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Kapitel 1: Montagmorgen

Der Wecker hatte schon zum 10. Mal geklingelt, bis ich mich dazu durchringen konnte meine Augen zu öffnen und ihn auszustellen. Danach sank ich mit einem leisen Stöhnen wieder in meine Kissen zurück. Wieder einmal ein Montagmorgen. Wieder einmal ein neuer Start in die ach so lange Woche. Missmutig starrte ich die Decke an. Warum konnte ich nicht schon längst mit der Schule fertig sein!? Naja, es nützte ja nichts. Mühsam schälte ich mich aus meiner Decke und ging zum Kleiderschrank hinüber. Davor blieb ich stehen und begutachtete mein Spiegelbild. Lange Beine, flacher Bauch, filigrane zierliche Hände, ein schmaler Hals, große, eisblaue Augen und dunkelbraune, gewellte Haare, die mir bis über die Hälfte meines Rückens fielen. Ich fing an mein Gesicht mit den Händen zu zerdrücken, aber das Ergebnis blieb das Selbe: ich war immer noch ich! Verdammt!
Ich öffnete den Schrank und zog meine schwarze Lieblingsjeans aus dem großen Stapel hervor, dazu noch ein lila Shirt, eine Jacke und fertig war ich. Meine Haare versuchte ich gar nicht erst zu bändigen, die führten eh ein Eigenleben, also fasste ich sie nur grob zu einem Zopf zusammen. Nachdem ich alles nötige im Badezimmer erledigt hatte lief ich in die Küche, schmierte mir schnell ein paar Brote für die Schule, stopfte alles in meine Schultasche und lief mit einem Apfel in der Hand aus der Haustür – ich war schon wieder viel zu spät dran! Wie immer!

Nicht das ich es nicht gewohnt wäre, aber die ständigen Blicke und die Tuscheleien hinter meinem Rücken nervten mich trotzdem. Trotzig ging ich den Schulflur entlang und versuchte alles soweit wie möglich auszublenden. Als ich an meinem Klassenzimmer ankam blieb ich kurz stehen um zu lauschen. Ich hörte ein wildes Durcheinander von Stimmen, die täglichen Diskussionen über das andere Geschlecht, die Hausaufgaben und den ganzen anderen unwichtigen Quatsch. Der Lehrer war also noch nicht da. Als ich die Tür zum Klassenzimmer öffnete, saßen bereits alle auf ihren Plätzen und für einen Moment wurde es still.
„Was ist los Frau Weber, wollen sie nicht hinein gehen?“, ertönte die Stimme unseres Mathelehrers hinter mir. Noch bevor er das sagte wusste ich, dass er hinter mir stand, sein Geruch war nicht zu verkennen. Wortlos trat ich in den Raum und begab mich auf meinen Platz.
Die Stunden zogen sich wie gewöhnlich in die Länge. Manchmal hatte die Zeit genau die gleiche, unangenehme Eigenschaft wie Kaugummi: sie war zäh! Und heute ganz besonders, wie ein schon zu lange durchgekautes Kaugummi, das seine Flexibilität schon vor Stunden verloren hatte. Wir machten Wiederholungen, weil für nächste Woche eine Klausur an-stand. Ich brauchte nichts wiederholen, ich hatte ein hervorragendes Gedächtnis. Alles was einmal in meinem Kopf war, kam so schnell nicht wieder raus. Sorgfältig abgelegt in diverse Schubladen konnte ich jeder Zeit auf mein Wissen zugreifen – wie in einer großen Bibliothek.
3,2,1… da war sie wieder, pünktlich auf die Minute: die Schulklingel, die unsere Pause einläutete. Ich brauchte nicht alle 5 Minuten auf die Uhr schauen, wie meine Mitschüler, ich wusste wann die Stunde zu Ende war. Langsam begann ich meine Schulsachen wieder in meine Tasche zu packen, ohne genauer darauf zu achten, was ich wohin tat, während meine Mitschüler bereits an mir vorbei in die Cafeteria stürzten. Ich ließ mir Zeit, warum auch nicht, es wartete ja niemand auf mich.

Als ich den Schulflur erneut entlang wanderte fiel mir etwas auf. Das Getuschel war anders als sonst, die Schüler waren aufgeregt. Sie redeten über ein neues Thema. Zwischendurch fing ich ein paar Gesprächsfetzen auf.
… unheimlich, als wenn…
… hast du ihre Körper gesehen, die sind…
… sie sollen aus einem anderen Land kommen…
Einige unterbrachen ihre Gespräche als ich an ihnen vorbei ging und musterten mich auf komische Weise, intensiver als sonst. Merkwürdig. Was war hier los? Um das herauszufinden änderte ich spontan meinen Kurs und steuerte die Mädchentoilette an. Wo sonst konnte man den neusten Tratsch und Klatsch erfahren, wenn nicht dort?

Während ich in meiner kleinen Klokabine saß und mein Pausenbrot aß, wartete ich geduldig bis ich sie kommen hörte. Sie waren nicht zu überhören, denn sie waren ständig am kichern. Typische Mädchen, sie hätten Schwestern von Barbie sein können – alle! Frei nach dem Motto: es ist pink, es glitzert, ich will es haben! Ich mochte sie nicht, aber um den neusten Klatsch zu erfahren waren sie perfekt, denn sie waren immer am lästern und sie fanden jede Pause zielsicher den Weg hierher um ihre 2 Tonnen Make Up die sie im Gesicht trugen noch um eine halbe Tonnen frisches Make Up aufzubessern.
Ich versuchte sie mir bildlich vorzustellen, wie sie da vor den Spiegeln hingen, mit ihren falschen, rosa lackierten Fingernägeln ihren Lippenstift umfassten und ihre Lippen nach malten. Ich grinste und versuche mich schnell auf ihr Gespräch zu konzentrieren um nicht laut aufzulachen und mich so zu verraten.
„Oh mein Gott, die muss ich näher kennen lernen, die sehen unglaublich gut aus.“ Das war zweifelsfrei Laura, nur sie hatte so eine hohe, kreischende Stimme. „Wenn wir sie erstmal in unseren Bann gezogen haben, dann lässt sich sicherlich auch etwas an ihrem Klamottenstil ändern…“ Achja, ich vergaß, sie war auch mit Abstand die oberflächlichste von allen. Was mich zu dem Schluss brachte, dass es wohl Neuankömmlinge auf unserer Schule gab (gleich mehrere – komisch!), eindeutig männlich und wohl nicht so ganz 0815 wie Laura sie gerne hätte. Ich unterdrückte ein Grinsen!
„Aber bei dem Mädchen, was bei ihnen ist müssen wir aufpassen, die könnte uns Konkurrenz machen, die sieht nicht schlecht aus!“ Aaaahja, damit kommen wir dann also zu Rike. Rike gehört zu den Menschen, die sich mit jedem gut aussehenden Mann sofort eine Beziehung vorstellt, Heirat, Kinder, Hauskauf. Lächerlich! Aber was sie sagte brachte mich zum Nachdenken. Es mussten also mindestens 3 neue Schüler sein, zwei Jungs und ein Mädel. Das kam mir doch schon reichlich komisch vor. Es sei denn… sie waren alle miteinander verwandt, aber das würde keinen Sinn zu Rikes Sorgen ergeben. Geschwister hatten ja schließlich nichts miteinander. Nun meldete sich auch Lisa zu Wort: „Ich weiß nicht, ich finde sie irgendwie… unheimlich…“
Stille.
Und dann konnte ich mir mein Lachen nicht mehr verkneifen. Ich prustete los und verschluckte mich dabei an meinem Schulbrot, was mich dazu zwang fürchterlich zu husten und hilflos nach Luft zu japsen. In der Annahme die drei wären alleine, mussten sie sich wohl ziemlich erschreckt haben, denn die Barbie-Gang verließ ziemlich überhastet die Toilettenräume.

Nachdem ich meinen Rachenraum von den restlichen Brotkrumen befreit hatte machte ich mich auf den Weg zur nächsten Unterrichtsstunde, denn es würde bald klingeln. Als ich quer durch die Aula ging traf mich plötzlich ein heftiger Schmerz in der Schulter, so dass ich laut auf keuchte. Einige schauten mich verwundert an und überlegten wohl, ob sie mir helfen sollten, entschlossen sich aber für´s erste dagegen. „Aua“, murmelte ich zu mir selbst, „was war das denn!?“ Ich konnte den Schmerz nicht zuordnen, ich hatte mich nirgendwo gestoßen und mir hatte auch niemand ein Messer in den Rücken gerammt – obwohl es sich zweifelsfrei so anfühlte. Um ganz sicher zu gehen tastete ich mit der Hand meine Schulter ab, konnte aber nichts Außergewöhnliches feststellen und der Schmerz hatte auch genauso schnell nachgelassen, wie er gekommen war. Lediglich ein kaum wahrnehmbares brennen war noch zu spüren.

Merkwürdig…

Kapitel 2: Abendliche Erkenntnis

Als ich mich auf dem Weg nach Hause machte hatte es bereits zu dämmern begonnen. Die Luft war klar und ich entschloss mich noch einen kleinen Abstecher zum Strand zu machen, um die Abendluft zu genießen. Während ich mich durch das hohe Gras kämpfte, wurde das Licht zunehmend schwächer, aber das minderte meine Sehkraft nicht. Eigentlich konnte ich im Dunkeln genau so gut sehen wie im Hellen, mit dem einzigen Unterschied, dass es im Dunkeln angenehmer für meine Augen war. Daher machte es mir auch keine Mühe mit einem kleinen Ausfallschritt über den große Stein hinwegzuspringen, der auf einmal aus dem Boden ragte. Jeder normale Mensch wäre wohl darüber gefallen, aber was war an mir schon normal…

Als ich aus dem hohen Gras trat war ich erst einmal überwältigt von der Schönheit des Moments. Ich schloss die Augen und atmete tief ein und versuchte alle Details aus meiner Umgebung in mir aufzunehmen. Hinter mir raschelte das Gras leise im Wind. Die kleinen Sandkörnchen die hoch gewirbelt wurden flogen mir gegen die Beine. Das Meer rauschte still vor sich hin und ich konnte hören, wie die kleinen Wellen am Strandufer ausliefen. Irgendwo weit weg hörte ich Kinder spielen. Der Schrei einer Möwe riss mich aus meinen Gedanken. Ärgerlich schaute ich in die Richtung, aus der das Geräusch kam und als mein Blick den Vogel traf, flog dieser erschrocken weg.

Ich zog meine Sneakers aus, krempelte meine Hosenbeine hoch und ging runter zum Wasser. Dort ließ ich meine Schuhe und meine Schultasche in den Sand fallen und ging ein paar Schritte ins Meer hinein. Das Wasser war noch kalt und prickelte auf der Haut, aber es war nicht unangenehm. Bald würde das Wasser an Temperatur gewinnen und dann würde auch der Strand wieder von vielen Leuten bevölkert sein, dachte ich grimmig.
Langsam ging ich wieder aus dem Wasser hinaus und setze mich in den warmen Sand. Ich fing ein wenig an zu frösteln und zog die Knie dichter an den Leib, um die Arme herum zu schlingen. So saß ich eine ganze Weile dort und ließ meine Gedanken umherirren.

Ich erinnerte mich an den heutigen Schultag zurück. Meine Schulter hatte auf dem Weg nach Hause aufgehört zu brennen. Ohne mein zu tun bewegte sich meine Hand wieder über meine Schulter, um sich auch diesmal wieder zu vergewissern, dass dort keine Wunden oder dergleichen zu finden war. Vielleicht hatte mich ja eine Biene gestochen, eine andere Erklärung konnte ich nicht finden.

Plötzlich beschlich mich das unangenehme Gefühl beobachtet zu werden. Ich ließ mir nichts anmerken, horchte aber angestrengt in die Dunkelheit hinein. Dicht hinter mir konnte ich einen Ast brechen hören. Mein Körper spannte sich an, mein Herz begann zu rasen. Ich hörte wie etwas auf mich zu kam und dann... entspannte ich mich wieder. Es war ein Hund, das konnte ich riechen. Langsam drehte ich mich um, um ihn nicht zu erschrecken, denn ich konnte riechen, dass er Angst hatte. Ein Lächeln lief über mein Gesicht, als ich den kleinen Hundekopf zwischen den Grashalmen vorsichtig hervorlinsen sah. Ich blickte in riesige braune Augen. Vorsichtig streckte ich meine Hand in die Richtung des Hundes auf und ich konnte fast körperlich spüren, wie auch seine Angst abfiel. Mit ein paar kleinen Schritten war er bei mir und schmiegte sich eng an mich. Es war noch ein Welpe. Die kleinen Pfoten vorsichtig auf meine Beine gestellt, versuchte er mein Gesicht abzulecken. Der ganze kleine Körper wackelte mit, als er mit der Rute wedelte. Vorsichtig hob ich den kleinen Kerl hoch und setze ihn mir auf den Schoß. Sofort viel er auf den Rücken, damit ich ihm seinen kleinen, noch nackigen Bauch streicheln konnte. Er musste erst wenige Wochen alt sein, wahrscheinlich frisch von seiner Mama und seinen Geschwistern getrennt. „Wo hast du denn dein Frauchen gelassen?“, sagte ich mit leiser Stimme zu dem kleinen Plüschknäuel auf meinem Schoß.

Gerade als ich aufstehen wollte um mit dem kleine Hundekind im Arm sein Frauchen suchen zu gehen, hörte ich abermals Geräusche. Ich blieb stehen und lauschte, um die ungefähre Richtung herauszufinden. Dann lief ich los. Schnell wie der Wind flitze ich durch das hohe Gras, den kleinen schützend unter meiner Jacke versteckt, damit ihm nichts passieren konnte. Ich folgte den Geräuschen und schon bald konnte ich auch ihren Geruch wahrnehmen. Die Angst hing fast greifbar in der Luft.
Das Gras lichtete sich und ich wurde langsamer. Mein Atem ging regelmäßig. Um das junge Mädchen nicht zu erschrecken, rief ich ihr zu, als ich nur noch ein paar Meter von ihr entfernt war. Ich hatte sie sofort entdeckt, als ich aus dem Gras getreten war, aber sie konnte mich vermutlich nicht sehen.
Erschrocken drehte sie sich in die Richtung um aus der das Geräusch gekommen war und ich kam noch ein paar Schritte näher, damit sie mich sehen konnte. Ihr Augen weiteten sich vor Schreck, aber als sie das kleine Hundekind in meinem Arm sah entspannte sie sich wieder.
„Oskar, wo warst du nur? Ich hab mir solche Sorgen gemacht!“, sagte sie mit tränenerstickter Stimme. Als sie auf mich zu kam reichte ich ihr den Welpen entgegen und sie nahm ihn dankbar in die Arme. „Das ist merkwürdig“, sagte sie, „normalerweise lässt er sich von Fremden gar nicht anfassen, geschweige denn auf den Arm nehmen!“ Ich zuckte nur mit den Schultern und wandte mich zum Gehen. „Danke“, rief sie mir noch hinterher und dann war ich vermutlich schon aus ihrem Sichtfeld verschwunden.

Ja, zu Hunden hatte ich schon immer ein besonderes Verhältnis gehabt. Sie mochten mich und ich hatte das Gefühl, dass ich sie verstehen konnte. Ängstliche Hunde waren bei mir zutraulich, aggressive Hunde taten mir nichts.

Während ich den Weg nach Hause lief –natürlich nicht ohne vorher noch meine Schuhe und meine Schultasche wieder vom Strand einzusammeln – dachte ich weiter über meine besonderen Fähigkeiten nach. So ganz normal war ich wirklich nicht, aber was war heut zu Tage schon normal!? Ich war trotzdem immer noch ein Mensch, dachte ich stur.
Ein Mensch.
War ich das?

Kapitel 3: Die Berührung

Als ich am nächsten Tag erwachte, war ich wirklich sehr knapp in der Zeit. Ich schlüpfte direkt in meine Klamotten, krallte mir meine Schultasche und flitze los. Zum Brote schmieren hatte ich keine Zeit mehr.
Immerhin schaffte ich es pünktlich zum Glockenleuten in den Klassenraum zu stürzen. Pünktlich auf die Minute würde ich sagen!

Die erste Pause überlebte ich, in dem ich mich in mein Buch vertiefte und alles um mich herum ausschaltete, aber in der zweiten Pause siegte mein knurrender Magen und ich machte mich auf den Weg in die Cafeteria. Normalerweise war die Cafeteria ein Ort, den ich mied: zu viele Menschen auf einem Fleck! Aber mittlerweile konnten auch meine Mitschüler mein Magenknurren nicht mehr überhören.

In der Tür zur Cafeteria blieb ich kurz stehen, um mir einen Überblick zu verschaffen. Überall erblickte ich kleine Grüppchen, essend und tratschend an ihren Tischen: die Streber, die Verlierer, die Sportler, die Unantastbaren und nicht zu vergessen die Barbies, umzingelt von einem Dutzend Jungs. Ich verdrehte die Augen und trat in meine persönliche Hölle.

Während ich mich zwischen den Tischen hindurchschlängelte um zum Essenstresen zu gelangen, spürte ich die Blicke wie Nadeln auf meinem Rücken haften. Keiner traute sich mir direkt in die Augen zu schauen (ob es an ihrer ungewöhnlichen Farbe lag?), aber sobald ich ihnen den Rücken zugekehrt hatte, waren sie der Meinung ich würde es nicht mehr mitbekommen. Wie lächerlich!

Am Tresen sammelte ich mir ein paar Sachen auf mein Tablett. Ich füllte mir etwas von dem matschigen Salat auf und schnappte mir eine Banane und einen Apfel. Das Brot sah nicht so aus, als wenn man es noch essen könnte, dachte ich still vor mich hin, während ich die Nase rümpfte.
Der Blick der Kassiererin war auch sehr sparsam, als sie meine magere Ausbeute begutachtete und dabei schon ganz automatisch die Zahlen in ihre Kasse tippte. „3,50 Euro bitte“, sagte sie, während sie mir ihre offene Hand hinhielt. Ich kramte in meiner Tasche nach meinem Geldbeutel und dann fiel mir ein, dass dieser noch zu Hause auf meinem Stubentisch lag und ich heute Morgen vergessen hatte ihn einzupacken. So ein Mist! Das war ja mal wieder so typisch! „Ich.. ehm…“, begann ich rumzustottern, während die Schlange hinter mir immer länger wurde. „Ich mach das schon“, sagte eine sanfte, dunkle Stimme seitlich hinter mir und legte der Kassiererin einen 5 Euro-Schein in die Hand. „Der Rest ist für sie gute Frau“, sagte er mit einem Zwinkern. Noch bevor ich Einspruch erheben konnte, brachte mich der stechende Schmerz in meiner Schulter dazu, mit einem Keuchen in die Knie zu sinken. Auf meinem Weg nach unten riss ich das Tablett vom Tresen und verteile den Salat um mich herum, doch das nahm ich gar nicht richtig war, denn der Schmerz war einfach zu stark! Während ich zusammen gesunken auf dem Boden saß und versuchte die Tränen, die mir in die Augen schossen, wegzublinzeln spürte ich, wie der Schmerz nachließ und nur noch ein leises brennen hinterließ. Als ich aufschaute guckte ich in zwei dunkelbraune, fast schwarze Augen. „Alles okay bei dir?“,fragte der Junge mir gegenüber. Ich war nicht fähig ihm eine Antwort zu geben und meinen Blick von ihm zu wenden. „Hey? Hörst du mich?“,fragte er wieder, während er seine Hand nach mir ausstreckte um mich am Arm hochzuziehen. Ich war immer noch fasziniert von ihm. Sein Gesicht war blass, aber sehr ebenmäßig. Er hatte dunkelbraune Haare, eine sehr sportliche Figur, breite Schultern, männliche Hände und dann nicht zu vergessen diese Samtstimme, die mich voll und ganz in seinen Bann geschlagen hatte. Das änderte sich schlagartig, als seine Finger meine Haut berührten. Seine Hände fühlten sich eiskalt an auf meiner Haut, es war schon fast unangenehm. Er schien etwas Ähnliches zu empfinden, denn er zog seine Hand schnell wieder weg. Er stand eilig auf und schaute noch einmal auf mich herab. Ich musste ein klasse Bild abgeben, während ich da so inmitten meines Mittagessens saß. Dann drehte er sich um und ehe ich mich versah, war er in der Menge verschwunden.
Langsam rappelte ich mich auf, noch immer benommen von dieser seltsamen Begegnung. Um mich herum war bereits eine weitere Tresenkraft, die meinen Salat aufwischte. Den Apfel und die Banane drückte sie mir missmutig in die Hand und ich sah zu, dass ich schnell aus der überfüllten Cafeteria raus kam. Schwindelig stolperte ich durch den Raum, lief, nein ich rannte fast den Flur entlang, bis ich die Eingangstür aufstieß und endlich frische Luft atmen konnte. Ich machte einen tiefen Atemzug und fühlte mich gleich besser. Das Brennen in meiner Schulter war verschwunden.
Ich beschloss den restlichen Schultag zu schwänzen und lief nur noch einmal kurz in die Schule, um meine restlichen Sachen zu holen. Dann machte ich mich schnell auf den Weg nach Hause. Ich nahm wieder einmal die Abkürzung durch den Wald um zu meiner Wohnung zu gelangen.

Dort angekommen raste mein Herz, mein Puls ging schnell, meine Hände zitterten und meine Gedanken waren wirr. Was war los mit mir? Was hatte dieser Junge an sich, dass ich auf einmal so austickte? Es war doch bloß ein Junge!
Aber war er das wirklich?
Etwas in meinem tiefsten Inneren sagte mir, dass es nicht so war, aber ich war nicht im Stande diesen Hauch eines Gedankens zu erfassen, geschweige denn zu verstehen und so verwarf ich ihn direkt wieder. Nur ein weiterer wirrer Gedanke.

Ich schloss meine Haustür auf und trat in die Wohnung. Schnell legte ich meine Sachen in eine Ecke (auch den Apfel und die Banane) und ging Richtung Bad. Vor der Tür zog ich meine Klamotten aus und streifte mein Haarband ab. Dann trat ich ins Bad. Wie ich so nackt vor dem Spiegel stand betrachtete ich mich von oben bis unten. Nichts Außergewöhnliches! Dann drehte ich mich herum, um mich von hinten zu betrachten, aber auch da sah ich nichts, was ich nicht schon kannte.
Ich sah meine langen Beine, meinen wohlgeformten Po, meinen schlanken Rücken, meine zierlichen Schulter, die größtenteils von meinen langen Haaren verdeckt waren. Ich legte mir meine Haare über die rechte Schulter, so dass ich meinen ganzen Rücken betrachten konnte. Ich schaute auf meine Narbe, die auf meiner linken Schulter war. Sie war dort, seit dem ich denken konnte. Wie sie dort hingekommen war wusste ich nicht. Meinen vermeintlichen Bienenstich konnte ich nicht entdecken. Was soll´s, dachte ich und wandte mich zur Dusche. Aber mitten in der Bewegung stockte ich. Erstaunt schaute ich auf die kleine rote Stelle an meiner Schulter. Wie war die denn dahin gekommen? Komisch, es war genau dort, wo der Junge mich berührt hatte. Konnte die Berührung etwa… „Nein!“, sagte ich laut und wiederholte das Wort noch einmal schärfer in meinen Gedanken, um so einen endgültigen Cut zu machen und in die Dusche zu gehen.

Ich stellte das Wasser an, hakte den Duschkopf ein und stellte mich unter den prasselnden Wasserstrahl. Während ich mir das Wasser über den Rücken laufen ließ, merkte ich wie meine Gedanken wieder abschweiften und ich musste mich abermals zusammenreißen nicht an die vergangenen Stunden zu denken. Nur ein dummer Zufall, ermahnte ich mich in Gedanken selbst. Ich konzentrierte mich darauf, wie die einzelnen Wassertropfen auf meinen Rücken fielen und sich ihren Weg nach unten suchten.

Nach dem ich das Gefühl hatte, mich nun endgültig beruhigt zu haben, stieg ich aus der Dusche, trocknete mich ab und zog mir mein T-Shirt und meine Shorts an, die im Schlafzimmer nebenan lagen. Nach einem kurzen zögern tapste ich noch einmal barfuß in die Stube, um mir den Apfel und die Banane zu holen und ging damit zurück ins Schlafzimmer um mich ins Bett zu legen. Nachdem ich aufgegessen hatte rollte ich mich in meiner Decke ein und schlief fast sofort ein. Ich schlief den restlichen Tag durch und erwachte erst am nächsten Morgen wieder!

Kapitel 4: Begegnung im Wald

Ich erwachte am nächsten Morgen mit einem schlechten Geschmack im Mund und dem Gefühl zu wenig geschlafen zu haben. Als der Wecker morgens geklingelt hatte, hatte ich ihn direkt wieder ausgeschaltet und weitergeschlafen. Ich wollte nicht zur Schule. Inzwischen war es fast Mittag. Nachdem ich mich ein paar Mal hin und hergewälzt hatte und doch nicht wieder einschlief, stand ich mürrisch auf. Ich zog mir meine Hausschlappen an und schlurfte in die Küche um mir ein Brot zu schmieren.

Mit meinem Brot in der Hand lümmelte ich mich auf die Couch und schaltete den Fernseher ein. Keines der Programme interessierte mich wirklich und so zappte ich von einem zum Nächsten. Plötzlich klingelte es an der Tür. Genervt stand ich auf, schlurfte in den Flur und hob den Hörer der Sprechanlage ab. „Wer ist da?“ Keine Antwort. „Halloooo?“, brummte ich mürrisch in den Hörer. Wieder nichts. Endgültig von meiner schlechten Laune überrumpelt drückte ich auf den Summer und öffnete auch meine Tür. Und da stand er!

Damit hatte ich nicht gerechnet und verschluckte mich auch prompt an meinem Frühstücksbrot. Nachdem ich gefühlte 10 Minuten lang gequält gehustet hatte, und er mich einfach nur aus seinen tiefbraunen Augen anschaute, konnte ich ein leises „Hallo“ hervorpressen. „Dir scheint es gut zu gehen.“, antwortete er. Nachdem ich auch die letzten Krümel runtergeschluckt hatte antwortete ich „Ja, wieso?“
„Du bist gestern in der Schule umgekippt und heute bist du gar nicht erst erschienen, ich hab mir Sorgen gemacht.“
„Ehm.. ja.. ich hatte heute Morgen... ehm… Kopfschmerzen!“, stotterte ich mir meine Antwort zurecht. Ich war so eine schlechte Lügnerin! Aber ich konnte ihm ja wohl schlecht die Wahrheit sagen.
„Na, dann ist ja alles gut“, und mit diesen Worten drehte er sich um und ging. Als ich das Klicken der unteren Haustür hörte, erwachte ich aus meiner Starre. Woher wusste der Typ wo ich wohne?? Und wieso machte er sich Sorgen um mich? Er kannte mich doch gar nicht!

