"Wir lösen Ihre Probleme"
Die Anzeige fiel mir auf. Sie war unscheinbar, stand unter der Rubrik „Verschiedenes“ und enthielt nur wenige Worte: „Wir lösen Ihre Probleme“. Kleinanzeigen gehören zwar nicht zu meiner bevorzugten Lektüre aber samstags, beim Frühstück, ist es sehr unterhaltend, sich darüber zu amüsieren, was die Leute alles suchen oder los werden wollen. Ich versuche dann immer, zwischen den Zeilen zu lesen und mir vorzustellen, wer oder was sich hinter den unscheinbaren Texten verbirgt. Zwischen den Zeilen dieser Anzeige gab es nichts zu lesen. Das Angebot stand einfach da! Keine Einschränkungen, keine Bedingungen, nichts.
Den ganzen Tag über gingen mir diese Worte nicht aus dem Kopf. „Wir lösen Ihre Probleme“. Wer hätte keine Probleme – kleine oder große, alte oder neue, wichtige oder unwichtige. Ich für meinen Teil hatte so einiges am Hals, das sich nicht so einfach aus der Welt schaffen lies.
Die Anzeige trug eine Chiffre-Nummer, so dass man auch über die Telefonnummer nicht herausbekommen konnte, wer und was sich dahinter verbarg. Möglicherweise handelte es sich nur um eine Putzfirma, die überlasteten Hausfrauen die Reinigung der Fenster oder den Weihnachtsgroßputz abnehmen wollte. Oder eine Rentnergang, die für ein bisschen Taschengeld die Kehrwoche für lustlose Mieter übernehmen konnte. Vielleicht war es auch einfach nur das Angebot einer unterbeschäftigten Prostituierten, die ihre Dienste an den Mann bringen und sich einen Kundenstamm aufbauen wollte. Aber, wenn es nun etwas ganz anderes war? Eine gute Fee, die drei Wünsche zu vergeben hatte? Eine Woodoo-Priesterin, die kleine Stoffpüppchen mit Nadeln traktierte? Ein Vampir, der meinen Feinden das Blut aussaugte? Weibliche Neugier paarte sich mit weiblicher Phantasie und so begann es in meinem Kopf intensiv zu arbeiten.
Ich kam aus dem Grübeln einfach nicht mehr heraus und - wie schon gesagt – Probleme, deren mögliche Lösungen sich mir noch nicht erschlossen hatten, gab es in meinem Leben reichlich. Was sollte es schon schaden, einfach einen Brief an die Chiffre-Nummer zu schreiben? Es war ja nicht gesetzlich verboten, auf Anzeigen zu antworten. Was konnte es schon schaden, erst einmal Näheres über den Urheber der Anzeige herauszufinden?
Ich hatte eigentlich nur mit dem Gedanken gespielt aber plötzlich saß ich am Schreibtisch und begann einen Brief zu formulieren. Meine Anschrift ließ ich vorsichtshalber weg und gab nur meine Handynummer an. So konnte ich sicher sein, am Ende nicht doch nur einen Staubsauger- oder Wellnessproduktvertreter oder weiß der Himmel wen auf der Matte zu haben. Ich fragte lediglich an, welcher Art die Probleme denn wären, die da gelöst wurden und bat darum, mir die Antwort telefonisch – notfalls auf der Mailbox – zu hinterlassen, möglichst auch unter Angabe eins eventuell anfallenden Honorars.
Der Brief wurde eingepackt, frankiert und als er endlich im Briefkasten war, konnte ich ihn beruhigt aus meinem Gedächtnis verbannen, denn irgendwie hatte ich das Thema damit abgehandelt und wenn eine Antwort kam, wäre sie bestimmt stinklangweilig – oder?
Ein paar Tage später, ich glaube es war an einem Mittwoch, klingelte mein Handy. Das Display informierte mich darüber, dass der Anrufer „unbekannt“ war und deswegen wusste ich nicht, wer mich da zu erreichen versuchte. Also nahm ich das Gespräch entgegen, weil ich sonst wieder stundenlang darüber hätte nachdenken müssen, wer versucht hatte, mich zu erreichen und ob es vielleicht wichtig gewesen wäre.
