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Die ganze Wahrheit über Meister Proper

Letzte Woche war ich einkaufen. Es war noch stressiger, als sonst, denn es sollte mal wieder Ostern werden und die Leute führten sich auf, als müssten sie sich auf eine drohende Hungersnot oder eine Inflation vorbereiten. Ich war übelster Laune, denn ich hatte es eilig und es gab zwischen den Regalen fast kein Durchkommen. Überall standen entweder ältere Ehepaare unschlüssig und streitend im Weg herum, oder Mütter hatten resigniert den Einkaufswagen, nebst quengelndem Kleinkind im engen Durchgang stehen lassen, damit sie schneller an die Regale kamen. Besonders ärgerte ich mich über diejenigen Mitbürger, die offenbar alle Zeit der Welt hatten und sich zufällig getroffen hatten, und nun – Neuigkeiten und Tratsch austauschend – jegliches Vorbeikommen unmöglich machten. Diese Zufriedenheit ausstrahlenden Menschen schienen es sogar zu genießen, ihre Einkäufe gerade dann zu erledigen, wenn am meisten los war. Außerdem verhielt sich mein Wagen äußerst widersetzlich, denn das linke vordere Rad blockierte und ich musste rohe Gewalt anwenden, um ihn lenken zu können.

Wie immer war ich völlig unvorbereitet „mal kurz“ zum Supermarkt gefahren und hatte keine Ahnung, was ich denn eigentlich einkaufen wollte. Darüber mache ich mir immer erst dann Gedanken, wenn ich planlos zwischen den Regalen herumirre. Aufgrund der bevorstehenden Feiertage, hatte ich einiges zu besorgen und ich ahnte, dass es wohl ein längerer Aufenthalt an diesem nervtötenden Ort werden würde.

Gerade als ich sinnierend zwischen den Wasch- und Putzmittelregalen stand, hörte ich ein seltsames Geräusch. Es war irgendwie ein Wimmern oder ein leises Schluchzen und ich vermutete, dass wieder einmal eine junge Mutter ihr Kind aus den Augen verloren hatte und dieses nun hilflos und verzweifelt zwischen fremden Menschen und riesigen Regalen nach einem vertrauten Gesicht suchte. Man kann ja über mich sagen, was man will aber kaltschnäuzig oder gleichgültig bin ich nicht und in solchen Fällen versuche ich immer, zu helfen. Das Geräusch schien direkt aus dem Regal zu kommen und zwar aus der Abteilung, in der die Wundermittel untergebracht sind, die mit jedem Schmutz im Handumdrehen fertig werden, so dass man nicht einmal merkt, dass man grade putzt. Das Wimmern kam mir sehr komisch vor, denn wie sollte ein kleines Kind ins Regal und dann noch hinter die ganzen Flaschen kommen?

Neugierig begann ich, das Regal genauer zu untersuchen und räumte einige Flaschen und Verpackungen einfach in meinen Einkaufswagen. Tatsächlich, das Geräusch wurde lauter! Und ich sah eine Bewegung ganz hinten im Regal. Damit ich besser sehen konnte, stellte ich mich auf die Zehenspitzen. Nichts mehr! Ganz leise sagte ich „Hallo“? Ich wollte kein Aufsehen erregen und wenn jemand beobachtete, wie ich mich mit einem Putzmittelregal unterhielt, würde man mich wohl mit Blaulicht in die nächste Anstalt einliefern. Ich hörte jedoch nichts mehr und gerade, als ich anfing, an meiner geistigen Gesundheit zu zweifeln, tippte mir jemand von hinten auf die Schulter und ich erschrak so, dass ich einen Schrei ausstieß. Schnell drehte ich mich um und wenn ich nicht vor Erstaunen völlig gelähmt gewesen wäre, wäre ich schreiend aus dem Supermarkt gelaufen – Einkaufen hin oder her! Aber – wie schon gesagt – ich war gelähmt und darum blieb ich wie angewurzelt stehen. In voller Lebensgröße stand vor mir – man glaubt es kaum – der Meister Proper höchstpersönlich. Ich erkannte ihn sofort an seiner Glatze, den weißen Klamotten und den dicken Muskeln. Was mich am meisten erstaunte, waren seine verheulten Augen. Man kennt ihn ja aus dem Fernsehen immer nur mit einem freundlichen Lächeln, wie er zuversichtlich die aussichtslosesten Schmutzprobleme löst und ratlosen Hausfrauen aus irgendwelchen Putzschwierigkeiten hilft. Jetzt aber stand er – trotz seiner beachtlichen Körpergröße – vor mir, wie ein Häuflein Elend und wischte sich mit dem Handrücken die triefende Nase ab.