Ich schnappte mir meinen Schlüssel und lief mit meinen Hausschlappen raus, um ihn zur Rede zu stellen, doch er war bereits verschwunden. Ich wollte rufen, aber ich wusste ja nicht einmal wie er hieß… ratlos stand ich vor der Wohnung und schaute umher. Ich konnte nichts sehen und auch nichts hören. Merkwürdig! Ich zuckte mit den Schultern und ging wieder ins Haus.

Ich bummelte noch weitere 2 Stunden durch meine Wohnung, machte den Abwasch und schaffte ein wenig Ordnung. Und dann saß ich wieder auf meiner Couch, unentschlossen was ich jetzt machen sollte. Im TV kam noch immer nichts, was mich interessierte, deswegen machte ich ihn nun endgültig aus.

Ich entschied mich eine Runde laufen zu gehen und ging ins Schlafzimmer um mir meine Sportsachen anzuziehen. Zum Schluss steckte ich noch meinen MP3 in die Tasche und die Ohrenstöpseln in die Ohren und ging aus dem Haus.

Ich lief ein kleines Stück den Fußweg entlang und bog dann in den Wald hinein. Nachdem ich bereits nach kurzer Zeit einige Jogger auf dem Weg überholt hatte, lief ich querfeldein in den Wald. Ich sprang über Steine und Stöcker, wich tief hängenden Ästen aus und ließ den Waldweg bald hinter mir. Nachdem ich einen kleinen Fluss mit einem einzigen Satz überquert hatte blieb ich auf der dahinterliegenden Lichtung stehen. Mein Herzschlag und mein Atem ging regelmäßig und ich war kaum aus der Puste, obwohl ich bereits knappe 3km gelaufen war. Ich nahm die Ohrenstöpsel raus, machte den MP3-Player aus und setze mich mit dem Rücken den nächsten Baum. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf meine Umgebung.

Ich konnte den leichten Wind hören, wie er in den Baumwipfeln spielte, die Äste leicht bewegte und einige Blätter zu Boden fallen ließ. Ich hörte den Fluss, wie er über die Steine hinwegschwappte, das ebenmäßige Rauschen des Wassers. Irgendwo hörte ich einen Specht, der kräftig gegen einen Baum hämmerte. Unter mir hörte ich die Regenwürmer, die sich langsam aber stetig durch die Erde fraßen. Alles war so friedlich! Ich atmete die klare Luft ein und konnte das Moos und die Gräser schmecken.

So saß ich eine ganze Weile dort, bis ich mich zum Weiterlaufen entschloss. Den MP3-Player ließ ich diesmal allerdings aus. Ich lief quer über die Wiese und dann ging es weiter querfeldein, mitten durch den dichten Wald. Hier standen die Bäume besonders dicht, kaum ein Sonnenstrahl berührte hier den Boden. Der Boden war feucht und moosbedeckt.

Plötzlich nahm ich ein seltsames Geräusch war und blieb stehen. Ich hörte wie viele kleine Hufe, über den Boden galoppierten – Rehe. Vermutlich durch irgendetwas aufgeschreckt. Ich blieb noch einen Moment stehen, dann rannte ich in die Richtung, aus der die Hufschläge kamen. Die Rehe rannten immer noch, irgendetwas musste sie verfolgen. Ich lief noch schneller und fand mich bald im tiefsten Unterholz des Waldes wieder.

Durch das leise Brennen in meiner Schulter kam ich aus meinem Laufrhythmus und hielt an. Was sollte das denn nun wieder? Ein Geräusch hinter mir ließ mich herumfahren. Mitten aus dem Nichts stand Er plötzlich hinter mir. Verblüfft starrte ich ihn an. „Was machst DU denn hier?“, platze ich heraus.
„Das Selbe könnte ich dich fragen. Hast du dich verlaufen?“, fragte er.
„Nein, ich gehe hier immer Joggen und dann hab ich was Merkwürdiges gehört und …“, ich stockte mitten im Satz.
„Was hast du denn gehört?“, bohrte er nach.
„Ehm… aufgeschreckte Rehe… und da wollte ich mal nachschauen, was da los ist“, antwortete ich verlegen. Wie mochte sich das wohl anhören!?
„Aha. Und du hast nicht überlegt, dass das vielleicht gefährlich sein könnte? So ganz alleine, mitten im Wald?“, fragte er spöttisch.
„Ich kann schon auf mich selbst aufpassen“, antwortete ich bissig und erntete dafür nur ein hämisches Grinsen.
„Du hast ja nicht einmal mitbekommen, dass ich auf dich zugekommen bin.“
„Ja, ich.. war abgelenkt“, sagte ich kleinlaut. Wie hatte er es nur geschafft sich an mich anzuschleichen? Ich hätte ihn hören MÜSSEN! Langsam wurde mir der Typ unheimlich. Um von meiner Unachtsamkeit abzulenken, wiederholte ich meine erste Frage. „Und was machst du nun hier, so ganz alleine, mitten im Wald?“
„Ich bin nicht alleine“, grinste er und umging damit bewusst einen Teil meiner Frage und ehe ich mich versah, traten zwei weitere Personen aus dem Unterholz hervor. Genauso lautlos wie er kamen sie näher und musterten mich.

Das eine war ein Junge, groß, aber von schlankerer Figur als Er, trotzdem sehr sportlich. Und ein Mädchen, ebenfalls groß, sportlichte Figur. Ich konnte nicht umhin, dass alle drei wunderschön aussahen, wie sie dort so vor mir standen. Alle waren etwa so um 17-18 Jahre alt.

„Hi“, druckste ich und versuchte meine Fassung wiederzugelangen. Meine Schulter brannte immer noch und wenn ich mich nicht täuschte, dann war das Brennen stärker geworden. Was war hier los? Irgendetwas war hier absolut nicht so, wie es sein sollte!
„Ich bin Leah“, sagte das Mädchen zu mir gewannt und zeigte dann auf den Jungen neben sich, „und das hier ist Mike, mein Freund.“
„Ich bin Nic“, fügte Er direkt danach hinzu.
Aha, Nic hieß also mein Unbekannter Verfolger. Jetzt hatte er zumindest einen Namen. „Ich heiße Fly“, fügte ich mit einiger Verspätung hinzu.
„Fly?“, fragte Nic, „ein ungewöhnlicher Name.“
„Naja, eigentlich heiße ich Felicitas Laura Yvonne – meine Mum wollte wohl nicht, dass mich irgendjemand mag“, fügte ich mit einem verlegenen Lächeln hinzu.
„Wollen wir nicht ein Stückchen zusammen gehen?“, fragte Leah in die Runde. Ich wollte grade zustimmen als Nic mir zuvorkam. „Nein, ich denke Fly (bildete ich mir das ein, oder sagte er das mit einer merkwürdigen Betonung?) wollte bestimmt weiterjoggen. Wir sehen uns.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand wieder im Unterholz. Leah zuckte entschuldigend mit den Schulter und lief im dann hinterher und auch Mike folgte ihr, nach einem kurzen Moment in dem er mich noch einmal und intensiver musterte.

Verwirrt und irritiert blieb ich zurück. Das Brennen in meiner Schulter ließ nach. Unschlüssig ob ich ihnen hinterher gehen sollte, lauschte ich in den Wald hinein. Aber da war nichts. Weder das Geräusch 3er Menschen (Menschen?) die sich ihren Weg durch den Wald bahnten, noch das Geräusch des Waldes selber. Das ganze wurde immer abstruser…

Kapitel 5: Nachforschungen

Und wieder einmal saß ich verwirrt und unschlüssig auf meiner Couch.
Nachdem ich nach Hause gelaufen und duschen gegangen war, hatte ich mich mit meinem Laptop dort hin gesetzt. Die Startseite von Google war offen und nun überlegte ich nach Schlagwörtern, die ich eintippen wollte.

Irgendetwas stimmte mit diesen Dreien nicht und ich war wild entschlossen es herauszufinden. Über die Namen würde ich nichts finden, ich wusste ja nicht einmal ihre Nachnamen oder woher sie kamen. Was wusste ich überhaupt? Im Grunde genommen gar nichts, musste ich mir eingestehen. „Okay, gehen wir die Sache anders an“, sagte ich zu mir selbst und überlegte, was ich über sie sagen konnte. Sie sind quasi lautlos, ich konnte sie nicht riechen und seine Berührung hat geschmerzt. Ich tippte *lautlos, geruchlos und Schmerz bei Berührung* ein und erhielt innerhalb von Sekundenbruchteilen diverse Seitenvorschläge. Aber etwas wirklich Brauchbares war nicht dabei. Einiges über Krankheiten, Psychologie, Geschichten und Gedichte. Nichts Handfestes!

Schließlich machte ich meinen Laptop aus und packte ihn beiseite. So würde ich nicht weiterkommen! Ein Plan B musste her!
Aber bevor ich den ausheckte beschloss ich für den Rest der Woche zu Hause zu bleiben. Auf die zwei Tage würde es jetzt auch nicht mehr ankommen und bei meinen Noten konnte ich mir das auch locker leisten. Und in den zwei Tagen würde in der Schule genug passieren, damit mein kleines Missgeschick in der Cafeteria schnell vergessen war. Das hoffte ich zumindest…

Während ich so da saß und grübelte, fing es langsam an zu dämmern. Da ich noch immer nicht zu einem Entschluss oder überhaupt zu einer sinnvollen Idee gekommen war, beschloss ich das Thema für heute abzuharken und stand auf um die Gardinen zuzuziehen und den Fernseher wieder anzumachen. Um diese Uhrzeit würde hoffentlich etwas Vernünftiges laufen.

Als ich mich durch die verschiedenen Programme zappte blieb ich an einem Horrorfilm hängen. Ein paar Jugendliche waren grade dabei durch einen Wald zu streifen und gruselten sich, wegen der unheimlichen Geräusche. Plötzlich wurde einer der Jugendlichen von hinten gepackt und ins Dunkel gezerrt, er kam nicht mal mehr dazu einen Schrei auszustoßen. Dann sah man, wie der Junge durchs Unterholz gezogen wurde, die Gestalt die ihn wegzerrte war vermummt. Als nächstes sah ich spitze Eckzähne aufblitzen, die in die Hauptschlagader des wehrlosen Opfers geschlagen wurden und dann wurde das Bild wieder gewechselt. Ein Vampir.

Während meine Gedanken anfingen zu arbeiten, schallt mein Verstand mich einen Narren, an solche Ammenmärchen zu glauben und diese Möglichkeit ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Aber ich konnte nichts dagegen machen. Dieser Gedanke hatte bereits angefangen in meinem Kopf lebendig zu werden. Fix schaltete ich meinen Laptop wieder ein und googelte nach *Vampire in der heutigen Zeit*. Ich las mich durch diverse Foren und schnupperte auch in einige Geschichten hinein. Immer wieder stolperte ich über die Worte „kalte Wesen“ und „lautlos“.

Inzwischen war es 3 Uhr nachts und alles was ich gelesen hatte, wiederholte sich nun nur noch in anderen Worten. Kurzerhand machte ich den Laptop aus und kramte meine Notizen zusammen, um sie mir noch einmal durchzulesen. Zwischen all dem wirren Zeug über die Blutsauger, hatte ich auch einige Sachen gefunden, die nicht völlig verrückt klangen und somit zumindest irgendwie in Betracht kamen.

Plötzlich musste ich laut los lachen. Spekulierte ich grade ernsthaft mit dem Gedanken, dass die Drei Vampire sein könnten? Was war denn ich dann?

Schnell schob ich zumindest letzteren Gedanken beiseite und glich zum wiederholten Male meine Erlebnisse mit dem eben gelesenen ab. Es war zwar verrückt, aber irgendwie ergaben die Sachen einen Sinn. Dann kam mir ein Gedanke. Ich hatte gelesen, dass Vampire nicht nur lautlos, sondern auch ohne Spuren zu hinterlassen durch die Weltgeschichte gehen konnten.

Kurzerhand zog ich mir eine Jacke über, schnappte mir meine Haustürschlüssel und lief raus. Ich rannte auf dem kürzesten Weg direkt zu der Stelle, an der Nic mich im Unterholz überrascht hatte. Während ich daran dachte, überkam mich ein wohliges Kribbeln. Ich biss mir selbst auf die Zunge.

Ich war so schnell gerannt wie ich konnte und war nach wenigen Minuten an besagter Stelle angekommen. Es war stockdunkel, aber ich konnte genauso gut, wenn nicht sogar besser sehen als am Tage. Ich sah die Farben der Nacht und genoss die Stille und Einsamkeit, die sie mit sich brachte.

Ich ging in die Hocke und fand nach kurzer Suche meine eigenen Schuhabdrücke im feuchten Moss wieder. Ich sah die Richtung aus der ich gekommen war und fand die Stelle, wo ich abrupt zum Stehen gekommen war. Ich suchte rings um sie herum, aber fand nichts, außer meiner eigenen Abdrücke, die ich gemacht hatte, in dem zaghaften Versuch, den dreien nachzugehen. Diese endeten nach wenigen Schritten nahe einem Baum. Das konnte doch nicht sein! Kein Mensch konnte irgendwo lang gehen ohne Abdrücke zu hinterlassen (aber vielleicht Vampire?)

Ich erinnerte mich daran aus welcher Richtung die Geräusche der Rehe gekommen waren und ging entschlossen weiter in den Wald hinein. Nach wenigen Minuten fand ich wonach ich suchte. Eine ganze Herde von Rehen musste hier entlang gekommen sein. Für das bloße Auge war kaum etwas zu erkennen, aber ich konnte all ihre Spuren sehen, die Verwüstung die sie hinterlassen hatten. Die Abdrücke in der feuchten Erde, zertretene Äste, abgebrochene Zweige, hier und da Fellbüschel, die an der Rinde hängen geblieben waren. Die Tiere mussten in großer Panik hier entlang gekommen sein.

Und dann hatte sich eines der Tiere aus der Gruppe gelöst, war in eine völlig andere Richtung gelaufen. Warum? Wurde ihm vielleicht der Weg abgeschnitten? Ich folgte den Spuren des einzelnen Rehs, durch ein paar Büsche durch, um einen Baum rum und noch bevor ich es sehen konnte, konnte ich es riechen. Dort hinter dem Baum lag das tote Reh. Es war schnell gestorben, vermutlich hatte es nicht einmal mitbekommen, was passiert war, denn seine Kehle war glatt durchgeschnitten. Ein paar Blutreste klebten an den Rändern.

Vorsichtig trat ich näher, während ich den Würgereiz zu unterdrücken versuchte. Irgendwie sah das Reh komisch aus… bei so einer Wunde, müsste hier viel mehr Blut liegen und bis auf den Schnitt an der Kehle, zeigte es auch keine weiteren Verletzungen auf. Ich bückte mich, um das Tier genauer zu betrachten und fand ein paar winzige Einstichstellen am Hals, an der Brust und an der Flanke. Jeweils zwei kleine kreisrunde Stellen nebeneinander. Aber auch hier nur ein paar kleine Blutkrusten.

Nach ein paar Blicken um mich herum, fand ich schnell, wonach ich gesucht hatte. Ein kleiner spitzer Stein, mit dem ich dem toten Reh eine Wunde zufügte. Sie blutete nicht. Ich versuchte es an einer anderen Stelle, aber auch hier trat kein Blut aus der Wunde. Das Tier war komplett leer gesaugt!

Erschüttert über diese Erkenntnis ließ ich den Stein fallen und sprang auf. Ich machte ein paar hektische Sätze zurück, als wenn das tote Tier wieder zum Leben erwachen und mich anspringen könnte. Vampire. Immer wieder hallte dieses eine Wort in meinem Kopf. Vampire.

Kapitel 6: Noch mehr Fragen

Als ich zu Hause ankam war ich schweißgebadet, meine Hände zitterten und mein Atem ging stoßweise. Meine Gedanken rasten und es war mir kaum möglich einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn zusammenhängend zu denken. Jeder Gedanke blitzte einmal kurz auf, um dann direkt wieder in dem Wirrwarr zu verschwinden.

Mit zitternden Händen öffnete ich die Tür und schloss sie hinter mir gleich wieder ab. Ich zog meine Schuhe aus und streifte meine Jacke ab und ließ sie achtlos zu Boden fallen. Dann rutschte ich mit dem Rücken an der Wand hinunter und sackte kraftlos auf den Boden. Der kühle Fußboden unter meinem Rücken tat gut. Ich breitete die Arme aus um noch mehr von der Kälte zu spüren.

Die Fragen überschlugen sich in meinem Kopf:
Warum ein totes Tier? Warum keine Menschen? Oder vielleicht war nur noch nichts von einer Leiche bekannt geworden? Oder es wurde keine gefunden, aber es wurden Menschen vermisst? Waren sie wirklich Vampire? Waren wirklich sie es, die das getan hatten? War die Stadt in Gefahr? War ich in Gefahr? Wussten sie, dass ich es wusste? Sie mussten doch damit rechnen, dass jemand das tote Reh fand und sich Gedanken machte.

Ich weiß nicht wann, aber ich schlief ein. Ich träumte wilde Träume, von Hetzjagden mit Vampiren, Bürger die mit Mistgabeln und Fackeln bewaffnet in den Wald gingen, ich sah mich, wie ich mich in einer Höhle im Wald versteckte, angekuschelt an Nic.

Früh am nächsten Morgen erwachte ich, weil mich die Sonnenstrahlen, die durch die Gardinen in der Stube fielen in der Nase kitzelten. Mit einem Stöhnen setze ich mich auf. Mir tat alles weh und ich fühlte mich unausgeschlafen. War ja auch kein Wunder. Schließlich stand ich auf und ging hinüber ins Schlafzimmer um mich dort in mein weiches Bett zu kuscheln. Als ich so in meiner Decke eingemummelt lag, dachte ich über das nach, was ich geträumt hatte. Wieso hatte ich mich versteckt? Und wieso war Nic bei mir gewesen und hatte mich im Arm gehalten? Ich würde es wohl niemals herausfinden, es war ja nur ein Traum. Ich versuchte meine Gedanken auszuschalten und noch ein bisschen zu schlafen, aber meine gequälten Muskeln machten es mir schwer, mich zu entspannen und so stand ich nach einer Weile doch wieder auf.

Ich ging in die Küche und schmierte mir ein Brot. Gedankenverloren ging ich mit dem Brot in der Hand zum Küchenfenster und schaute zum Wald hinüber. Täuschte ich mich oder war dort ein Schatten fortgehuscht? Blödsinn. Nur meine übermüdeten Sinne, was sollte dort schon sein?!
Vampire – klang es in meinem Kopf. Wie ein bockiges Kind schüttelte ich den Kopf, aber bereute diese Bewegung direkt wieder, als mich ein stechender Schmerz vom Rücken bis zum Nacken durchfuhr. „Aua“, presste ich durch meine zusammengekniffenen Lippen hervor, „so eine scheiße!“ Naja, dachte ich sarkastisch, jetzt habe ich jedenfalls einen ernsthaften Grund um nicht zur Schule zu gehen.

Der Vormittag verging schnell und ich war noch immer zu keinem wirklich klaren Gedanken gekommen. Ich hatte keine Ahnung wie ich mich jetzt verhalten sollte. Sollte ich Montag in die Schule gehen und so tun, als wäre nichts gewesen? Oder sollte ich sie vielleicht darauf ansprechen, was ich mir zusammengereimt hatte? Ich stellte mir das Gespräch vor, wie es ablaufen könnte und verschob diesen Gedanken direkt wieder ins hinterste Eckchen meines Kopfes. Ich musste mich ja nicht selbst zum Idioten degradieren.

Ich wurde durch die Türklingel aus meinen Gedanken gerissen. Ich ging zur Tür und öffnete. Das war bestimmt nur die Post. Ich wollte grade wieder in die Küche gehen, als es zweimal an meiner Tür klopfte. Überrascht drehte ich mich um und öffnete. Ich war gar nicht sonderlich erstaunt als mich eine vertraute Stimme begrüßte. „Hallo Fly“, sagte Nic mit einem Grinsen im Gesicht, „darf ich reinkommen?“ Wortlos trat ich zur Seite und ließ ihn herein. Mein Herz fing an schneller zu klopfen. Und meine Schulter fing schon wieder an zu brennen. Was war nur los mit mir? Vielleicht sollte ich mal zu einem Arzt gehen, dachte ich still.

Er blieb im Flur stehen und schaute mich erwartungsvoll an. Ich gab mir einen Ruck und ging an ihm vorbei in die Stube. Er folgte mir. „Setz dich“, sagte ich und deutete auf meine Couch. Ich selbst ging ein paar Schritte weiter und lehnte mich an die Fensterbank. Nun war ich an der Reihe erwartungsvoll zu schauen. Und wie ich es erwartet hatte, redete er nicht lange um den heißen Brei herum. „Du warst gestern Nacht noch einmal im Wald.“ Das war mehr eine Feststellung als eine Frage, daher sagte ich erst einmal nichts. „Du hast das Reh gefunden.“ Wieder eine Feststellung. „Und du hast eine Theorie.“
„Möglich“, antwortete ich kühl, „ich wüsste aber nicht was dich das angeht.“
„Oh, eine ganze Menge, denke ich“, antwortete er gelassen. Ich könnte euch das Leben zur Hölle machen, antwortete ich in Gedanken. Laut sagte ich: „Dann wirst du mir sicherlich erklären können warum!?“
„Ist das wirklich nötig Fly? Ich denke du weißt sehr gut einzuordnen, was du gesehen hast.“
„Ich habe ein totes Reh gesehen.“
„Ich weiß was du gesehen hast. Und ich weiß was du geschlussfolgert hast. Deswegen bin ich hier. Ich denke wir sollten verhandeln und die Grenzen abstecken.“
„Verhandeln?“, fragte ich erstaunt, „Worüber? Ich hatte nicht vor jemandem davon zu erzählen, es würde mir wohl eh keiner glauben.“ Mist. Jetzt hatte ich mehr verraten als ich wollte.
„Das wäre auch nicht sehr klug von dir, damit gefährdest du deine eigene Tarnung.“
Tarnung? Was für eine Tarnung? Wovon sprach der Typ überhaupt? „Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung wovon du sprichst.“
„Ach komm schon Fly, wir wissen was du bist. Du weißt das wir euch riechen können“, antwortete er leicht genervt. „Also hör auf mit dem Versteckspiel.“
Er wusste was ich bin?
„Nic, ich habe ehrlich keine Ahnung was du von mir willst. Was auch immer ich gesehen und eventuell herausgefunden habe, werde ich für mich behalten, macht euch darum keine Sorgen. Und jetzt geh bitte, ich habe noch einiges zu erledigen“, sagte ich mit fester Stimme, wie ich zumindest hoffte.

Zu meiner eigenen Überraschung stand er tatsächlich auf und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum und ließ mich verdutzt zurück. Sekundenbruchteile später hörte ich erst meine Tür und dann die Haustür zuschlagen. Er war fort. Einfach so.

Ein Gefühl der Enttäuschung machte sich in mir breit. Irgendwie hatte ich gehofft, ein paar Antworten von ihm zu bekommen, aber stattdessen hatte er mich nur noch mehr verwirrt und noch mehr Fragen in den Raum geworfen. Ich wurde aus ihm einfach nicht schlau. Anscheinend wusste er mehr über mich, als ich über ihn. Doch das würde sich bald ändern!

Kapitel 7: Abgefangen

Wieso wunderte es mich eigentlich, dass ich am nächsten Tag völlig übermüdet und genervt aufwachte? Meine Nacht war schrecklich, ich war mehrmals aus Alpträumen aufgewacht und hatte dann Probleme wieder einzuschlafen. Ich drehte den Kopf um auf meinen Wecker zu gucken. 11 Uhr, höchste Zeit aufzustehen. Ich schlug meine Decke zurück, streifte meine Schlafsachen ab und ging ins Bad zum Duschen.

Hinterher lief ich wieder ins Schlafzimmer und stellte mich unschlüssig vor meinen Kleiderschrank. Ich schüttelte lachend den Kopf. Wann hatte ich das letzte Mal so lange überlegt, was ich anziehen sollte?
Letztendlich entschied ich mich für eine enge schwarze Jeans, ein rot-schwarz gestreiftes Top und eine schlichte rote Sweatshirt-Jacke. Jetzt fehlten nur noch mein Nietengürtel und meine Chucks und mein Outfit war fertig.

Eine halbe Stunde später verließ ich das Haus und nahm die Abkürzung durch den Wald, um zur Schule zu gelangen. Ich würde meine Antworten erhalten, davon war ich fest überzeugt.
Im Schutz des Waldes blieb ich stehen und beobachtete die Schule. Freitags hatten alle Klassen früher Schulschluss, also musste ich nur warten, bis es klingelte und den Ausgang beobachten. Unruhig verlagerte ich mein Gewicht von einem Bein auf das andere und dann wieder zurück. War ich tatsächlich nervös?

Meine Geduld zahlte sich aber schließlich aus, kurz nachdem die Schulglocke geläutet hatte, stürmten die Schüler den Schulhof und den angrenzenden Parkplatz. Es war nicht schwer die Drei ausfindig zu machen. Grade als ich mich auf den Weg zum Parkplatz machen wollte um die Drei abzupassen, blickte Nic zum Waldrand hinauf und bedeutete den anderen beiden auf dem Parkplatz auf ihn zu warten. Dann kam er mir entgegen gelaufen und ich wartete zwischen den Bäumen. Konnte er mich tatsächlich riechen? Kein normaler Mensch konnte über diese Distanz jemanden ausfindig machen. Ach, ich vergaß, er war ja auch kein normaler Mensch…

Als er bei mir ankam war er völlig ruhig, sein Atem ging gleichmäßig. Sein Atem? Waren Vampire nicht Untote? Atmeten Untote? Anstatt meinen wirren Gedanken zu gestatten, weitere Fragen aufzuwerfen, sagte ich nur knapp: „Wir müssen reden!“

Er schaute mir einen kurzen Moment tief in den Augen (dieser Moment reichte um meine Knie weich werden zu lassen) und blickte dann runter zum Parkplatz. Die anderen Beiden stiegen in ihren Jeep ein und fuhren fort. Ich versuchte mir keine Gedanken darüber zu machen, wie sie kommuniziert hatten.
„Wir sollten ein Stück weiter in den Wald hineingehen, hier kommt gleich ein Pärchen vorbei“, sagte Nic plötzlich und lief los. Er war schnell, aber ich hatte keine Mühe mit ihm Schritt zu halten. Jeder andere hätte dies. Er drehte sich kurz nach mir um und ein schalkhaftes Grinsen erschien auf seinem Gesicht und er fing an im Slalom an den Bäumen vorbei zu rasen. Ich folgte ihm in kurzem Abstand, schaffte es ihn zu überholen und stellte mich ihm in den Weg. Er blieb abrupt stehen. „Jetzt“, sagte ich. Er nickte und setze sich auf einen umgestürzten Baumstamm.