Die Stimmte klang merkwürdig und etwas unangenehm. Eine Männerstimme mit hoher Frequenz, so in der Art, dass man unwillkürlich den Hörer weit vom Ohr weg hält. Der Mann meldete sich nicht, sondern sprach mich gleich mit meinem Namen an. Er war sehr höflich, bedankte sich für mein Interesse an seinen Dienstleistungen und erklärte mir, dass es die Möglichkeiten eines Telefongespräches sprengen würde, das breite Spektrum seines Angebotes vorzustellen und schlug ein persönliches Gespräch vor. Ich zögerte! Mich mit einem wildfremden Menschen zu treffen, der noch dazu einen mit einem derart unangenehmen Sprechorgan ausgestattet war, schien mir nicht sehr verlockend. Andererseits war ich unendlich neugierig und wusste genau, dass sich diese Sache für ewig in meinem Gedächtnis eingraben würde, und dass ich ständig über die Lösung dieses Geheimnisses nachbrüten müsste, wenn ich dem Mann eine Abfuhr erteilte.
Da der Anrufer mich nicht darum bat, mich in meiner Wohnung zu treffen, sondern an einem öffentlichen Ort, schien es nicht gefährlich zu sein. Die Wahl unseres Treffpunktes überließ er mir und ich entschied mich für die Cafeteria des großen Einkaufszentrums, denn dort hielten sich immer viele Menschen auf und man war trotzdem anonym. Auch Tag und Uhrzeit durfte ich bestimmen und ich legte unser Date auf meine Mittagspause, denn um diese Zeit war an diesem Ort die Hölle los und zwischen all den vielen hungrigen Leuten könnte mir mein Gesprächspartner wohl kaum ein Messer zwischen die Rippen rammen oder die Handtasche klauen. Jetzt war nur noch die Frage zu klären, wie ich ihn erkennen sollte oder er mich, aber das schien anscheinend keine Schwierigkeit für ihn zu sein. Ich war skeptisch. Schließlich konnte der Mann ja nicht wissen, wie ich aussah und er hatte auch gar nicht danach gefragt – aber versuchen konnte man es ja. Wenn er nicht kommen oder mich verpassen sollte, musste ich mir wenigstens hinterher nicht vorwerfen, keinen Versuch unternommen zu haben, dieses Geheimnis zu lüften und konnte die Angelegenheit unter „sinnlose Zeitverschwendung“ verbuchen.
Allerdings wäre ich trotz aller Neugierde doch fast zu spät bzw. gar nicht zu unserem Treffen erschienen, denn kurz vor meiner Mittagspause ereilte meine Kollegin ein schlimmer Unfall und über die ganze Aufregung hätte ich mein Blind-Date fast vergessen. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mich das große Pech dieser Person nicht sehr betroffen machte, denn wir konnten uns nicht leiden aber immerhin wurde sie genau vor dem Eingang unseres Bürogebäudes von einem sehr schnell um die Ecke biegenden Auto erfasst und tödlich verletzt, was mich im ersten Moment doch etwas schockierte, zumal der tragische Unfall sich vor meinen Augen ereignete. So viel Blut, Lärm und Aufregung kann einen schon ein bisschen aus der Bahn werfen und die Polizei verhörte mich als Zeugin, denn der Fahrer des Unglückswagens hatte sich ohne zu zögern aus dem Staub gemacht. Leider konnte ich keine nützliche Aussage machen, denn ich wusste nur, dass der Wagen groß und dunkel war und ich nehme an, dass die Ordnungshüter mit diesem Tipp nicht wirklich viel anfangen konnten. Außerdem quälte mich ein schlechtes Gewissen, denn der Tod dieser Kollegin ging mir nicht sehr nahe. Sie hatte es verstanden, sich bei der Geschäftsleitung lieb Kind zu machen und keine Gelegenheit verpasst, mich an höherer Stelle anzuschwärzen. Jedes kleine Vergehen, das ich mir zuschulden kommen ließ, hatte sie sofort weiter getragen und ich musste mir ihretwegen ständig Rempeleien von meinem Vorgesetzten anhören, was meine Arbeitstage nicht gerade harmonisch gestaltete.
Trotz allem betrat ich fast pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt das Selbstbedienungsrestaurant, holte mir eine Tasse Kaffee und suchte mir im hinteren Bereich des großen Raumes einen freien Platz. Ich hatte Glück und fand einen Zweiertisch, so dass mein geplantes Treffen ohne störenden Zuhörer stattfinden konnte und das einzige, was jetzt noch fehlte, war mein Gesprächspartner.
Ich beobachtete den Eingang. Da ich keine Ahnung hatte, mit wem ich es zu tun haben würde, nahm ich jeden Neuankömmling genau unter die Lupe. Keiner sah sich suchend um, alle gingen zielstrebig zur Essensausgabe und setzten sich dann irgendwo hin. Also wartete ich ungeduldig und nervös. Da ich am Eingangsbereich niemanden entdecken konnte, der als mein potentieller Gesprächspartner hätte in Frage kommen können, drehte ich mich um und betrachtete die bereits anwesenden Gäste, wobei mein Blick am einen oder anderen hängen blieb.
