit Schwung ließ er sich auf einen der Stühle fallen und seufzte zufrieden.

„Jetzt noch ein williges Weib und der Tag könnte nicht besser sein!“, grölte er.

Ruben erwiderte nichts darauf, er trank den Krug in einem Zug aus und donnerte ihn auf den Tisch, woraufhin Yana erschrocken zusammenfuhr.

Matthes erhob sich langsam von seinem Platz und machte grinsend einen Schritt auf sie zu.

„Und wie war dein Tag, Bürschchen?“, fragte er mit deutlichem Hohn in der Stimme.

Oh, wie gerne hätte sie ihm die Meinung gesagt! Sie strafte ihn mit einem vernichtenden Blick und hielt sich mit letzter Willenskraft davon ab, ihm die Zunge herauszustrecken.

Er beugte sich, noch immer dreckig grinsend, zu ihr herab und löste die Ketten. Er roch nach Schweiß und Blut, dem Duft des Krieges. Das alles hätte sie abschrecken sollen, doch da war noch etwas anderes. Ein männliches, herbes Aroma stieg ihr in die Nase und vernebelte ihr die Sinne.

„Steh auf und mach dich an die Arbeit. Und denk an meine Worte von heute Morgen!“, befahl er und riss sie jäh aus ihrer geistigen Umnachtung.

Ich verliere hier noch den Verstand, dachte sie, als sie sich den Eimer schnappte und so schnell wie möglich das Weite suchte.

 

***

 

Das Verhalten der Soldaten machte ihr Angst. Sie saß mit einem Berg blutverkrusteter Rüstungen vor dem Zelt und beobachtete kritisch das Treiben der Kriegsmänner am Lagerfeuer. Sie tranken, fluchten und rülpsten, prosteten sich mit derben Sprüchen zu und beglückwünschten sich gegenseitig zur erfolgreichen Abschlachtung der Türkenschweine, wie sie es nannten.

Yana ängstigte diese offensichtliche Feindseligkeit ihrem Volk gegenüber nicht nur. Nein, es schürte auch ihren Hass auf die Fremden, die es wagten ihre einst so heile Welt zu zerstören. Nun gut, ganz so heil war sie nicht gewesen, aber trotzdem – dieses prahlerische Verhalten reizte sie bis aufs Blut.

Sie presste die Zähne so fest aufeinander, bis es knirschte, und putzte energisch den verdreckten Brustschild.

Plötzlich gesellte sich eine dralle Braunhaarige zu den Männern ans Feuer. Ihr gekonnter Hüftschwung und ihre koketten Blicke machten ihre Absichten deutlich.

Yana fühlte, wie ihre Wangen zu glühen begannen, als sich die Frau lasziv auf Matthes' Schoß setzte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Sie konnte deren Worte aufgrund des Gegröles der Männer nicht verstehen, doch Matthes schien offensichtlich Gefallen daran zu finden. Mit einem Grinsen auf den Lippen erhob er sich und ließ dabei die Braunhaarige von seinen Beinen gleiten. Auch sie schien zufrieden, bedeutete ihm kokett, ihr zu folgen, und verschwand tänzelnd in der Dunkelheit. Matthes ging ihr nach.

Yana begriff nicht, wieso, doch sie verspürte mit einem Mal eine schmerzhafte Leere in sich. Sie begriff nicht, was dieses Gefühl bedeutete. Es musste die Trauer über ihre Verluste sein, entschied sie, und spuckte auf das bereits glänzende Metall vor sich, um es erneut zu polieren. Vergeblich suchten ihre Augen die Umgebung nach Ruben ab. Er war nirgends zu entdecken, sie war den anderen Männern gänzlich ausgeliefert.

Sie betete zu Allah, er möge sie vor diesen Wilden beschützen und dafür sorgen, dass ihre Tarnung nicht aufflog. Sie konnte sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, was die Soldaten andernfalls mit ihr tun würden.