Ich holte einmal tief Luft und sagte dann mit festem Blick: „Ich glaube, du solltest mir einiges erklären!“ Er schaute mich fragend an. „Was meintest du gestern Abend mit Grenzen abstecken und das meine Tarnung auffliegen würde?“, fragte ich bestimmt.
„Ist das eine ernstgemeinte Frage?“, antwortete er amüsiert.
Ich merkte wie die Wut in mir hochstieg. Er verschaukelte mich. Leicht gereizt entgegnete ich: „Ich scherze nicht. Ich will wissen, wovon du gestern geredet hast!“
Er stöhnte. „Kann es sein, dass du keine Ahnung hast worum es geht?“ Nachdem ich nicht antwortete setze er nach: „Wo ist der Rest von euch?“
Langsam wurde es mir zu bunt. „Welcher Rest verdammt noch mal?“, schrie ich ihn an. Langsam war ich mit meiner Geduld am Ende und meine Schulter brannte schon wieder höllisch.
„Ist das dein ernst?“ Mein böser Blick genügte ihm wohl als Antwort. „Du willst mir grade ernsthaft weiß machen, dass du keine Ahnung hast was du bist?“, fragte er mit hochgezogenen Brauen.

Resigniert ließ ich die Schultern hängen und wandte mich zum Gehen. „Ich geb´s auf…“ „Warte!“, sagte er, stand auf und streckte den Arm nach mir aus, führte seine Bewegung aber nicht zu Ende. Ich blieb stehen und drehte mich zu ihm um. Traurig sah ich ihn an. „Wozu?“ Ich wusste selbst nicht, woher diese Traurigkeit auf einmal kam. Wahrscheinlich daher, dass ich angenommen hatte, ich könnte vernünftig mit ihm reden.

„Deine linke Schulter brennt, richtig?“
Nun wurde ich doch hellhörig. Woher wusste er das? Ich nickte.
„Weißt du warum?“
„Keine Ahnung“, entgegnete ich, „mich hat vor ein paar Tagen eine Biene gestochen oder so was, schätze ich.“ Ich zuckte mit den Schultern.
Er grinste, verkniff sich aber ein Lachen, als er meinem genervten Gesichtsausdruck gewahr wurde. „Es ist wegen mir und den anderen“, sagte er.
Ich antwortete nicht, schaute ihn nur erstaunt an.
„Ist dir noch nicht aufgefallen, dass deine Schulter immer nur dann brennt, wenn ich oder die anderen in deiner Nähe sind?“
„Schon“, antwortete ich, „dass heißt, nein, eigentlich nicht. Ich habe es zumindest nicht damit in Zusammenhang gebracht.“ Hilflos hob ich die Arme.
„Ich fasse nicht, dass ich meinem Feind erklären muss, was er ist“, sagte er mehr zu sich selbst, als an mich gewandt, aber trotzdem schnappte ich diese Worte auf. „Was soll das heißen? Deinem Feind?“, fragte ich ihn misstrauisch.
Er musterte mich noch einmal von oben bis unten und sagte dann mit einem Grinsen: „Ich muss mich korrigieren. Du bist harmlos!“
„Ich kann mich sehr wohl verteidigen“, giftete ich zurück.
„Besser als dir bewusst ist“, sagte er ernst.
„Dann reden wir jetzt offen, ja?“, fragte ich ihn hoffnungsvoll.
„Ja, das werden wir. Auch wenn ich dafür vermutlich in die Hölle komme!“, antwortete er und ich war mir nicht sicher, wie viel Sarkasmus wirklich in diesem Satz steckte.

Kapitel 8: Tatsachen

Wir waren noch ein gutes Stück durch den Wald gelaufen, bis wir am angrenzenden See angelangt waren. Der Wald öffnete sich und gab auf dem letzen Stück zum See eine wunderschöne Wiese mit wild wachsenden Blumen und Sträuchern frei. Zu dieser Uhrzeit war es hier angenehm warm, aber nicht heiß. Wir setzten uns auf ein paar Steine nahe dem Seeufer und blickten auf das Wasser. Die Sonne stand hoch über dem See, die Vögel sangen ihre Lieder, die Grillen zirpten versteckt im hohen Gras. Alles war so friedlich.

„Also“, begann ich, „jetzt sind wir an einem ruhigeren Ort und wir haben noch den ganzen Tag und wenn es sein muss auch noch die ganze Nacht Zeit. Ich will alles wissen. Keine Ausflüchte. Keine Lügen.“
„Okay“, sagte er mit einem Nicken, „unter einer Bedingung.“ Ohne eine Antwort abzuwarten fügte er hinzu: „du musst mir alle Fragen wahrheitsgetreu beantworten, ohne zu schummeln oder dich rauszureden!“ Ich überlegte kurz und nickte dann. Was konnten das schon für Fragen sein!?

„Mh… wo fange ich denn mal an... wohnst du alleine hier?, fragte er.
„Ja.“
„Schon lange?“
„Ich bin vor 4,5 Jahren hierher gezogen, mit meiner Tante und ihrem Lebensgefährten. Als ich eines Tages von der Schule nach Hause kam war die Wohnungstür offen, die Wohnung war sehr unordentlich. Es sah aus, als wenn sie in großer Hast die Wohnung verlassen hätten. Ich habe sie nie wieder gesehen“, schloss ich traurig.
„Wie alt warst du damals?“
„Fast 14.“
„Und seit dem lebst du dort alleine?“, fragte er, „was ist mit deinen Eltern?“
„Ich weiß nicht“, antwortete ich bedrückt, „ich habe sie glaube ich nie kennen gelernt. Seit dem ich denken kann, habe ich bei meiner Tante gelebt.“

Er starrte eine Weile auf den See. Ich nutzte die Zeit um ihn aus dem Augenwinkel etwas näher zu betrachten. In seinen dunklen Augen spiegelte sich das Wasser. Ich musste aufpassen mich nicht in ihren zu verlieren. Er atmete ganz gleichmäßig, seine Nasenflügel hoben und senkten sich. Seine Nase war grade, seine Wangenknochen schauten ein wenig hervor. Unvermittelt schaute er mich an. Ertappt blickte ich zur Seite und merkte wie mir die Röte ins Gesicht schoss.

„Bist du sicher“, setzte er vorsichtig an, „dass deine Tante, auch deine leibliche Tante war?“
„Ich… ehm….“, stotterte ich und brach den Satz ab. „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht“, begann ich erneut, „wir haben nie so wirklich darüber geredet.“
„Mh“, sagte er mehr zu sich selbst, als zu mir und fügte dann hinzu, „in einem Rudel ist es nicht ungewöhnlich, dass andere ein Kind übernehmen, wenn die Eltern versterben. Das müssen dann nicht gezwungenermaßen die direkten Verwandten sein.“, sagte er behutsam.
Jetzt verstand ich wirklich gar nichts mehr. „Wie meinst du das? In einem Rudel?“

Wieder verging eine Weile, ehe er mir antwortete. „Ich hab dir doch vorhin erzählt, dass deine Schulter weh tut, weil ich in deiner Nähe bin, richtig?“ Er wartete keine Antwort ab. „Was glaubst du was ich bin?“
„Naja“, druckste ich, „ich hab da mal ein wenig recherchiert. Gestern im Wald habt ihr keinerlei Spuren hinterlassen, außer dem toten Reh. Und bis auf drei Einstiche, die wie Schlangenbisse aussahen, hab ich nichts gefunden. Also mal abgesehen davon, dass es blutleer war.“ Er nickte mit dem Kopf und ich fuhr fort mit meinen Schlussfolgerungen. „Deine Haut ist eiskalt und ihr bewegt euch lautlos und seit schneller als alle anderen, soweit ich das beurteilen kann. Im Internet ist dazu immer wieder… ehm… naja… der Begriff Vampir aufgetaucht.“

Ich hielt vor Anspannung die Luft an. Jetzt war es raus. Er schaute einfach weiter auf den See, als hätte ich das gerade Gesagte nicht laut ausgesprochen. Dann drehte er grinsend den Kopf zu mir und entblößte seine spitzen Eckzähne. Die oberen waren wesentlich länger als die unteren, aber bestimmt nicht minder scharf.

Ich kippte vor Schreck rückwärts von meinem Stein und stieß mir schmerzhaft den Kopf an. „Aua“, sagte ich und rappelte mich ungeschickt wieder auf. Dabei blieb ich mit meinem Schuh zwischen zwei Steinen stecken und drohte ein weiteres Mal hinzufallen, konnte mich aber im letzen Moment noch abfangen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht zog ich meinen Fuß aus dem Spalt und machte es mir wieder auf meinem Stein bequem. „Vielen Dank für deine Hilfe“, patze ich ihn an. „Ich würde ja, aber ich kann nicht“, sagte er mit ernstem Gesicht. Aber ein kleines Schmunzeln konnte auch er nicht ganz unterdrücken. Ich musste fürchterlich tollpatschig ausgesehen haben. Wie peinlich. „Wieso?“, fragte ich, um von mir abzulenken.
„Erinnerst du dich daran, als ich dich in der Cafeteria berührt habe, weil ich dir hoch helfen wollte?“, fragte er. „Du hast nur einen kleinen Schmerz gefühlt, aber für mich hat es sich angefühlt als hätte ich in brennendes Feuer gefasst.“
„Das tut mir leid, das wollte ich nicht“, sagte ich gedrückt. Er fing lauthals an zu lachen. „Natürlich nicht“, prustete er, „zumindest nicht absichtlich!“ Ich stimmte in sein Lachen ein und all die Anspannung fiel plötzlich von mir ab.

Nach einer Weile wurden wir wieder ernst. „Es ist ein natürlicher Schutzmechanismus deines Körpers“, erklärte er. „Durch dein Blut läuft Gift und wenn ein Vampir dich berührt, dann schießt es durch deine Poren nach außen. Du fühlst nur kleine Stiche, aber für uns ist es unerträglich. Das macht es fast unmöglich euch zu bek…berühren.“ Ich war mir ziemlich sicher, dass das letzte Wort eigentlich ein anderes werden sollte. Nach einem kurzen Zögern fuhr er fort: „Ihr verschießt euer Gift durch eure Poren und wir durch unsere Giftzähne. Das Brennen in deiner Schulter, ist ein weiterer raffinierter Schutzmechanismus. Es ist die kleine kreisrunde Stelle auf deiner Schulter die anfängt zu brennen, wenn Vampire in der Nähe sind und dich so warnt, weil du uns nicht riechen kannst. Wir euch allerdings schon.“

Jetzt ergab alles einen Sinn. Als meine Schulter in der Aula das erste Mal geschmerzt hatte, musste sie in der Nähe gewesen sein. Die Berührung in der Aula. Die Begegnung im Wald. Das tote, blutleere Reh. Der Besuch zu Hause. Unsere vermeintlichen Grenzen. Vampire waren meine Feinde, stellte ich nüchtern fest. Aber warum saß ich dann noch hier? Warum empfand ich keine Angst? Gleichzeitig machte sie eine dumpfe Taubheit in mir breit. Ich würde ihn niemals berühren können, ohne ihm unsagbare Schmerzen zuzufügen. Wir würden niemals…

„Erzähl mir mehr über euch“, verlangte ich. „Wieso fallt ihr nicht auf? Eure Giftzähne sind doch offensichtlich!“
Wieder grinste er mich an, doch diesmal war nichts Außergewöhnliches zu sehen. Keine Vampirzähne. „Wir können sie ein- und ausfahren“, erklärte er. „Genau wie Katzen ihre Krallen ein- und ausziehen können. Das einzige was an uns ungewöhnlich ist, ist unsere blasse Haut und unsere dunklen Augen. Aber die Menschen sehen nur das, was sie sehen wollen!“

Kapitel 9: Jetzt ist es raus!

„Erzähl mir alles über euch“, bat ich erneut. „Was willst du denn alles wissen?“, fragte er. „Fangen wir vorne an“, sagte ich, „wo kommt ihr her?“

„Wir sind vor kurzem hier her gezogen. Wir reisen durch die Welt und suchen uns immer wieder neue schöne Orte, an denen wir eine Weile bleiben. Eine paar Jahrzehnte. Zuletzt waren wir in Paris, Frankreich. Für uns bedeutet die Zeit nichts, denn wir altern nur sehr, sehr langsam, aber wir altern. Bevor den Leuten auffällt, dass wir uns nicht verändern, ziehen wir weiter und fangen irgendwo neu an. Am Anfang waren wir noch mehrere, aber mit der Zeit verließen uns einer nach dem anderen, weil sie es satt waren umherzuziehen. Sie gründeten ein Dorf in Frankreich, weit weg von allen Menschen. Dort leben sie seit her und sind glücklich und zufrieden. Wir besuchen sie hin und wieder und bleiben auch schon mal eine Weile dort, aber auf Dauer war es uns zu langweilig und wir zogen wieder fort.“

„Wenn sie weit weg von allen Menschen leben“, unterbrach ich ihn, „dann trinkt ihr kein Menschenblut?“
„Nein“, sagte er amüsiert, „wir könnten es tun, aber es ist nichts anderes als Tierblut. Es schmeckt nur etwas besser.“ Ich atmete erleichtert auf. „Sie haben dort eine eigene große Tierzucht“, erzählte er weiter, „genau wie ihr Menschen, züchten sie sich ihr eigenes Essen. Die Tiere leben dort in großen Herden auf den angrenzenden Koppeln und führen ein sehr glückliches Leben bis zu ihrem Tod. Und auch dann, werden sie nicht gequält. Sie erschießen die Tiere bevor sie sie leer trinken, damit sie nicht leiden müssen und sie töten nur so viele Tiere, dass der Bestand nicht gefährdet ist.“
„Das müssen aber sehr große Bestände sein“, sagte ich verblüfft und rechnete im Kopf nach. „Wie ich schon sagte“, grinste er, „sie leben weit ab der Zivilisation und dort gibt es viel Platz.“
„Das klingt wunderbar“, sagte ich und versuchte mir das Dorf in allen Einzelheiten vorzustellen. „Ja, wunderbar, wenn man jeden Tag immer und immer wieder die selben Gesichter sieht. Immer und immer wieder dieselben Häuser. Immer und immer wieder dieselbe Ortschaft.“, sagte er verbittert.

„Also seid ihr weitergezogen“, knüpfte ich an das Gespräch wieder an.
„Ja“, sagte er. „Zuerst waren es nur ich und Mike. Eine echte Männerfreundschaft eben“, lachte er. „Später erst kam Leah dazu. Mike lernte sie in Oslo kennen und verliebte sich in sie, doch sie war sterbenskrank und so war ihre sowieso nur kurze gemeinsame Zeit, durch Trauer geprägt. Und dann machte er sie zu einer von uns. Seit dem lebt sie bei uns und zieht mit uns durch die Welt.“
„Ihr könnt… Menschen in Vampire verwandeln?“, fragte ich erstaunt. „Wie?“
„Sie müssen dem Tod ganz nahe sein, um so zu werden wie wir. Einige wenige, vielleicht 1 von 100.000 schafft es alleine. So sind wir auch entstanden. Aber die meisten sterben, sind ihren Erkrankungen oder Verletzungen zum Schluß doch erlegen. Nur wenn sie unser Blut trinken, verwandeln sie sich schließlich doch. Aber es ist grausam. Der menschliche Körper ist nicht dazu gemacht, Blut zu verdauen. Die Schmerzen müssen unvorstellbar sein. Es dauert lange, sehr lange, bis sie es überstanden haben. Ich würde das niemals jemandem antun, aber Mike hat da eine andere Auffassung als ich“, sagte er grimmig.

„Und du hast gesagt, dass ich zu deinen Feinden gehöre“, sagte ich zaghaft, „was… was bin ich denn?“
„Du hast wirklich gar keine Ahnung?“, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen. „Ist dir an dir nichts Ungewöhnliches aufgefallen?“
„Was ist heutzutage denn noch ungewöhnlich?“, verteidigte ich mich.
„Zum Beispiel, dass du so schnell laufen kannst, im Dunkeln so gut sehen kannst, dein übernatürlich gutes Gehör und dein Geruchssinn… du hast auch sicherlich schon mal festgestellt, dass du sehr gut mit Hunden umgehen kannst!? Du kannst mir nicht weiß machen, dass du das nicht bemerkt hast!?“
„Doch“, gab ich widerwillig zu, „aber was soll ich denn daraus schließen?“
„Du bist ein Werwolf!“, sagte er und sein Tonfall ließ kein Zweifel daran, dass er es ernst meinte.
„Ach so ein Blödsinn“, sagte ich trotzdem, auch wenn ich mir irgendwie sicher war, dass er die Wahrheit sagte. „Ich heule nicht den Mond an und verwandele mich auch nicht in einen großen, bösen Wolf“, sagte ich bestimmt.
„Und ich verbrenne nicht in der Sonne und ermorde auch keine Menschen“, gab er zurück. Okay, wo er recht hatte…

„Löse deine Gedanken mal von all diesen Grusel- und Schauermärchen“, sprach er weiter. „Die Filmindustrie hat das ganze in ein fürchterliches Licht gezerrt. So sind wir gar nicht. Eigentlich kann man mit uns sogar sehr gut auskommen!“ Letzteres hatte er mit einem breiten Grinsen gesagt.
Aber mir war im Moment überhaupt nicht zum Lachen zumute. Ein Werwolf. Irgendwo tief in mir, hatte ich schon immer gewusst, dass ich nicht normal war. Aber das ich nicht einmal ein Mensch sein sollte, dass machte mir jetzt doch etwas zu schaffen. Was hatte das jetzt für mich zu bedeuten?

Ich merkte, dass mir die Tränen in die Augen schossen und ich schaute verschämt in die andere Richtung und versuchte sie wegzublinzeln. Nic war so einfühlsam mich für ein paar Minuten alleine zu lassen, bis ich mich wieder gefangen hatte.
„Geht´s wieder?“, fragte er zärtlich, als er vorsichtig wieder näher kam. Ich nickte und wischte mir mit dem Handrücken übers Gesicht, um auch die letzten Spuren zu beseitigen.
„Trotzdem du völlig verheult vor mir sitzt und eigentlich zu meinen Erzfeinden gehörst, siehst du trotzdem wunderschön aus.“
Verblüfft starrte ich ihn an. Er überraschte mich immer wieder. Und er schaffte es, mir ein kleines Lächeln auf die Lippen zu zaubern.

„Warum hasst ihr uns?“ Ich vermied das Wort Werwölfe laut auszusprechen.
„Vor Jahrhunderten plünderte ein Clan wilder Vampire ein Menschendorf und löschte jegliches Leben aus. Sie verwüsteten alles und brachten Angst und Schrecken. Die Werwölfe, die eigentlich nichts mit den Menschen zu tun hatten, konnten dem Treiben nicht tatenlos zusehen und stellten sich auf deren Seite um die Vampire zu bekämpfen. Der Krieg zog sich über Jahrzehnte, beide Seiten mussten einen hohen Blutzoll zahlen. Da sie sich ebenbürtig waren wurde schließlich ein Waffenstillstand geschlossen. Seither sind Vampire und Werwölfe verfeindet.“
„Also ist doch ein wenig was, an den ganzen Horrorgeschichten und Fantasyfilmen dran“, grinste ich, „ich wusste es!“ Er grinste, verdrehte die Augen und stöhnte gekünstelt.

„Jetzt verstehe ich auch, warum du so abweisend zu mir warst und die Grenzen abstecken wolltest“, sagte ich nach einer kurzen Weile. „Was bedeutet das denn jetzt für uns? Gehen wir uns fortan aus dem Weg und reden kein Wort mehr miteinander?“ Ich sagte dies mit einem sarkastischen Unterton, aber meine Worte waren bitterernst gemeint. Ich wusste noch nicht viel über mein neues Leben, geschweige denn über das Leben der Vampire und wie ernst sie alte Traditionen nahmen.

Für eine kleine Ewigkeit schaute er mir tief in die Augen und ich wollte grade den Blick senken, weil die Stille zwischen uns unangenehm wurde, als er sagte: „Du musst noch viel lernen, kleine Wölfin!“ Mit diesen Worten verließ er mich.

Kapitel 10: Verzweifelte Hoffnungen

Ich drehte mich nicht um, um ihm nachzusehen. Ich wusste, dass ich ihn zwischen den Bäumen nicht sehen würde und dass ich auch seine Spur nicht zurückverfolgen konnte. Ich starrte einfach auf den See vor mir und doch nahm ich keine der vielen Details in mir auf. Die Endgültigkeit seiner Worte schmerzte. Mehr als sie es sollten.

Die Zeit verging und es wurde langsam dunkel um mich herum, doch auch das nahm ich nicht war. Meine verzweifelten Gedankengänge drehten sich alleine darum, wie ich ihn umstimmen konnte. Irgendwie musste man doch diese alte Mauer einreißen können. Wir hatten doch nichts Unrechtes getan. Was zählte es schon, was vor Jahren passiert war?

Plötzlich überkam mich eine Wut, wie ich sie noch nie zuvor gespürt hatte. Ich sprang auf, griff nach den Steinen die mir am nächsten waren und warf sie so weit ich konnte in den See. Ich riss Grasbüschel aus und schleuderte sie durch die Luft, ich schrie meine Wut und meine Hilflosigkeit hinaus. Der Klang meines Echos verhallte schnell, aber die Wut blieb und brodelte in mir.

Ich fing an zu laufen, ich lief am See entlang, immer weiter und weiter. Ich ließ mir den Wind ins Gesicht pusten und die Geräuschkulisse des Hier und Jetzt an mir vorbeiziehen. Ich blieb nur kurz stehen um meine Schuhe auszuziehen, ich wollte die Natur nicht nur sehen und riechen, ich wollte sie spüren. Achtlos ließ ich sie im hohen Gras des Seeufers liegen und lief weiter. Immer schneller und schneller trafen meine nackten Füße auf Erde, Steine, Sand und Gras.

Die Landschaft veränderte sich. Ich war inzwischen ein gutes Stück am See entlanggelaufen und hatte den Wald weit hinter mir gelassen. Hier begann die wirkliche Natur. Am Horizont ragten Berge in den Himmel. Vor mir ergab sich eine große Fläche, voll mit saftigem Gras, kleinen Büschen und vereinzelten Bäumen, die verloren in der Gegend herumstanden.

Irgendwann blieb ich kraftlos stehen und schaute mich um. Die Wut brodelte noch immer in meinem Bauch, aber es war weniger geworden. Sie wich der Enttäuschung. Langsam ging ich zu einer großen Trauerweide, die so gar nicht in diese Gegend der Vegetation passte und doch, so fand ich, genau richtig war. Sie war hier genauso falsch wie ich. Langsam schob ich ihre herunterhängenden Äste beiseite und gelangte so zum Baumstamm. Erschöpft ließ ich mich zu Boden sinken, rollte mich zusammen und fing haltlos an zu weinen. Die Tränen liefen über mein Gesicht und benetzten das Gras unter mir mit Feuchtigkeit. Es dauerte lange, sehr lange bis der Schmerz nachließ und ich einschlief. Ich schlief einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Als ich aufwachte, öffnete ich nicht sofort die Augen, sondern versuchte noch einmal in die unbekümmerte Welt des Schlafes hinüberzugleiten. Doch es gelang mir nicht. Ich war wach und würde es auch bleiben. Doch irgendetwas war komisch. Ich konnte die Vögel über mir nicht mehr zwitschern hören und auch der Wind, der leise in den Blättern raschelte war stumm. Es roch auch nicht nach Natur. Und überhaupt, der Boden unter mir war viel zu weich. Ruckartig schlug ich die Augen auf und setze mich auf.

Ich lag nicht mehr geschützt unter dem großen Blätterdach der Trauerweide. Ich war zu Hause, in meinem Bett. Meine Schuhe standen am Fußende des Bettes auf dem Boden. Verwirrt schaute ich mich um. Ich war alleine.
Wie war ich hierher gekommen? War ich wieder aufgewacht und zurückgelaufen? Nein, ausgeschlossen.

Ich schlug die Bettdecke zurück, stand auf und ging zum Fenster. Am Horizont vertrieben bereits die ersten Sonnenstrahlen die finstere Nacht. Langsam drehte ich mich einmal um meine eigene Achse und durchsuchte das Zimmer mit Blicken. Alles war wie immer. Bis auf… zügig ging ich zum Bettende und bückte mich nach dem kleinen Zettel, der unter meine Schuhe geklemmt war.

„Heute um 12 Uhr am See.“

Ich drehte den Zettel um, doch die Rückseite war leer. Kein Absender. Ich schaute mir den Zettel genauer an und stellte fest, dass die Handschrift sehr weiblich aussah. Verwirrt legte ich den Zettel auf meinen Schreibtisch. Danach ging ich ins Bad um zu duschen.

Als ich mit dem Duschkopf in der Hand nackt vor der Duschwanne stand und darauf wartete, dass das Wasser warm genug war um hineinzusteigen, kam mir ein Gedanke. Ich senkte das Gesicht zu meinem Arm und roch an mir. Nein. Ich roch nicht nach Hund.

Ich genoss die heiße Dusche und versuchte alle anderen Gedanken auszublenden. Es gelang mir nicht. Jemand hatte mich hierher gebracht. War es Nic? Wie war er in meine Wohnung gekommen!? Vermutlich mit meinem eigenen Schlüssel, den ich in meiner Tasche trug. Also hatte er mich durchsucht. Wie hatte er mich überhaupt gefunden? War er nur ein Stück in den Wald hineingelaufen, bis ich ihn nicht mehr sehen konnte und dann stehen geblieben um mich zu beobachten? Warum?

Unglaublich! Ich wusste erst seit 5 Tagen, dass es ihn überhaupt gab, ich kannte ihn nicht einmal wirklich und doch hatte er in so kurzer Zeit mein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt.
Leben? Welches Leben? Ich war immer alleine, hatte keine Freunde, ging nie aus. Ich wusste nichts über mich oder meine Familie. Vielleicht würde sich das jetzt ändern. Jetzt, da ich wusste, nach wem (oder was, verbesserte ich mich selbst in Gedanken) ich suchen musste.

Die Stunden zogen sich träge dahin. Es schien fast so, als liefe die Zeit absichtlich langsam, nur um mir eins auszuwischen. Irgendwie überstand ich diese Zeit, zwischen warten und dem ungewissen Hoffen.

Eine halbe Stunde vor der verabredeten Zeit machte ich mich auf den Weg. Nicht ohne vorher noch den Zettel in meine Jackentasche zu schieben. Ich wusste, dass ich mich viel zu früh auf den Weg machte, aber ich wollte nicht zu spät kommen. Ausserdem hielt ich es zu Hause nicht länger aus.