Mein mitleidiges Herz besiegte mein panisches Gehirn und ich zog ein altes Tempo aus der linken Jackentasche, um dem armen Kerl die Tränen abzuwischen und die Nase zu putzen. Gleichzeitig strich ich ihm beruhigend über die Wange, denn die Stirn war zu weit oben, da er mindestens zweieinhalb Meter groß war und außerdem gab es keine Haarsträhne, die ich wirkungsvoll aus derselben hätte streichen können. Tatsächlich sah ich, wie seine Mundwinkel ganz leicht nach oben gingen und die Tränen versiegten. Er schenkte mir einen dankbaren Blick. Nach ein paar Minuten schien er sich so weit beruhigt zu haben, dass man zusammenhängende Sätze aus ihm herausbekommen konnte und so fragte ich ihn, warum er denn so traurig war und ob ich ihm vielleicht helfen könnte. Auf seinem unglücklichen Gesicht erschein ein freundliches Lächeln, das schon fast so strahlend war, wie man es aus der Fernsehwerbung kennt. Er erzählte mir seine Geschichte.

Seit vielen Jahren müsse er jetzt schon putzen, putzen, putzen. Und immer bei fremden Leuten. Nie durfte er irgendwo sesshaft werden und eine Familie oder Freunde finden. Am Anfang wäre es ja noch ganz lustig gewesen und alle waren dankbar, wenn er erschien und ihre Kalk- und Fettflecken besiegte. Dazu musste er immer auf sein Äußeres und auf die Figur achten, weil er sonst von seiner Firma übelste Vorwürfe bekam. Blütenweisse Klamotten, makellose Muskeln und natürlich immer glatt rasiert und frisch geputzte Zähne. Nie Urlaub! Er hatte immer alles geduldig mitgemacht aber jetzt wurden schier unerfüllbare Forderungen an ihn gestellt! Früher hatte er nur mit dem „General“ zu kämpfen gehabt aber der hatte sich schon vor Jahren aus dem Geschäft zurückgezogen, Klementine von Ariel geheiratet und lebte auf Mallorca. Jetzt gab es ganz neue Zaubermittel, die den Schmutz schon in die Flucht schlagen konnten, wenn man nur die Flasche öffnete. Fett, Kalk, Rost, Dreck – alles verschwand im Handumdrehen und die Leute verloren das Interesse an dem armen Meister Proper. Seither stand er unter einem unerträglichen Leistungsdruck und jetzt konnte er einfach nicht mehr. Er stand kurz vor einem Burn-Out, weil der ganze Stress zu viel wurde. Und schließlich wurde er ja auch nicht jünger!

Ich hatte großes Mitleid und konnte seine Probleme gut verstehen. Darum nahm ich ihn bei der Hand und brachte ihn zu meinem Auto. Dort ließ ich ihn warten, bis ich mit Einkaufen fertig war und danach nahm ich ihn mit nach Hause. Seine Firma sucht ihn verzweifelt aber ich halte dicht! Einen angenehmeren Hausgenossen kann man sich nicht vorstellen. Das, was es bei mir zu putzen gibt, ist für Meister Proper ein Klacks. Wenn er mit der Hausarbeit fertig ist, liegt er am liebsten auf dem Sofa und schaut im Fernsehen Werbung. Er hat gesagt, er will nie wieder zurück und darum behalte ich ihn.

Also Leute – wundert Euch nicht, wenn Meister Proper aus den Regalen verschwunden ist – er gehört jetzt mir ganz alleine!

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Tag der Veröffentlichung: 28.08.2009

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