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Spiegelwelt
Die nachfolgende Geschichte kann ich nicht beweisen,
aber sie ist wahr, denn auf meinen Reisen,
kam ich selber in dies seltsame Land
dessen Lage und Name „Unbekannt“.
Seltsame Dinge sollten dort gescheh’n,
und ihr werdet es gleich selbst versteh’n
wenn ich zuerst in der Geschichte
von den Einreiseformalitäten berichte.
Normale Pässe gelten dort nicht,
denn die zeigen per Foto ja Dein Gesicht,
was die einheimischen Sitten verletzt.
Deshalb wird Dein Passfoto ersetzt,
durch ein anderes, Du hast keine Wahl:
Eine Fotografie Deines Genital!
Bei den Frauen fordert man bloß
eine einfache Abbildung von ihrem Schoß.
Bei den Männern müssen es zwei Bilder sein,
einmal erigiert und einmal klein!
Und so geht es auch weiter, wie ihr seht,
mit einer ganz and‘ren Bewertung der Sexualität.
Die Liebe ist – so wird argumentiert,
etwas, was zur Glückseligkeit führt.
Darum sollte sich jeder an ihr erfreuen,
und darf deshalb die Öffentlichkeit nicht scheuen.
Statt „Guten Tag“ küsst man sich auf den Mund,
und tut jemand bei der Gelegenheit kund,
er hätte auf weitere Kontakte Lust,
dann liebkost man ganz öffentlich seine Brust,
oder streichelt ganz zärtlich den jeweiligen Po.
Das verwundert uns, aber dort ist es so.
Jedenfalls steht dort im Gesetz geschrieben:
Du sollst Deinen Nächsten lieben;
und ohne davon einen Deut abzuweichen
praktiziert man das in allen Bereichen.
Ein seltsames Land ich geb‘ es ja zu,
aber dort gibt es ebenfalls ein Tabu!
Und wir sollten die Andersartigkeit nicht verfluchen,
sondern erst einmal zu verstehen versuchen
und unsere Moralvorstellung vergessen:
Also, das Tabu dort betrifft das Essen!
Natürlich muss das Essen sein,
aber wenn schon, dann bitte ganz allein.
Denn man sagt, was dabei passiert,
wenn das Essen nur vorbereitet wird,
ist zwar zum Überleben vonnöten,
aber man ist gezwungen zum Töten.
Ob Tier oder Pflanze, das ist egal,
getötet wird, Du hast kein Wahl.
Und dann möglicherweise habt ihr schon vergessen,
was genau passiert denn, wenn wir mal Essen?
Etwas, was vorher „schön“ gewesen,
eben ein anderes Lebewesen,
wird jetzt zermampft zu einem Brei
und Du empfindest nichts dabei,
bis Du, bevor Du herunterschluckst,
Du Dir diesen Bissen noch einmal beguckst.
Von Ästhetik ist da keine Spur,
und die Menschen dort haben nur,
deshalb die Konsequenz daraus gezogen
und das Essen aus dem Verkehr gezogen!
Gut, Essen muss sein, aber keinen Kult.
Ein Verstoß dagegen bedeutet schwere Schuld.
Und ich hörte von ganz strengen Strafen,
die solche „Essenssünder“ betrafen.
Ganz klar gibt es dann dort auch Exzesse,
sozusagen „Geheimbünde“ mit schwarzer Messe,
und fragt man jemanden, was das denn sei,
hört man nur ein Wort: „Völlerei“!
Und dann gibt es natürlich in diesem System
Auch das entgegengesetzte Extrem.
Ein Mönchsorden, bei dem die Regel besteht,
wer beitreten will, kriegt den Mund zugenäht.
Und jeder Mönch muss sich bequemen,
nur noch Flüssigkeit durch ein Rohr aufzunehmen.
Enthaltsamkeit heißt das Ideal,
ob man damit glücklich wird ist doch egal.
So, und nun frage ich euch, etwas beklommen,
ist es euch nicht auch vorgekommen,
als erzähle ich von unserem Land,
und nicht von einem Staat “Unbekannt“?
Nur dass eben veränderte Vorzeichen
Von unseren Moralvorstellungen abweichen.
Und es erscheint mir ganz genau,
als ob ich in einen Spiegel schau:
Alles verkehrt sich vom Linken zum Rechten
Und aus guten Dingen, werden die Schlechten.
Nur schade, dass ich trotz vielen Versuchen
Dieses Land noch mal zu besuchen,
Ich erinnere mich leider wirklich nicht mehr,
wie kam ich hin und wie wieder her?
Es ist, als wär’s höheren Ortes beschlossen,
die Grenze zur Spiegelwelt bleibt verschlossen.
Aber eine Möglichkeit gibt es, ich verrat euch wie:
Benutzt mal ausgiebig eure Fantasie!!
Don 10. 86

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.03.2011

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