Ich lief die gewohnte Strecke durch Wald. Unbewusst suchte ich nach Fußspuren von Nic. Wie dumm von mir. Ich wusste doch, dass er keine hinterließ. Aber ich klammerte mich so sehr an meine fixe Idee, dass er dort unten auf mich warten würde, um mir zu sagen, wie leid es ihm täte und das wir nichts für die jahrzehntelange Fehde unserer Vorfahren konnten und dass wir es ja trotzdem versuchen können.

Umso erstaunter war ich, als ich durch die letzen Bäume hervorbrach und freie Sicht auf den See und das kleine freie Stück davor hatte.

Kapitel 11: Mehr als nur eine Überraschung

Langsam trat ich zwischen den Bäumen hervor und ging zum Seeufer hinunter. Ich überlegte mir, was ich sagen wollte, entschied mich aber dazu, erst einmal abzuwarten. Kurz bevor ich direkt hinter ihr stand drehte Leah sich um. „Hi“, strahlte sie mir entgegen. „Schön das du gekommen bist, ich hatte schon Sorge du würdest meiner Einladung nicht folgen“, trällerte sie fröhlich. „Wie fühlst du dich? Hast du gut geschlafen?“
Anstatt ihr auf ihre Fragen antworten zu geben sagte ich: „Hast du mich nach Hause gebracht?“
„Nein, das war Nic.“

Nachdem ich sie nur fragend anschaute sprach sie weiter: „Er ist noch eine Weile geblieben und hat dich im Auge behalten, weil er Sorge hatte, du würdest vielleicht eine Dummheit machen. Er ist dir auch gefolgt als du weggerannt bist und hat dich schließlich unter dem alten Baum gefunden. Er hat dich nach Hause getragen und ins Bett gelegt. Er meinte du hast tief und fest geschlafen. Du musst sehr erschöpft gewesen sein, aber das ist ja auch kein Wunder, nach allem was er dir erzählt hat.“
„Wo ist er jetzt? Ist er auch hier?“
„Nein, er ist nicht hier. Und er weiß auch nicht, dass ich mich mit dir treffe. Das würde ihn sehr wütend machen, behalte es bitte für dich.“
Ich nickte.

„Warum wolltest du dich mit mir treffen?“, fragte ich sie.
„Weil du bestimmt eine Menge fragen hast. Ausserdem mag ich dich. Ich wollte schon viel früher Kontakt zu dir aufnehmen, aber die anderen beiden haben es mir verboten. Sie wollen nicht, dass ich mit dir spreche.“
„Weil wir Erzfeinde sind“, antwortete ich sarkastisch.
„Jaaaaaaaaaa“, grinste sie. „Aber das bedeutet ja nicht, dass wir uns nicht trotzdem unterhalten können“, lachte sie, „es steht nirgendwo geschrieben, dass das verboten ist!“

Ich war sehr überrascht über ihre Ungezwungenheit und gleichzeitig fasziniert von ihrer Art. Sie machte einen so offenen Eindruck, dass ich gar nicht anders konnte, als mich von ihrer guten Laune mitreißen zu lassen. Es fühlte sich an, als wären wir einfach nur zwei Freundinnen, die sich lange Zeit nicht gesehen haben.

„Wie konnte er mich nach Hause tragen? Ich dachte ihr könnt uns nicht anfassen?“
„Du warst ja nicht nackt“, lachte sie. Ihre Stimme war glockenhell.
Beschämt sah ich zu Boden. Da hätte ich ja auch selbst drauf kommen können. Als er mich in der Cafeteria berührt hatte, trug ich nur ein T-Shirt.

Wir gingen zum See hinunter und setzen uns auf die Steine. Sie setzte sich wie selbstverständlich zu mir. Nicht mit so einem großen Abstand wie Nic es getan hatte. Sie strahlte mich mit ihren perfekten, weißen Zähnen an.
„Was ist?“, fragte ich verunsichert.
„Nichts, ich freue mich einfach nur das du hier bist“, entgegnete sie mir. „Ich war mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob du kommen würdest. Ich weiß ja nicht, was Nic dir alles erzählt hat, um dich von uns fernzuhalten.“ Ihr Tonfall war etwas betrübt.
Ich zuckte hilflos mit den Schultern. „Eigentlich hat er mehr Fragen aufgeworfen, als Antworten zu geben“, murmelte ich.
„Ja, das sieht ihm ähnlich!“ Sie nickte. „Er hat manchmal eine sehr komische Art, was solche Sachen anbelangt. Aber du hast es ihm ja auch nicht grade einfach gemacht“, bemerkte sie mit einem Grinsen.
„Ich??“ Erstaunt zog ich die Augenbrauen hoch und schaute sie an.
„Natürlich du, wer denn sonst du Naseweiß!? Jetzt sag mir nicht du hast das nicht bemerkt!?“
Was sollte ich bemerkt haben? Woher sollte ich denn wissen, was an einem Vampir ungewöhnlich war?
„Er mag dich!“
Bähm – das traf mich wie ein Schlag.
„Und es widerstrebt ihm zutiefst, dass er dich von uns und vor allem von sich selbst fernhalten soll. Aber er hält sich sehr streng an unsere Gesetze. Ausserdem will er sich nicht eingestehen, dass er sich in eine Wölfin verliebt hat. Das widerspricht seiner eigentlichen Selbstbeherrschung.“ Sie lachte.

Ich schaute sie aus großen Augen an. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Eigentlich war es genau das, was ich hören wollte. Andererseits wusste ich, dass wir niemals eine gemeinsame Zukunft haben könnten. Unglücklich verliebt. Das fängt ja super an!

„Jetzt schau mich doch nicht wie ein verschrecktes Reh an“, sagte sie belustigt. „Du magst ihn doch auch. Ich versteh gar nicht, warum ihr euch das selbst so schwer macht.“
„Ich… ehm…“, in meinem Kopf herrschte Chaos. Ich bekam keinen vernünftigen Satz zu Stande. Ich versuchte die Freude und die Hoffnungen nicht von mir Besitz ergreifen zu lassen. Es war noch zu früh um sich zu freuen. Selbst wenn sie die Wahrheit sagte, wie sollte das denn funktionieren? Er konnte mich nicht berühren und wenn ich ihn berühren würde, würde er schlimme Schmerzen leiden. Das ganze war doch schon zum Scheitern verurteilt, bevor es überhaupt begonnen hatte.

„Du überlegst wie das funktionieren soll, richtig?“
Konnte sie etwa Gedanken lesen? Ich schüttelte den Kopf. Obwohl? Ich wusste ja nicht viel über Vampire, wer weiß was sie für Fähigkeiten hatten. Deswegen fragte ich sie mit einem leicht sarkastischem Unterton: „Kannst du Gedanken lesen?“
„Manchmal“, lächelte sie, „wenn sie jemandem so deutlich ins Gesicht geschrieben stehen.“
Gott sei Dank. Es reichte schon, dass ich diese wirren Gedanken hatte. Die wollte ich nicht auch noch mit jemandem teilen.
„Es gibt eine Möglichkeit“, unterbrach sie meine Gedanken. „Aber es ist nicht einfach und es ist für die Ewigkeit. Und es funktioniert nur, wenn du die jenige bist, für die ich dich halte.“
„Für wen hältst du mich denn?“, fragte ich verwundert.
„Das ist eine lange Geschichte“, wiegelte sie ab. „Ich erzähle sie dir ein anderes Mal, versprochen.“ Ich würde sie an dieses Versprechen erinnern!

Einige Zeit saßen wir schweigend nebeneinander und schauten auf den See hinaus. Es war kein unangenehmes Schweigen. Eher so etwas wie eine stille Zustimmung. Ich fühlte mich wohl in ihrer Nähe.

Plötzlich hob sie den Kopf und schaute mich an. „Ich habe Hunger“, grinste sie. Wollen wir uns was zu essen fangen?“

Wir? Ach du meine Güte. Das würde spannend werden. Ich hatte keine Ahnung was sie meinte. Allein der Gedanke ein Tier zu töten und es dann zu essen, bereitete mir Übelkeit. Trotzdem stand ich auf, zum Zeichen, dass wir aufbrechen können.

Kapitel 12: Jagdausflug

Das Blätterwerk über uns wurde immer dichter. Das Sonnenlicht kam kaum bis hier unten. Es herrschten spärliche Lichtverhältnisse. Der Boden unter unseren Füßen flog nur so dahin. Die Äste der Bäume hingen hier sehr tief, doch wir wichen ihnen geschickt aus. Ich lief ein kleines Stück hinter Leah her. Sie hatte eine Herde Dammwild aufgespürt und nun jagten wir ihnen hinterher. Wir hatten bereits ein Tier von der Gruppe getrennt und jagten es nun quer durch den Wald. Das Tier war schnell, doch wir hatten keine Mühe mitzuhalten.

Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete ich Leah. Ihre Bewegungen wirkten elegant. Sie sah wunderschön aus, wie sie so durch die Bäume jagte. Sie hatte ihre Vampirzähne entblößt und hatte ein wissendes Lächeln auf dem Gesicht.

Vor uns tat sich so etwas wie eine kleine Weggabelung auf, in der Mitte ein kleiner Tümpel. Etwa 35m lang und 3m breit. Ohne einen Blick auf Leah zu werfen brach ich nach rechts aus und wurde noch etwas schneller. Mein Instinkt sollte recht behalten. Das Tier lief ebenfalls nach rechts. Ich lief noch schneller und war nun auf gleicher Höhe mit ihm und brachte es so dazu, um den Tümpel herumzulaufen. Ich trieb es Leah direkt in die Arme.

Wir hatten den Tümpel bereits umrundet und liefen wieder in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Leah lief direkt auf das Tier zu. Kurz vorher sprang sie an einen Baumstamm um sich von dort abzustoßen und auf das Tier zu werfen. Durch ihre bloße Wucht riss sie das Tier von den Beinen. Beide fielen hart auf den Boden. Noch ehe ich mich versah hatte sie einen kleinen, spitzen Dolch gezogen und rammte ihn dem Tier ins Herz. Es war sofort tot.

Mit einem kleinen Stöhnen richtete sie sich auf. „Nach dir“, grinste sie. Entsetzt schüttelte ich den Kopf. „Wie du willst“, entgegnete sie und kniete sich neben das Reh. Dann schlug sie ihre Zähne in den Hals des Tieres. Ich vermutete dort die Halsschlagader. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen. Ich stand einfach nur reglos daneben und schaute auf sie hinab. Dieser Anblick hatte nichts Bestialisches. Trotzdem wurde mir ein wenig flau im Magen. Ich drehte mich um und ging ein paar Schritte tiefer in den Wald hinein.

Nur wenige Minuten später hörte ich ein Rascheln hinter mir und drehte mich um. Leah stand direkt hinter mir. Sie sah aus, als wenn sie grade einen kleinen Spaziergang durch den Wald gemacht hatte. Ihre blonden Haare waren leicht zerzaust, aber ihre Kleidung saß perfekt. Nicht ein einziger Blutstropfen befand sich auf ihren Sachen. Lediglich ihre Knie waren etwas schmutzig.

„Wow“, strahlte sie, „das war ja eine super Jagd. Du bist eine wirklich gute Jägerin. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt behaupten, du hast das schon öfters gemacht.“
Etwas verlegen schaute ich zu Boden.
„Warum guckst du so beschämt? Du warst super! Du bist einfach deinen Instinkten gefolgt, daran ist nichts falsch!“
Ich begann nervös mit dem Fuß in der Erde zu bohren.
„Das Tier hat nicht gelitten Fly. Ich habe es mit einem schnellen Stich ins Herz getötet. Vermutlich hat es nicht einmal mehr mitbekommen, was passiert ist“, sagte sie vorsichtig. Nun klang auch sie etwas bedrückt. „Es tut mir leid Fly, vielleicht war das etwas viel für den Anfang.“
„Nein, es ist schon okay. Ich weiß, dass das Tier nicht gelitten hat. Es ist nur… irgendwie komisch. Normalerweise kaufe ich mir mein Fleisch im Supermarkt.“
„Naja“, sagte sie belustigt, „so in Menschengestalt hätte es dir vermutlich eh nicht geschmeckt.“ Sie lachte. „Warum hast du dich nicht verwandelt?“
„Verwandelt??“, fragte ich erstaunt. Ich konnte kaum glauben, was ich grade gehört hatte.
„Oh man oh man“, lachte sie, „du bist ja wirklich noch ein Welpe. Komm mit, lass uns einen schönen Platz suchen, wo wir uns hinsetzen können. Vielleicht finden wir unterwegs ja auch ein paar Beeren für dich. Und dann erkläre ich dir alles in Ruhe.“ Ohne meine Antwort abzuwarten ging sie los.

Wir fanden tatsächlich ein paar Beeren, die ich mir hungrig vom Strauch flückte. Während ich mir meine Taschen vollstopfte, um ein wenig Proviant für den Weg zu haben wartete Leah geduldig auf mich. Nur wenige Meter weiter fanden wir ein schönes Plätzchen, an dem wir uns niederließen. Das Gras war hier besonders saftig, die Vögel sangen uns ihre schönsten Lieder und vereinzelte Sonnenstrahlen fielen durch das Blätterdach. Wir machten es uns in mitten von Blumen und Sträuchern bequem.

„Ich kann mich also verwandeln?“, begann ich.
„Na, das will ich wohl meinen“, grinste Leah.
„In einen richtigen Wolf?“
„Ja. Mit Fell, vier Beinen, Reißzähnen,…“, spöttelte sie.
„Schon gut, ich hab´s verstanden“, fiel ich ihr ins Wort. „Erzähl mir lieber wie das geht.“
„Wie das geht?“ Sie rückte ein Stückchen näher uns sah mir tief in die Augen. „Du, eine Wölfin, fragst mich, einen Vampir, wie du dich in einen Wolf verwandeln sollst???“ Äußerlich wirkte sie ernst, aber ich wusste, dass sie ihr Lachen kaum verbergen konnte. Wenn ich noch ein zweites Mal über meine Frage nachdachte, musste ich auch grinsen.
„Ich glaube du musst es dir einfach vorstellen“, überlegte sie.
„Vorstellen?“, fragte ich und legte den Kopf schief. Okay, dann pass mal auf.

Mit einem Satz sprang ich auf. Die restlichen Beeren kullerten auf den Boden. Ich ging ein paar Schritte und drehte mich zu ihr um. Dann schloss ich die Augen und stellte mir mit aller Kraft vor, wie ich mich in einen Wolf verwandeln würde. In meinem Kopf überlegte ich, wie es wohl aussehen würde und der Gedanke nahm viele verschiedene Formen an.
Ich sah wie mein Kopf sich in die Länge zog, wie meine Fingernägel länger wurden und sich zu Krallen formten, Haare auf meinen Armen wuchsen, meine Ohren spitz wurden und mein Rücken begann sich zu beugen. Das ganze hatte eher etwas von einem schlechten Horrorfilm.
In meinem nächsten Gedanken sah ich, wie ich mich einmal um mich selbst drehte und dann als perfekter Wolf da stand. Nein, dachte ich und schüttelte den Kopf, so würde es bestimmt auch nicht aussehen. Aber um ehrlich zu sein, hatte ich ja keine Ahnung wie es aussehen würde.

Ich machte die Augen wieder auf und schaute an mir herunter. „Es hat nicht funktioniert“, stellte ich enttäuscht fest.
„Du musst wirklich fest daran denken“, ermunterte sie mich.
„Mach ich doch“, antwortete ich, „aber es passiert einfach nichts.“
„Woran genau hast du denn gedacht?“, hakte sie nach.
„Daran wie ich mich verwandele“, entgegnete ich.
„Du sollst nicht daran denken WIE du dich verwandelst, sondern du sollst daran denken DAS du dich verwandelst“, erklärte Leah.
„Okay ich versuche es noch mal….“

Ich schloss wieder die Augen. Ich dachte daran, dass ich mich hier und jetzt in einen Wolf verwandeln wollte. Ich wollte aussehen wie ein richtiger Wolf. Jetzt. Angestrengt sagte ich dies in paar Mal in meinem Kopf. Doch als ich die Augen erneut öffnete war ich noch immer ein Mensch (oder viel mehr in Menschengestalt).

Hilflos und mit den Schultern zuckend schaute ich Leah an und setzte mich dann wieder zu ihr. „Vielleicht bin ich gar kein richtiger Werwolf“, sagte ich enttäuscht. Es klang komisch, dieses Wort aus meinem Mund zu hören.
Leah streckte kurz ihre Nase in meine Richtung und schnüffelte, dann schüttelte sie den Kopf. „Doch, du bist definitiv einer. Du riechst wie einer.“
„Aber warum funktioniert es dann nicht?“, fragte ich sie.
„Mh.. .ich weiß es nicht“, antwortete sie ehrlich, „ich bin in solche Sachen auch kein Experte. Vielleicht machst du irgendwas falsch.“ Sie hob ebenso hilflos die Arme. „Aber ich weiß, wo wir das herausfinden können. Komm mit!“ Und mit diesen Worten sprang sie auf und rannte los. Ich folgte ihr.

Kapitel 13: Von Särgen und dunklen Gemäuern

Mir kam es so vor als hätten wir mittlerweile den gesamten Wald durchquert. Hin und wieder konnte ich das Ufer des Sees aufblitzen sehen und ich hatte eine ungefähre Ahnung in welche Richtung wir liefen. Ich sollte recht behalten.
Mit einem Mal lichtete sich der Wald und eine große Wiesenfläche kam zum Vorschein. Ich sah sofort die Trauerweide, unter der ich vor noch gar nicht so vielen Stunden zuletzt gelegen hatte.

„Von hier aus ist es nicht mehr weit“, strahlte Leah mich an, ohne anzuhalten. Wir liefen ein kleines Stück über die offene Fläche und machten dann eine scharfe Rechtskurve. Dort stand ein mittelgroßes Haus, versteckt von einigen Bäumen und Büschen. Es war nicht besonders groß, geschweige denn besonders hübsch, aber es wirkte irgendwie gemütlich. Vor dem Haus erstreckte sich ein kleiner Kräutergarten, in dem viele verschiedene Kräuter fein säuberlich angelegt waren.

„Hier wohnen wir“, grinste Leah und öffnete die Pforte zum Garten. Ich blieb wie angewurzelt stehen. „Hier?“, fragte ich sie überrascht. Nein, eigentlich war ich nicht überrascht.
„Ja – manchmal ist es gar nicht so schlecht etwas abseits zu wohnen.“ Sie zwinkerte und drehte sich wieder zum Hauseingang um. Ich stand noch immer vor dem Gartenzaun. Als Leah schon fast an der Haustür angelangt war, drehte sie sich ungeduldig um. „Was ist denn noch?“
Ich schaute sie nur verständnislos an. „Ich kann da nicht reingehen“, sagte ich und schüttelte den Kopf.
„Nic und Mike sind nicht da, falls du deswegen nicht mitkommen willst. Die beiden sind jagen und werden auch nicht vor Mitternacht zurück sein.“ Sie grinste. Resignierend zuckte ich mit den Schultern und folgte ihr ins Haus.

Neugierig schaute ich mich im Haus um, während ich Leah folgte. Ich erhaschte den einen oder anderen Blick durch geöffnete Türen.
„Hier gibt es nicht viel zu sehen“, sagte Leah verschwörerisch, „der spannende Teil befindet sich in den Kellerräumen.“
„Du meinst, du willst mir erstmal eure Särge zeigen?“, stichelte ich.
Sie brummte irgendeine unverständliche Antwort zurück. Es klang irgendwie nach „Naiver kleiner Werwolf“. Ich grinste.

Wir durchquerten die Küche und gingen in einen kleinen angrenzenden Raum. In einem normalen Haus wäre es wohl die Speisekammer gewesen, aber hier waren die Regale alle leer. Leah schob das hinterste Regal zur Seite und darunter kam eine Bodenluke zum Vorschein. Als sie sie öffnete fiel die Klappe mit einem lauten Knallen auf den Boden. Dahinter erschien eine enge Wendeltreppe, die, wie es schien, unendlich weit unter die Erde führte.
„Ich hoffe du hast keine Platzangst“, grinste Leah mich an und begann mit dem Abstieg. Ich folgte ihr zögerlich.

Die Treppe war noch schmaler und enger, als es von oben den Anschein gehabt hatte. Noch dazu musste sie viele Jahre alt sein, denn die Stufen waren schon sehr ausgetreten und ich stolperte mehr als einmal. Die Wände waren kalt und klamm. Hin und wieder erleuchteten kleine Lampen den Weg und warfen ihr Licht grade soweit, das man die nächsten paar Stufen sehen konnte.

Nach ungefähr 5 Minuten hatten wir auch die letzen Stufen hinter uns gelassen und waren in einen weiteren kleinen Raum eingetreten. Er war vielleicht grade einmal 10qm groß und an seinem Ende befand sich eine große, sehr massiv aussehende Tür, die mit zwei großen Schlössern versehen war. Rechts neben der Tür hing ein Tastenfeld.
„Eure Särge scheinen sehr wertvoll zu sein, wenn ihr sie so gut sichern müsst“, ärgerte ich Leah.
Leah tippte in Windeseile eine Zahlenkombination ein und einige Sekunden später hörte ich es leise Klicken. „Nach dir“, grinste sie und öffnete mir die Tür.

Unsicher machte ich einen Schritt durch die Tür. Dahinter empfing mich erdrückende Dunkelheit. Sogar meine übermenschlich guten Augen hatten hier Schwierigkeiten etwas zu sehen. Ich konnte nur erahnen, dass der Raum sehr groß sein musste, denn der Hall meiner Schritte verteilte sich weit in der Luft. Ich tat einen weiteren Schritt und plötzlich sprangen an den Wänden kleine Lichter an.

Ich stand in einer riesengroßen Bibliothek. Der Raum war riesengroß und überall standen Bücherregale. In einer Ecke des Raumes befand sich ein Kamin, davor war Teppich ausgelegt. Drum herum standen ein schickes Ledersofa und ein Sessel, sowie ein Tisch mit 4 Stühlen. Irgendwie passte diese Kombination aus modernen Möbeln und uralten Gemäuer überhaupt nicht zusammen und doch sah es sehr stilvoll aus.

Leah ging an mir vorbei und entzündete ein Feuer im Kamin. Als sie fertig war, richtete sie sich wieder auf und drehte sich zu mir um. Sie schaute mich erwartungsvoll an. Wie sie dort mit dem Rücken zum Feuer stand wirkte ihre Haut noch blasser und ihre Augen noch dunkler. Ich muss zugeben, dass es ein wenig unheimlich aussah.

„Das hier ist unsere Bibliothek“, sagte Leah überflüssigerweise. „Hier stehen uralte Bücher, alle von unseren Vorfahren geschrieben. Dieses Haus und auch diese Kellerräume gibt es schon seit vielen, vielen Jahren. Von Zeit und Zeit finden hier immer mal wieder Vampire Zuflucht. Im Moment sind wir es“, schloss sie grinsend. „Der Raum ist daher gut gesichert, weil diese Bücher nicht für Menschenaugen bestimmt sind. Nur wenige eingeweihte Vampire wissen von diesem Raum. Und jetzt auch du!“ Sie grinste.
„Warum zeigst du mir all das?“, fragte ich sie. „Wie kannst du sicher gehen, dass ich euch nicht doch verrate, nachdem du mir alles gezeigt hast?“
„Weil ich es weiß!“ Sie klang sehr ernst. In ihrer Stimme schwang etwas mit, was an ihrer Aussage keine Zweifel ließ.
„Und was wollen wir hier?“, fragte ich weiter.
„Hier, Fly, wirst du bestimmt viele Antworten auf deine Fragen finden. In den Büchern steht nicht nur was über uns Vampire, sondern auch viel über Werwölfe. Wie es früher war, vor dem Krieg und wie es jetzt ist, welche Regeln wir befolgen müssen und noch viele andere Sachen. Das hier ist eine der größten Vampirbibliotheken die es auf der ganzen Welt gibt!“ Der Stolz in ihrer Stimme war jetzt nicht mehr zu überhören.

Sie schaute mich noch einen Moment an und verschwand dann zwischen ein paar Regalen. Als sie wieder kam hatte sie zwei große Decken auf dem Arm, die sie auf die Couch legte. Sie zog ihre Schuhe aus und machte es sich bequem. Ich machte es ihr nach. Als ich mich bequem in die Decke gekuschelt hatte sprach Leah weiter.

„Ich hab dir doch vorhin erzählt, dass es eine Legende gibt. Diese Legende besagt, dass irgendwann einmal ein Werwolf kommen wird, der unsere beiden Völker wieder vereinen wird. Ausserdem sagt die Legende, dass dieser Werwolf sich mit einem Vampir vereinen wird, dass es diesen beiden möglich ist, die natürlichen Brücken zu überwinden und ein gemeinsames Leben miteinander zu leben.“
„Und du glaubst, dieser Werwolf bin ich?“ Ich war ehrlich erstaunt.
„Ich kann mir natürlich nicht sicher sein“, sagte Leah zögernd, „aber was spricht dagegen? Es kann doch kein Zufall sein, dass wir ausgerechnet hierher ziehen, wo du bist. Und das wir dich finden und du keine Angst vor uns hast. Das glaube ich einfach nicht!“
„Leah“, sagte ich vorsichtig, „ich glaube du interpretierst da zu viel hinein. Ich glaube nicht, dass ich…“
„Warum hast ausgerechnet du dich dann in Nic verliebt, in einen Vampir?“, fiel sie mir bissig ins Wort.
„Was weiß ich.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Verwirrte Hormone. Ich hab keine Ahnung. Aber ich glaube nicht, dass das in irgendeinem Zusammenhang mit eurer Legende steht“, sagte ich stur.
„Unserer“, sagte Leah.
„Was?“
„Unserer Legende. Die Wurzeln dieser Legende liegen nicht ausschließlich bei den Vampiren. Sie stammt von gleich Teilen von beiden Völkern.“
„Gut“, sagte ich resignierend, „unsere Legende. Dann sag mir doch mal, was die Legende dazu meint, wie ich und Nic dieses klitzekleine Problem überwinden sollen, dass wir uns nicht berühren können?“ Langsam wurde ich wirklich sauer.
Unruhig rutschte Leah hin und her. „Dazu… ehm… dazu gibt es keine genauen Aussagen. Es heißt nur, dass es irgendwann so sein wird“, druckste sie herum.
„Na wunderbar! Das sind ja tolle Voraussetzungen!“, schnappte ich.