Ihr Blick wanderte weiter über die Köpfe der Männer hinweg und blieb an einem der Reichsbanner haften. Angriffslustig prangte der schwarze, doppelköpfige Adler auf goldgelbem Grund und schien sie zu verspotten.

Jetzt gab es kein Zurück mehr; sie saß im Nest des Adlers.

 

Kapitel 4 – 22. September 1684

Buda, Ungarn

 

Zehn verdammte Tage war Yana nun schon in den Fängen dieser Wilden. Der Geruch des Schießpulvers und der brennenden Stadtmauern erfüllte das Lager und verdrängte allmählich den penetranten Gestank nach menschlichen Ausscheidungen.

Wie jeden Tag saß sie, angekettet wie ein Tier, auf dem staubigen Boden des Zeltes und langweilte sich zu Tode. Sie hasste die Eintönigkeit. Diese gab ihr zu viel Zeit, der Vergangenheit nachzutrauern, und das machte sie krank.

Es machte sie krank, zu sehen, wie diese Barbaren ihre Beute zur Schau stellten, wie sie die heiligen Geräte aus den Kirchen und Moscheen für niedere Zwecke missbrauchten und entehrten. Doch am schlimmsten war es, mitansehen zu müssen, wie sie Frauen und Kinder als ihre Sklaven hielten. Ein Tier hatte es besser als diese armen Seelen.

Mehr als einmal hatte Yana mitansehen müssen, wie sich die Soldaten auf offener Straße die dunkelhäutigen, hübschen Frauen nahmen. Das Wimmern der jungen Mädchen, das animalische Grunzen der Männer und das rhythmische Aneinanderklatschen von nackter Haut verfolgte Yana bis in ihre Träume.

Sie schüttelte sich vor Grauen und zog ihre Beine enger an ihren Körper heran. Sie spürte, wie sie allmählich vereinsamte. Mit niemandem konnte sie über ihre Ängste und Gefühle sprechen; sie war nur der stumme Baran.

Früher hatte sie es geliebt, stundenlang mit ihrer Mutter zu debattieren oder sich mit ihren Freundinnen über belanglose Dinge auszutauschen.

Sie seufzte laut. Was würde sie dafür geben, diese unbeschwerte Zeit zurückzuerlangen.

Rasch zwang sie sich zu anderen Gedanken. Sie hasste es, wenn sie sich selbst bemitleidete. So hat mich Mutter nicht erzogen, tadelte sie sich selbst.

Hunger. Durst. Das waren, nebst der Einsamkeit, ihre ständigen Begleiter geworden.

Langsam schluckte sie den im Mund mühsam gesammelten Speichel hinunter. Wenigstens ein klein wenig Linderung für ihre trockene Kehle.

Lautes Stimmengewirr hallte plötzlich durch das Lager und sie verspürte beinahe so etwas wie Freude, auch wenn sie dies niemals zugegeben hätte.

Die Soldaten kamen nach Hause. Endlich! Matthes würde sie von ihren Ketten befreien und dann würde sie wie jeden Abend ihre Arbeiten verrichten. Ihre beiden Herren mit Speis und Trank versorgen, Wasser beim Brunnen holen, die Rüstungen und Waffen säubern und das Zelt aufräumen. Monotone, mühselige Arbeit. Aber immerhin hatte sie dann etwas zu tun.

Doch heute war etwas anders, das spürte sie ganz deutlich.

Die ausgelassenen, selbstherrlichen Ausrufe des Erfolges blieben gänzlich aus. Die Stimmung schien geknickt. Yana vernahm vereinzelte Ausrufe des Schmerzes und der Trauer.

In diesem Moment wurde der Zeltvorhang beiseitegeschoben und Ruben trat ein. Matthes stützte sich auf dessen Schulter ab, auf seinem Gesicht ein harter, verbissener Ausdruck. Kleine Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet.

