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Unserer Sprache
Ist vermutlich eine der wesentlichsten „Erfindungen“ der Menschheit. Wir haben damit eine Möglichkeit geschaffen um uns miteinander mitzuteilen. Das hat für die Entwicklung des Menschen entscheidend beigetragen, uns so zu organisieren, dass wir mit dem was wir an „Umwelt „ vorfanden uns besser, erfolgreicher verhalten konnten. Na klar, wenn ein Vorfahre von mir seinem Kumpel mitteilen konnte: “Vorsicht, da wo Du hinwillst ist eine Horde von wütenden Wildschweinen“, das hat schon was! Aber den wenigsten von uns ist klar, um welchen Preis wir diese Mitteilungsfähigkeit entwickelt haben.
Ich möchte das etwas Genauer darstellen, weil wir durch den Gebrauch unserer Sprache unsere gesamte Wahrnehmungsfähigkeit geprägt haben.
Lasst uns mal einen Blick in meinen Garten tun. Er ist etwas anders als bei manchen anderen, aber genau deshalb mag ich ihn. Er ist nämlich etwas „verwildert“. Du siehst eine große grüne Fläche mit einem Durcheinander von Sträuchern, Gräsern und Blumen, das insgesamt erfasst, eine ganz bestimmte Wirkung hat. Da kommt so ein vages Gefühl von „Natur“ daher, das mich manches Mal direkt überwältigt.
Wenn ich länger hinschaue erkenne ich hier einen Farn, dort ein Veilchen, daneben dann einen Frauenmantel usw. Aber genau dann, wenn ich die einzelnen Teile des Gesamtbildes Garten analysiere, zerstöre ich das wunderhafte Gesamtbild und beschäftige mich mit einzelnen Teilen davon. Das, was ich im Augenblick bestaune, nehme ich heraus und mache es zu einem eigenständigen „Ding“. Ich separiere etwas, das es so gar nicht gibt, denn der Frauenmantel ist nur deswegen da, weil die Nachbarn ihm so gut gefallen, so dass er sich dort wohlfühlt. Ich, genauer mein Gehirn, vereinfache damit die Umwelt und zerlege sie in einzelne voneinander unterscheidbare Dinge.
Warum nur? Weil mein Gehirn sich an seine einzige wesentliche Aufgabe gehalten hat, das Überleben von mir (und meiner Art) zu sichern. Bitte lasst uns diese Einsicht nicht so schnell vergessen: „ Mein Gehirn findet mich so toll, dass es sich nun schon 77 Jahre erfolgreich dieser Aufgabe unterzogen hat. Und ich finde das prima.“
Was braucht den so ein Mitglied von homo sapiens unbedingt zum Überleben?
Naja, Wasser, Nahrung, Wärme und die Anwesenheit von „Kumpels“. Und was er nicht braucht ist auch schnell klar. Gefährdendes Feuer, Schluchten, Giftpflanzen oder Raubtiere usw.
Nun nehmen wir eine Unzahl von Informationen pro Sekunde mit unserem Körper wahr, unglaubliche 600 000 Bits (ich hab sie nicht selbst gezählt, aber es stimmt wohl). Aber in unserem Gehirn können wir höchsten 40 Einheiten von Information pro Sekunde verarbeiten. Das bedeutet, wir müssen für unser langsames Gehirn die Welt um uns vereinheitlichen, vereinfachen wir müssen aus der Vielzahl von Eindrücken einige wichtige Dinge verselbständigen, um sie zu verarbeiten. Und so entwickeln wir den Eindruck von einzelnen „Dingen“, selbst dort, wo gar keine sind. (Beispiel: Vase und zwei Gesichter. Wir sehen die beiden einander zugewandten Profile aber eben auch die Vase dazwischen, obwohl da nur Leere ist).