„Anstatt hier so rumzumosern, könntest du mir lieber suchen helfen, damit wir schnell die richtigen Bücher finden“, sagte Leah und sprang vom Sofa auf. Sie ging ein paar Schritte in den Raum hinein und schaute mich dann auffordernd an. Mühsam schälte ich mich aus der Decke und folgte ihr.
„Die Bücher sind nach Erscheinungsjahren geordnet“, sagte Leah.
„Okay. Und wo fangen wir zu suchen an?“
„Ich würde sagen du fängst mit den ältesten Büchern an und ich mit den jüngsten.“
Ich warf erst einen Blick in den Raum und schaute Leah dann ins Gesicht. „Das ist nicht dein Ernst?“, fragte ich sie.
„Was anderes wird und wohl kaum übrig bleiben“, lächelte sie entschuldigend. „Also los!“

Kapitel 14: In der Bibliothek

Ich beschloss, dass es das einfachste war, mir mehrere Bücher aus dem Regal zu nehmen und mich damit auf die Couch zu setzen. Ich zog mir den großen Sessel ans Sofa, um auch diesen als Ablage zu benutzen. Leah hatte es sich mit mehreren Büchern an dem großen Tisch bequem gemacht.
„Wonach genau suchen wir jetzt eigentlich?“, fragte ich sie, während ich das erste Buch aufschlug und langsam durch die Seiten blätterte.
„Nach allem, was uns irgendwie weiterhelfen könnte“, sagte sie. Dann versank sie wieder in ihren Büchern. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, da sie mit dem Rücken zu mir saß, aber ich war mir sicher, dass sie grinste.

Ich weiß nicht wie viele Stunden vergangen waren und wie viele Bücher ich inzwischen gelesen hatte. Ich merkte dass es mir immer schwerer viel, die altertümlichen Schriften zu entziffern und meine Augen offen zu halten. Ausserdem war mir kalt. Je länger ich auf dem Ledersofa gesessen hatte, desto kühler kam mir der Raum vor. Der Kamin spendete zwar eine angenehme Wärme im direkten Umfeld, jedoch reichte er nicht aus um den großen Raum zu erwärmen.

Plötzlich trat Nic durch die Tür und setze sich ohne ein Wort zu mir auf die Couch. Erstaunt schaute ich ihn an. Er hatte sich ganz in die Ecke gesetzt und legte einen Arm auf die Lehne. Er schaute mich fordernd an. Zögerlich rückte ich ein wenig näher und lehnte mich dann bei ihm an. Er legte mir den Arm um die Schultern und zog mich noch ein wenig näher zu sich. Eine Zeit lang lagen, bzw. saßen wir einfach nur so da. Doch dann legte er seine freie Hand unter mein Kinn und hob mein Gesicht ein kleines Stückchen an. Es tat nicht weh. Langsam beugte er sich zu mir runter. Ich wiederum stützte mich ein wenig ab, um ihm entgegen zu kommen. Er schaute mir tief in die Augen. Dann trafen seine Lippen auf meine und wir küssten uns innig. Er hielt noch immer mein Gesicht in seiner linken Hand. Mit der anderen Hand fuhr er meinen Rücken hinunter und zog meine Jacke und mein T-Shirt ein Stück hoch. Vorsichtig fuhr er mit seiner Hand unter mein T-Shirt, liebkoste meinen Rücken.

Mein Kopf war voll und doch leer, ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ich hatte alles um mich herum vergessen, ich wollte nur noch ihn. Ich löste eine Hand aus meiner Decke, lehnte mich von ihm weg und zog ihn mit der freien Hand mit mir mit. Ich lag auf dem Rücken und er lag auf mir. Ich konnte seinen Körper auf meinem spüren, während wir uns immer inniger küssten. Seine Hand liebkoste nun meinen Bauch. Langsam fuhr er mit der Hand höher und näherte sich meinen Brüsten…

Ich wurde durch laute Stimmen aus meinem Traum gerissen. Ich öffnete nicht die Augen. Ich musste über meinen Büchern eingeschlafen sein. Ich lag zusammengekugelt auf dem Sofa. jemand hatte mich mit der Decke zugedeckt. Und noch etwas lag auf mir. Es roch gut.
„Was fällt dir eigentlich ein, sie hierher zu bringen?“, hörte ich Nic´s böse Stimme.
„Du weißt genau, dass sie es ist“, antwortete Leah in ebenso bösem Tonfall.
„Hey ihr beiden. Ich denke es interessiert euch sicherlich, dass Fly inzwischen aufgewacht ist.“ Das musste Mike gewesen sein. Er hatte eine ebenso sanfte Stimme wie Nic.

Ich öffnete die Augen und schaute alle drei aus großen Augen an. Langsam richtete ich mich auf und eine schwarze Jacke viel von meinen Schultern. Nic stand im T-Shirt dicht vor mir. Es musste seine Jacke sein. Er musste sie mir übergelegt haben, damit ich nicht friere. Ein leichtes Schaudern durchlief meinen Körper.

„Fly, du bist wieder wach“, stellte Nic überflüssigerweise fest. Seine Stimme klang jetzt wieder sehr beherrscht und ruhig.
„Na du bist mir ja eine tolle Hilfe, über deinen Büchern einzuschlafen“, grinste mich Leah an. Auch sie stand nicht weit weg von der Couch. Sie stand Nic direkt gegenüber.
„Was? Wie spät ist es?“, fragte ich verschlafen.
„Es ist 4 Uhr morgens“, grinste Leah mich an, „du hast nicht lange geschlafen. Wenn du willst kannst du hoch gehen und in meinem Bett weiterschlafen. Du siehst noch immer fürchterlich müde aus.“
„Nein“, antwortete ich verlegen, „es ist wohl besser, wenn ich jetzt nach Hause gehe.“ Ich hasste es, wenn Leute sich wegen mir stritten. Ich legte die Decke zurück und wollte aufstehen, doch Nic hielt mich mit einer knappen Handbewegung zurück. „Ich halte es für keine gute Idee, dich jetzt alleine dort draußen rumlaufen zu lassen“, sagte er in einem versöhnlichen Tonfall. Er musste gemerkt haben, wie unangenehm mir die Situation war. Und er machte sich Sorgen um mich. Ich fühlte, wie mein Bauch anfing zu kribbeln. Trotzdem sagte ich: „Es ist schon okay. Ich nehme die Abkürzung durch den Wald und dann bin ich schnell zu Hause.“
„Dann bringe ich dich nach Hause“, antwortete er.
Aus irgendeinem Grund wollte ich das noch weniger, als hier zu bleiben. Die Vorstellung, jetzt mit ihm alleine zu sein, nachdem er sich so darüber geärgert hatte, dass ich hier, in seinem Haus war, bereitete mir Unbehagen.

„Das ist doch alles Blödsinn“, rettete mich Leah aus der unangenehmen Situation. „Fly bleibt hier und ihr beiden bleibt auch hier.“ Stille. Das laute Knurren meines Magens durchschnitt die zum Greifen dicke Luft. Verlegen grinste ich in die Runde.
„Oben liegt noch ein totes Reh“, grinste Mike mich an, „davon kannst du dir gerne ein Stück nehmen.“
Angewidert verzog ich das Gesicht. „Ehm.. nein, danke.“
Leah lachte laut. „Das wird wohl nichts!“ Ich warf ihr einen warnenden Blick zu. Ich wollte nicht, dass sie meine Schwäche entblößte. Trotzdem sprach sie ungerührt weiter. „Fly kann sich nicht verwandeln.“ Sie grinste noch immer ungehemmt.
Erstaunt schauten Mike und Nic mich an. Ich zog nur verlegen die Schultern hoch und schaute auf den Boden.
„Ich besorg dir menschliches Essen“, sagte Nic und verschwand in der großen Tür, noch ehe ich protestieren konnte. Ich war mir ziemlich sicher, dass die drei Vampire kein menschliches Essen hier im Haus hatten und ich wollte nicht, dass sich jemand wegen mir die Mühe machte, in die nächste Stadt zu laufen.

„In der Zwischenzeit können wir ja weiter die Bücher wälzen“, schlug Mike vor. Mir sollte es recht sein. So entstanden zumindest keine weiteren unangenehmen Situationen. Für´s Erste.

Kapitel 15: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt

Mike hatte sich zu Leah an den Tisch gesetzt und half ihr dabei die Bücher zu durchwälzen. Er saß dicht bei ihr und hielt ihre Hand fest. Die beiden sahen sehr süß zusammen aus. Obwohl sie für mich wie Feuer und Wasser schienen, passten sie doch perfekt zusammen. Gegensätze ziehen sich an, hallte es mir durch den Kopf und ich musste unweigerlich an meinen Traum von vor ein paar Minuten denken. Verlegen senkte ich den Blick auf das Buch, das nun wieder auf meinem Schoß lag. Ich tat so als wenn ich die Seiten aufmerksam lesen würde, aber in Wirklichkeit hing ich meinen Gedanken nach.

Das Klicken des Türschlosses ließ uns alle von unseren Büchern aufschauen. Nic kam mit einem Tablett in der Hand in meine Richtung. Ich rückte ein Stück zur Seite, schob Bücher beiseite und zog die Decke dichter zu mir, damit er Platz fand sich zu mir auf die Couch zu setzen. Ich hoffte, dass er sich zu mir auf das Sofa setze.

Er tat es nicht. Er reichte mir das Tablett und setzte sich dann zu Leah und Mike an den Tisch. Im Gegensatz zu den beiden saß er allerdings nicht mit dem Rücken, sondern mit dem Gesicht zu mir und betrachtete mich aufmerksam. Ich spürte, wie meine Wangen rot wurden und begann mit der Gabel in den Spaghetti herumzustochern. Sie schienen frisch zubereitet worden zu sein, denn es hatten sich kleine Dampfschwaden über dem Teller gebildet. Daneben stand eine Schüssel mit frischen Obstsalat und ein großes Glas Orangensaft. Ja, das war schon eher nach meinem Geschmack als das tote Reh.

Ich begann zu essen und versuchte nicht in die Richtung des Tisches zu gucken. Ich fragte auch nicht woher er das Essen hatte. Das Gefühl beobachtet zu werden konnte ich aber leider nicht abschütteln. Als Leah und Mike aufstanden und zwischen den Regalreihen verschwanden um neue Bücher zu holen, schaute ich von meinem Festmahl auf. Ich hatte mich nicht getäuscht. Nic schaute die ganze Zeit zu mir herüber. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht interpretieren. War es ein amüsantes Grinsen? Schaute er nachdenklich? Ich konnte es einfach nicht lesen.
„Danke schön“, grinste ich verlegen.
„Kein Problem“, sagte er und zuckte dabei nicht mit der Wimper. Die Situation wurde immer unangenehmer.

Als Leah und Mike mit neuen Bücherstapeln auf den Armen wieder auftauchten, war ich froh, die beiden wieder dabei zu haben. Sie luden die Bücher auf dem Tisch ab. Keiner von beiden machte Anstalten sich hinzusetzen. Fragend schaute ich sie an.
„Leah und ich werden mal hoch gehen“, verkündete Mike, „sie hat Durst.“
Am liebsten hätte ich panisch den Kopf geschüttelt, um die beiden daran zu hindern, wegzugehen, aber das war albern. Leah grinste mich noch einmal an und dann verschwanden die beiden durch die Tür.

Nic schaute mich noch immer an.
„Was ist?“, fragte ich ihn aus einem Bauchgefühl heraus.
„Die beiden haben uns alleine gelassen, damit wir reden können.“
„Ja, offensichtlich“, antwortete ich nervös.
Stille.
„Wenn ich aufgegessen habe, dann werde ich mich auf den Heimweg machen“, sagte ich nach endlosen, schweigsamen Sekunden.
„Das brauchst du nicht“, sagte Nic sanft. „Du kannst ruhig hier bleiben.“
Ich musterte sein Gesicht und versuchte erneut darin zu lesen. Dann nahm ich allen Mut zusammen und sagte: „Aber du willst nicht, das ich hier bin. Deswegen ist es besser, wenn…“
„So ein Blödsinn“, fiel er mir ins Wort. „Ich habe nichts dagegen das du hier bist. Aber ich habe was dagegen, kleine Mädchen nachts alleine durch diesen Wald laufen zu lassen.“
Täuschte ich mich, oder hatte er die Wörter „diesen Wald“ komisch betont !? Aber darüber machte ich mir jetzt keine Gedanken. Er wollte nicht das ich gehe. Mein Bauch begann wieder zu kribbeln.
„Aber ich habe es doch eben selbst gehört“, antwortete ich gegen jede Vernunft. War ich bescheuert? Ich forderte ihn ja regelrecht dazu auf, mich gehen zu lassen. Dabei wäre mir nichts lieber, als hier bei ihm zu bleiben.
„Es ist nicht so, wie du denkst“, antwortete er. War da ein kleines bisschen Verlegenheit rauszuhören?
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte und zuckte nur mit den Schultern.

„Kann ich mich zu dir setzen?“, fragte er und schaute mich mit seinen dunklen Augen durchdringend an. Ich nickte.
Während er von seinem Stuhl aufstand und zu mir rüber kam, kribbelte mein Bauch fürchterlich doll. Ich war fürchterlich nervös.
Nachdem er sich an das andere Ende der Couch gesetzt hatte fragte er mich: „Du kannst dich nicht verwandeln?“
Mhpf, war ja klar, dass er das nicht einfach vergessen konnte.
„Ja, schon. Irgendwie klappt es einfach nicht. Ich weiß aber auch nicht genau, wie ich es anstellen soll.“ Bedröppelt schaute ich zu Boden und knetete die Decke in meinen Händen.
„Das müssen wir dann wohl noch üben, kleine Wölfin“, sagte er belustigt.
„Wir?“, fragte ich erstaunt.
„So kann ich dich ja schlecht in die große, gefährlich Welt rauslassen. Du hast ja nicht einmal eine Chance dich zu verteidigen.“
Er grinste und ich musste lachen. Es war herrlich befreiend. Aber dann wurde ich wieder ernst.
„Vielleicht stimmt irgendwas mit mir nicht“, sagte ich traurig.
„Das sowieso“, lachte er wieder, „du weißt wer wir sind und bist bisher noch nicht schreiend davon gelaufen. Da wundert es mich irgendwie nicht, dass auch andere Sachen bei dir nicht stimmen.“
Ich lachte wieder und streckte ihm die Zunge raus. „Du bist gemein!“

„Komm“, sagte er und stand auf, „genug Bücher für heute gewälzt. Lass uns hoch gehen zu den anderen, bevor die vor Spannung noch platzen.“
Lachend schob ich mein inzwischen leeres Tablett zur Seite und streifte mir die Decke ab. „Uhhhw..“, sagte ich und zog frösteln die Schultern hoch.
„Ist dir kalt?“, fragte Nic fürsorglich.
„Ja, es ist irgendwie recht kühl hier unten“, antwortete ich.
„Das tut mir leid. Wir können keine Kälte oder Wärme spüren, daher ist der Ofen eigentlich mehr zu Dekozwecken gedacht.“

Er drehte sich um und griff nach der Jacke von der Couch. Mit der Jacke in der Hand kam er näher und hielt sie mir geöffnet hin, um mir beim Anziehen zu helfen. Ich drehte mich mit dem Rücken zu ihm, um mit den Armen in die Ärmel schlüpfen zu können. Vorsichtig schob er mir die Jacke über die Arme und zog sie hoch. Als die Jacke auf meinen Schultern lag drehte ich mich zu ihm um und schaute ihm in die Augen. Er schaute mich nicht an, sondern griff nach dem Reißverschluss und machte die Jacke vorsichtig zu. Ich streckte die Arme ein Stück zurück, damit er mich nicht berühren musste. Als er den Reißverschluss ganz hochgezogen hatte, stellte er noch den Kragen auf. Aber er ließ nicht los, wie ich gedacht hätte, sondern hielt den Kragen an den Enden fest und blickte mir tief in die Augen. Ich spürte wie meine Knie weich wurden.
„Es tut mir leid, dass du diesen hässlichen Streit eben mit anhören musstest Fly. Das wollte ich nicht. Die Worte waren nicht für deine Ohren bestimmt und sie waren auch nicht so gemeint, wie du sie aufgefasst hast. Ich hab nichts gegen dich. Im Gegenteil. Ich mag dich. Und ich würde mich freuen, wenn du ab jetzt öfters zu Besuch kommen würdest.“

Er schaute mir noch immer liebevoll in die Augen und ich war viel zu verdattert, um einen vernünftigen Satz herauszubekommen. Offensichtlich erwartete er auch keine Antwort, denn er grinste mich an, zupfte noch einmal an der Jacke und ging dann zur Tür. Ich beeilte mich ihm zu folgen.

Kapitel 16: Im Reich eines Vampirs

Es ging wieder die schmale Treppe nach oben. Ich ging dicht hinter Nic und dachte über die eben statt gefundene Situation nach. Er mochte mich. Mochte er mich als Freundin oder mochte er mich als … ? Versteh mal einer die Männer. Erst wollen sie einen nicht und plötzlich mögen sie einen. Da sag noch mal jemand Frauen wären kompliziert.

Ich war so in meine Gedanken vertieft, dass ich nicht mitbekam, dass wir bereits an der Bodenluke angekommen waren und Nic angehalten hatte um sie zu öffnen. So passierte es, dass ich ihm in den Rücken lief. „Autsch“, zischte er und drehte sich zu mir um. Ich grinste verlegen. „`Tschuldigung“.

Als wir wieder in der „Speisekammer“ waren ging ich einen Schritt zur Seite und Nic schloss die Klappe hinter uns. Als wäre das Regal leicht wie Styropor schob er es mit einem Arm wieder auf seinen Platz zurück. Angeber.

Als wir wieder auf den langen Flur hinaus traten, schauten bereits zwei neugierige Gesichter aus einer der Türen hervor. Als Leah sah, dass ich Nics Jacke trug grinste sie breit. „Er hat dich also nicht zerfleischt!?“
„Nein“, grinste ich zurück, „das wäre wohl auch eher mein Part gewesen oder nicht?“ Ich erntete einen bösen Blick von Nic und musste lachen. Bevor er etwas entgegnen konnte folgte ich Leah und Mike in den Raum, aus dem sie gekommen waren.
Es war eine sehr geräumige, große Stube mit dunklem Parkettboden. Auch hier stand wieder ein Kamin in der Ecke. Alles war sehr modisch und stilvoll eingerichtet. Ein großes Bücherregal verdeckte den Großteil der Wand zu meiner rechten. Diesmal waren es allerdings normale Bücher, wie ich feststellte, als ich ein paar Schritte näher heran ging.

Draußen war es dunkel noch immer dunkel vermutete ich, denn die Vorhänge waren vorgezogen. Ein paar kleine Lampen erhellten den Raum mit warmem Licht. Im Kamin knisterte ein kleines Feuer vor sich hin. Es wirkte sehr gemütlich.
Ich ging zum Kamin, kniete mich davor und hielt die Hände dicht vor das Feuer, um mich ein wenig aufzuwärmen. Allerdings wurde die Wärme schnell unangenehm in meinem Gesicht und ich rückte nach ein paar Minuten etwas weiter weg. Niemand hatte in der Zwischenzeit ein Wort gesprochen und so drehte ich mich nach den anderen rum. Mike und Leah hatten es sich zusammen auf einem der beiden Sofas bequem gemacht. Nic saß alleine auf dem Sessel. Ich bevorzugte den Platz vor dem Kamin. Das vermied zumindest weitere unangenehme Situationen.

„Und wie machen wir jetzt weiter?“, fragte ich in die Stille hinein.
„Wie meinst du das?“, fragte Leah zurück.
„Naja… soll ich jetzt morgen wieder zur Schule gehen und so tun, als würde ich euch nicht kennen? So weitermachen wie bisher?“
„Mh“, war alles was sie hervorbrachte. Fragend schaute ich in die Runde. Leah zog die Schultern nichts wissend hoch und auch Mike hatte keine Antwort auf meine Frage. Nic schaute an mir vorbei in die Flammen und grübelte. Sein Blick wirkte seltsam leer.
„Ich denke, es ist okay, wenn sie sich mit uns blicken lässt“, sagte er schließlich. „Ich glaube nicht, dass jemand Verdacht schöpfen wird!“ Er schaute auf und zu den anderen beiden hinüber. Sie nickten einstimmig. Dann schaute er zu mir. Auch ich nickte.

„Du solltest dich jetzt noch ein bisschen schlafen legen. Es ist noch früh am morgen“, meinte Nic.
Wie auf Kommando musste ich gähnen und hielt mir die Hand vor den Mund. „Ja, das wird eine gute Idee sein.“
Nic stand auf. „Komm mit“, sagte er und schaute mich auffordernd an.
Ich rappelte mich von meinem inzwischen warm gesessenen Platz auf und folgte ihm aus der Stube. Er ging wieder nach links, Richtung Küche und blieb dann vor der Tür rechts neben der Küche stehen. „Das hier ist mein Zimmer, hier kannst du dich ausruhen“, erklärte er mir. „Daneben ist das Bad“, sagte er und zeigte mit der Hand auf die Tür rechts neben seinem Zimmer. Ich nickte nervös. Ich sollte in seinem Zimmer schlafen? In seinem Bett?

Als er die Tür öffnete und hineinging folgte ich ihm unsicher. Wie sollte ich mich jetzt verhalten? Sein Zimmer war sehr groß und geräumig, spärlich eingerichtet, aber trotzdem irgendwie gemütlich. Nic machte ein kleines Licht auf seinem Schreibtisch an, das gemütliches Licht in den Raum warf.
Links neben der Tür stand ein großer Schreibtisch. Darüber hing ein Eckregal mit einigen Büchern, einem Globus und einer merkwürdigen Pflanze, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. An der linken Wand waren zwei große Fenster eingelassen. Ich vermutete dahinter den Wald, aber konnte kaum was erkennen, da es noch immer dunkel war. Nur ein paar Sterne blitzen vereinzelt am Himmel. Die Fenster lagen recht hoch, da auch die Decken sehr hoch waren. Unter den Fenstern stand eine dunkelgrüne Dreisitzercouch mit ein paar schwarzen Kissen darauf.
An der Wand mir gegenüber stand ein großes, schwarzes, schmiedeeisernes Bett, das aussah als wäre es noch niemals zuvor benutzt worden. Die schwarze Bettwäsche lag ordentlich gefaltet auf der Matratze. Über seinem Bett hing ein großes Bild, bestimmt 5m breit und 1,50m hoch das einen dichten Wald mit Bäumen und Sträuchern zeigte.
An der Wand zu meiner Rechten stand ein großer Schrank aus Eiche mit einem großen Spiegel an einer der Türen. Auf dem Schrank standen mehrere Grünpflanzen.
Auch in diesem Zimmer war dunkles Parkett ausgelegt und nur in der Mitte lag ein großer, dunkelgrüner runder Teppich.

Während ich mich noch immer umschaute hatte Nic bereits die Vorhänge zugezogen. Danach ging er zu seinem Bett und schlug die Decke zurück. Unsicher wie ich mich jetzt verhalten sollte, ging ich zu ihm.
„Das ist also mein Reich“, sagte er und klang dabei etwas verlegen. „Brauchst du noch irgendetwas?“, fragte er fürsorglich.
Ich schüttelte den Kopf. „Obwohl, doch“, druckste ich verlegen herum, „hast du vielleicht eine Shorts für mich, die ich zum Schlafen anziehen kann? Mit der Jeans ist es so ungemütlich.“
„Klar“, grinste er und ging zu seinem Schrank. Während er im Schrank nach einer Shorts wühlte, zog ich seine Jacke aus und hing sie ordentlich über das Bettgestell. Als er mit einer schwarzen Shorts in der Hand zu mir kam, hing auch meine Jacke bereits über dem Bett und ich stand nur noch in Jeans und Tang-Top vor ihm.

Er reichte mir die Shorts und drehte sich um. „Ich werde auch nicht gucken.“ Während er ein paar Schritte Richtung Schreibtisch ging zog ich meine Jeans und meine Socken aus und schlüpfte schnell in seine Shorts hinein. Sie war viel zu groß, aber zum Schlafen würde es reichen. „Fertig“, sagte ich und schaute ihn erwartungsvoll an.
„Wunderschön“, grinste er zurück und kam wieder näher. Als er so dicht vor mir stand, kam ich mir plötzlich sehr klein und unscheinbar vor. Er strahlte eine Gelassenheit aus, die ich noch nie zuvor bei jemand anderem gespürt hatte und doch war ich fürchterlich kribbelig.

Schnell krabbelte ich ins Bett, rollte mich zusammen und zog mir die Decke bis zum Kinn hoch. Sein Bett war urgemütlich und ich bildete mir ein, seinen Duft an der Decke riechen zu können.
Nic ging zum Schreibtisch und machte das Licht aus. „Schlaf gut Kleines“, flüsterte er und schloss die Tür hinter sich. Wenige Minuten später war ich eingeschlafen.

Kapitel 17: Der Morgen danach

Ich erwachte von dem Gefühl, nicht mehr alleine zu sein. Langsam öffnete ich die Augen. Im Zimmer war es inzwischen sehr viel heller als vor ein paar Stunden, weil die Vorhänge das Sonnenlicht nicht komplett draußen halten konnten. Nic stand mit dem Rücken zu mir und hatte irgendetwas vor sich stehen, dass ich nicht sehen konnte. Ich setzte mich im Bett auf und schaute neugierig zu ihm rüber.

„Na Schlafmütze, ausgeschlafen?“, grinste er mich an, als er bemerkte das ich wach war. „Ich hab dir was zu essen gemacht.“ Er lief einmal um den kleinen Tablettwagen rum, den ich nun entdecken konnte und schob ihn ans Bett heran. Darauf war eine Schüssel mit frischem Obstsalat, ein Glas Orangensaft und ein paar Brote mit verschiedenen Aufschnitten. Hungrig nahm ich ein Brot mit Käse vom Teller und begann zu essen.

„Danke schön“, grinste ich ihn an. „Wie spät ist es?“
„Kurz vor 3 Uhr nachmittags“, feixte er.
„WAS??“, sagte ich erschrocken?
„Ich sag ja… Schlafmütze. Du verpennst den ganzen schönen Tag, du fauler Hund.“ Ein freches Grinsen machte sich in seinem Gesicht breit.
„Ich werd dir gleich“, antwortete ich, schob mir den letzen Rest Brot in den Mund und warf mein Kissen nach ihm. Er fing es mit Leichtigkeit und schleuderte es zurück in meine Richtung. Er traf mich mitten im Gesicht. Es schmerzte. Und es knallte mit so einer Wucht gegen mich, dass ich einfach nach hinten umkippte.

„Autsch“, presste ich mit zusammen gebissenen Zähnen hervor. Sofort war er bei mir um nach mir zu sehen. Vorsichtig richtete ich mich wieder auf. „Das hat weh getan.“ Ich tastete nach meinem Gesicht. Als ich ihn anschaute erschrak ich. Sein Gesicht schien noch weißer zu sein als vorher, seine Augen waren jetzt schwarz. Aus seinen Mundwinkeln konnte ich die Vampirzähne hervorblitzen sehen. Im selben Moment fanden meine Finger den Grund dafür. Ich blutete. Unauffällig rückte ich ein Stück von ihm weg. Er starrte mich noch immer an. Grade als ich anfing Angst zu bekommen löste er sich aus seiner Starre und war so schnell aus seinem Zimmer verschwunden, dass meine Augen nur einen verschwommenen Schatten wahr nahmen. Verwirrt und ein wenig ängstlich blieb ich zurück.