Ruben half seinem Freund sich auf einen der Stühle zu setzen und begann die Verschlüsse von dessen Rüstung zu öffnen.

„Komm her und hilf mir, Baran“, befahl er ihr.

Rasch erhob sie sich mit klirrenden Ketten und eilte zu den beiden. Sie trat neben Matthes und löste eine der Schulterplatten. Vor lauter Dreck und verkrustetem Blut konnte sie kaum etwas erkennen. Doch als sie die Platte wegnahm, wurde ihr bewusst, dass es sich diesmal um Matthes' eigenes Blut handeln musste. Entsetzt starrte sie auf das blutgetränkte Hemd und die darunterliegende Schnittwunde.

„Das muss genäht werden!“, sprach sie besorgt.

Es dauerte einen Moment, bis sie das verdutzte Schweigen der Männer registrierte. Verwirrt sah sie in ungläubige Gesichter.

Nur langsam verarbeitete ihr Gehirn die Information, dass sie ihre Gedanken soeben laut ausgesprochen hatte.

Der Schock traf sie wie ein Blitzschlag. Brennende Hitze stieg in ihr hoch, nur um im nächsten Moment von eisiger Kälte vertrieben zu werden. Panik überkam sie und drohte sie in einen tiefen Abgrund zu stürzen.

Verzweifelt schloss sie die Augen und versuchte vergeblich ihr laut pochendes Herz zu beruhigen. Die Angst hielt sie fest umschlungen.

„Lass uns allein, Ruben“, hörte sie Matthes knurren.

Panisch riss sie die Augen auf und spähte flehentlich in Rubens Richtung. Er würde sie doch nicht bei diesem Wilden zurücklassen?

Ruben zuckte entschuldigend mit den Schultern und sah sie mit einem mitleidigen Ausdruck in den Augen an. Mit gesenktem Kopf verließ er das Zelt.

Fassungslos starrte sie ihm hinterher. Doch als sich Matthes von seinem Platz erhob und sich drohend vor ihr aufbaute, galt ihre gesamte Aufmerksamkeit ihm.

Er ist ein Bär, schoss es ihr durch den Kopf. Als sie das wütende Funkeln in seinen hellblauen Augen entdeckte, wich sie verschreckt einen Schritt zurück.

„Ich … Ich kann das erklären“, begann sie mit bebender Stimme, doch er ließ sie nicht ausreden.

„Schweig!“

Bei seinen barschen, ungewohnt lauten Worten zuckte sie ängstlich zusammen und schloss verzweifelt die Augen. Sofort tauchten Bilder der geschändeten Sklavinnen vor ihrem inneren Auge auf. Würde er mit ihr dasselbe tun, jetzt, da er wusste, dass sie eine Frau war?

Als sie hörte, wie er auf sie zukam, sah sie ihn furchtsam an und wich erneut einen Schritt zurück. Beinahe wäre sie über ihre Ketten gestolpert.

In seinen hellen, kalten Augen sah sie nichts als blanke Wut.

„Bitte“, flehte sie mit tränenerstickter Stimme.

Wie eine Schlange schoss seine Pranke vor, packte sie blitzschnell am Hals und drückte zu. Ihr Kopf donnerte gegen den Mittelpfosten und für einen kurzen Moment verschwamm die Welt vor ihren Augen.

Als sie wieder bei Sinnen war, versuchte sie vergeblich, von ihm wegzurücken und seinem eisernen Griff zu entkommen.

Plötzlich ließ er ihre Kehle los, doch sie hatte sich zu früh gefreut. Mit einem lauten Ratsch riss er mühelos ihr Hemd entzwei. Die einfachen Holzknöpfe fielen dumpf auf den lehmigen Boden und verteilten sich im Zelt.

Mit einem Laut des Entsetzens schloss sie die Augen.

Plötzlich spürte sie etwas Kaltes, Hartes ihren Bauch hochwandern, bis zum Rand der Bandagen um ihre Brust. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, sie glaubte zu ersticken.