Wir erfassen die Welt um uns vorwiegend durch eine (biologisch gesehen) Ausstülpung unseres Gehirns in unserem Gesicht: Die Augen. Schon hier findet eine Filterung des Wahrgenommenen statt. Unsere Augen haben nur einen bestimmten Wahrnehmungsbereich, aber z. B. Farben gibt es weit mehr, als unsere Augen weitergeben können. Und im Gehirn setzt sich diese notwendige Vereinfachung fort.
Wie ich die Welt um mich wahrnehme, wird also weitestgehend von meinem eigenen Überlebensmechanismus bestimmt. Und der greift immer auf die Erfahrungen von früher zurück und er interpretiert alles gemäß seinen eigenen Erfahrungen.
So kommt es zu der zentralen Aussage der Wahrnehmungspsychologie: Alles, was wir wahrnehmen können, haben wir vorher schon erlebt (oder ist in unseren Instinkten verankert, wie der Saugreflex des Neugeborenen an der Mutterbrust).
M e i n e Sinnesorgane, m e i n e Erfahrungen und m e i n e Instinkte sind also verantwortlich für m e i n Bild von der Welt. Damit gibt es für mich keinerlei direkte Wahrnehmung der Welt. Diese Aussage gilt wohl für alle Lebewesen auf der Welt.
Der Mensch ist darüber hinausgegangen und hat etwas „Zusätzliches“ erschaffen. Er hat die verschiedenen „Dinge“ mit Namen versehen, so dass er sie weitergeben konnte. Jedes Ding hatte nun seinen Namen. Ohne den ist es heute schon gar nicht mehr denkbar. Aber was bedeutet das für meine Umwelt? Sie ist verwandelt worden in eine weitere Vereinfachung.
Theo, mein vierjähriger Enkel zeigt mir, dass das für ihn sehr nützlich ist. Ein Ball ist ein Ball und ein Klotz ein Klotz. Aber nur solange, bis der Klotz plötzlich einen Berg darstellt, den der Zwerg erklimmen muss. Seine Vorstellung verwandelt seine bisherige Realität erfolgreich in eine andere, und das mindestens 100 Mal am Tag. Das finden wir ganz selbstverständlich, aber wir sollten beachten, dass es bei uns Erwachsenen gar nicht anders ist. Auch wir passen unsere Umgebung erfolgreich unseren Vorstellungen an. Nur merken wir gar nicht mehr, was für eine Gestaltungskraft unsere Einstellungen, Vorstellungen, unsere Annahmen haben. Daraus ergibt sich, dass die individuelle Sprache für jeden Menschen ein unverwechselbarer „Hirnabdruck“ ist. Und noch eines, wir nehmen gar nicht mehr wahr, welche immense Kraft in unserer „Sprache“ steckt. Die richtige Mischung von einzelnen Buchstaben ergibt richtige Sprengsätze.
Der für jeden einsehbare Erfolg der Sprache für eine erfolgreiche Übermittlung von Mitteilungen führte allerdings zu der nicht in Frage gestellten Annahme, dass wir mit der Sprache „alles“ ausdrücken können. Dabei übersehen wir noch heute, dass unsere Sprache nie dafür gedacht war, abstrakte Gegebenheiten zu benennen. Wir benennen heute noch „Schicksal, Raum, Gott“, mit Namen und erzeugen damit eine dinghafte Vorstellung dieser Begriffe. Wir haben nur noch nicht genau genug nachgedacht, um zu erkennen, dass wir nicht alles Wesentliche mit der Sprache ausdrücken können, ohne es zu verfälschen.
Das aber geht nicht nur bei unserer Sprache so. Auch bei anderen Entwicklungen haben wir nicht vorausgesehen, was da mal an unerwünschten Nebenwirkungen so auftauchen kann. Historiker (also unsere rückwärts schauenden Propheten) meinen, wir haben am aufrechten Gang so ca. 3 Millionen Jahre oder mehr geackert. Drei Millionen Jahre an Vorbereitung für die perfekte Gestaltanpassung, bloß, damit wird dann einen sauberen Hexenschuss hinkriegen.