Erschrocken fuhr ich zusammen, als sich direkt neben mir jemand räusperte. An meinem Tisch saß plötzlich ein Fremder und ich hatte sein Kommen weder gehört, noch gesehen. Ich war mir völlig sicher, dass dieser Mann nicht unter den Gästen war, die nach mir das Lokal betreten hatten und auch im gesamten Gastraum war er mir nicht aufgefallen und doch saß er hier!
Sein Anblick verschlug mir den Atem. Ich hatte der unangenehmen Telefonstimme im Geiste alle möglichen Gesichter verpasst aber nie im Leben hätte ich mit so viel männlicher Schönheit und Anmut gerechnet. Mutter Natur hatte wirklich ganze Arbeit geleistet und den Fehler, den sie sich mit der Stimme erlaubt hatte, am Aussehen wieder wettzumachen versucht. Soweit ich es beurteilen konnte, schien der Mann sehr groß zu sein. Schwarzes Haar, dunkler Teint und sehr, sehr braune Augen. Er wirkte äußerst gepflegt und war geschmackvoll und elegant gekleidet.
Ich starrte ihn an. Sprechen konnte ich nicht, denn erstens war ich immer noch erschrocken über dieses aus dem Nichts Auftauchen, und zweitens fühlte ich mich vom Äußeren und von der selbstsicheren Ausstrahlung dieses Menschen total überwältigt. Gott sei Dank wartete er nicht darauf, dass ich ihn zuerst ansprach, denn in diesem Falle würden wir wahrscheinlich heute noch dort sitzen. Er streckte mir seine äußerst gepflegte und sehr gut manikürte rechte Hand entgegen, sprach mich mit meinem Namen an, und lächelte ein Lächeln, das mindestens achtzig Prozent der weiblichen Bevölkerung in Ekstase versetzt hätte. Nach dieser Begrüßung, begann er auf mich einzureden.
Den ersten Teil seiner Ansprache hörte ich nicht bzw. ich kann ihn nicht wiedergeben, denn ich war immer noch damit beschäftigt, ihn mit offenem Mund anzustarren. Nach und nach schaltete sich jedoch mein Gehirn soweit wieder ein, dass ich ihm einigermaßen zuhören und den Sinn seiner Worte teilweise erfassen konnte. Das erste, was mir auffiel war, dass er mich mit meinem Vornamen anredete und außerdem duzte, was mir allerdings zu dem Zeitpunkt mehr als egal war und meinetwegen hätte er mich mit jedem Namen dieser Welt ansprechen können, solange er nur nicht aufhörte, dieses charmante Lächeln zu lächeln.
Ganz langsam jedoch erschloss sich mir der Inhalt seiner Worte und ich spürte genau, wie mir das Blut in den Adern gefror. Mit ruhiger und sicherer Stimme, etwas gelangweilt, so als würde er mir die neuesten Börsenkurse vorlesen, zählte er meine sämtlichen Probleme auf, angefangen von meinen finanziellen Schwierigkeiten, bis hin zu meinem lästigen und verabscheuten Ehemann, den ich aus den verschiedensten Gründen einfach nicht loswerden konnte. Zum Schluss kam er auf meine berufliche Misere zu sprechen und als er die Kollegin erwähnte, die vorhin auf so tragische Weise die ewigen Jagdgründe betreten hatte, stellten sich mir sämtliche Haare auf und ich konnte genau nachvollziehen, wie sich eine gegen den Strich gebürstete Katze fühlte.
Er wusste ganz genau, wie sehr ich diese Frau gehasst hatte, als sie noch das Vergnügen hatte, unter uns zu weilen, und er kannte sogar die Gründe für meinen Hass, zählte mir jede einzelne Meinungsverschiedenheit auf und ich hatte den Eindruck, dass er ständig in meiner Nähe gewesen sein musste, denn sonst hätte er diese Informationen nicht haben können. Meine Reaktion auf seine Ausführungen konnte ihm nicht entgangen sein, denn er unterbrach seinen Vortrag, legte die Fingerspitzen aneinander und schaute mir tief in die Augen. Mir wurde noch kälter und ich fürchtete, gleich vom Stuhl zu kippen, weil mein Herz seinen Dienst versagen wollte.
Er sprach weiter und seine geduldige Erklärung klang so, als hätte er ein Kind oder einen geistig zurückgebliebenen Menschen vor sich. Bisher hatte ich mich immer für eine recht vernünftige Person gehalten aber daran begann ich jetzt heftig zu zweifeln. Seine Worte sickerten in mein Gehirn und richteten dort ein Chaos an, das mich an meinem Geisteszustand doch sehr zweifeln ließ.