Mit einem Ruck schnitt der kalte Gegenstand den Stoff entzwei. Sie fühlte, wie die Bandagen an ihr herunterglitten. Der kalte Luftzug auf ihrer nackten Haut ließ sie frösteln.

Nun war sie sich sicher, ihre Mutter hatte recht; man würde sie schänden und umbringen.

Die Gewissheit des Todes ließ sie seltsamerweise ruhig werden.

Doch als sie Matthes' Hand plötzlich zwischen ihren Beinen spürte und er grob zupackte, riss sie die Augen auf. Mit einer Mischung aus Entsetzen und Abscheu sah sie zu ihm auf und starrte in seine kalten Augen.

Sie stellte einen Wandel seiner Emotionen fest. Die zerstörerische Wut war der gewohnten Gleichgültigkeit gewichen.

Er ließ ihre intime Stelle los und stützte sich über ihr am Pfosten ab, hielt sie mit seinem Körper gefangen.

Ein verächtliches Schnauben und ein abschätziger Blick auf ihren entblößten Busen ließen sie erkennen, wie er über das ihm Dargebotene dachte.

Ohne ein weiteres Wort stieß er sich vom Pfosten ab, drehte sich um und verließ, dem Anschein nach gelangweilt, das Zelt.

Der Sturm der Ereignisse ließ ihr ohnehin schon baufälliges Haus der Gefühle einstürzen.

Das Zittern ihrer Glieder war nicht mehr unter Kontrolle zu bekommen. Erschöpft ließ sie sich am Mittelpfosten hinabgleiten, versuchte so gut wie möglich ihre Blöße zu bedecken und ließ ihrer Verzweiflung freien Lauf. Anfänglich stille Tränen wurden zu hemmungslosen, lauten Schluchzern.

 

***

 

Ruben ging unruhig vor dem Zelt auf und ab. Seine Sorge galt dem Jungen. Oder dem Mädchen. Wie auch immer, er hoffte inständig, dass Matthes seine Emotionen im Griff hatte.

Gerade als er es nicht mehr aushielt und am liebsten ins Zelt gestürmt wäre, um nach dem Rechten zu sehen, trat der Hauptmann mit gleichgültiger Miene hinaus.

Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, ging Matthes an ihm vorbei und lief humpelnd in Richtung der Zelte der Huren. Er muss sich wohl abreagieren, dachte Ruben kopfschüttelnd. Doch das ging ihn schließlich nichts an.

Rasch schob er den Vorhang beiseite und trat in den abgedunkelten Raum.

Wie ein Häufchen Elend saß das Mädchen vor dem Pfosten in der Mitte des Zeltes. Ihre Schluchzer lösten Mitleid und Bedauern in ihm aus. Er hatte es noch nie gemocht, wenn Frauen weinten.

Unschlüssig blieb er vor ihr stehen. Sollte er sie trösten? Er fühlte sich heillos überfordert mit dieser Situation.

Er kniete sich vor sie hin und strich ihr sanft über die Schulter.

Erschrocken zuckte sie zusammen und sah ihn mit vor Angst geweiteten Augen an.

„Hat er dir weh getan?“, fragte er vorsichtig und registrierte besorgt das zerrissene Hemd, das ihren Busen kaum mehr bedeckte.

Erfolglos versuchte sie die Schluchzer zurückzuhalten und schüttelte den Kopf.

Ruben stieß erleichtert die Luft aus. Auch wenn er es seinem Freund nicht zugetraut hätte, so hatte er sich doch ernsthafte Sorgen gemacht.

Als die Tränen des Mädchens kein Ende nehmen wollten, befreite er sie von ihren Fußfesseln und hob sie kurzentschlossen auf seine Arme.

Sie gab einen kurzen Laut der Überraschung von sich, krallte sich dann aber in sein Hemd und ließ ihn gewähren. Er setzte sie vorsichtig auf seiner Pritsche ab.

