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Kapitel 1 - 11. Juli 1683

Hainburg, Österreich

 

Der Rauch der brennenden Hainburg verdunkelte den Himmel.

Kara Mustafa Pascha blickte zufrieden zur Hainburg empor, deren Mauern nun endlich, nach stundenlangem Kampf, nicht mehr standhalten konnten und einstürzten. Allah musste sehr zufrieden sein mit seinem heiligen Werk. Seine tapferen osmanischen Krieger führten Allahs Willen aus und schlugen diese gottlosen Christen ohne Gnade nieder. Sicher führten sie ihre Krummsäbel gegen die hysterische Menschenmasse.

Kara Mustafa blickte gen Himmel und dankte Allah für den Erfolg. Nicht mehr lange und dieser Heilige Krieg würde seinen Höhepunkt erreichen, wenn al-Qahhār, der Alles-Bezwinger, ihm den Sieg über die Christenstadt Wien schenkte. War die Stadt erst unter Kontrolle der Anhänger des Islams, würden auch diese Ungläubigen Allahs Macht erkennen müssen. Zufrieden wandte sich der Großwesir von der Schlacht ab und begab sich zurück zu seinem Zelt.

 

***

 

Thomas hatte Angst. Seine Lungen brannten und er bekam kaum noch Luft. Das metallene Geräusch sich kreuzender Klingen und verzweifelte Hilfeschreie hallten von den alten Mauern wider.

„Lauf schneller, Thomas!“, trieb ihn seine Schwester vorwärts.

Das Fischertor, welches zur Donau und den rettenden Booten in die Freiheit führte, schien in greifbarer Nähe. Thomas wusste, dass das Tor ihre einzige Rettung war. Dort konnten sie mit ein wenig Glück in einem der Fischerboote den Fluss überqueren und in den Auen Schutz suchen.

Er blickte angsterfüllt über seine Schulter. Unzählige verzweifelte Leiber drängten sich hinter ihm zum Eisentor.

Hinter der Menschenmasse waren bereits die ersten Osmanen mit ihren roten Hüten zu erkennen, die mit ihren Krummsäbeln erbarmungslos jeden niedermetzelten. Ob Frauen, Männer oder Kinder, ob alt oder jung - das spielte für diese Barbaren keine Rolle. Die Schreie der Menschen wurden immer verzweifelter; gnadenlos wurden sie hingerichtet.

Endlich hatten Thomas und Anna das verschlossene Tor erreicht. Mit vereinten Kräften zogen sie an der schweren Eisentür. Doch sofort drängten bereits die nächsten Bewohner der Hainburg zum Tor und die Geschwister wurden erbarmungslos gegen das Metall gedrückt. „Oh Gott, bitte hilf uns! So werden wir das Tor niemals öffnen können!“, stöhnte Anna mehr zu sich selbst.

Ein kräftiger, großer Mann schob sich zwischen die Geschwister. „Macht Platz, lasst mich es versuchen!“

Thomas erkannte den Mann als den Schmied der Hainburg. Er packte mit seinen Pranken die Stangen des Tores, platzierte seine Füße am linken Flügel und zog mit aller Kraft die er aufbringen konnte an den Eisenstangen. Dabei stemmte er seinen Rücken gegen die immer näher rückenden Leiber. Normalerweise wäre es ein Leichtes gewesen das kleine Fischertor zu öffnen, die Flügeltür ließ sich jedoch nur nach innen öffnen und die Menschen, die sich alle zum rettenden Tor drängten, machten ein Öffnen unmöglich. Sie saßen in der Falle.

Der Schmied drückte sich immer weiter gegen die panischen Leiber. Mit einem letzten Aufbäumen seiner Kraft öffnete sich das Tor ein kleines Stück.

Anna sah darin ihre einzige Chance und zwängte sich in die kleine Öffnung. Sie war zur Hälfte draußen, da erhöhte sich der Druck des Eisentores um ihre Brust. Sie dachte sie würde zerquetscht werden und betete zu Gott, er möge sie schnell sterben lassen. Plötzlich öffnete sich das Tor ein kleines Stück und sie fiel rückwärts auf den steinigen Boden.

In ihren Ohren hallte das scheppernde Geräusch des zuschlagenden Tores. Anna saß verwirrt auf dem Boden und starrte mit heftig pochendem Herz auf das Tor. Sie hatte es geschafft! Sie war frei.

Die Anspannung fiel einen kurzen Moment von ihr ab und sie fühlte sich federleicht.

Doch als ihr Blick auf ihren Bruder fiel, umklammerte sie die Angst erneut mit eiserner Faust.

Sofort sprang sie auf die Füße. „Thomas!“, schrie sie panisch.

„Anna lauf! Bring dich in Sicherheit! Flieh in die Donauauen. Geh jetzt!“

Verzweifelt umklammerte Anna die Hände ihres kleinen Bruders. Der Tod ihrer beider Eltern hatte die Geschwister zusammengeschweißt. Tränen rollten über ihre Wangen und ihr Herz schien vor Schmerz und Trauer aus ihrer Brust zu springen.

„Mädchen, hör auf deinen Bruder!“, vernahm sie die zitternde Stimme des Schmieds. Der Schweiß rann ihm über das erhitzte Gesicht, sein Hemd klebte ihm eng am Körper und Anna konnte deutlich die Angst in seinen Augen erkennen. „Bring dich in Sicherheit und lauf nach Wien. Los!“

Anna wusste, dass er Recht hatte. Sie konnte für ihren Bruder nichts mehr tun. Ein letztes Mal blickte sie in das Gesicht ihres Bruders.

Sie drückte einen innigen Kuss auf seine Hände.

„Ich liebe dich, Thomas“, hauchte sie. „Bitte verzeih mir!“ Die Tränen verschleierten ihren Blick und sie musste sich zusammenreißen, nicht lauthals los zu schluchzen. Schnell ließ sie ihn los und drehte sich zur Donau um, ehe sie es sich noch anders überlegte. „Bitte, lieber Gott, beschütze meinen Bruder“, flüsterte sie verstört, ehe sie ans Ufer zu den Booten eilte.

„Gott behüte dich, Kind!“, rief ihr der Schmied noch zu, als sie bereits aus seinem Blickfeld verschwunden war.

 

Nun konnte Thomas nicht mehr anders und ließ seinen Tränen freien Lauf. Er verbarg sein Gesicht am Tor und schluchzte verzweifelt. Er wollte noch nicht sterben, doch das schien unausweichlich. Mutlos blickte er um sich, sah den bulligen Schmied, zitternd und angsterfüllt mit dem Rücken zum Tor, dem Tode ins Auge blickend.

Er entdeckte einen Priester, nur wenige Schritte entfernt unter dem Torbogen. Er stand auf einer Kiste und hielt ein Kreuz hoch über seine verzweifelten Schäfchen.

Genauso fühlte sich Thomas. Wie ein Schaf inmitten einer Herde, die zur Schlachtbank geführt wurde.

Thomas bekam noch mit, wie der Priester mit dem Vaterunser anfing und vergeblich die Menschen zu beruhigen versuchte, als eine erneute Welle der Panik die Menge erfasste. Er spürte einen pochenden Schmerz an seiner Schläfe, ehe er bewusstlos in sich zusammenfiel.

 

***

  

Kara Mustafa fuhr sich über den braunen, buschigen Bart. Er schwitzte unter seinem weißen Turban.