Ich überleckte ein paar Sekunden. Dann stand ich auf und ging zum Schrank, an dem ein großer Spiegel hing. Prüfend betrachtete ich mein Gesicht. Ein langer Kratzer bedeckte meinen Wangenknochen, der noch immer blutete. Er sah recht tief aus. Ich schaute auf das Kissen, welches ich noch immer in meiner Hand hielt. Der Bezug hatte einen Reißverschluss. An ihm klebte noch ein bisschen Blut. „So eine scheiße…“, fluchte ich leise vor mich hin.

Suchend schaute ich mich im Zimmer um, fand aber nichts wo mit ich das Blut abwischen konnte. Grade als ich überlegte rüber ins Bad zu gehen, öffnete sich die Tür erneut und Leah lugte vorsichtig um die Ecke. „Ist alles okay bei…“ Sie brach mitten im Satz ab, als sie das Blut auf meiner Wange sah. In weniger als einer Sekunde war sie bei mir. „Was ist passiert? Hat er dich verletzt?“ Sie klang ganz aufgeregt.
„Ja… nein…“, stotterte ich herum, „nein, nicht absichtlich. Ich hab ein Kissen nach ihm geworfen und er hat es zurück geworfen. Ziemlich doll.“
Sie nahm mir das Kissen aus der Hand und warf es achtlos in eine Ecke. „Komm mit“, sagte sie, legte ihre Hand auf meinen Rücken und schob mich zur Tür. Sie dirigierte mich direkt ins Badezimmer und schloss hinter sich die Tür ab.

Ich drehte den Wasserhahn auf, hielt meine rechte Hand kurz unters Wasser und wischte mir dann damit das Blut von der Wange ab. Als ich meine Hand erneut abspülte vermischte sich das Blut – mein Blut – mit dem Wasser und verschwand im Abfluss. Prüfend schaute ich in den Spiegel, der über dem großen Waschbecken hing. Ich nickte. So würde es gehen. Leah reichte mir ein Stück Toilettenpapier zum Abtupfen, dass ich dankend entgegennahm.

Leah hatte sich mit verschränkten Armen wieder vor die Tür gestellt und beobachtete mich. „Was ist mit Nic passiert?“, fragte sie ernst.
Ich schaute sie fragen an. „Ich weiß es nicht“, gestand ich. „Er hat das Blut gesehen und dann hat er sich verwandelt… es war… unheimlich. Plötzlich ist er raus gerannt… und dann kamst du.“
„Das ist sehr merkwürdig“, meinte Leah. Ihr Blick war seltsam leer.
„Warum?“, fragte ich, „ich meine… Vampire trinken doch Blut und wenn…“
„Ja“, unterbrach Leah mich, „wir trinken Blut. Menschblut. Oder Tierblut. Aber niemals das Blut von Werwölfen. Es schmeckt scheußlich. Und es stinkt.“ Wieder schaute sie mich prüfend an. „Dein Blut stinkt nicht!“, stellte sie fest. „Mit dir stimmt wirklich irgendwas nicht Fly. Du wirfst uns immer neue Rätsel auf!“

Erschrocken und erstaunt starrte ich sie an. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Ich wusste erst seit wenigen Stunden das ich ein Werwolf war. Dann stellte ich fest, dass ich mich nicht verwandeln konnte. Und jetzt das. Was war nur mit mir las. War ich vielleicht gar kein Werwolf, sondern doch noch irgendetwas anderes? Nein. Dann hätten die Vampire mich nicht als Werwolf ausgemacht. Es musste etwas anderes sein. Nur was?

„Ich denke es ist besser, wenn ich jetzt nach Hause gehe Leah… ich habe hier schon so viel Unruhe rein gebracht und jetzt auch noch das.“ Ich wartete vergeblich auf eine Antwort. „Sag Nic vielen Dank für das Essen und das ich in seinem Bett schlafen durfte. Und sag ihm, dass es mir leid tut.“
Mit diesen Worten schob ich mich an Leah vorbei und ging wieder in Nics Zimmer um mich anzuziehen. Niemand kam um mich aufzuhalten. Und so verließ ich das Haus ohne einem von ihnen über den Weg zu laufen.

Irritiert und traurig über dieses abrupte Ende lief ich wieder Richtung Wald. Ich kam an der großen Trauerweide vorbei und wusste, dass ich auf dem richtigen Weg war. Am Waldrand angekommen und im Schutz der ersten Bäume wurde ich langsamer, bis ich schließlich gedankenverloren durch den Wald stapfte.
Ein Geräusch ganz in meiner Nähe ließ mich aufhorchen. Ich blieb im Schutze einer großen Fichte stehen und lauschte. Es war still. Zu still. Die Vögel hatten aufgehört zu zwitschern. Die Grillen hatten ihr Zirpen und die Bienen ihr Summen eingestellt. Selbst der leichte Wind schien nur so dahin zu schleichen.

Dann hörte ich wieder ein Geräusch. Ähnlich dem Knacken eines Zweiges, aber irgendwie anders. Diesmal kam das Geräusch aus einer anderen Richtung. Entweder dieser jemand – oder dieses Etwas? – bewegte sich sehr schnell oder es war nicht alleine. Ich versuchte noch aufmerksamer zu lauschen, aber ich hörte nichts weiter. Die Stille war erdrückend.
Ich versuchte mit meinen scharfen Augen zwischen den Bäumen und Büschen irgendetwas zu erkennen. Täuschte ich mich oder war dort vorne grade ein Schatten verschwunden? Nein. Vermutlich spielten meine überreizten Sinne mir nur einen bösen Streich.

Als ich das Geräusch und die Gegenwart von jemandem hinter mir wahr nahm war es schon zu spät. Ich spürte einen harten Schlag im Rücken, stürzte und schlug mir den Kopf an irgendetwas Hartem an. Ich verlor auf der Stelle das Bewusstsein.

Kapitel 18: Allein, allein…

Ich erwachte mit einem dröhnenden Kopf und einem widerlichen Geschmack im Mund. Meine Arme taten weh. Meine Gedanken waren zäh wie Kaugummi. Es fiel mir schwer auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.

Nach ein paar Minuten ging es besser. Ich stellte fest, dass ich aufrecht stand. Oder viel mehr hing. Meine Arme waren über meinem Kopf an irgendetwas befestigt. Vorsichtig versuchte ich meine Füße richtig hinzustellen, um so meine Arme zu entlasten. Es war schwierig, denn meine Füße waren anscheinend auch zusammengebunden. Als meine Füße den Boden berührten merkte ich sofort eine Erleichterung in meinen Armen. Mein Kopf schmerzte noch immer und irgendetwas klebriges bedeckte mein Gesicht. Vermutlich mein eigenes Blut. Als ich versuche mich leicht zu bewegen brach ein stechender Schmerz in meinem Rücken aus.

Langsam begann ich mich zu erinnern, was passiert war. Ich hatte im Wald gestanden, weil ich ein Geräusch gehört hatte. Ohne Vorwarnung hatte mich jemand von hinten niedergeschlagen.

Da ich in der vollkommenen Dunkelheit nichts erkennen konnte, versuchte ich meine anderen Sinne verstärkt einzusetzen. Wenn ich mich leicht bewegte, dann klimperte Metall. Ich schlussfolgerte daraus, dass ich wohl an einer Metallkette festgebunden war. Rund um mich herum konnte ich Metall riechen. Ein Käfig? Und ich konnte Holz riechen. Altes, muffiges Holz. Jemand hatte meine Jacke ausgezogen, ich stand nur im Tang-Top und Jeans dort.

Wer war dieser jemand? Was wollte er von mir? Wo war ich? Und wie kam ich hier raus? Panik machte sich in mir breit.

Schritte hinter mir ließen mich aufhorchen. Eine knarrende Tür wurde geöffnet. Licht fiel hinter mir in den Raum – wenn man es denn so nennen wollte. Verschlag traf es wohl besser. Ich war in eine ca. 1m² kleine Metallbox mit massiven Gitterstäben eingeschlossen. Die Metallbox stand in einem Holzverschlag. Er war nicht wesentlich größer. Es war grade einmal genug Platz, um einmal um die Metallbox herumzulaufen. Fenster gab es keine. An der Wand mir gegenüber hingen zwei große Felle. Wolfsfelle?

Jemand betrat den Raum. Männlich. Er stank nach Tabak und Schnaps. Seine Schritte waren schlurfend. Er hatte wohl heute schon den einen oder anderen Schnaps getrunken. Als er in mein Blickfeld trat war ich nicht überrascht. Nachdem was ich riechen und hören konnte, hatte ich ihn mir etwa so vorgestellt. Er trug eine alte, zerrissene Jeanshose mit Cowboystiefel, einem karierten dunkelblauem Hemd und einem Cowboyhut. An seinem breiten Ledergürtel hing eine kleine Handfeuerwaffe. Auf der rechten Seite hing ein Messer mit scharfen Kanten. Seine Haut war braun gebrannt. Sein Gesicht wurde von einem 3 Tage Bart bedeckt, seine kleinen dunklen Augen stachen zwischen den Altersfurchen böse hervor. Sein graues, etwas schulterlanges Haar, hatte er zu einem losen Zopf zusammengebunden. Im Mundwinkel steckte eine Zigarette.

Er stellte sich mittig vor meinen Käfig und starrte mich aus seinen bösen, kleinen Augen an. „Na, bist du endlich wach, Dreckstück?“, brummte er. Ich tat ihm nicht den Gefallen ihm darauf eine Antwort zu geben.
„Entschuldige die unkomfortable Behausung. Ich weiß ihr Mistviecher seit besseres gewohnt.“ Er grinste böse. „Scherz beiseite… du brauchst gar nicht versuchen aus dem Ding auszubrechen. Vor dir ist da auch noch niemand raus gekommen. Zumindest nicht, so lange ich es nicht wollte.“ Er lachte schallend. „Deine Wunde am Kopf sieht nicht gut aus. Ungeschicktes Ding. Was musst du auch ausgerechnet auf einen Stein stürzen. Das wird später sicherlich nicht so schön aussehen. Da wird mein Kunde nicht erfreut sein.“ Er schaute übertrieben trübsinnig drein. „Was soll´s… das Arschloch kann froh sein, dass er überhaupt so jemanden wie dich bekommt. Ihr seit in letzter Zeit ziemlich selten geworden, weißt du?“ Offensichtlich gefiel er sich in seiner Rolle als Alleinunterhalter.

Meine Arme, mein Rücken und mein Kopf taten weh, aber ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Während er weiter mit sich selbst redete untersuchte ich unauffällig den Raum und meinen Käfig. Das Vorhängeschloss war groß und sah sehr massiv aus. Das würde ich wohl tatsächlich nicht alleine aufbekommen. Meine Füße waren nur mit einem Strick zusammen gebunden.

Endlich war der Kerl mit seinem Gerede fertig und schaute mich noch einmal prüfend an. „Und jetzt ruh dich noch ein wenig aus Zuckerpüppchen. Heute Abend bekommen wir Besuch und da wollen wir doch, dass du gut ausschaust, nech? Schade drum… so ein hübsches Mädchen wie dich…“ Er streckte seine dreckige Hand durch die Gitterstäbe und strich mir über die Wange, den Hals und mein Dekolleté. Angewidert versuchte ich mich ihm zu entziehen. Wieder lachte er schallend und zog seine Hand zurück. „Schon gut, schon gut. Ich werd dich schon nicht anpacken. Ich bin ja nicht lebensmüde.“ Lachend verließ er den Raum und hinterließ eine Duftwolke aus Schweiß, Tabak und Schnaps.

Noch bevor die Tür wieder ins Schloss viel und das letzte Licht verschwunden war, warf ich einen schnellen Blick nach oben auf meine Handfesseln. Sie waren mit massiven Stricken zusammengebunden und an einer Metallkette befestigt. Die würde ich niemals alleine aufbekommen.

Die Tür fiel gänzlich ins Schloss und Angst und Ungewissheit machten sich in mir breit. Wer war dieser Typ und was um alles in der Welt wollte er von mir? Zu allem Überfluss hatte ich auch noch schrecklichen Durst und mein Bauch grummelte vor sich hin. Ich hätte mir doch noch eins der belegten Brote mit auf den nach Hause weg nehmen sollen, überlegte ich im Stillen.

Die Stunden vergingen. Zwischendurch nickte ich ein, wachte aber von den schrecklichen Schmerzen in meinen Schultern wieder auf. Egal zu welcher Zeit ich aufwachte umfing mich Dunkelheit. Nicht ein Funken Licht fiel durch die Holzwände.

Ich fragte mich, ob ich hier jemals wieder rauskommen würde. Nic und die anderen würden mich spätestens morgen vermissen - morgen? Oder heute? – wenn ich nicht in der Schule sein würde. Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht machten sie sich auch keine Gedanken, dass ich nicht da war, nachdem was in ihrem Haus passiert war. Die Verzweiflung zermürbte mich langsam.

Ich erwachte erneut. Diesmal allerdings nicht von den Schmerzen, sondern durch das erneute Öffnen der Tür. Es fiel nicht so viel Licht wie zuvor in den kleinen Holzraum. Draußen musste die Sonne entweder grade auf- oder untergegangen sein. Angenehm frische Luft erfüllte den muffigen Raum.

Derselbe Typ wie zuvor kam herein. Diesmal ziemlich zügig. Er war nicht alleine. Ein junger, aber kräftiger Bursche begleitete ihn. Auch er war braun gebrannt von der Sonne und ähnlich gekleidet. Generell sah er ihm ziemlich ähnlich. Wahrscheinlich war er sein Sohn. Er hatte die gleichen, kleinen, bösen Augen wie sein Vater.

Der ältere Typ fummelte irgendwo am Boden der Gitterbox, während sein Sohn schräg hinter ihm stand, ein großes Gewehr im Anschlag. „So Zuckerpüppchen“, sagte er mit seiner rauen Stimme, „dann wollen wir uns mal auf den Weg machen. Mach lieber keine Faxen, wir sind sowieso schon etwas spät dran.“ Und zu seinem Sohn gewannt sagte er: „Wenn sie versucht zu fliehen, töte sie mit einem Schuss in den Kopf. Hörst du? Nirgendwo anders hin, sonst….“ „Ja Dad“, fiel ihm der Junge ins Wort, „sonst ruiniere ich das Fell, ich weiß!“

Fell? Was für ein Fell? Was um alles in der Welt hatten die beiden vor? Wieder fiel mein Blick auf die beiden Felle an der Wand mir gegenüber. Ich hatte doch wohl nicht recht gehabt mit meinem Vermutungen?

Kapitel 19: Allein unter Jägern

Mit einem unsanften Ruck setzte er den Gitterkäfig in Bewegung. Rollen. Daran hatte er also rumgefummelt. Die plötzliche, ruckartige Bewegung ließ einen erneuten, stechenden Schmerz durch meinen Körper fahren. Ich unterdrückte ein Stöhnen. Die Genugtuung würde ich ihm nicht geben.

Mit einiger Mühe rollte er den Käfig nach draußen. Das restliche Tageslicht stach mir in die Augen. Nach dem ich ein paar Mal geblinzelt hatte, konnte ich erst Einzelheiten erkennen. Wir befanden uns mitten im Wald. Neben der Hütte stand ein großer, roter Truck mit einer großen Ladefläche. Vor mir brannte ein Lagerfeuer. Links daneben war auf einem dreckigen, weißen Tuch einiges an Werkzeug ausgebreitet: Messer, Klingen und andere Sachen, die ich nicht kannte. Rechts neben dem Feuer war ein sehr massiv aussehender Pfahl in den Boden gelassen worden, an dem eine noch massiver aussehende Metallkette befestigt war. Langsam ergaben die Sachen einen Sinn. Mir wurde flau im Magen.

Das Heranrollen eines großen, schwarzen Jeeps unterbrach meine Gedankengänge. Er hielt dicht neben dem Truck. Ein erstaunlich junger, gut aussehender und elegant gekleideter Mann stieg aus dem Jeep. Seine Smoking und die Lackschuhe wollten so gar nicht in dieses Bild hier passen. Er hat einen Hut auf, den er dicht ins Gesicht gezogen hatte, daher konnte ich nur wenige Einzelheiten erkennen. Sein Gesicht war schmal und sehr ebenmäßig. Seine Haut war blass. Langsam schritt er auf uns zu.

„Hallo Mister Eddingburg“, sagte der ältere Typ. „Schön, dass sie den Weg hierher gefunden haben. Ich hoffe sie hatten eine angenehme Fahrt?“ Er machte ein paar nervöse Handbewegungen und wischte sich schließlich den Schweiß mit seinem rechten Ärmel von der Stirn. Mister Eddingburg nickte nur kurz und schaute dann zu mir herüber.
Da er sich in meinem linken, äußeren Sichtfeld befand konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht genau lesen. Aber ich konnte hören was er sagte.

„Das ist sie also?“, vergewisserte er sich. Seine stimme war kalt und leise.
„Ja, ja Sir“, sagte der ältere Typ schnell und nervös. „Das ist sie.“
„Mh“, war alles was der Anzugkerl von sich gab. Abschätzend begutachtete er mich. Als wäre ich einfach nur ein Stück Fleisch. War ich das?
„Wo habt ihr sie gefunden?“
„Wir beobachten sie schon eine ganze Weile, Sir. Wir haben ihr bereits einmal aufgelauert, aber dann kamen uns ein paar Vampire in den Weg.“ Nervös knetete er seinen Cowboyhut, den er nun in den Händen hielt. Anscheinend war ihm der Kerl nicht geheuer. Sein Sohn wechselte nervös von einem Bein auf das andere, noch immer mit dem geladenen Gewehr in der Hand.
„Vampire sagst du?“, fragte der andere mit unnatürlich hoher Stimme. Der Typ nickte. „Haben sie euch gesehen?“
„Nein Sir, das haben sie nicht.“, antwortete er eifrig und schüttelte ein paar Mal heftig den Kopf.

„Sehr gut. Dann lasst uns jetzt keine Zeit verlieren.“ Mit diesen Worten holte er einen Umschlag mit Geld aus dem Inneren seiner Jackentasche. Aus dem Umschlag holte er einen ganzen Batzen Geldscheine. Der andere Typ bekam große Augen. Der Anzugtyp reichte im das Geld und meinte abfällig: „Das sollte als Anzahlung erstmal reichen denke ich. Die andere Hälfte bekommt ihr, wenn ihr fertig seid. Ich will doch sicher gehen, dass ihr es auch ordentlich macht.“ Fragend schaute er zu den beiden hinüber.
„Aber das hatten wir anders vereinbart, Mister…“ begehrte der Cowboy-Typ auf. „Ich weiß“, fiel im der andere ins Wort, „aber ich habe meine Meinung geändert und dulde keine Diskussionen!“ Er sprach in einem herrschenden Tonfall. Er schien es nicht gewohnt zu sein, dass sich jemand seiner Anweisungen widersetzte.

Fahrig fuhr sich der dreckige Kerl einmal durch die Haare und setze dann seinen Hut wieder auf, damit er die Hände frei hatte. „Ihr solltet ein paar Schritte zurückgehen, damit das Blut euch nicht auf den guten Anzug spritzt“, meinte er zu dem seltsamen Mann. Dieser befolgte seinen Rat. Als er auf mich zukam bekam ich Angst. Ich zitterte. Das sollte also mein Ende sein.

Er holte einen großen Schlüssel aus seiner Hosentasche und öffnete das Schloss des Gitterkäfigs. Sein Sohn hatte wieder hinter ihm Stellung genommen. Das Gewehr noch immer im Anschlag. Der Typ zog das Messer aus seinem Gürtel und durchtrennte meine Beinfessel. Anscheinend wollte er, dass ich zu meinem Hinrichtungsplatz laufen sollte. Aber so leicht würde ich es ihm nicht machen. Fiebrig überlegte ich, was ich tun sollte. Was auch immer passieren würde, ich würde lieber durch einen Schuss in den Kopf sterben, als qualvoll hingerichtet zu werden. Ich verstand noch immer nicht, was das ganze sollte.

Aber anstatt auch meine Handfesseln von der Eisenkette zu trennen, begann er, mir fiese, kleine Stichwunden zuzufügen. Ich wand mich unter den Verletzungen. Tränen stiegen mir in die Augen. Ich bekam es noch mehr mit der Angst zu tun. Die Stichwunden waren nicht tief und bluteten auch nicht stark, aber sie schmerzten sehr. „Was soll das?“, brüllte ich ihn an.
Er lachte schallend auf. „Ich weiß, dass du dich nicht von alleine verwandeln wirst du dummes Ding. Ich mache meinen Beruf ja schließlich nicht erst seit gestern. Aber ich habe festgestellt, dass es leichter geht, wenn ihr wütend seit oder angegriffen werdet.“ Er grinste mich böse an und hieb mit der Klinge nach meinem Oberschenkel.

Nach weiteren Stichen schlug seine Stimmung langsam um. Die Stiche wurden festern und tiefer. „Los du scheiß Vieh, verwandle dich endlich, ich hab hier nicht den ganzen Tag Zeit“, schrie er böse. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen stach er mir in den Brustkorb, dicht neben mein Herz. Ich schrie auf vor Schmerz. Ich spürte wie Blut aus zahlreichen Wunden über meine Haut floss.

„Bist du sicher, dass sie ein Werwolf ist?“, fragte der Anzugtyp spöttisch.
Wütend drehte er sich um. „Natürlich bin ich das. Ich bin doch kein dummer Anfänger. Sie trägt das Mal auf der Schulter!“
Als der andere nichts antwortete fuhr er mit seinen Messerattacken fort. Überall in meinem Körper explodierte der Schmerz und mir drohte wieder das Bewusstsein zu schwinden. Nein, so wollte ich nicht sterben.

Mit letzter Kraft bäumte ich mich noch einmal auf und trat mit dem rechten Fuß nach dem Typen. Ich war zu langsam. Er musste die Bewegung mehr erahnt als gesehen haben, aber er wehrte sie mit dem Messer ab und rammte es mir durch den Schuh in den Fuß. Erneut schrie ich auf. Als er das Messer wieder heraus zog spürte ich, wie warmes Blut meinen Schuh erfüllte.

Tränen liefen mir übers Gesicht. Tränen der Angst. Tränen des Schmerzes. Tränen der Verzweiflung. Ich sah keine Chance mehr, mich zu befreien. Ich würde sterben. Hier. Angekettet in einem Käfig. Verblutet. Oder schlimmer noch. Zu schwach um mich zu wehren würden sie all ihre scheußlichen Dinge bei lebendigem Leib mit mir machen.

Ich schrie ihn an, dass er aufhören sollte, aber natürlich hörte er nicht auf mich. Ich erinnerte mich an Leahs Worte, wie man sich verwandelte. In der irren Hoffnung so genug Kraft aufzubringen hier herauszukommen, versuchte ich es erneut. Ich versuchte die Schmerzen und die Angst abzuschalten und mich darauf zu konzentrieren. Es funktionierte nicht.

Wieder und wieder hieb er mit seinem Messer auf mich ein. Brüllte mich an. Ich bekam nichts davon mehr richtig mit. Geschwächt durch den Blutverlust und durch die zahlreichen Verletzungen spürte ich, wie mir die Sinne schwanden. Vor meinen Augen verschwammen der Wald und sein Gesicht. Die Welt drehte sich. Und dann stach er mir ei letztes Mal in die Brust. Die wohltuende Schwärze zog mich mit sich in den Abgrund.

Kapitel 20: Dunkelheit

Absolute Dunkelheit umfing mich. Ich spürte keine Schmerzen mehr. Es war still. Ich fühlte mich leicht. Es war wunderbar.

Ein Schmerzensschrei, der nicht aus meinen Lungen kam, riss mich aus der Dunkelheit. Verzweifelt versuche ich mich an dem letzten Rest Stille festzuklammern, aber es war mir nicht vergönnt. Gequält schlug ich die Augen erneut auf. Ich war noch genau da, wo ich mich vor einen Sekunden – oder Minuten? – befunden hatte. Aber die Szenerie direkt vor mir hatte sich verändert. Ich sah grade noch wie der große Jeep mit quietschenden Reifen zwischen den Bäumen verschwand und nur eine große Staubwolke hinterließ. Der junge Bursche mit dem Gewehr lag mit einer blutenden Wunde am Hals am Boden und regte sich nicht mehr. Aber ich konnte hören, dass er noch atmete. Sein linkes Bein war in einem unnatürlichen Winkel von seinem Körper abgespreizt. Sein Vater kämpfte mit Mike und Leah…

Mike und Leah? Ja. Sie waren hier. Sie hatten mich gefunden. Sie würden mich retten. Ich musste nicht sterben. Als diese Gedanken die Angst ein wenig niederdrückten, erschien Nic in meinem Sichtfeld. Er sah unheimlich aus. Seine Augen waren schwarz. Seine Haut wirkte blutleer. Er atmete schnell und flach. Aus seinen Mundwinkel konnte ich die Vampirzähne hervorblitzen sehen.

„Fly.“ Er stürzte auf mich zu. „Gott sei Dank, du lebst… ich hab dich gesehen und dachte du… du wärst…“, er brachte den Satz nicht zu Ende.
„Bleib wo du bist“, rief ich ihm zu. Erschrocken blieb er stehen. „Ich blute…“, presste ich zwischen den Zähnen hervor. Ich hatte keine Angst vor ihm, aber ich wollte ihn nicht in eine unangenehme Situation bringen.
Er musterte mich ausführlich. „Ich denke es ist okay“, sagte er schließlich und kam wieder auf mich zu. Er versuchte die Fesseln an meinen Handgelenken zu lösen, aber sie waren zu fest. Das Geruckel an den Seilen ließ mich aufstöhnen. „Beeil dich“, stöhnte ich. Ich hatte keine Kraft mehr mich auf meinen Füßen zu halten und hing wortwörtlich in den Seilen. Der Schmerz in meinen Schultern war unbeschreiblich.

Hektisch sah er sich um, bis er schließlich das Messer unweit der Käfigtür liegen sah, dass der Typ verloren hatte. Dass selbe Messer, mit dem er mir all die Wunden zugefügt hatte. Es dauerte nur eine Sekunde, dann stand er mit dem Messer in der Hand vor mir. Für meine Augen waren diese Bewegungen zu schnell, ich konnte nur einen verschwommenen Schatten erkennen. Mit einem einzigen, kräftigen Schnitt durchtrennte er meine Fesseln. Ich brach zusammen. Noch bevor ich auf dem Boden aufschlug fing Nic mich auf. Ein leises Brennen durchfuhr meinen Körper, aber es war nichts im Vergleich zu dem Feuer, das in meinen Schultergelenken tobte. Nic schien ähnliches zu empfinden, denn er biss die Zähne zusammen.