Er atmete erleichtert aus, als ihre Schluchzer allmählich abflauten. Kommentarlos reichte er ihr eines seiner sauberen Hemden, wandte ihr unaufgefordert den Rücken zu und wartete geduldig.

Auf ihr schüchternes „Danke“ drehte er sich wieder zu ihr um. Er nickte und zog dabei seinen rechten Mundwinkel nach oben.

Auch sie versuchte sich an einem Lächeln, scheiterte jedoch kläglich.

„Matthes lässt sich nicht gerne für dumm verkaufen“, erklärte er.

Bei der Erwähnung seines Namens zuckte sie unweigerlich zusammen.

„Du brauchst keine Angst vor ihm zu haben, er wird dir nichts tun.“ Er sah ihr an, dass sie ihm kein Wort glaubte. Vor lauter Furcht begann sie gar zu zittern.

Ruben strich ihr vorsichtig über den Arm. „Du solltest versuchen zu schlafen.“

Als sie sich gehorsam hinlegte, breitete er fürsorglich eine Wolldecke über ihr aus. Er schenkte ihr ein Lächeln, ehe er das Zelt verließ und sie mit ihren Ängsten und Sorgen allein zurückließ.

 

***

 

Matthes presste die Zähne so fest aufeinander, dass es knackte. Unbändiger Zorn bohrte sich in seine Eingeweide.

Er konnte es kaum fassen: Die kleine Hure hatte ihn tatsächlich die ganze Zeit an der Nase herumgeführt! Und er Idiot hatte auch noch Mitleid mit dem schwächlichen Burschen gehabt. Nun wurde ihm so einiges klar, und er ärgerte sich über sich selbst, dass er ihrer Maskerade Glauben geschenkt hatte.

Woher sie stammte, wusste er noch immer nicht. Sie beherrschte seine Sprache gut, doch der leichte Akzent verriet sie. Aber er würde es schon noch herausfinden, so wahr er Derfflinger hieß!

Energisch schob er den schweren Stoff am Eingang des großen Zeltes zur Seite. Schummriges Licht erfüllte das mit Fellen ausgelegte Freudenzelt und Matthes sog den verruchten, blumig-süßen Duft, der ihm entgegenschlug, genießerisch ein. Zufrieden stellte er fest, dass er der einzige Mann im Zelt war. Dieser Umstand hob augenblicklich seine Laune. Er mochte es nicht, wenn andere Männer dabei zugegen waren.

Mit einem verführerischen Lächeln kam Betty, eine dralle, rothaarige Schönheit, einen hübsch verzierten Kelch in den Händen, auf ihn zu. „Matthes, mein Liebster! Wie schön, dich hier zu sehen“, säuselte sie ihm zu und schenkte ihm einen koketten Augenaufschlag.

Nur zu gern nahm er den Kelch, den sie ihm darreichte, entgegen und trank wie ein verdurstender den süßen Wein. Gedankenverloren starrte er auf den edlen Kelch und betrachtete die im Kerzenschein glänzenden Verzierungen. Wie aus weiter Ferne hörte er Bettys amüsiertes Kichern, fühlte, wie sie ihm den Trinkbecher aus den Fingern nahm und ihm dabei half, sein Kettenhemd und das Wams auszuziehen.

Als sie des blutgetränkten Hemds gewahr wurde, biss sie auf ihre volle Unterlippe und sah ihn besorgt an. „Matthes, solltest du nicht –„ Wortlos drückte er ihr seinen Finger auf die Lippen und bedeutete ihr zu schweigen. Er packte ihren üppigen Leib und presste sie an seine Lenden.

Betty grinste ihn an, ließ ihre Hand zu seinem Schritt wandern und befühlte seine Männlichkeit. Er knurrte in ihren Mund, als er sie zügellos und hungrig küsste.