Die späte Nachmittagssonne brannte erbarmungslos auf seine Truppen und die unzähligen Leichen, welche die Hainburg mit ihrem Blut tränkten. Ihm missfiel dieser Anblick. Es gab kaum Überlebende. Er tröstete sich jedoch mit dem Gedanken, dass es diese Ungläubigen nicht anders verdient hatten.

Zwei seiner Männer hoben den leblosen Körper eines Jünglings auf und waren im Begriff ihn auf den Leichenkarren zu werfen. Plötzlich schlug dieser die Augen auf und schrie aus Leibeskräften. Die Männer ließen den Jungen vor Schreck fallen und zückten ihre Schwerter, um dem Lärm ein Ende zu bereiten.

„Halt! Lasst den Jungen am Leben. Bringt ihn zu mir“, befahl Kara Mustafa.

Die beiden Soldaten packten den wild um sich schlagenden Jungen an den Schultern und schleiften ihn zu ihrem Großwesir.

„Wie heißt du, Junge?“

Dieser blickte jedoch nur verängstigt um sich und versuchte sich aus den Fängen der Soldaten zu befreien.

„Holt mir den Dragoman!“, wies Kara Mustafa die Männer an. Er betrachtete den verängstigten Jungen genauer. Seine Kleider waren zerrissen und seine Haut darunter war übersät mit blauen Flecken. Es schien so, als hätte der Bursche sehr viel Glück gehabt. Der Wesir nahm es als ein Zeichen Allahs hin. Es musste einen Grund geben, wieso ausgerechnet dieser überlebt hatte.

„Ihr habt nach mir gerufen, mein Herrscher?“, fragte der Dolmetscher höflich, als er an den Wesir herantrat.

„Daniel, mein Freund. Teile mir mit, wer dieser Junge ist und ob er mir nützlich sein könnte. Er ist ganz offensichtlich der türkischen Sprache nicht mächtig.“

„Wie Ihr wünscht, mein Herrscher.“

Daniel sah den Jungen freundlich an. „Du brauchst keine Angst zu haben. Der Wesir möchte wissen, wie du heißt und ob du einem Handwerk nachgehst.“

 

Thomas sah den stattlichen Mann, der in akzentfreiem Deutsch zu ihm gesprochen hatte, erstaunt an. Dieser war mit Sicherheit kein Türke. Der dunkelhaarige Mann trug zwar die rote Jacke wie alle Osmanen, nicht aber die merkwürdig gebauschten Hosen und den eigentümlichen Filzhut.

„Ich… Ich bin Thomas. Thomas Haydn“, stotterte er irritiert.

„Nun Thomas, es scheint, als hattest du großes Glück überlebt zu haben. Sag, wie alt bist du?“, verlangte der Mann zu wissen.

„Ich bin dreizehn, Herr. Ich war Wagnergeselle bei meinem Onkel“, antwortete er dieses Mal selbstbewusster. Gerne hätte er den Mann gefragt, was er hier unter den Feinden zu suchen hatte und wieso die Türken ihm nichts antaten. Doch ein Blick in das harte und verschlossene Gesicht des Mannes genügte, und der Mut verließ ihn.

„Ein Wagner also“, sprach der Mann zufrieden und fuhr fort: „Du hast Glück, Thomas. Das Handwerk eines Wagners kann sehr nützlich sein im Krieg. Ich werde beim Wesir ein gutes Wort für dich einlegen. Wenn er dich am Leben lässt, tu was man von dir verlangt. Hast du das verstanden?“

„Ja, Herr“, antwortete Thomas, noch unsicher, ob er diesem Mann trauen konnte. Wenn er jedoch zu überleben beabsichtigte, blieb ihm wohl nichts Anderes übrig. Vielleicht gelang ihm ja irgendwann die Flucht und er konnte sich auf die Suche nach seiner Schwester machen. Bis dahin war er wohl oder übel ein Gefangener der Osmanen.

Thomas vernahm wieder die fremden und rauen Laute der türkischen Sprache. Er nahm an, dass der merkwürdige Mann dem Wesir seine Worte übersetzte. Der Wesir, mit seinem runden wohlgenährten Bauch, behielt ihn dabei die ganze Zeit im Auge und schien angestrengt zu überlegen. Thomas wurde nervös, als der Wesir einige Worte auf Türkisch sprach und dann in Richtung seiner Häscher nickte. Diese wollten Thomas gerade bei den Schultern packen, als plötzlich ein lauter Schrei die Hainburg erfüllte.

Ein Soldat stolperte aus einem der halb verbrannten Häuser, auf den Armen hielt er eine wild um sich schlagende und laut fluchende Frau. Die zierliche Gestalt war völlig mit Ruß bedeckt.

 

Der Soldat war mit seiner Gefangenen bis zum Großwesir gelangt und versuchte mit aller Kraft eine Flucht der Frau zu verhindern.

Der Wesir betrachtete die Frau eingehend und fragte seinen Soldaten: „Was soll das? Woher kommt dieses Weib?“

„Sie hat sich in einem der Kamine versteckt, mein Herrscher.“

Kara Mustafa rümpfte die Nase und strich sich den Schweiß von der Stirn. Die junge Frau kämpfte noch immer in den Armen des Soldaten um ihre Freiheit. Sie schien recht ansehnlich zu sein, doch was sollte er mit dieser Ungläubigen anfangen? Er packte das Mädchen am Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. Ihre strahlend grünen Augen schienen ihn verhexen zu wollen.

Sie versuchte sich aus seinem Griff zu befreien, trat in seine Richtung und spuckte ihn an.

Überrumpelt ließ er die Frau los und wischte sich ihre Spucke von der Jacke. Zornig holte er mit seiner Hand aus und schlug ihr ins Gesicht.

Das Mädchen hörte augenblicklich auf sich zu wehren und sah den Wesir mir vor Angst geweiteten Augen an.

Angewidert versuchte er den Ruß von seiner Hand an der Hose abzuwischen. Eine Zornesfalte zierte Kara Mustafas Stirn. „Du hast großes Glück, dass ich dank unserem Sieg heute in gnädiger Stimmung bin, Weib! Ich werde Gnade walten lassen und dir das Leben schenken.“ Da wandte sich der Wesir zu Daniel um und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Daniel, mein Freund, ich werde sie dir zum Geschenk machen. Handle mit ihr, wie immer es in deinen Augen richtig erscheint.“

Damit war für Kara Mustafa genug gesagt. Der Großwesir drehte sich um und lief zurück zum Heerlager, zu seinem Zelt. Die Sonne würde schon bald untergehen. Es war Zeit für das Abendgebet.

 

Thomas und das Mädchen hatten nichts von den Worten des Großwesirs verstanden, der Gesichtsausdruck des Dolmetschers verhieß aber nichts Gutes. Wütend blickte er über die versammelten Personen und stieß einen leisen Fluch aus.

Der Griff um Thomas` Schultern wurde fester und er geriet in Furcht.

„Wehr dich nicht, Thomas“, versuchte der Dolmetscher ihn zu beruhigen. „Sie werden dir nichts tun. Sie bringen dich zu den Unterkünften, wo du etwas zu essen und einen Platz zum Schlafen bekommst.“

Thomas gab seinen Kampf frustriert auf und folgte den Soldaten widerwillig zum Lager.

Daniel sah wieder zu der jungen Frau, welche ihn neugierig musterte. Ihr fragender Blick, als sie seine deutschen Worte verstanden hatte, war ihm nicht entgangen. Unter den Schichten von Dreck und Ruß musste sich ein hübsches Gesicht verbergen, dachte Daniel.

„Bring sie in mein Zelt“, befahl er barsch dem Soldaten, der die Frau noch immer festhielt. Dieser nickte und machte sich daran die Frau wegzuschaffen.