Er setzte mich darüber in Kenntnis, dass er der für mich zuständige Schutzengel wäre und dass die Menschheit leider immer noch dem Irrglauben verfallen sei, dass Schutzengel weißgekleidete Gestalten mit Heiligenschein und Flügeln wären. Die Realität sähe jedoch vielmehr so aus, dass es in Schutzengelkreisen weder Gut noch Böse gäbe, denn diese Eigenschaften wären rein menschliche Erfindungen. Ein Schutzengel habe immer nur die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass es seinem Schutzbefohlenen gut gehe. Diese Aufgabe könne jedoch nur erfüllt werden, wenn sich der betreffende Mensch um direkten Kontakt bemühe. Da er bei mir noch nie festgestellt habe, dass ich mich auf irgend eine Art und Weise um seine Hilfe bemüht hätte und er seine Aufgabe sehr ernst nähme, habe er zu dem Trick mit der Annonce greifen müssen, um mich dazu zu bewegen, ihn zu kontaktieren. Mein Anruf habe ihn nunmehr in die Lage versetzt, endlich in mein Leben eingreifen zu können und damit sei ihm das Schicksal vieler seiner Kollegen erspart geblieben, sich zu Tode zu langweilen, weil niemand nach ihrer Hilfe verlangte.
Ich musste schlucken und überlegte, ob ich dem Wahnsinn nun endgültig verfallen war oder ob ich das alles tatsächlich erlebte. Mein Gegenüber legte eine Pause ein, vermutlich wollte er mir die Möglichkeit geben, erst einmal zu verarbeiten, was er mir da so geduldig und freundlich erzählt hatte. Nach ein paar Minuten des Schweigens schien er der Meinung zu sein, dass er jetzt endlich zum Kern der Sache kommen konnte und sprach weiter.
Und was jetzt kam, brachte mein Gehirn endgültig zum rotieren, denn er informierte mich ganz sachlich darüber, dass er mit seiner Arbeit bereits begonnen und die leichteste Aufgabe schon erledigt hätte. Die Kollegin, die mich immer so gequält hatte, habe er bereits aus dem Weg geräumt und für mich damit den Anfang für eine rosigere Zukunft geschaffen. Mein Berufsleben würde sich ab sofort sehr viel harmonischer gestalten und deswegen würde er sich jetzt meinen anderen Problemen zuwenden, die etwas zeitintensiver behandelt werden müssten. Ich sollte mir jedoch keine Sorgen machen, alles wäre bei ihm in besten Händen und würde zu meiner vollsten Zufriedenheit erledigt.
Ich war sprachlos! Plötzlich fiel mir das Sprichwort ein „bitte nie um etwas, es könnte Dir gewährt werden“! Langsam fand ich die Fähigkeit zu sprechen wieder und versuchte, ihn davon zu überzeugen, dass ich meine Probleme nicht auf diese Weise gelöst haben wollte. Er lächelte nur. „Dies liegt nicht in Deinen Händen“, antwortete er mir. „Du hast mich gerufen und hier bin ich und hier bleibe ich. Du kannst mich nicht mehr wegschicken und auch durch nichts daran hindern, Dir zu helfen. Ich nehme meinen Beruf sehr ernst und wenn ich mich jetzt profiliere, werde ich vom Schutz- zum Erzengel befördert und da ich sehr ehrgeizig bin, werde ich dieses Ziel erreichen. Wir gehören jetzt für immer zusammen und nichts – außer Deinem Tod – kann uns trennen. Dir wird es blendend ergehen und ,ob es Dir nun passt oder nicht, Dir wird geholfen! Ich habe Dir schon erklärt, dass es für mich kein Gut und kein Böse gibt und dass ich eine Aufgabe zu erfüllen habe und so wird es geschehen.“
Inzwischen sind ein paar Wochen vergangen und es hat noch ein paar rätselhafte Todesfälle in meinem Umfeld gegeben. Außerdem habe ich im Lotto gewonnen und mein Chef hat mich befördert. Ich bin am Ziel meiner Wünsche und wäre lieber tot, um diesem Wahnsinn ein Ende zu bereiten. Leider verhindert mein Beschützer jeden Selbstmordversuch und ich scheine dazu verdammt zu sein, sehr alt, sehr reich, sehr gesund und sehr unglücklich zu werden. Vielleicht habe ich aber doch Glück und eines Tages wird er mich sterben lassen, weil er mir genug Gutes getan hat und er sich endlich größeren Aufgaben zuwenden kann.
Tag der Veröffentlichung: 25.08.2009
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