Er trug mich ein Stück vom Käfig weg und legte mich behutsam in den Schutz eines großen Baumes. Tränen liefen mir übers Gesicht. In dem Moment wo seine Haut meinte nicht mehr berührte, verschwand das leise Brennen.
Schnell zog er seine Jacke aus und half mir hinein. Dann nahm er mich wieder auf die Arme und rannte los. Ich vergrub mein Gesicht in seinem Shirt und weinte. Ich weinte, weil all die Angst nun von mir abfiel. Erst jetzt wurde mir wirklich bewusst, was passiert war. Wie knapp es gewesen war. Um ein Haar wäre ich … ich konnte den Gedanken nicht zu Ende denken. Nein. Ich war hier. Ich lebte. Und er war bei mir. Ich verlor wieder das Bewusstsein.

Als ich wieder zu mir kam war es dunkel. Erst dachte ich, ich wäre hinüber gegangen, aber dann hörte ich eine leise Stimme und Geräusche. Nein, ich lebte. Langsam öffnete ich die Augen. Es fiel mir ungewohnt schwer. Ich versuchte mich zu bewegen. Es ging, aber es schmerzte. Mir war kalt. Ich lag auf einer weichen Unterlage und jemand hatte mich zugedeckt.

Von weit weg hörte ich jemanden meinen Namen rufen. Immer und immer wieder. Eine kalte, behandschuhte Hand strich mir übers Gesicht. „Fly.. Fly.. kannst du mich hören?“ Ich nickte. „Sehr gut. Wie fühlst du dich? Du hast bestimmt schreckliche Schmerzen.“ Ich nickte erneut. „Es tut mir leid, wir haben keinerlei Medikamente hier um dir die Schmerzen zu nehmen, aber die Jungs holen Hilfe. Sie kommen bestimmt bald wieder.“ Leahs Stimme klang sehr besorgt. War ich so schlimm verletzt worden?

„Mh“, war alles was ich antworten konnte. Mein Mund war ausgetrocknet. Ausserdem hatte ich nicht die Kraft um ein vernünftiges Wort zu formen. Immerhin konnte ich nun meine Umgebung deutlicher erkennen. Es war nicht so dunkel, wie ich gedacht hatte. Wir befanden uns in einem großen Raum mit vielen Bücherregalen. Nach kurzem Überlegen konnte ich ihn als den Keller des Vampirhauses identifizieren. Ich lag in einem Bett, dicht neben dem Kamin. Das Feuer knisterte leise neben mir und warf angenehmes, warmes Licht in den Raum. Vereinzelt brannten ein paar kleine Lichter an den umliegenden Steinwänden, aber sie spendeten nur wenig Licht.

„Ich bringe dir was zu trinken. Mike hat gesagt es ist wichtig, dass du viel trinkst.“ Mit diesen Worten verschwand sie kurz aus meinem Sichtfeld um dann mit einem Krug Wasser und einem Glas wiederzukommen. Sie stellte beides neben dem Bett ab und setzte sich zu mir auf die Bettkante. Nachdem sie das Glas mit Wasser gefüllt hatte, hob sie vorsichtig mit der freien Hand meinen Kopf an, damit ich trinken konnte. Es war anstrengend. Aber das Wasser tat gut, auch wenn es zuerst im Hals brannte. Nachdem ich ein paar Schlucke genommen hatte, stellte Leah das Glas wieder auf den Boden. „Das reicht fürs Erste. Ich gebe dir in ein paar Minuten noch mal was.“ Sie zwinkerte. Ich nickte dankend.

Sie stand wieder auf und verschwand für ein paar Sekunden aus meinem Sichtfeld. Als sie wieder kam hatte sie eine große Schüssel mit Wasser, einen Lappen und frisches Verbandszeug im Arm. Sie stellte alles auf einem kleinen Tisch in der Nähe ab und zog ihn dichter ans Bett heran. Dann schlug sie meine Decke zurück. Ich war nahezu nackt. Ich lag nur in BH und Hotpants im Bett. Vorsichtig schielte ich an mir hinab, was gleich mit einem stechenden Schmerz in meinem Kopf quittiert wurde. Mit einem Stöhnen sank ich wieder zurück in die Kissen. Was ich gesehen hatte, hatte mich beunruhigt. Überall waren kleine Pflaster auf meinem Körper, die schon leicht durchgeblutet waren. An meinen Beinen, meinem Bauch, den Armen.. überall. „Ich fange am besten an den Armen an“, sagte Leah mitfühlend. „Es wird bestimmt brennen und ein wenig weh tun, aber ich gebe mir Mühe.“

Es tat weh. Die Stichwunden hatten sich allesamt entzündet. Ich wusste nicht wie viele es waren. Bei 25 hatte ich aufgehört zu zählen. Leah entfernte die kleinen Pflaster nach und nach und wusch die Wunden mit angenehm kaltem Wasser aus. Danach schmierte sie eine komische, grüne Salbe auf die Wunden und klebte frische Pflaster darauf. Sie war dabei sehr vorsichtig. Nach der ganzen Prozedur gab sie mir erneut etwas zu trinken. Diesmal brannte es nicht so schlimm im Hals.

Ich schlief wieder ein. Ein wilder Traum durchzog meine Gedanken. Ein schwarzer Wolf, der durch den Wald rannte, gefolgt von drei menschlichen Gestalten, die aber für solche viel zu schnell waren. Der Himmel war sternenklar und der Mond stand rund und hell am Himmel. Das Bild wechselte.

Der Wolf lag im Wald, er blutete stark aus zahlreichen Wunden. Die drei Gestalten hingen über ihm. Einer der drei blickte auf und sah mich mit seinem blutverschmierten Gesicht an.

Kapitel 21: Erklärungen

Ich erwachte, weil irgendjemand unangenehme Sachen mit meinem Körper machte. Gequält schlug ich die Augen auf. Ich erschrak leicht, als es nicht Leah war die an mir herumdokterte, sondern eine mir fremde, alte Frau. Als ich Leah und auch Mike und Nic aber dicht hinter der alten Frau entdeckte, entspannte ich mich wieder.
„Du bist wieder wach“, stellte die alte Frau fest. Ihre Stimme war sehr sanft. „Tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe, aber ich wollte mir noch einmal deine Wunden anschauen.“ Sie deckte mich wieder zu. Ich nickte stumm.
Leah brachte mir ein Glas Wasser und half mir wieder beim Trinken. Nachdem das Wasser meinen Mund und meinen Rachen befeuchtet hatte fühlte ich mich besser. Ich war wieder ein wenig zu Kräften gekommen und fühlte mich nicht mehr so fürchterlich schwach.

„Jemand sollte ihr etwas zu essen machen“, sagte die alte Frau an Mike und Nic gewandt. „Wir sollten ausnutzen, dass sie jetzt wieder wach ist und offensichtlich langsam zu Kräften kommt. Sie hat seit Tagen nichts gegessen, an dem armen Ding ist ja kaum noch was dran.“ Mike verschwand sofort durch die große Tür.
„Tagen?“, krächzte ich erschrocken und schaute zu Nic. Er nickte. Er sah sehr traurig aus.
„Als wir dich am Montag gefunden haben warst du schwer verletzt“, erklärte er mir. „Du hattest viel Blut verloren und warst den ganzen Weg hierher nicht bei Bewusstsein. Abends hast du hohes Fieber bekommen. Du hast dich im Schlaf hin und her geworfen, so dass deine Wunden immer wieder aufgerissen sind. Du warst immer nur sehr kurz wach, aber kaum ansprechbar. Dein Fieber wollte und wollte einfach nicht sinken, also sind Mike und ich losgelaufen um Tabea zu holen. Wir hatten keinerlei Medikamente hier. Es stand eine ganze Weile sehr schlecht um dich. Wir waren uns nicht sicher… ob…“
„Ich verstehe“, sagte ich bedrückt. Unangenehmes Schweigen.
„Komm Kindchen, wir sollten mal nachsehen gehen ob dein Freund was zu essen für unsere junge Wölfin gefunden hat“, sagte die alte Frau, Tabea. Auch sie verschwanden durch die große Tür und ließen mich mit Nic alleine.

Ich versuchte mich aufzurichten, schaffte es aber nicht alleine. Sofort war Nic bei mir und half mir. Auch er hatte Handschuhe an. Nachdem ich mich bequem hingesetzt hatte, setzte auch er sich zu mir auf die Bettkante.
„Nic“, begann ich unbehaglich, „was da am Sonntag passiert ist, dass tut mir…“
„Pssst“, unterbrach er mich und legte mir einen Finger auf den Mund. „Wenn überhaupt, dann bin ich es, der sich entschuldigen muss Kleines. Schließlich hab ich dich verletzt und nicht andersherum, mh?“ Er schaute mir tief in die Augen. Jetzt waren seine Augen wieder dunkelbraun.

„Was waren das für Männer?“, fragte ich ihn.
„Jäger“, antwortete er grimmig.
„Jäger…“, wiederholte ich und überlegte, welchen Sinn dieses Wort für mich hatte.
„Sie stehen unter dem Befehl von Marc Christoph Eddingburg“, erklärte er mir.
„Ist er ein Vampir?“
„Ja. Er ist schon uralt. Er wurde in London geschaffen und hat dort viele Jahrzehnte gelebt. Als es ihm dort zu ungemütlich wurde kam er nach Frankreich. Er war damals mit einer der Vampire, die die Menschen dort angegriffen haben. Er hat überlebt und hegt seither einen unglaublichen Hass gegen alle Werwölfe und hat sich zum Plan gemacht sie auszurotten. Aber natürlich macht er sich nicht selbst die Hände schmutzig. Dafür hat er seine Handlanger.“ Nic schaute grimmig an mir vorbei in die Flammen, die den Kamin beherrschten.
„Aber warum haben sie mich dann nicht einfach umgebracht?“
Nic lachte einmal kurz und böse auf. „Eddingburg schmückt sein Schloss in London mit euren Fellen.“
Ich hätte es mir denken können, aber die Worte aus Nics Mund zu hören war doch noch etwas anderes. Mein Magen zog sich zusammen.
„Sie konnten ja nicht ahnen, dass du dich nicht verwandeln kannst. Normalerweise verwandelt sich ein Werwolf, wenn man ihn so provoziert, weil er sich dann besser verteidigen kann. Du bist in vielerlei Hinsicht anders.“ Er schaute mich nachdenklich an.

„Wer ist diese Frau?“, fragte ich weiter.
„Das ist Tabea. Sie ist eine unserer Stammältesten und unsere Heilerin. Sie ist ebenfalls schon sehr alt. Sie weiß vieles. Ohne sie hättest du die letzten Tage vermutlich nicht überlebt.“ Er sah schon wieder sehr bedrückt aus.
„Was hast du Nic? Es ist doch jetzt okay, ich lebe.“ Ich wurde einfach nicht schlau aus ihm.
„Ich mache mir Vorwürfe. Ich hätte dich niemals alleine durch den Wald laufen lassen dürfen.“ Seine Stimme spiegelte seine Bedrücktheit wieder.
„Du wusstest dass sie hinter mir her sind?“, fragte ich erstaunt.
„Nein, nicht direkt. Ich hatte gehört das Jäger hier in der Nähe unterwegs sein sollen. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches. Sie durchstreifen das ganze Land. Da du bis vor kurzem selbst nicht gewusst hast, dass du eine Wölfin bist, bin ich nicht davon ausgegangen, dass sie dir auf die Schliche gekommen sind.“ Er zuckte hilflos mit den Schultern. Wieder schwiegen wir beide eine Weile.

„Ich werde mal nachsehen gehen, was die anderen machen“, sagte Nic um das Thema zu wechseln und stand auf.
„Warte mal“, bat ich ihn. Er drehte sich noch einmal zu mir um und schaute mich fragend an. „Ich… ehm… würde gerne einmal kurz unter die Dusche springen“, meinte ich verlegen.
Er zog kritisch die Augenbrauen hoch. „Ich glaube nicht, dass das so eine gute Idee ist“, antwortete er schließlich.
„Nic, bitte… ich stinke wie ein Iltis“, gab ich verlegen zurück.
„Wo du recht hast…“, lachte er. „Na gut, aber nicht alleine. Ich werde Leah bitten dich zu begleiten. Nicht dass du uns noch umfällst.“
„Danke schön!“

Nach kurzer Zeit kam er wieder zu mir. Er kam alleine. „Ich befürchte ich habe keine guten Nachrichten für dich“, sagte er halb grinsend. „Leah und Mike bringen Tabea grade zum nächsten Bahnhof, du wirst dich also noch ein wenig gedulden müssen mit deinem Erfrischungsbad.“
„Och nö“, sagte ich beleidigt. „Ich will nicht noch länger hier rum liegen und stinken.“ Beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust. Er lachte. „Dann geh ich halt alleine“, beschloss ich und machte mich daran aus meinem Krankenlager aufzustehen.
„Das kommt überhaupt nicht in Frage“, protestierte Nic und war sofort bei mir um mich wieder ins Bett zurückzudrücken.
„Nic ich meine es Ernst“, sagte ich in gespielt gereizten Tonfall. „Ich bin schon ein großes Mädchen und ich möchte jetzt duschen gehen.“ Keine Reaktion. „Komm schon“, bettelte ich.
Mit einem Seufzer ergab er sich. „Na gut du kleine Nervensäge. Ich kann ja unmöglich verantworten, dass du hier weiter vor dich hin stinkst. Dann geh halt duschen.“ Ein Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus. „Aber ich komme mit“, setzte er hinzu.
„Mh… soll mir recht sein, Hauptsache ich komme endlich unter die Dusche“, grinste ich frech.

Erneut versuchte ich aufzustehen. Es blieb bei dem Versuch. Ich war einfach zu schwach um alleine aufzustehen. So ein Mist aber auch.
„Dann trag ich dich halt in die Dusche, du ach so großes Werwolfmädchen“, lachte Nic mich aus. Kurzerhand wickelte er mich in die Decke ein und hob mich auf seine Arme.

Kapitel 22: Wasserspiele

Im Bad angekommen stellte er mich vorsichtig auf die Füße.
„Geht´s?“, fragte er besorgt.
„Ich denke schon“, sagte ich unsicher. Ich versuchte einen Schritt zu gehen, aber meine Füße wollten mich einfach nicht tragen. Nic verdrehte die Augen und war mit einem Schritt wieder bei mir.
„Dann machen wir es halt anders“, sagte er kurzer Hand und zog sein Shirt aus. Sein Oberkörper war gut durchtrainiert und kräftig. Auch an seinen Armen waren die Muskeln gut sichtbar. Trotzdem war es nicht übertrieben, sondern wirkte natürlich. Es passte irgendwie einfach zu ihm.

Nachdem er sein Shirt achtlos in die Ecke geworfen hatte nahm er mir behutsam die Decke von den Schultern. Er hatte noch immer seine dünnen Stoffhandschuhe an. Er war mir jetzt so nahe, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren konnte. Mein Bauch wurde ganz kribbelig, als ich nur noch mit BH und Hotpants bekleidet vor ihm stand. Im Stillen dankte ich Leah dafür, dass sie mir eine ihrer Hotpants angezogen hatte.

Langsam trat er seitlich neben mich und hob mich erneut auf seine Arme. Als wäre ich einfach nur ein Stofftier, dass man herumtragen konnte.
„Daran könnte ich mich gewöhnen“, grinste ich ihm frech entgegen.
„Ich mich auch.“ Er sagte das mit so einer Zärtlichkeit in der Stimme und schaute mir dabei so tief in die Augen, dass ich das Gefühl hatte mein Bauch würde gleich von den vielen Schmetterlingen zerrissen werden. Dieses schöne Gefühl wurde nur von dem leisen Brennen in meiner Schulter ein wenig abgeschwächt. Obwohl das Brennen schon gar nicht mehr so schlimm war wie zu Anfang. Gewöhnte ich mich langsam an den Schmerz? Oder wurde er tatsächlich weniger?

Behutsam setzte er mich in die große Badewanne, in der Ecke des geräumigen Badezimmers. Während er versuchte das Wasser für mich auf eine angenehme Temperatur einzustellen schwebte ich weiterhin auf Wolke Sieben. Sein Oberkörper war so dicht bei mir. Ich brauchte nur einmal die Hand ausstrecken und dann würde ich ihn berühren können… und ihm damit Schmerzen zufügen. Die Erkenntnis ließ die Schmetterlinge in meinem Bauch sofort absterben. Eine dumpfe Traurigkeit nahm ihren Platz ein. Ich würde ihn niemals berühren können, ohne ihm Schmerzen zuzufügen. Auch vorhin musste er Schmerzen gehabt haben, rief ich mir ins Bewusstsein. Ich hatte schließlich halbnackt an seinem freien Oberkörper gelehnt. Es war so unfair. Warum nur?

Das angenehm warme Wasser an meinen Füßen ließ mich wieder in die Gegenwart zurückfinden. Vorsichtig spülte Nic mich einmal von unten bis oben ab. Als er an meinem Kopf angekommen war, legte ich ihn in den Nacken, damit er meine Haare nass machen konnte. Sehr darauf bedacht mein Gesicht nicht nass zu machen hielt er den Duschkopf über meine Haare und schütze mein Gesicht mit der freien Hand.

Nachdem auch meine dicken Haare endlich nass waren griff er zum Shampoo und weichte sie ordentlich ein. Er spülte mir den Schaum genauso vorsichtig aus den Haaren, wie er ihn einmassiert hatte. Danach griff er zum Duschgel, stockte aber mit der Flasche in der Hand. „Willst du lieber…?“, fragte er unsicher.
Ich versuchte meine Hand nach dem Duschgel auszustrecken, aber meine Arme waren so unendlich schwer. Ich scheiterte beim Versuch. Ohne weitere Fragen zu stellen füllte er sich etwas auf die Hand und begann meinen Rücken, meine Arme und meine Beine einzureiben. Einerseits war es mir sehr unangenehm, dass er das machen musste, aber andererseits genoss ich seine Berührungen.

Nachdem er mich auch wieder abgeduscht hatte hob er mich behutsam aus der Dusche und wickelte mich in ein großes Handtuch ein. Ich ging ein paar unbeholfene Schritte und setzte mich auf den heruntergeklappten Toilettendeckel. Ich beobachtete Nic wie er sich mit einem zweiten, kleineren Handtuch den Oberkörper abtrocknete. Die nassen Handschuhe hatte er zum Trocknen über die Heizung gelegt.

„Wenn du jetzt auch noch eine Zahnbürste für mich hättest, dann wäre ich rundum glücklich“, grinste ich ihn an.
„Ich habe sogar deine Zahnbürste hier“, grinste er zurück. „Da staunst du, was?“
„Damit habe ich tatsächlich nicht gerechnet“, gab ich zu.
„Leah war vor ein paar Tagen in deiner Wohnung und hat alles was du brauchst hierhergeholt. Klamotten, Zahnbürste, Schuhe“, erklärte er mir.
„Die Schuhe werde ich im Bett wohl nicht benötigen“, sagte ich lachend.
Nic schaute mich ernst an. „Nein, im Bett nicht, aber für unsere Reise wirst du sie brauchen.“ Er schwieg einen Moment. „Es sei denn du bevorzugst es barfuß zu laufen“, grinste er mich wieder an.
„Wie meinst du das? Unsere Reise?“, fragte ich ehrlich erstaunt.
„Eddingburg weiß jetzt das du hier bist, Fly. Die beiden Jäger haben wir ausgeschaltet, aber er wird neue schicken um dich zu fangen. Jetzt wird er dein Fell erst recht haben wollen. Und er wird wissen wollen, warum du von Vampiren gerettet worden bist.“ Er sah mich mitfühlend an. „Sobald du wieder bei Kräften bist machen wir uns auf den Weg.“
„Auf den Weg wohin?“, fragte ich bedrückt. Ich hatte hier zwar keine Freunde, aber trotzdem missfiel mir der Gedanke hier wegzugehen. Ich mochte diese kleine Stadt. Meine Wohnung. Mein zu Hause. Die Erinnerungen an meine Tante.
„Wir werden nach Frankreich gehen, in das Vampirdorf von dem ich dir erzählt habe. Wir werden dort berichten, dass Eddingburg hier noch immer Jagd auf Werwölfe macht. Wir haben unsere Gesetze und Regeln Fly. Die meisten Vampire und Werwölfe mögen sich zwar nicht sonderlich, aber sie dürfen sich auch nicht gegenseitig ermorden. Das ist gegen den Waffenstillstand.“

Während er das sagte, hatte er aus einem kleinen Schränkchen einen Kulturbeutel hervorgezaubert, den ich als meinen identifizierte und mir meine Zahnbürste und die Zahnpasta gereicht.
„Du meinst ich soll auch mit in euer Vampirdorf kommen?“, fragte ich mit einem unguten Gefühl im Bauch. „Ich halte das für keine so gute Idee, wenn ich ehrlich bin.“
„Sie werden dir nichts tun Kleines, das verspreche ich dir. Wie gesagt, die Vampire dort halten sich an den Waffenstillstand. Ausserdem bist du so was wie eine wichtige Zeugin in einem Mordfall. Sie werden uns aufnehmen und sie werden sich deine Geschichte anhören. Und dann werden sie entscheiden, was weiter passiert.“
„Du meinst das ganze Dorf entscheidet?“
„Nein. Wir haben so was wie einen Bürgermeister. Sie nennen sich selbst den „großen Rat“. Sie legen die Gesetze fest und achten auf ihre Einhaltung. Wer sich nicht daran hält, der wird bestraft. Das wird auch Eddingburg widerfahren. Er ist ihnen schon lange ein Dorn im Auge, aber bisher hat er sich immer im Hintergrund gehalten. Jetzt haben wir endlich die Beweise die wir brauchen, um ihn unschädlich zu machen.“
„Du meinst sie werden ihn umbringen?“, fragte ich erschrocken.
„Das wäre noch das netteste was sie ihm antun könnten, Fly“, sagte Nic ernst.

Mit diesen Worten warf er nun auch sein Handtuch in die Ecke und ging Richtung Tür. „Ich werde dir was Trockenes zum Anziehen holen, warte hier“, sagte er noch einmal zu mir gewandt. „Und lauf nicht weg“, spöttelte er noch einmal hinterher.


Kapitel 23: Wieder unter den Lebenden

Als er wieder kam war ich bereits fertig mit Zähne putzen. Er gab mir die trockenen Sachen und ging wieder zur Tür. „Ich warte draußen“, grinste er. Mühsam schälte ich mich aus den nassen Sachen und schlüpfte in die trockenen. Er hatte mir außer der trockenen Unterwäsche und Socken auch noch meine Lieblingsjogginghose und ein langärmliges Shirt gebracht. Als ich fertig war mit dem Anziehen – es hatte eine halbe Ewigkeit gedauert – fühlte ich mich schwach und ausgelaugt. Mit einem leisen Stöhnen setzte ich mich auf den Fußboden, weil meine Knie schon wieder wackelig wurden.

„Ich befürchte du musst mich auch wieder runter tragen“, rief ich Nic zu. „Mich alleine anziehen hab ich grade noch geschafft, aber das reicht auch erstmal wieder an Anstrengung für die nächsten Stunden.“
Glucksend kam er zur Tür rein. Ohne ein Wort zu sagen kam er direkt zu mir und nahm mich wieder auf seine starken Arme. Es schien ihm keine große Mühe zu machen, mich herum zu tragen. Die nassen Sachen und die Decke ließ er einfach liegen.

Als er mich durch Haus trug fröstelte ich und schmiegte mich enger an ihn. Er drückte mich noch etwas enger an sich. Schwach wie ich war legte ich meinen Kopf an seine Schulter. Irgendetwas störte mich, aber ich konnte noch nicht sagen was es war. Nach ein paar Sekunden kam mir die Erleuchtung und ich schaute ihn erstaunt an. „Ich kann dein Herz gar nicht hören“, stellte ich fest.
„Das liegt vermutlich daran, dass es schon seit ein paar Jahren nicht mehr schlägt“, grinste er mich an. Meine Augen wurden noch größer.
„Ich hab dir doch erzählt, dass wir erst sterben müssen, bevor wir uns verwandeln. Hörst du mir denn gar nicht zu?“, sagte er betont beleidigt.
„Doch, schon“, antwortete ich verlegen, „aber dass dann auch deine Organe ihre Arbeit einstellen, daran hab ich nicht gedacht. Entschuldige.“ Ich merkte, dass ich leicht rot wurde. Ich kam mir vor ihm immer so blöd vor. Egal was ich sagte oder machte, ich hatte das Gefühl es wirkte ungeschickt und plump.

Wir waren nun wieder im Vorraum zur Bibliothek. Die großen Vorhängeschlösser waren offen, aber Nic blieb trotzdem vor der Tür stehen.
„Ich hab grade keine Hand frei. Schaffst du es den Zahlencode einzutippen?“
Ich nickte. Nic drehte sich so zur Wand mit dem Tastenfeld, dass ich leicht an die Tasten heran kam. Während er mir die Zahlen nannte, tippte ich sie ein. Ein kurzes Summen und ein Klicken verrieten uns, dass die Tür offen war. Nic öffnete sie und bugsierte mich durch den Türrahmen. Den ganzen Weg hinunter war ich nicht einmal irgendwo gegen gestoßen.

Als wir auf das Bett zukamen grinste ich ihn an. „Du hast ja das Bett frisch bezogen.“
„Na klar“, grinste er zurück. „Jetzt wo du frisch gewaschen bist brauchst du doch auch frische Bettwäsche.“
Neben dem Bett entdeckte ich eine große Schüssel mit Suppe und einen Löffel. Sie dampfte noch leicht. Der Geruch ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Vorsichtig setze Nic mich im Bett ab und schob mir die Kissen so hinter den Rücken, dass ich bequem aufrecht sitzen konnte. Danach setze er sich mir gegenüber auf die Bettkante und reichte mir die Schüssel.
„Hier, iss was! Das ist Tomatensuppe, ich hoffe du magst sie.“
Ich nahm einen Löffel, führte ihn zum Mund und pustete vorsichtig. Nachdem ich probiert hatte antwortete ich ihm: „Mmmh… die schmeckt lecker! Hast du die selbst gemacht?“ Er nickte. „Du kannst ganz schön gut kochen, dafür dass du selbst nur Blut trinkst“, stichelte ich.
„Es gab ja auch mal eine Zeit, als ich noch gelebt habe. Ich habe eben ein gutes Gedächtnis“, ärgerte er zurück. „Und da sie dir so gut schmeckt, gehe ich mal davon aus, dass du sie dann auch bis zum letzten Rest auslöffelst.“
Ich nickte und antwortete ihm: „Das bekomme ich hin!“

Nach der Hälfte der Schüssel musste ich meine Meinung allerdings revidieren. Ich hatte zwar noch nicht viel gegessen, aber mein Magen fühlte sich ziemlich voll an. Mit einem Seufzer stellte ich die Schüssel wieder auf den kleinen Tisch zurück. „Ich habe mich wohl doch ein wenig übernommen“, sagte ich unsicher.
Nic lachte. „Es hätte mich auch ernsthaft gewundert, wenn du die ganze Schüssel geschafft hättest, ohne vorher zu platzen, nachdem du so lange gar nicht gegessen hast. Dein Magen ist es gar nicht mehr gewohnt gefüllt zu werden.“

Zufrieden rutschte ich ein Stück nach unten und legte mich hin. Wie gewohnt rollte ich mich leicht zusammen. Nic zog liebevoll die Decke ein Stück höher, damit ich nicht fror. „Danke schön“, meinte ich. Er schaute mich nur mit einem undefinierbaren Ausdruck an.
„Es tut mir leid Fly“, sagte er bedrückt. „Das alles hätte niemals passieren dürfen. Ich hätte besser auf dich aufpassen müssen. Es ist meine Schuld, dass du so schwer verletzt bist und dass du jetzt hier weg musst. Ich wollte das alles nicht!“ Er schüttelte traurig den Kopf.
Ich holte eine Hand unter der Decke hervor und legte sie ihm auf den Oberschenkel. „Nic, gar nichts ist deine Schuld. Du konntest doch nicht ahnen was passiert. Ich mache niemandem einen Vorwurf. Ausserdem ist es ja grade noch einmal gut gegangen.“ Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Ich wollte nicht, dass er sich schlecht fühlte. Schon gar nicht wegen mir.