Daniel blickte dem Soldaten und dem wild strampelnden und fluchenden Mädchen hinterher.

Jetzt hatte er diese Frau am Hals und musste sich um sie kümmern. Eine solche Ablenkung konnte er wirklich nicht gebrauchen. Doch ein Geschenk des Großwesirs durfte man auf keinen Fall ablehnen. Er musste versuchen aus der Situation das Beste machen.

Wütend stapfte er zum Lager zurück und ließ die Hainburg mit ihren toten Bewohnern hinter sich.

 

***

 

Es war bereits dunkel, als Daniel sein Zelt betrat. Als Gesandter des Sultans hatte er das Vorrecht auf ein eigenes Zelt und besaß auch sonst viele Privilegien. Das Zelt wurde in der Mitte von einem dicken Balken gehalten. Die junge Frau kauerte auf dem Boden, ihre Hände waren hinter ihrem Rücken am Stamm gefesselt.

Erschrocken schnellte ihr Kopf nach oben, als sie ihn bemerkte. Sie folgte wachsam jeder seiner Bewegungen.

„Wie heißt du?“, fragt er barsch.

Kaum merklich zuckte sie zusammen, als er sie so schroff ansprach. „Man nennt mich Helena“, antwortete sie bange.

 

Helena war fasziniert und zugleich eingeschüchtert von der Erscheinung des Dolmetschers. Sie hätte schwören können, dass er kein Türke war. Sein braunes Haar war kurz geschnitten, ein paar Strähnen hingen ihm in die gebräunte Stirn. Er war groß und kräftig gebaut. Alles in allem sah er gefährlich aus.

Er blickte zu ihr herüber und seufzte verärgert. Helena beobachtete, wie er an einen kleinen Sekretär trat. Er sah wütend aus. Helena wäre ihm lieber aus dem Weg gegangen. Aber sie war, zu ihrem Leidwesen, noch immer an diesen Stamm gefesselt und ihm schutzlos ausgeliefert.

Der Mann griff nach einem Messer und kam auf sie zu. Sie hielt erschrocken den Atem an. Würde er ihr in seiner unerklärlichen Wut etwas antun? Er stand direkt vor ihr und ging in die Knie. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals.

„Sieh mich an“, forderte er sie auf.

Langsam hob sie ihren Blick und sah in seine unglaublich blauen, dunklen Augen. Sie wirkten wie der Grund eines tiefen Sees, wo nur noch wenig Licht durchdrang. Auf sonderbare Weise, schienen ihr diese Augen seltsam vertraut.

„Du wirst erst gar nicht versuchen zu fliehen, verstanden? Denn wenn das Geschenk des Großwesirs plötzlich abhandenkäme, fällt seine Wut auf mich zurück“, drohte er, wobei er beim Wort „Geschenk“ spöttisch das Gesicht verzog.

Helena bekam unter seinem prüfenden Blick kein Wort hervor, sie nickte lediglich.

„Gut“, meinte er und schnitt mit einer gekonnten Handbewegung ihre Fesseln entzwei. Dabei beugte er sich nach vorne und kam ihr so nahe, dass Helenas Herz einen Takt schneller schlug.

Erleichtert massierte sie ihre schmerzenden Handgelenke und versuchte ruhiger zu atmen.

„Nun Helena, ich glaube du solltest dich waschen“, entschied er und erhob sich. Er goss Wasser in eine Waschschüssel und wrang einen Lappen darin aus. Dann deutete er ihr aufzustehen.

Der Mann überragte sie um gut einen Kopf und strahlte mit jeder Faser seines Körpers Macht und Überlegenheit aus. Er musterte sie von Kopf bis Fuß und sprach dann: „Wasch dich. Gründlich! Du hast eine halte Stunde Zeit.“

Helenas Anspannung ließ ein wenig nach, als er das Zelt verließ. Doch die Angst, er könnte jeden Moment im Eingang des Zeltes stehen, machte es unmöglich, dass sie sich völlig entspannen konnte.

Sie nahm die Seife, welche sie neben der Waschschüssel gefunden hatte und fing an sich gründlich zu schrubben. Das Wasser färbte sich dunkel vor Schmutz.

Ihr Plan hätte so schön aufgehen können, hätte dieser vermaledeite Soldat nicht ausgerechnet in dieser Hütte nach Wertgegenständen suchen müssen. Irgendwann hatte sie einfach keine Kraft mehr gehabt, sich im Kamin festzuhalten. Der herunter rieselnde Ruß hatte die Neugier des Soldaten geweckt und so hatte er sie schließlich entdeckt.

Vorsichtig fasste sich Helena an die immer noch schmerzende Wange. Eine solche Schlagkraft hätte sie dem übergewichtigen Türken nicht zugetraut. Sie hatte wohl Glück noch am Leben zu sein.

Doch ihre Zukunft schien so ungewiss in den Händen dieses faszinierenden und zugleich furchteinflößenden Mannes. Beim Gedanken an ihn bebten ihre Hände und sie beeilte sich mit dem Waschen.

Als sie glaubte, sämtlichen Ruß aus ihren Haaren bekommen zu haben, blickte sie seufzend an sich herunter. Ihr Kleid war schwarz vor Russ. Der Gedanke, nur in Unterröcken vor dem Fremden zu stehen, rief Panik in ihr hervor. Sie atmete tief ein und versuchte sich Mut zuzusprechen. Schließlich zog sie das Überkleid aus und tunkte es in die Schale. Richtig sauber würde sie ihr Gewand in dieser Brühe wohl nicht mehr bekommen, dachte sie zerknirscht.

Beschäftigt schruppte sie weiter und bemerkte nicht, dass der geheimnisvolle Mann am Eingang des Zeltes stand und sie beobachtete.

  

Daniel betrachtete fasziniert die junge Frau. Ihre dunklen Haare klebten an ihrer hellen Haut.

Als er sich räusperte, ließ das Mädchen vor Schreck die Seife fallen. Hastig hob sie diese auf und senkte ängstlich den Blick.

Er stellte einen Krug und einen Teller mit Brot auf den Tisch. „Wie ich feststelle, bist du also doch keine Mohrin“, zog er sie auf. Sein Gesichtsausdruck blieb dabei verschlossen. „Gib mir dein Kleid. Ich werde es draußen aufhängen, damit du es morgen wieder anziehen kannst.“

Gehorsam wrang sie das Gewand aus und überreichte es ihm. Sie wagte es nicht, ihm dabei in die Augen zu sehen.

Er deutete auf den Tisch mit dem Brot. „Iss. Du wirst all deine Kräfte brauchen. Wir ziehen bald weiter, Richtung Wien.“

Ruckartig hob sie den Kopf. „Nach Wien? Aber die Türken werden doch nicht etwa Wien angreifen?“

Er hob überrascht eine Augenbraue, als ihr Temperament für einen kurzem Moment zum Vorschein kam.

„Über kurz oder lang wird das wohl unausweichlich sein“, meinte er zerknirscht und seine Miene verdunkelte sich.

Er trat zu einer Truhe neben dem Bett und holte ein Hemd und eine Hose hervor. „Hier“, sagte er und streckte ihr das Bündel entgegen. „Zieh das an.“

Helena nahm zögerlich das Stoffbündel entgegen und faltete die Lagen auseinander. Unsicher stand sie auf und wusste nicht recht wie sie sich anziehen sollte, ohne dass sie plötzlich nackt vor ihm stand. Sie biss sich auf die Unterlippe und sah ihn bittend an.