Zurück zum Sprachgebrauch. Die Zeit ist ein gutes Beispiel. Wir gebrauchen viele Redewendungen wie: „Ich nehme mir eben mehr Zeit“ oder der sprachlich sinnlose Ausdruck: „Du, ich habe gar keine Zeit!“ „Die Zeit verrinnt mir zwischen den Fingern“, oder “Meine Zeit ist knapp“. Jeder der so spricht, sieht die Zeit als ein „Ding“ an, so etwas wie H-Milch oder ein Gas, das zwischen den Fingern verrinnen kann. Dabei ist die Zeit etwas dingloses, etwas, das wahrscheinlich außer uns Menschen niemand sonst hat, ebenso wenig wie den Raum. Beim besten Willen kann ich mir den Raum an sich nicht vorstellen. Ich benötige dazu immer irgendwelche Dinge, die ich darin verteilen kann, und dann, mit einem Mal, geht es. Mein Raum wird greifbar.
Nehmen wir noch ein Beispiel mit dem Begriff „Gott“. Die Benennung von einer solchen Institution wie Gott verführt konsequent zu einer Vorstellung, wir haben es hier mit „etwas“ zu tun, das von dem Rest der erfahrbaren Welt und natürlich vom Menschen getrennt ist. Und außerdem ist bei den meisten von uns noch Gott ein männliches Wesen. Jeder der täglich das „Vater unser“ betet, verfestigt täglich diese Vorstellung: „Vater unser, der Du bist im Himmel….“Gott ist etwas Männliches und weit weg von uns Menschen.
Oh Gott, was hat das lange Kämpfe gedauert, bis ich erkannt habe, dass das für mich nicht stimmt, bis mir klar wurde, dass ich ein Teil von Gott bin. Aber mehr dazu später.
Und noch einmal, das ist lediglich die Darstellung meiner Gedanken und Erkenntnisse. Jeder andere kann andere haben. Und meine sind nicht besser als seine oder umgekehrt.
Aber je mehr und je länger wir auf der Ebene von unterscheidbaren Dingen denken (und handeln) umso deutlicher wird der Preis, den wir für unsere „Dingwelt“ bezahlen. Wir sind nicht mehr in der Lage uns einfach über etwas zu unterhalten, das von „Dingen“ losgelöst ist, (Abstrakta), weil da die Erfahrung oder Prägung (durch die Eltern) ganz bestimmte Voraussetzungen geschaffen hat. Wer mir auf die Frage: „Glaubst Du an Gott?“ mit „Ja“ antwortet, hat damit praktisch nichts ausgesagt außer, dass in den Wörterbücher von uns beiden das Wort Gott vorkommt. In den unterschiedlichen Sprachen unserer Erde gibt es ähnliche Begriffe aber sie sind häufig so unterschiedlich wie notwendig, denn „jede Sprache ist gleichsam ein Behältnis der ureigensten Begriffe eines Volkes“ so hat es schon Klopstock formuliert. Und Georg Skrypzak sagt uns: „Jede Sprache lässt uns scheitern“. Glücklicherweise konnte ich mich mit sämtlichen Weltsprachen auf einen fairen Kompromiss einigen: Ich beherrsche sie nicht – sie beherrschen mich nicht.
Damit lässt sich erkennen, unsere Sprache sowie unsere Wahrnehmung sind gute Hilfsmittel zur Erschaffung einer sinnvollen Modellwelt. Es lässt sich aber damit nur eine Annäherung an die „wirkliche“ Welt erschaffen, nicht mehr. All meine individuellen Wahrheiten sind dann eben auch nur für mich gültig. Keiner sollte seine Wahrheiten für allgemeingültig halten und ihre Durchsetzung mit der Drohung von Schuld und Sühne erzwingen. Wer das dennoch tut, zeigt damit dass es mit seiner Intelligenz nicht weit her ist; und nichts behindert die Entwicklung der Intelligenz mehr, als ihre totale Abwesenheit.
Don

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Tag der Veröffentlichung: 08.06.2010

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