„Zieh dich aus“, befahl er und Betty kam seiner Aufforderung augenblicklich nach. Der fadenscheinige Stoff fiel von ihren Schultern und entblößte ihre vollen Brüste.

Zufrieden betrachtete Matthes die nackte Frau vor sich und vergaß dabei seine Schmerzen. Doch auch als er sie hart und ungestüm nahm, ließ ihn das Bild des verängstigten Mädchens in seinem Zelt nicht los.

 

***

 

Mit klopfendem Herzen schreckte sie aus ihrem unruhigen Schlaf. Gehetzt ließ sie den Blick umherschweifen, konnte im Halbdunkel jedoch nichts Vertrautes ausmachen. Nur langsam kam ihr zu Bewusstsein, wo sie sich befand. Die brutale Erkenntnis verursachte ihr Übelkeit. Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als sie eine Bewegung neben sich wahrnahm. Panisch versuchte sie ihren Atem zu regulieren und stellte sich schlafend.

„Ich weiß, dass du wach bist“, hörte sie ihn knurren. Augenblicklich brach ihr der Angstschweiß aus. Was sollte sie jetzt tun?

Unvermittelt flackerte der Docht einer Öllampe auf und tauchte das Innere des Zeltes in weiches Licht. Hektisch sah sie sich nach Ruben um, er würde sie ganz bestimmt retten.

„Du wirst mit mir vorliebnehmen müssen“, meinte Matthes jedoch emotionslos und nahm ihr jegliche Hoffnung auf Rettung. Scheinbar gelangweilt stellte er die Lampe auf den Tisch neben dem Bett. Jede seiner raubtierartigen Bewegungen schürte ihre Angst.

Plötzlich wurden seine Gesichtszüge weicher. Er zog einen Stuhl ans Bett heran und setzte sich neben sie. Dabei ließ er sie keinen Moment aus den Augen.

Die Panik trieb ihr die Tränen in die Augen und sie suchte vergeblich nach einem Fluchtweg.

„Jetzt, da du ja sprechen kannst, wirst du mir deinen Namen verraten?“, richtete er erneut das Wort an sie.

Die Art, wie er seine Frage stellte, verwirrte sie. Bat er sie tatsächlich um Erlaubnis, ihren Namen zu erfahren? Sie wollte ihn so lange wie möglich gnädig stimmen. Also schluckte sie den Kloß in ihrem Hals hinunter und antwortete gehorsam: „Yana.“

„Yana“, wiederholte er. Ihren Namen aus seinem Mund zu hören, war seltsam. Es klang irgendwie falsch. Doch sie unterdrückte den Impuls, ihn zu korrigieren.

„Also, Yana, gehörst du zu den Türken, den Ungarn, oder bist du Jüdin? “, begann er das Verhör.

Erneut drohte die Angst von ihr Besitz zu ergreifen. Sie überlegte verbissen, welche Antwort ihn zufriedenstellen würde. Doch er sah sie mit solch durchdringendem Blick an, dass ihr sämtliche Lügen im Halse stecken blieben.

Als hätte er ihre Absicht erkannt, meinte er: „Keine Unwahrheiten mehr!“

Sie schloss verzweifelt die Augen. Nichts konnte schlimmer sein als die Wahrheit, dachte sie.

Völlig unerwartet griff er grob nach ihrem Kinn. Trotz fest aufeinander gepresster Lippen entkam ihr ein Wimmern.

„Yana“, ermahnte er sie drohend. „Sieh mich an und sag mir die Wahrheit.“

Als sie seinem Befehl nachkam, kullerten die Tränen ihre Wangen hinab.

Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck ließ er sie los und wartete auf ihre Erklärung.

Stockend begann sie zu erzählen. „Ich bin in Buda aufgewachsen … Meine … Meine Mutter ist Türkin.“ Nach diesen Worten hielt sie inne. Er zeigte keinerlei Reaktion, sah sie nur weiterhin emotionslos an.