Er seufzte genervt. „Ich verstehe schon“, meinte er und drehte ihr den Rücken zu.

Schnell beeilte sie sich in die viel zu großen Kleider zu kommen. Die Hose konnte sie um ihre Taille schnüren, auf diese Weise würde sie diese wenigstens nicht verlieren. Das weiße Hemd hatte vorne ein paar Schnüre zum Verschließen, welche sie so gut es ging zuzog. Sie krempelte die viel zu langen Ärmel nach oben. „Ihr könnt Euch umdrehen.“

Er musterte sie kurz, griff nach dem Krug auf dem Tisch und nahm einen kräftigen Schluck.

„Hier, trink.“ Er hielt ihr den Krug vor die Nase.

Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Wie eine verdurstende kippte sie den süßen Wein ihre Kehle hinunter.

„Da ich annehme, du möchtest lieber nicht auf dem Boden schlafen, wirst du wohl oder übel mit mir das Bett teilen müssen“, sagte er und packte dabei ihren Arm, während er mit der andern Hand einen Strick hervorholte.

Entsetzt starrte Helena auf das Seil in seiner Hand. „Bitte“, beschwor sie ihn. „Ich verspreche, ich werde nicht davonlaufen!“

„Ich bin kein Narr, Frau“, blaffte er sie wütend an. Er glaubte ihr kein Wort.

Sie versuchte sich verzweifelt aus seinem Griff zu winden. Daniel knurrte ärgerlich. „Halt still, Weib, wenn du nicht willst, dass ich dir weh tue!“

Augenblicklich erstarrte sie.

Daniel band ihre Handgelenke zusammen und befestigte das Seil anschließend am Kopfende des Bettes. Zufrieden betrachtete er sein Werk. Als er ihren tränenverschleierten Blick und die vor Zorn geröteten Wangen sah, wurde sein Gesicht weicher.

Er wollte nicht, dass sie seinetwegen weinte. Er würde ihr nichts tun und er wusste dass es falsch war seine Wut an ihr auszulassen. Dennoch würde sie eine ungeheure Ablenkung und Belastung sein und das machte ihn wütend.

„Schlaf jetzt“, sagte er und löschte die Öllampe. Als er seine Stiefel und sein Hemd ausgezogen hatte, legte er sich neben sie auf das Bett.

Das Mädchen gab nun Ruhe, doch er spürte die leichten Erschütterungen ihrer stummen Weinkrämpfe auf der harten Matratze.

 

 

Engelhartstetten, Österreich

 

Es war still. Anna blickte hinauf zum Hügel der Hainburg. Dunkler Rauch bedeckte den Himmel.

Die Schreie der Bewohner der Hainburg waren versiegt. Anna hatte gedacht, sie würde den Verstand verlieren, wegen der verzweifelten Todesschreie, welche weit über die Donau getragen wurden.

Die Stille, die sie nun umgab, schien aber beinahe schlimmer. Sie verkündete das Unumstößliche: Thomas war tot. Ihre Familie, ihre Freunde und Bekannten, sie alle waren fort. Sie war allein.

Noch vor wenigen Tagen hatte sie auf dem Dorffest ausgelassen getanzt und gelacht, hatte sich am Leben erfreut, wollte sich verlieben und eine Familie gründen. Niemals hätte sie gedacht, dass sich ihr Leben dermaßen drastisch ändern würde.

Verloren saß sie in diesem kleinen Fischerboot, mitten auf der Donau. Wenngleich sie ab jetzt auf sich gestellt war, aufgeben würde sie niemals! Ihr Lebenswille überwog ihre Verzweiflung bei weitem.

Anna wischte sich mit der Hand Tränen von der Wange und schluckte den Kloß in ihrer Kehle herunter. Sie musste jetzt stark sein. Entschlossen nahm sie die Ruder zur Hand und beeilte sich an das andere Ufer zu kommen. Es war später Nachmittag und es würde schon bald dunkel werden. In den Auen würde sie Schutz zwischen den Bäumen finden. Und hatte sie erst die Donauauen und die Felder dahinter überquert, würde sie bald das kleine Dorf Engelhartstetten erreichen. Von dort aus war es etwa eine Tagesreise bis nach Wien. Irgendwie würde sie es schaffen. Sie wusste nicht wie, doch Gott würde ihr beistehen und sie führen. Dessen war sie sich sicher.

 

Es war bereits dunkel, als Anna Engelhartstetten endlich erreichte. Völlig erschöpft und froh, einen hilfsbereiten Menschen gefunden zu haben, berichtete sie aufgewühlt dem Wirt der Gaststätte „Zum Eder“ das Erlebte. Der rundliche Wirt hatte ein gutes Herz und war gerne bereit dem Mädchen für die Nacht Obdach zu gewähren. 

Jetzt saß sie am hintersten Tisch der Gaststätte und beobachtete neugierig die überwiegend männlichen Gäste. Bier und Wein flossen in rauen Mengen, die Stimmung war ausgelassen und der Geräuschpegel schwoll von Minute zu Minute an.

Sie konnte das Glück dieser Menschen kaum ertragen, wo am heutigen Tag so viele ihr Leben verloren hatten.

Lustlos schob sie das Gemüse in der Suppe hin und her.

„Iss Kind, du musst bei Kräften bleiben“, forderte sie der Wirt freundlich auf.

Anna schenkte ihm ein dankbares Lächeln.

„Ich habe dir die Kammer ganz am Ende des Flurs hergerichtet. Du musst erschöpft sein. Geh früh schlafen. Ich werde dich morgen für‘s Frühstück wecken.“

„Ich danke Euch, Herr Eder! Ihr seid sehr gütig.“

Er erinnerte sie an ihren Vater. Sie schluckte die aufkommenden Tränen herunter, die den Damm ihrer Selbstbeherrschung zu brechen drohten.

Hastig biss sie ein Stück Brot ab und kaute emsig, um den Wirt zufrieden zu stellen.

Dieser lächelte Anna warmherzig an und tätschelte ihr zufrieden die Schulter, bevor er sich seinen anderen Gästen zuwandte.

Nach dem letzten Bissen erhob sich Anna von ihrem Platz und schleppte sich müde die Stiege hinauf, um endlich Erlösung im Schlaf zu finden.

 

***

 

Gerd nahm einen weiteren Schluck seines Bieres, welchem er im Verlaufe des Abends schon sehr zugesprochen hatte. Mit einem zufriedenen Grinsen ließ er den leeren Bierkrug auf den Tisch knallen.

Aufgeregt beugte er sich über den Tisch zu seinem Bruder und sprach: „Siehst du die Kleine dort drüben? Ist doch ganz süß, oder was meinst du, Hermann?“

Hermann blickte verstohlen zu dem blonden, schlanken Mädchen, das an einem Tisch im hinteren Teil der Gaststube saß. Sie schien allein zu reisen. Nicht ganz ungefährlich in den heutigen Zeiten, dachte er.

„Auf jeden Fall besser, als deine Alte zu Hause“, meinte Hermann zu seinem Bruder und lachte laut auf.

Beim Gedanken an seine Frau Martha verfinsterte sich Gerds Gesicht. Schon seit Wochen ließ ihn sein Weib nicht mehr ran und kam mit immer neuen Ausreden und Ausflüchten.

Grund genug sich endlich mal wieder Erleichterung zu verschaffen. Für die Huren hatte er kein Geld, da gab er das Wenige, das er als Landwirt erwirtschaftete, lieber für Bier und Wein aus. Das blonde Mädchen kam ihm gerade recht. Er hatte genau gehört, welche Kammer der Wirt für sie hergerichtet hatte. Beim Gedanken sich das Bett mit dieser Schönheit zu wärmen, fuhr er sich nervös mit der Zunge über die spröden Lippen.

In diesem Moment erhob sich die junge Frau von ihrem Platz und ging die Treppe hoch.

Zufrieden blickte Gerd ihr nach und ein hämisches Grinsen breitete sich auf seinem bärtigen Gesicht aus.

Die beiden Männer bestellten sich noch ein weiteres Bier und als sich ihre Krüge allmählich leerten, meinte Gerd: „Ich werde an dich denken, wenn ich sie mir heut' Nacht zu eigen mache.“

Mit diesen Worten erhob er sich von seinem Platz, musste sich aber sogleich am nächsten Stuhl festhalten. Er schwankte zur Treppe und zwinkerte seinem Bruder selbstgefällig zu, bevor er hinaufstieg.

Hermann wollte von all dem nichts wissen und nichts damit zu tun haben. Sein Bruder musste selbst wissen was er da tat und eines Tages vor Gott für seine Taten Rechenschaft ablegen. Kopfschüttelnd legte er das Geld auf den Tisch und verließ die Gaststätte.

 

***

 

Die grobe Decke kratzte auf Annas Haut und fremde Gerüche stiegen ihr in die Nase.

Viele Gedanken kreisten in ihrem Kopf. Wie sollte es weitergehen? Sie konnte unmöglich den ganzen Weg nach Wien laufen. Aber sie hatte kein Geld, somit würde ihr gar nichts anderes übrig bleiben.

Traurig dachte sie an ihren Bruder. Warum hatte nur sie überlebt? Hatte Gott noch Pläne mit ihr? Anders konnte sie es sich nicht erklären.

Tränen rollten über ihre Wangen, als sie an all die Menschen dachte, die ihr wichtig gewesen waren und ihr Sicherheit und Geborgenheit geschenkt hatten. Sie alle waren jetzt bei Gott. Ihr Bruder war wenigstens wieder mit ihren Eltern vereint. Mit diesem tröstenden Gedanken und dem Gefühl der Einsamkeit, schlief sie allmählich ein.

Nur wenig später schreckte sie allerdings von ihrem Schlaf auf. Etwas stimmte nicht, das spürte sie ganz deutlich.

Angestrengt blickte sie in die Dunkelheit, konnte jedoch nichts erkennen. Sie schalt sich selbst eine Närrin und versuchte ihr heftig schlagendes Herz zu beruhigen.

Sie legte sich wieder hin und versuchte erneut einzuschlafen, als plötzlich etwas Schweres auf sie sprang. Entsetzt schrie Anna laut auf, da legte sich eine warme Hand auf ihren Mund und erstickte ihren Schrei.

„Sei still!“, vernahm sie eine undeutliche, männliche Stimme. Sie konnte in der Dunkelheit nichts erkennen, doch der Mann war ihr so nahe, dass sie seinen nach Bier stinkenden Atem riechen konnte.

„Wir beide werden jetzt ein bisschen Spaß miteinander haben“, lallte der Mann mit schwerer Zunge.

Angst und Entsetzen breitete sich in Anna aus. Sie schlug wild um sich, doch der Mann fing ihre Schläge locker ab und packte ihre Handgelenke. Der Mann war stark und kräftig gebaut, Anna hatte keine Chance sich zu wehren. Mit seiner freien Hand packte er ihre Brust und drückte grob zu. Noch bevor Anna schreien konnte, presste er ihr seine feuchten Lippen auf den Mund und schob ihr seine widerliche, nasse Zunge in den Rachen.

Anna wurde übel und ihr liefen die Tränen über die Wangen. Sie verfluchte sich dafür, die Zimmertür nicht abgeschlossen zu haben! Als seine Hand weiterwanderte, biss sie voller Verzweiflung dem Scheusal auf die Zunge.

Er jaulte laut auf und verpasste ihr eine Ohrfeige.

Annas Kopf drohte zu explodieren, so hart hatte er zugeschlagen.

Sie schluchzte laut auf, als er ihre Beine auseinanderdrückte und sich an seiner Hose zu schaffen machte.

In diesem Moment krachte die Tür zu ihrer Kammer an die Wand und ihr Peiniger ließ erschrocken von ihr ab.

Anna nutzte den Moment und verpasste ihm mit ihrem Knie einen Schlag in sein Gemächt. Im selben Moment, wie der Vergewaltiger laut aufstöhnte, packte ihn eine dunkle Gestalt und zog ihn von Anna herunter.

Der Raum war erhellt von den Öllampen auf dem Flur und Anna sah wie eine kräftige Gestalt ihren Peiniger aus der Kammer schleifte. Dieser versuchte krampfhaft seine Hose hochzuziehen.

Die beiden Männer verschwanden aus ihrem Blickfeld und sie hörte ein lautes Poltern auf der Stiege.

„Lass dich hier nie wieder blicken!“, vernahm sie die drohende Stimme ihres Retters.

Hastig griff sie nach der Decke, um sich zu bedecken, da trat ihr Befreier in die Kammer. Er stellte eine Öllampe auf den Waschtisch neben der Tür, sodass Anna ihn das erste Mal richtig sehen konnte. Er hatte schulterlanges, helles Haar, einen leichten Dreitagebart und trug nur ein weißes Hemd und eine dunkle Hose. Ihr Blick blieb an seinen nackten Füssen hängen.

„Hat er dich verletzt? Geht es dir gut?“, erkundigte der Mann sich zögerlich nach ihrem Wohlbefinden.

Er war jung, sie schätzte ihn auf höchstens Mitte zwanzig. Er strahlte eine wunderbare Lebendigkeit und Lebensfreude aus, obwohl er die Stirn besorgt in Falten legte.

Anna konnte nicht antworten, sie schüttelte nur leicht den Kopf. Plötzlich konnte sie nicht mehr an sich halten, konnte die Tränen nicht mehr aufhalten. Sie ließ ihrer ganzen Verzweiflung freien Lauf.

Sie hörte das Knarren der Dielen, als der Mann näher an sie herantrat. „Hast du Schmerzen?“, vernahm sie seine besorgte Stimme. „Soll ich einen Arzt rufen?“

Unfähig etwas zu erwidern, zog sie die Beine enger an ihren Körper und schlang ihre Arme um sich, weinte aus der tiefen Verzweiflung ihres Herzens heraus.

Vorsichtig setzte sich der junge Mann auf den Rand des Bettes, welches ein quietschendes Geräusch von sich gab. Anna zuckte erschrocken zusammen, als er sie in seine Arme zog. Erst machte sie Anstalten sich zu wehren, doch diese Umarmung, stammte sie auch von einem Fremden, hatte etwas Beruhigendes, Tröstendes an sich. Sie ließ sich in seine Arme fallen, genoss seine Nähe und ließ ihren Tränen freien Lauf.

Ihr Verstand mahnte sie zur Vorsicht, sie kannte diesen Mann nicht, hätte er Böses mit ihr vor, wäre sie ihm schutzlos ausgeliefert.

Er fuhr ihr allerdings einfach nur beruhigend über den Rücken und sie fühlte sich alles andere als bedroht. Als sie sich einigermaßen gefangen hatte, blickte sie in sein Gesicht. Als sie in seine Augen schaute, war sie hoffnungslos verloren. Seine bernsteinfarbenen Augen zogen sie in ihren Bann.

Ihr Herz schlug erneut schneller, doch dieses Mal nicht aus Angst. Ihr Verstand verabschiedete sich komplett. Alles wurde bedeutungslos, das Einzige was zählte, war die Nähe zu diesem Fremden.