„Mein Vater ist … Er war Armenier. Er hat viele Jahre in Wien gelebt und mir eure Sprache beigebracht.“

„Lebt er noch?“, fragte er.

Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie geglaubt, so etwas wie Mitleid in seinem Blick zu sehen.

Sie schüttelte den Kopf.

„Wie ist er gestorben?“

„Die Pest“, antwortete sie knapp.

Er nickte verstehend.

Nach einer kurzen Pause ergriff er erneut das Wort: „Nicht jeder Türke ist zwangsläufig mein Feind. Und nicht jeder Armenier mein Freund. Du wirst dir mein Vertrauen erarbeiten müssen.“

Yana schluckte. Sie konnte nicht ermessen, was dies für sie bedeutete.

„Ich verspreche dir, dass ich niemandem deine Identität preisgeben werde. Es liegt in deinem Interesse, wenn dich die Soldaten weiterhin als den stummen Baran sehen, oder nicht? Wenn du schlau bist, sorgst du dafür, dass keiner erfährt, dass du eine Frau bist.“

Er hielt die Fetzen ihrer Bandagen hoch und fragte: „War das deine Idee?“

Sie schüttelte den Kopf und fühlte, wie ihre Wangen zu glühen begannen. „Meine Mutter“, flüsterte sie kaum hörbar.

Matthes brummte etwas Unverständliches vor sich hin, ehe er meinte: „Eine kluge Frau. Sie hat dir damit womöglich das Leben gerettet.“

Yana sah auf ihre im Schoß gefalteten Hände, als ihre Sicht allmählich verschwamm. Sie vermisste ihre Mutter so wahnsinnig. Tuba hätte ihr die Kraft und den Mut gegeben, den sie jetzt so dringend benötigte.

Ein schmerzverzerrtes Stöhnen riss sie aus ihren trüben Gedanken. Matthes hievte sich mit verkniffenem Gesichtsausdruck vom Stuhl. Es war offensichtlich, dass er schlimme Schmerzen hatte.

„Zieh dich an“, befahl er wortkarg und warf ihr die Stoffstreifen zu. „Ich warte draußen.“

Sie stieß erleichtert die Luft aus, als der Vorhang des Zeltes hinter ihm zufiel. In Matthes' Gegenwart schien ihr das Atmen ungeheuer schwer zu fallen.

Eilig zog sie Rubens Hemd aus und begann ihren Oberkörper, so gut es ging, in die Bandagen zu wickeln.

 

***

 

Der Hauptmann schien es eilig zu haben. Sie konnte kaum Schritt halten, als er sie durch das undurchsichtige Labyrinth von Zelten und Baracken führte.

Der Mond stand rund und hell am Himmel und erleuchtete ihren Weg, der sie an Lagerfeuern und Versorgungsstationen vorbei führte.

Vor einem großen Zelt, aus dem das hektische Flackern unzähliger Kerzen drang, blieb er endlich stehen. Aufgrund des bestialischen Gestankes und der lauten Schreie erkannte Yana sofort, dass es sich um das Lazarett handelte.

Sie sah Matthes mit geweiteten Augen an und schüttelte heftig den Kopf. Sie weigerte sich beharrlich, diesen furchtbaren Ort zu betreten. Doch Matthes schob sie unbeeindruckt hinein.

Erneut war sie dazu verdammt, den stummen Baran zu mimen. Sie bedachte Matthes mit einem zornigen Blick, machte dann aber gute Miene zum bösen Spiel.

Die Zustände in der Krankenstation waren erschreckend. Männer und Frauen in grauen Kitteln und Schürzen rannten von einem Bett zum anderen und wirkten heillos überfordert.