 

Ruben war wie verzaubert. Er betrachtete fasziniert die hübschen, engelsgleichen Züge des Mädchens. Ihr Gesicht war tränenüberströmt und auf ihrer linken Wange waren noch deutlich die Spuren der Misshandlung ihres Peinigers zu sehen. Am Meisten bezauberten ihn allerdings ihre hellblauen Augen. Sie waren so klar wie ein Bergsee. Im Kontrast dazu, leuchtete ein dunkler Kreis um ihre Iris.

Er wischte sanft die Tränen von ihrer Wange und ihre Schluchzer ebbten ab.

Ganz plötzlich weiteten sich ihre Augen vor Schreck und sie brachte brüsk Abstand zwischen sie beide.

Eine zarte Röte schoss in ihre Wangen und sie brachte nur ein unbeholfenes, von Schuld gezeichnetes „Bitte verzeiht!“, heraus.

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen“, schmunzelte er und streckte ihr seine Hand entgegen. „Ich bin Ruben.“

Peinlich berührt, stotterte sie ihren Nahmen.

„Freut mich, dich kennen zu lernen, Anna“, sagte er und mit einem verschmitzten Lächeln stand er auf.

„Es ist spät, ich denke, du solltest dich schlafen legen.“

Er wollte gehen, doch da erkannte er plötzliche Furcht in ihren Augen und brachte es nicht zustande, sie mit ihrer Angst allein zu lassen. „Möchtest du, dass ich bei dir bleibe?“

Er hörte beinahe, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel, als sie hastig nickte.

Er schloss die Tür, legte sich zu ihr auf das breite Bett und breitete fürsorglich die Decke über sie aus. „Schlaf jetzt. Ich bleibe bei dir, es kann dir nichts passieren.“ Mit Müden Liedern bettete sie ihren Kopf auf das Kissen und schlief augenblicklich ein.

 

Kapitel 2 - 12. Juli 1683

Engelhartstetten Österreich

 

Staubkörnchen tanzten im Schein der Morgensonne und von draußen drang der heitere Gesang der Vögel in die Kammer.

Ruben stand beim Waschtisch und wusch sich das Gesicht. Sein Blick schweifte auf die schlafende Gestalt auf dem Bett. Die ersten frühen Morgenstrahlen warfen ein sanftes Licht auf die junge Frau. Ihre blonden Haare standen in alle Himmelsrichtungen ab und rahmten ihr hübsches Gesicht ein.

Seine Mundwinkel zogen sich nach oben, als er an die vergangene Nacht dachte. Er hatte sich gerade hingelegt, als er den verzweifelten Schrei aus der Kammer nebenan vernommen hatte. Ihm war sofort klar gewesen, dass da jemand Hilfe benötigte. Unverzüglich hatte er sich wieder angezogen und war auf den Flur geeilt. Zum Glück hatte er noch rechtzeitig eingreifen können.

Er trocknete sich ab und beeilte sich in seine eigene Kammer zu kommen. Er wusste nicht, wie der Wirt reagieren würde, wenn er ihn hier entdecken sollte. Er wollte kein schlechtes Licht auf Anna werfen.

  

Als Anna wenig später die Treppe zur Gaststube herunter kam, saß Ruben bereits auf seinem Platz und ass.

„Anna, komm her und setz dich“, forderte sie der Wirt auf und deutete auf den Platz gegenüber von Ruben.

Sie lächelte den Wirt dankbar an und kam seiner Aufforderung nach.

„Darf ich dir Ruben vorstellen“, sagte der Wirt. „Ruben Maligny. Stell dir vor! Er hat das gleiche Ziel wie du!“

„Freut mich sehr Ruben, ich bin Anna“, stellte sie sich vor und versuchte ein Grinsen zu unterdrücken.

„Ich lasse euch dann mal in Ruhe essen“, meinte der Wirt und verschwand in der Küche.

Anna konnte sich nicht länger zurückhalten und lachte frei heraus. Ruben stimmte erheitert in das Gelächter mit ein.

„Danke“, meinte sie, nachdem sie sich beruhigt hatte.

„Gern geschehen. Klaus sagte, du willst nach Wien?“

Anna nickte und schluckte einen Bissen Brot hinunter.

Sie erzählte Ruben, was sich auf der Hainburg zugetragen hatte.

Derweil wurde Ruben immer stiller. Er hatte Mitleid mit Anna, kein Mensch sollte das erleben, was sie durchmachen musste. Auf für ihn unerklärliche Weise, manifestierte sich in ihm der Entschluss, diese Frau von allen bösen Einflüssen zu beschützen.

Als Anna mit ihren Ausführungen geendet hatte, nahm er ihre Hände in seine und sah ihr tief in die blauen Augen, die ihre innigsten Gefühle und Empfindungen preisgaben. Tapfer versuchte sie die Tränen wegzublinzeln.

„Es wird alles gut, Anna. Ich werde dich sicher nach Wien geleiten.“ Als er das schüchterne Lächeln auf ihren Lippen sah, öffnete sich sein Innerstes. Er konnte es sich nicht erklären, doch er war sich sicher, dass von diesem Moment an ihrer beider Leben für die Ewigkeit miteinander verbunden war.

 

***

 

Anna musterte verstohlen das große fuchsrote Tier, mit den weißen Fesseln und knetete verunsichert ihre Hände.

Es würde nicht das erste Mal sein, dass sie auf einem Pferd saß. Was ihr Angst machte, war viel mehr die Nähe, die dadurch zu ihrem Begleiter entstehen würde. Ruben saß bereits auf dem edlen Tier und wartete darauf, dass Anna sich vom Wirt verabschiedete.

„Gott beschütze dich, Kind. Hier“, sagte er und drückte ihr ein Bündel in die Hand. „Das sind ein paar Kleider meiner Emma, Gott habe sie selig. Und ein wenig Proviant für die Reise. Ich kann euch leider nicht mehr mit auf den Weg geben. Die Zeiten sind schwer“, meinte er betrübt.

Gerührt fiel sie dem Mann um den Hals. „Ihr habt schon so vieles für mich getan. Ich danke euch für alles“, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme.

Der Wirt tätschelte ihr liebevoll den Rücken, schob sie eine Armlänge von sich und blickte zu Ruben auf. „Pass mir ja gut auf das Mädchen auf!“, forderte er den jungen Mann auf.

Dieser grinste den Älteren spitzbübisch an. „Sei unbesorgt, Klaus“, versuchte er ihn zu beruhigen.

Anna ergriff Rubens Hand, die er ihr entgegenstreckte und ließ sich von ihm auf den Pferderücken ziehen. Sie hielt sich unbeholfen an ihm fest und blickte hinter sich zurück. „Gehabt Euch wohl, Herr Eder!“, rief sie ihrem Wohltäter zu, als Ruben dem Pferd die Sporen gab und sie ihre Reise nach Wien aufnahmen.

  

Klaus sah den Beiden noch lange nach. In was für einer Zeit sie doch lebten. Nichts war mehr sicher vor diesen Türken. Täglich kamen neue Schreckensmeldungen von Überfällen auf schutzlose Bauerndörfer, ja sogar Kirchen und Klöster waren nicht mehr sicher vor ihnen. Bisher hatten die Osmanen die Donau noch nicht überquert. Er hoffte inständig, dass dies so bleiben würde. Die Reise der Zwei würde zum Glück nördlich der Donau verlaufen, so sollten sie Wien gefahrlos erreichen können.

Als er die beiden am Horizont hinter den Feldern von Engelhartstetten nicht mehr ausmachen konnte, wandte er sich seufzend ab und trat zurück in seine leere Gaststätte.

 

***

 

Sie ritten über staubige Landstraßen, überquerten Felder und kleine Bachläufe, ritten vorbei an armseligen Hütten und kleinen Dörfern. Es war ein wolkenloser, schöner Tag und die Sonne schien angenehm warm auf ihre Köpfe. Anna spürte die vereinzelten Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht. Sie genoss die Nähe zu Ruben, der vor ihr auf dem Pferd saß. Ihren Kopf an seinen Rücken gelehnt, hielt sie sich an ihm fest. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was richtig und was falsch war. Seine Nähe fühlte sich einfach gut an und das war das Einzige, was im Moment für sie zählte. In seiner Nähe fühlte sie sich sicher und geborgen - keine Zukunftsängste plagten sie.

Die Fuchsstute hatte zwar einen angenehmen Gang, aber Anna, die es nicht gewohnt war zu reiten, schmerzte schon bald das Gesäß.

„Da vorne sieht man bereits Schönau“, erklärte ihr Ruben und zeigte auf eine Ansammlung winzig klein erscheinender Häuser in der Ferne. „Dort werden wir eine kurze Rast einlegen.“

Sie atmete erleichtert aus, offenbar lauter als beabsichtigt, denn Ruben lachte erheitert auf.

Es war ein ehrliches, von Herzen kommendes Lachen. Anna betrachtete fasziniert seine bebenden Schultern. Sie hätte diesem herrlichen Klang ewig lauschen können.

Wenig später band Ruben die Zügel seiner Stute an einem Apfelbaum an. Mit einem zufriedenen Seufzer ließ er sich in das hohe Gras fallen.

Anna registrierte seine entspannten Gesichtszüge, seinen lächelnden Mund.

Sie atmete tief ein, versuchte nicht an die Gefühle zu denken, die er in ihr hervorrief, und ließ sich ebenfalls in das weiche Gras fallen. Gedankenverloren blickte sie in den blauen Himmel. Ein Falke zog über ihnen vorbei und Anna fragte sich, was die Zukunft bringen würde. In ein paar Stunden würden sie Wien erreichen. Und dann? Wie ging es dann weiter? An wen sollte sie sich dort wenden?

Mit einem Mal ängstigte sie die Vorstellung ganz allein in dieser großen Stadt zu sein. Würde man sie, ein einfaches Mädchen, überhaupt anhören? Würde sie am Ende gar auf der Straße landen?

 

Ruben hatte sich auf die Seite gerollt, den Kopf auf die Hand gestützt. Fasziniert beobachtete er die junge Frau neben sich im Gras. In ihren zuvor entspannten Gesichtszügen spiegelte sich nun Besorgnis wider. Wie gerne hätte er ihr ihre Sorgen und Ängste abgenommen.

Aber auch seine eigene Zukunft war ungewiss. Er hatte seine Heimat und seine Familie verlassen, hatte bewusst auf seinen Titel und die damit verbundenen Verpflichtungen und Privilegien verzichtet.

Wehmütig dachte er an seine Heimat in Polen. Wie schön es jetzt im Sommer dort an den Seen wäre. Schon als kleiner Junge hatte er die Landschaft und die Menschen dort geliebt, doch er hatte selbst über sein Leben bestimmen wollen und so hatte er sein Zuhause verlassen.

Seine Reise, auf der Suche nach Freiheit, hatte ihn über Warschau nach Krakau, bis nach Belgrad geführt. Die große Stadt, mit ihren orientalischen Bauten, hatte ihn von Anfang an fasziniert. Es war ein Ort für Körper und Geist. Mit ihren unzähligen Palästen, Moscheen und öffentlichen Bädern, war sie der Stoff aus dem Träume gemacht wurden. Auf den Märkten gab es immer etwas Neues zu entdecken und das Wissen in den islamischen Hochschulen schien schier unerschöpflich. Ruben hatte sich wohl gefühlt und die Muslime ließen die Christen größtenteils in Frieden. Als Ruben erfahren hatte, dass Sultan Mehmed den Oberbefehl seinem Großwesir Kara Mustafa Pascha übertragen würde, hatte er gewusst, dass dies nichts Gutes für seine Heimat bedeuten konnte.

Schweren Herzens hatte er seine Wahlheimat verlassen und war Kara Mustafa und seinen 200‘000 Mann, in sicherem Abstand, gefolgt. Neun Wochen waren seit seinem Aufbruch vergangen. Er war dem osmanischen Heer bis zur ungarischen Stuhlweißenburg gefolgt. Erst dort hatte Kara Mustafa die große Stadt als Ziel verkündet.

Hätte Ruben dort nicht die Grippe niedergestreckt, wäre er schon viel früher in Wien angekommen.

Wien, die Reichshauptstadt - das Tor zur westlichen Welt.

Würden die Osmanen diese Stadt einnehmen, wäre die ganze westliche Welt in Gefahr. Ruben war festentschlossen, es nicht so weit kommen zu lassen.

 

 

Osmanisches Lager

 

Daniel blickte nachdenklich auf die schlafende Frau nieder. Sie hatte sich auf die Seite gedreht, die Hände noch immer an das Bettgestell gefesselt. Die dunkelbraunen Locken schmiegten sich an ihr rundes Gesicht.

Daniel schüttelte energisch den Kopf.

Der Wesir hatte nach ihm rufen lassen, er durfte den Mann nicht warten lassen. Rasch zog er einen dunkelroten Mantel mit goldener Borte an und schritt eilig aus dem Zelt.

Im Lager herrschte hektische Betriebsamkeit. Ein Trupp osmanischer Soldaten war soeben von einer ihrer zahlreichen Überfälle auf die umliegenden Dörfer zurückgekehrt. Stolz präsentierten sie ihr Raubgut. Oft waren es Schmuckstücke, Münzen, Nahrung oder erlesener Wein, der von den Muslimen allerdings nur heimlich konsumiert wurde, meistens waren es jedoch Sklaven.

Ihm war klar, dass er jetzt wohl ebenfalls ein solches Gut in seinem Zelt beherbergte. Er hatte Mitleid mit diesen Menschen, schließlich war es sein eigenes Volk. Aber er konnte nichts tun, um ihnen zu helfen. Zumindest noch nicht. Und das Mädchen in seinem Zelt? Nun, sie sollte ihm nur nicht in die Quere kommen. Alles andere würde sich mit der Zeit zeigen.

Zügig begab er sich zum Zelt des Großwesirs, um zwischen ihm und der einfachen Landbevölkerung zu vermitteln.

  

Wenig später öffnete Helena verschlafen die Augen. Es war helllichter Tag und die Sonne brannte heiss auf das Zelt hernieder. Sie vernahm ein gleichmäßiges, lautes Gemurmel einer Sprache, die sie nicht verstand. Der rhythmische Singsang verstummte allmählich und bald war nur noch das normale, geschäftige Treiben im Lager zu vernehmen.

Sie zog an ihren Fesseln, was ihr allerdings nur noch mehr Schmerzen bereitete, als sie ohnehin schon verspürte. Resigniert ließ sie davon ab und stöhnte genervt auf.

Es musste bereits Mittag sein. Die Hitze im Zelt wurde immer unangenehmer und der Schweiß rann ihr über die Stirn. Helena wurde ärgerlich. Wie konnte er es wagen, sie hier stundenlang anzubinden wie ein Tier!