Mit Entsetzen starrte Yana auf verstümmelte, teils amputierte Körperteile, auf eiternde und blutende Wunden und in vor Schmerz verzerrte Gesichter. Das Elend und Leid dieser Männer ging ihr nahe. Viel zu nahe. Es waren ihre Feinde, jeder von ihnen hätte der Mörder ihrer Mutter sein können. Jeder von ihnen war womöglich ein Vergewaltiger. Trotzdem erregte der Anblick dieser hilflosen Männer ihr Mitleid.

Matthes packte sie am Arm und zog sie weiter. „Nicklaus“, rief er, woraufhin sich ein hagerer, bereits ergrauter Mann in fleckiger Schürze zu ihm umdrehte. Kurz flackerte Freude in den müden Augen auf. „Ich chum grad!“, rief er und wandte sich wieder seinem Patienten zu. Der merkwürdige Dialekt des Mannes ließ Yana schmunzeln und einen kurzen Augenblick ihre Kümmernis vergessen.

Matthes setzte sich auf einen Stuhl neben einem Behandlungstisch. Interessiert betrachtete Yana die vielen merkwürdigen Gegenstände, die darauf lagen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie etwas Vergleichbares gesehen. Ohne über mögliche Konsequenzen nachzudenken, ließ sie ihre Finger über die Gerätschaften wandern.

„Baran!“, schnauzte Matthes sie an. Vor Schreck ließ sie den silbernen Gegenstand, der die Form eines kleinen Hammers hatte, fallen.

Matthes schlug nicht fest zu, dennoch trieb ihr seine Ohrfeige die Tränen in die Augen und sie griff sich an die schmerzende Wange. Vorsichtig hob sie das Utensil hoch und legte es zurück an seinen Platz. Dabei wagte sie es nicht, ihren Herrn anzusehen. Als sie zwei starke Hände auf ihren Schultern spürte, zuckte sie verschreckt zusammen. „Na, na, nur keine Angst, Buebli!“, hörte sie die sympathische Stimme des Feldschers hinter sich. „Matthes, ich habe leider keine Zeit für dich, du gsehsch ja, was hier los ischt!“

Matthes nickte Nicklaus verstehend zu. „Darf ich mich bedienen?“, fragte er und deutete auf den Tisch mit den Utensilien.

„Natürlich! Der Bursche hier“, der Mann klopfte Yana auf die Schulter, „kann dir ja zur Hand gehen.“ So schnell, wie er aufgetaucht war, verschwand der Feldscher auch wieder zwischen den Betten.

„Na, dann“, meinte Matthes, begann sein Hemd aufzuknöpfen und entblößte seine gebräunte, muskulöse Brust, die mit einem Flaum dunkler Haare bedeckt war.

Yana blieb verunsichert und mit glühenden Wangen stehen. Sie verstand nicht, was er vorhatte.

„Du hast ihn gehört“, sagte er und deutete mit dem Kopf auf das kleine Tischchen neben sich. „Du hast selbst gesagt: Die Wunde muss genäht werden. Also, worauf wartest du noch?“

Yanas Gesichtszüge entgleisten vollends. Sie schüttelte heftig den Kopf. Das konnte er nicht von ihr verlangen! Sie wusste doch gar nicht, wie man eine Wunde nähte!

Wie gebannt starrte sie auf die klaffende Wunde, die nun frei lag. Matthes' Gegner hatte genau die Stelle zwischen Schulterplatte und Kettenhemd getroffen. Yana war zwar keine Heilerin, doch selbst ein Laie konnte erkennen, dass hier sofort gehandelt werden musste.

Sie versuchte das Zittern ihrer Hände in den Griff zu bekommen, doch sie bekam den Faden einfach nicht durch die Öse der Nadel. Sie zuckte verschreckt zusammen, als

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Mia Mazur
Bildmaterialien: Fotolia: Coffee in Turkish style © yuliakotina / dependence3 © GaidenkoElena
Lektorat: Petra Förster
Tag der Veröffentlichung: 30.03.2015
ISBN: 978-3-7438-0117-2

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