Da wurde der Vorhang am Eingang des Zeltes beiseite geschoben und ein kühler Lufthauch strich über ihre erhitzte Haut. Ihr Peiniger trat ein und sah sie emotionslos an. Er trug normale dunkle Hosen, ein weißes Hemd und darüber einen exotisch anmutenden Mantel aus roter Seide und goldenen Verzierungen. Er strahlte wieder diese selbstverständliche Macht aus. Diesmal ließ sie sich davon aber nicht einschüchtern.

„Hättet Ihr wohl die Güte, mich loszubinden?“, fragte sie gehässig. „Auch ich habe gewisse Bedürfnisse! Wenn Ihr also erlaubt“, zischte sie wütend und fuhr nach einer kurzen Pause fort: „Oder möchtet Ihr, dass ich mich auf Eurem Bett erleichtere?“ Ihre Wut auf ihn stachelte sie an und ließ sie die möglichen Konsequenzen, die ihr Verhalten zur Folge haben könnte, vergessen.

 

Ihre smaragdgrünen Augen blitzten ihn zornig an. Daniel musste sich ein Lächeln verkneifen. Er mochte es, sie so in Rage zu sehen. Schon immer hatte er Frauen mit Temperament bevorzugt.

„Ich glaube, du vergisst in welcher Position du dich befindest, hübsche Helena!“ Seine Mundwinkel zogen sich verräterisch nach oben.

„Und wer seid Ihr, dass Ihr denkt, etwas Besseres zu sein?“, spie sie ihm gereizt entgegen.

Er knurrte verärgert. Er war es nicht gewohnt, dass jemand so mit ihm sprach und schon gar keine Frau. Drohend verschränkte er die Arme vor der Brust und trat ans Bett.

 

Helena hatte sich, so gut es ging, aufgerichtet und blickte ihm trotzig entgegen. Sie presste die Lippen zusammen, um nicht gänzlich die Beherrschung zu verlieren.

Ganz langsam, wie ein Raubtier, das sich an seine Beute heranschleicht, beugte er sich zu ihr herunter und stützte seine Hände links und rechts von ihr am Kopfteil des Bettes ab. Helenas Herz schlug schneller, als sie sich seiner Nähe bewusst wurde.

Trotzig reckte sie ihm das Kinn entgegen. Nein, heute würde sie ihm ihre Furcht nicht zeigen.

Er sah ihr direkt in die Augen und sprach dabei gefährlich leise: „Es hat dich nicht zu interessieren, wer ich bin oder was ich hier tue. Also sei still und geh mir nicht weiter auf die Nerven.“ Mit diesen Worten richtete er sich auf und verließ unverrichteter Dinge das Zelt.

 

Hinter sich hörte er ihre wüsten Verwünschungen und Flüche.

Er entschied sich, das Mädchen noch ein wenig zappeln zu lassen. So ließ er sich mit der Suche nach einem Nachttopf Zeit.

Nachdenklich blickte er in den wolkenklaren Himmel und schützte mit der Hand seine Augen vor der brütenden Mittagssonne. Da erblickte er den kreisenden Falken über dem Lager. Heute Nacht würde er sich wieder davonschleichen müssen. Er hoffte, dass alles gut gehen und keiner der Osmanen ihn bemerken würde. Er musste nur noch dafür sorgen, dass die Frau ihm nicht in die Quere kam.

 

***

 

Helena weinte vor Verzweiflung. Jeder Muskel ihres Körpers schmerzte. Ihr Bauch verlangte knurrend nach Speise und ihre Kehle war trocken wie die Wüste, so fühlte es sich für sie zumindest an.

Sie wusste nicht, wie viele Stunden vergangen waren, als ihr Herr endlich in das Zelt trat. Sie verspürte fast so etwas wie Erleichterung.

Er stellte den Nachttopf in seiner Hand auf den Boden und warf ihr Kleid neben sie auf das Bett. Wortlos und mit versteinerter Miene trat er auf sie zu und löste ihre Fesseln.

Eilig wischte sich Helena die letzten Spuren der Tränen aus dem Gesicht. Sie wollte nicht, dass er ihre Schwäche sah.

Er deutete auf den Nachttopf. „Beeil dich. Ich werde derweil etwas zu essen besorgen.“

 

Als er zurückkehre, hatte sich Seine Stimmung deutlich gebessert.

„Setz dich und iss mit mir“, forderte er sie auf. Sie tat wie ihr geheißen und er sah, wie sich ihre Augen erstaunt weiteten, als sie die Köstlichkeiten vor sich sah. Er beobachtete sie fasziniert, als sie unsicher nach einer getrockneten Dattel griff und die Frucht interessiert von allen Seiten musterte. Sie trug wieder ihr eigenes Kleid und ihre dunklen Locken waren zu einem Zopf zusammengebunden. Daniel gefiel, was er sah.

Er goss Wein in einen Kelch und reichte ihn ihr. „Erzähl mir etwas von dir.“

 

Als Helena das aufrichtige Lächeln auf Daniels Lippen sah, runzelte sie verwirrt die Stirn. Sie blickte ihm direkt in die dunkelblauen Augen. „Erlaubt Ihr mir, stattdessen einige Fragen zu stellen?“

Daniel hielt ihrem intensiven Blick stand. „Wenn du mit meinen Antworten leben kannst?“

Sie nickte entschlossen und stellte ihm begierig ihre Fragen. „Wer seid Ihr? Ihr seid kein Osmane, was also tut Ihr hier in ihrem Kriegslager?“

Das Lächeln verschwand gänzlich aus seinem Gesicht. „Man nennt mich Daniel und ich bin der Übersetzer des Großwesirs. Mehr geht dich nicht an“, sagte er kurzangebunden.

„Wie kam es dazu?“, wollte sie wissen.

Daniels Augen verengten sich und seine Stirn legte sich in Falten. Er zögerte, doch schließlich ließ er sich dazu herab ihre Neugierde zu stillen. „Ich lebte viele Jahre in einer großen Stadt namens Konstantinopel. Dort lernte ich die türkische Sprache und so kam es, dass ich als Übersetzer und Vermittler zwischen den Türken und dem preußischen Volk diente, bis zum heutigen Tag.“

Erstaunt sah sie den Mann vor sich an. So viele Fragen brannten ihr auf der Zunge. „Seid Ihr ein Christ? Wo wurdet Ihr geboren?“, wollte sie wissen.

„Du stellst sehr viele Fragen, Frau“, meinte er ungeduldig und sah sie tadelnd an.

Nach kurzem Zögern fuhr er jedoch fort. „Geboren wurde ich in einer kleinen Stadt im Norden Polens. Doch das ist lange her. Und falls du mit Christ meinst, ob ich an den Heiland glaube, ja das tue ich. Aber ich diene keiner Kirche, die nur ihr eigenes Wohl im Sinn hat und

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Mia Mazur
Bildmaterialien: © darkbird - Fotolia.com © bonciutoma - Fotolia.com © Valery Sibrikov - Fotolia.com
Tag der Veröffentlichung: 20.08.2014
ISBN: 978-3-7368-9777-9

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch all jenen, die sich für die Vergangenheit, die Gegenwart, wie auch die Zukunft interessieren. Seit Jahrhunderten werden Kriege im Namen Gottes geführt. Auf beiden Seiten werden Waffen und Kriegsmaschinerien gesegnet, und es wird um Gottes Beistand und Segen gebeten. Nicht anders war es auch während des Krieges der 2. Türkenbelagerung. Mit dieser Geschichte möchte ich diese paradoxe Situation hervorheben und zum Nachdenken animieren.

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