Vorsichtig legte er seine Hand auf meine. Ganz langsam und sehr behutsam. Im ersten Moment wollte ich meine Hand wegziehen, aber er schüttelte den Kopf. Behutsam berührten seine Fingerspitzen meine Finger. Stricken sanft darüber. Es brannte ein wenig, aber es war nicht schlimm.
Auch er verzog keine Miene. Er musste ein ziemlich guter Schauspieler sein. Als er seine Hand schließlich ganz auf meine legte und sie schließlich in seine Hand nahm, wurden meine Augen groß. Meine Hand kribbelte. In meinem Magen explodierte ein wahres Feuerwerk. Er gab noch immer keinen Ton von sich.

Wütend zog ich meine Hand weg. „Was soll das? Warum tust du dir selbst weh?“ Natürlich wollte ich, dass er mich berührte. Aber ich wollte nicht, dass er sich dabei selbst weh tat. Für ihn mussten es schreckliche Schmerzen gewesen sein.
„Das tue ich nicht“, sagte er ganz ruhig. Er schaute mich nicht an, sondern blickte auf seine Handinnenfläche, die er nun seinem Gesicht zugewandt hatte. „Das ist wirklich interessant“, sagte er abwesend.
„Was ist interessant? Wird das jetzt ein Selbstexperiment?? Wie viele Schmerzen du aushalten kannst?“ Ich schrie ihn fast an. In mir kochte Wut und Enttäuschung hoch, da es niemals so sein würde, wie ich es mir wünschte. Ich hatte das Gefühl, als würde er mit dieser Sehnsucht – meiner Sehnsucht – spielen.

Er schaute noch immer auf seine Hand. Danach schaute er mich an. Lange. Sehr lange. Ich konnte seinem Blick nicht stand halten und meine Augen wechselten unstet zwischen ihm und diversen anderen Sachen in meinem Blickfeld, hin und her. Als er schließlich die Hand langsam nach meinem Gesicht ausstreckte, war ich kurz davor sie aus Reflex von mir wegzuschlagen. Aber ich wollte ihm nicht weh tun. In seinem Blick lag eine Ruhe, die ich nicht nachvollziehen konnte. Auch als ich ein Stück zurückwich ließ er sich davon nicht beirren. Schließlich konnte ich nicht weiter zurück, weil der Bettkasten mich stoppte. Zum Aufstehen war ich noch immer zu schwach.

Seine Hand war jetzt dicht an meinem Gesicht. Sie strahlte keine Wärme ab, aber war auch nicht unnatürlich kalt. Als er mein Gesicht erst mit den Fingerspitzen und schließlich auch mit der ganzen Hand berührte, waren meine Gefühle zwiespältig. Liebevoll legte er die Hand an meine Wange und schaute mich an. Seine Augen waren unergründlich. Er machte keine Anstalten seine Hand wieder wegzunehmen.

Es fühlte sich schön an. Ich fühlte mich geborgen. Ich konnte nicht länger gegen meine Gefühle ankämpfen. Die Wut verrauschte. Mit einem kleinen Seufzen schmiegte ich mich an seine Hand. Er streichelte liebevoll meine Wange mit seinem Daumen. „Das musst du mir erklären“, sagte ich leise.


Kapitel 24: Überlegungen

Wir saßen noch eine ganze Weile so regungslos da. Erst nach einigen Minuten zog er seine Hand zurück. Meine Haut hörte auf zu kribbeln.
„Du wärst fast gestorben“, begann er. „Du hattest so viele Wunden, dass dein Körper nicht im Stande war, sie alle gleichzeitig zu heilen. Viele hatten sich bereits entzündet als wir dich hierher gebracht hatten. Wir haben alles versucht, aber nichts hat geholfen. Daraufhin haben wir Tabea geholt. Auch sie hat verschiedene Tinkturen angemixt, sie dir entweder auf die Wunden geschmiert oder wir haben sie dir eingeflösst. Aber auch das hat nichts gebracht. Wir hatten nur noch eine einzige Wahl.“ Er macht eine lange Pause und sah sehr bedrückt aus. Dann holte er tief Luft und setzte erneut an: „Tabea hat dir ihr Blut gegeben.“

Erschrocken schaute ich ihn an. Mein Magen krampfte sich bei dem Gedanken zusammen. „Warum?“, fragte ich ihn.
„Wenn wir uns verletzen, dann heilen unsere Wunden binnen Sekunden. Das verletzte Gewebe wächst wieder zusammen und zurück bleibt nur eine kleine Narben, die man noch einige Minuten sieht. Wir haben darin deine letzte Chance gesehen. Also haben wir es versucht…“ Er wich meinem Blick aus.
„Was meinst du mit „versucht“?“, harkte ich nach. Irgendetwas an der Art, wie er das gesagt hatte, gefiel mir nicht. Warum wich er meinem Blick aus?
„Es…. Es….Normalerweise würde das Blut eines Vampirs einen Werwolf vergiften und töten“, ratterte er herunter. Er sagte es so schnell, dass ich eine Weile brauchte um den Sinn dieses Satzes zu verstehen.

Jetzt wusste ich warum er meinem Blick ausgewichen war. Bevor ich weiter über seine Worte nachdenken konnte, erzählte er weiter. „Deine Wunden begannen endlich zu heilen. Das Gift zog die Entzündungen raus. Doch Tabea ist schon sehr alt. Der Blutverlust hatte sie stark geschwächt und so konnte sie dir keines mehr geben. Wir hatten gehofft, dass du es nun alleine schaffen würdest, aber du warst einfach zu schwach. Also gab ich dir mein Blut. Zuerst hatte ich mich geweigert, weil ich Angst hatte, ich würde dich um…“ Er bracht den Satz nicht zu Ende. Er holte erneut tief Luft. „Aber es geschah nicht. Im Gegenteil. Mein Blut schien bei dir noch besser zu wirken als das von Tabea. Vielleicht lag es daran, dass ich jünger bin als sie und mein Blut frischer ist.“ Er zuckte mit den Schultern.
„Konnte Tabea mich auch berühren?“, fragte ich tonlos.
„Nein.“
„Aber warum… warum du?“, fragte ich verständnislos.
„Ich weiß es nicht“, gab er zurück. „Es war auch eher ein Zufall, dass ich das herausgefunden habe. Du hattest dir im Schlaf die Decke abgestrampelt und ich wollte dich zudecken und habe dabei versehentlich deine Haut berührt.“ Wieder nur ein hilfloses Schulterzucken.
„Tut es denn gar nicht mehr weh?“, fragte ich neugierig.
„Nein, kaum. Es brennt nur ganz leicht. Es ist aber auch schon eine Weile her, dass du zuletzt mein Blut getrunken hast. Direkt danach hat es für mich gar nicht weh getan.“

War das die Lösung? War das die Lösung nach der ich – nach der wir? – verzweifelt gesucht hatten? Musste ich sein Blut trinken, damit er mich berühren konnte?
„Warum hat es mich nicht umgebracht?“
Er begann wieder herumzudrucksen. „Tabea hat da so eine Theorie. Genau wie Leah.“
„Das ich die jenige bin, die Werwölfe und Vampire wieder vereint“, fiel ich ihm ins Wort. Er nickte nur verlegen. „Denkst du das auch?“
„Ich weiß ehrlich nicht was ich glauben soll. Du bist in vielerlei Hinsicht so anders, als andere Werwölfe. Du kannst dich nicht verwandeln, du hast keine Angst vor uns, dein Blut riecht für uns gut, mein Blut hat dich nicht getötet. Ich weiß nicht was ich glauben soll oder was ich denken soll. Aber es würde schon irgendwie Sinn ergeben.“
„Aber warum funktioniert es dann nur mit deinem Blut?“
„Auch das ist eine weitere Frage, die ich dir nicht beantworten kann.“

Ich hatte das Gefühl, als würde er mir noch etwas verschweigen, aber ich wusste nicht was es war. Da er bisher noch nicht damit rausgerückt war, würde auch weiteres fragen wohl nichts bringen. „Meinst du… wenn… also…“, stotterte ich herum. Ich wusste nicht wie ich es sagen sollte. „Könntest du mich auch weiterhin berühren, wenn ich… Wenn ich dein Blut trinken würde?“
„Ich weiß es nicht Fly. Ich weiß es wirklich nicht. Deine Verletzungen sind schon gut verheilt. Vielleicht bringt es dich auch um, weil dein Körper mein Blut dann nicht mehr gebrauchen kann.“ Unangenehmes Schweigen. „So etwas hat es zuvor nie gegeben. Wir bewegen uns auf absolutem Neuland und wir müssen vorsichtig sein. Der kleinste Fehler könnte dich das Leben kosten.“
„Also müssen wir es ausprobieren“, sagte ich bestimmend. Das es mich eventuell das Leben kosten würde, das blendete ich einfach aus. Nic schwieg eine ganze Weile. Ich spürte, dass sein Schweigen nichts Gutes zu bedeuten hatte. Unruhig knetete ich die Decke in meinen Händen. Dann, endlich sagte er etwas: „Wir sollten es genießen, so lange es noch anhält.“

Ein Schlag in den Magen hätte schlimmer nicht sein können. Ich spürte wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Wut. Hilflosigkeit. Enttäuschung. Traurigkeit. Die Gefühle überfluteten mich. „Das ist nicht fair“, heulte ich los und warf mich ihm in die Arme. Die kleinen Nadelstiche die durch meine Verletzungen fuhren nahm ich gar nicht richtig war. Ein oder zwei waren durch die ruckartige Bewegung wieder aufgeplatzt, aber das ignorierte ich einfach.

Er versuchte mich sanft von sich zu lösen, aber ich hatte meine Arme fest um seinen Oberkörper geschlungen und hielt ihn fest. Mit etwas mehr Druck löste er schließlich meine Arme und drückte mich zurück in die Kissen. Ich wollte grade los protestieren, da drehte er sich und legte sich zu mir ins Bett. Er legte einen Arm um meine Schulter und ich schob mich noch dichter an ihn heran. Er drückte mich zärtlich zu sich heran und hielt mich fest. Mit der freien Hand strich er mir durch die Haare. Ich weinte hemmungslos, schluchzte und schniefte. Bald hatte sein Shirt einen großen, nassen Fleck auf der Brust. Genau dort wo nun mein Kopf lag.

Es dauerte eine Weile bis ich mich wieder beruhigt hatte. Und dann lagen wir einfach nur so da. Ich lag in seinem Arm, hielt mit der einen Hand sein Shirt fest und meine andere Hand lag auf seiner Brust, da wo sein Herz hätte schlagen müssen. Er streichelte mich weiterhin ganz sanft. Liebkoste meinen Rücken und wuselte mir zwischendurch immer wieder durch die Haare. Keiner von uns sagte ein Wort. Wir genossen einfach unsere Zweisamkeit.

Ich kämpfte gegen meine Müdigkeit an. Ich wollte nicht einschlafen. Nicht jetzt. Jede Minute, die wir hier verbrachten war so kostbar. Zu kostbar um sie mit schlafen zu verbringen. Vielleicht würde es nie wieder so sein. Der Gedanke daran war wie ein Stich ins Herz. Es schmerzte ungeheuerlich. Gerade als die Gefühle mich wieder zu übermannen drohten und mir erneut die Tränen in die Augen stiegen, drehte er sich ein Stück zu mir.

Mit seiner freien Hand strich er mir liebevoll die Haare aus meinem Gesicht. Er fuhr mit den Finger über meine Wange, meine Stirn, meine Nase und zeichnete dann die Konturen meiner Lippen nach. Ein kleiner Schauer durchfuhr mich bei seiner Berührung. Ganz langsam beugte er sich zu mir rüber. Ich zitterte leicht vor Aufregung. Als seine Lippen auf meine trafen konnte man das Knistern in der Luft förmlich greifen.

Seine Lippen waren ganz weich und er küsste unglaublich liebevoll und leidenschaftlich. Ich weiß nicht wie lange wir uns küssten. Ich hatte alles um mich herum vergessen.
Nach einer kleinen Ewigkeit – einer viel zu kurzen Ewigkeit – löste er sich von mir und stand auf. Ich hatte es beim Küssen schon gespürt, aber hatte versucht es zu ignorieren. Das Brennen auf meiner Haut war stärker geworden, meine Schulter tat wieder weh.

Ich vergrub mich heulend in meinen Kissen, als er mich alleine in meinem Bett und in der großen Bibliothek zurück ließ.

Kapitel 25: Aufbruchstimmung

"Ich fasse es nicht, dass er ihr das angetan hat."
Ich wurde durch Leahs schon fast hysterische Stimme aus meinem unruhigen Schlaf gerissen. Mühsam öffnete ich meine, vom weinen verschwollenen Augen. Leah kam direkt zu mir ans Bett geeilt und setzte sich zu mir. Mike setzte sich an den Tisch und schaute uns beide nachdenklich an.
"Wie fühlst du dich?", fragte sie mitfühlend.
"Körperlich oder seelisch?" Sie schaute mich traurig an. "Ehrlich gesagt, schrecklich", antwortete ich wahrheitsgetreu und musste die Tränen wegblinzeln, die mir schon wieder in die Augen stiegen. "Es ist einfach nicht fair! Was nimmt er sich eigentlich heraus?" Ich wurde wütend. "Er platzt in mein Leben und erzählt mir mal eben so, dass ich ein Werwolf bin! Und dann auch noch einer, bei dem irgendwas nicht stimmt. Und nun auch noch das... es ist nicht fair!"
Jetzt konnte ich die Tränen nicht mehr zurück halten und fing an zu schluchzen. Vorsichtig nahm Leah mich in den Arm, darauf bedacht mich nicht zu berühren. "Es ist okay, weine ruhig."
Und das tat ich. Ich weinte und weinte, bis ich wieder einschlief, erschöpft von den Anstrengungen der letzten Stunden und dem Schmerz, der sich in mir breit machte.

Die nächsten Tage und Nächte waren durchzogen von Unruhe. Jedes Mal, wenn ich aufwachte, waren entweder Leah oder Mike bei mir. Sie brachten mir zu essen und zu trinken, wechselten meine Verbände und leisteten mir Gesellschaft. Nic ließ sich nicht blicken und ich fragte auch nicht nach ihm.
Ich konnte spüren, dass die Vampire unruhig waren. Sie wollten aufbrechen, aber ich war noch nicht stark genug. Mit jedem Tag, der verging, wurde auch meine Unruhe schlimmer. Ich fragte mich, ob sich wohl jemand in der Schule Sorgen um mich machte oder ob es überhaupt niemandem aufgefallen war, dass ich verschwunden war. Ich musste auch oft an meine Wohnung denken... Leah und Mike hatten nach und nach alle meine wichtigen Sachen in ihr Haus geholt, meine Wohnung war nun nahezu leer. Es schmerzte mich, zu wissen, dass ich wahrscheinlich niemals mehr dort hin zurückkehren würde. Wieder einmal blieben mir nur Erinnerungen.

Mir ging es nur langsam besser. Nachdem das Vampirblut entgültig aus meinem Organismus verschwunden war, heilten meine Wunden wieder schlechter. Ich versuchte vorsichtig ein paar Schritte zu laufen, aber die Wunde in meinem Fuß machte mir noch immer zu schaffen.

Aber irgendwann, kam er: der Tag der Abreise! Ich war zwar noch immer nicht vollkommen gesund, aber zumindest so gut beisamen, dass ich mehr als 10 Schritte laufen konnte. Das musste reichen. Ein letztes Mal nahm ich eine Dusche, in dem geräumigen Badezimmer und dachte über die nächsten Tage nach. Wirklich viel hatte ich aus den anderen beiden nicht rausbekommen und so konnte ich mich nur darauf verlassen, dass sie wussten, was sie taten.
Nachdem ich mich abgetrocknet und meine Haare mühsam zu einem Zopf zusammengeknotet hatte, zog ich mir meine Jeans, mein Top und meine Jacke an und machte mich auf den Weg nach draussen. Mike und Leah waren dabei die letzten Gepäckstücke auf einem großen Geländewagen zu befestigen. Als Leah mich sah, winkte sie mir freudestrahlend zu. Langsam ging ich zu ihnen hinüber und begutachtete den Wagen. Er war sehr groß, schwarzfarbend und wirkte sehr geräumig. Hinten gab es eine kleine Ladefläche, auf der unser Gepäck in mehreren Kisten verstaut war. Ich versuchte durch eines der abgedunkelten Fenster hineinzuschauen, aber ich konnte nichts erkennen.

Mike kam zu mir herüber und öffnete mir die hintere Tür. "Einsteigen bitte", grinste er mich an. Vorsichtig kletterte ich in den Wagen und machte es mir auf der geräumigen Rückbank gemütlich. Mike nahm am Steuer und Leah auf dem Beifahrersitz Platz. Als Mike den Motor startete, drehte er sich erst zu Leah und dann zu mir und sagte: "Na dann: auf zum großen Abenteuer!"
"Was ist mit Nic?", fragte ich überrascht, aber auch besorgt. Es war das erste Mal das ich seinen Namen wieder aussprach. Es schmerzte.
"Nic ist schon vor einigen Tagen aufgebrochen, er brauchte ein wenig Abstand", antwortete Leah vorsichtig. "Wir treffen uns an unserem ersten Lager mit ihm."
Nachdenklich schaute ich aus dem Fenster und beobachtete den Wald, der an uns vorbei flog. Er brauchte Abstand. Was sollte ich dazu sagen? In den nächsten Tagen und Wochen würden wir den nicht haben. Ich würde ihn jeden Tag sehen müssen und jedes Mal wieder würde ich den Stich in meinem Herzen spüren, wenn ich ihn anschaute. Es war wohl mein Schiksal ewig unglücklich zu sein.

Jetzt verließ Mike den unebenen Feldweg und bog auf eine Landstraße ein. Rund um uns herum waren nur große, weite Felder mit viel grün. Vereinzelt standen Bäume verloren in der Gegend herum. Die Sonne war grade erst aufgegangen und färbte den Himmel in einem dunklem Rot.

Die Stunden vergingen und die Landschaft veränderte sich langsam. Die Bäume nahmen zu, bis sie schließlich zu einem dichten Wald zusammenwuchsen. Ich hatte keine Ahnung wo wir waren und es war mir auch egal. Mit zunehmendem Maße wurde die Straße unebener. Als wir an einem Schild vorbeifuhren auf dem eine Sackgasse gekennzeichnet war, wollte ich kurz etwas sagen, überlegte es mir dann aber doch anders. Mike machte nicht den Eindruck, als hätte er die Orientierung verloren.

Kurz darauf endete die Straße in ein Waldstück und Mike verlangsamte den Wagen. Grade als ich dachte, wir würden anhalten und mich insgeheim schon darauf freute, mich ein wenig bewegen zu können, machte der Wagen einen scharfen Schwenk nach rechts und fuhr mitten in den Wald hinein. Mühsam schlängelte er sich zwischen den Bäumen hindurch, die immer dichter zu werden schienen. Der Boden war uneben und der Geländewagen rumpelte unruhig auf und ab, hin und her.

Nach einer kleinen Ewigkeit, so kam es mir zumindest vor, kam eine kleine Lichtung zum Vorschein, auf der ein einzelnes Zelt aufgeschlagen war und Mike parkte den Wagen im Schutz der großen Bäume. Mit einem kleinen Seufzer öffnete ich meine Tür und stieg aus. Mir tat alles weh! Ich ging ein paar Schritte um meine Muskeln ein wenig aufzulockern. Grade als auch die anderen beiden ausgestiegen waren und sich daran machten, das Gepäck von der Ladefläche zu holen, tauchte auch Nic zwischen den Bäumen auf und half den beiden, ohne ein Wort zu sagen. Schweigsam stand ich ein Stück entfernt und beobachtete die Drei. Ich kam wir unnütz vor, weil ich ihnen nicht helfen konnte und so begann ich, mich ein wenig umzusehen.

Die Lichtung war wunderschön. Rings herum standen große Bäume, vereinzelt bedeckt von wucherndem Efeu, den ich überall endecken konnte, egal in welche Richtung ich schaute. Der Boden war mit dichtem Gras bedeckt, aus dem hier und da kleine Blumen ihre Köpfe Richtung Sonnenlicht reckten. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, musste es etwa 17 Uhr sein.

Links von mir hörte ich ein leises Rascheln und drehte mich vorsichtig um. Ein Eichhörnchen hatte dicht neben mir eine Haselnuss gefunden, stibitzte sie und verschwand direkt wieder auf seinen Baum. Als ich es so auf seinem Ast hocken sah und beobachtete, wie es mit seinen kleinen Händen und den scharfen Zähnen geschickt die Nuss aufknackte, machte mein Magen sich mit einem kleinen Grummeln bemerkbar. Das schien auch den anderen nicht entgangen zu sein, denn zumindest zwei von ihnen schauten grinsend in meine Richtung. Nur Nic tat so, als hätte er nichts gehört und ignorierte mich gefliessentlich.

“Ich geh uns gleich mal was zu essen fangen”, grinste Mike mich an. “Es wäre wirklich um einiges einfacher, wenn du dich verwandeln könntest”, spöttelte er.
“Tja”, antwortete ich in einem genau so spitzen Tonfall, “damit kann ich leider nicht dienen!” Ich musste lachen. “Ich geh mal ein paar Stöcker für ein kleines Feuerchen suchen”, rief ich ihm zu, während ich mich schon zum Gehen wandte.
“Aber bleib in Sichtweite”, ermahnte mich Mike.
“Ja, ja”, murrte ich leise und ging ein paar Schritte in den Wald hinein. Als wenn ich mich noch ein zweites Mal hinterrücks niedeschlagen lassen würde. Nein, soetwas würde mir sicherlich nicht noch einmal passieren!

Missmutig stapfte ich duch den Wald und hielt Ausschau nach Ästen, die sich für ein Lagerfeuer eigenen würden. Schnell hatte ich ein paar zusammengesammelt und stapelte sie dicht neben einer Kiefer. Als ich den Haufen für groß genug befand, hob ich ihn ungeschickt hoch und bugsierte ihn zwischen den Bäumen hindurch zum Lager zurück. Ich hatte meine Kräfte wohl etwas überschätzt. Die Äste fühlten sich schon nach wenigen Schritten an, als würden sie Tonnen wiegen und ich musste ordentlich schnaufen.
Als ich zwischen den Bäumen hervortrat erblickte ich Nic, der gerade dabei war ein zweites Zelt aufzuschlagen. Mike und Leah waren nicht zu sehen. Als er einen Blick auf mich und meinen Holzstapel warf kam er sofort zu mir geeilt. Er kam gerade rechtzeitig, denn just in dem Moment, als er bei mir ankam, kippte die Hälfte des Stapels von meinem Arm herunter. Mit einer blitzschnellen Bewegung griff er nach vorne und fing die Äste auf, bevor sie auf dem Boden landeten. Mein Bauch kribbelte unangenehm. Ohne jedoch ein Wort zu sagen drehte er sich um und ging zu den Zelten zurück. Ich folgte ihm schweigsam.

Er lud den Stapel ein Stückchen von den Zelten entfernt ab und ich tat es ihm gleich.
“Wo sind die anderen?”
“Abendbrot fangen”, antwortete Nic nur knapp.
“Beide?”, fragte ich überrascht.
“Offensichtlich!”
Nicht nur, dass er knapp angebunden war, er schaute mir auch nicht ein einziges Mal in die Augen, während er mit mir sprach. Gerade als ich überlegte, ob und was ich ihm antworten sollte, drehte er sich um und machte sich wieder an den Zeltaufbau. Verloren stand ich vor meinem Holzhaufen und wusste nicht, was ich machen sollte.

Schließlich entschloss ich mich dazu, die Äste vernünftig zu stapeln, damit wir bald ein Feuer entzünden konnten. Ich setzte mich im Schneidersitz ins Grad und begann die Äste gegeneinander zu stellen. Nach und nach stellte ich einen Ast nach dem anderen dazu. Dafür, dass ich soetwas noch nie gemacht hatte, sah es ganz gut aus, befand ich und lächelte zufrieden. Etwa im selben Moment stürzte das gesamte Gerüst in sich zusammen und hinterließ nur einen unordentlichen Haufen.
Nic schaute kurz zu mir hinüber und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Wütend rutschte ich ein Stück beiseite und begann neben dem Haufen, einen neuen Stapel zu bauen. Gerade als ich auch die letzten Äste verbauen wollte, sank das Konstrukt erneut in sich zusammen. Diesmal konnte Nic sich sein Lachen nicht verkneifen und ich schaute ihn böse an. “Na dann mach´s doch besser, du Blödmann!”, giftete ich.
“Wie du willst”, antwortete er selbstsicher und kam zu mir herüber. Mein Herz machte einen kleinen Sprung. Er hockte sich neben mir nieder und griff nach zwei großen Ästen, die er dann mit einem großen Abstand nebeneinander legte. Die nächsten Äste legte er dann quer darauf, so dass sie ein Viereck bildeten und so stapelte er immer weiter und weiter. “So ist das ganze viel stabiler”, erklärte er mir, “und ausserdem, können wir so nachher trockenes Gras in die Mitte legen, damit sich das ganze schneller entzündet.” Er zwinkerte mir zu.
“Besserwisser”, sagte ich beleidigt und verschränkte die Arme vor der Brust.
“Welpe”, konterte er.
Ich konnte mir ein kleines Lachen nicht verkneifen und boxte ihm mit dem Ellenbogen in die Seite, so dass er umfiel. “Das hast du nun davon”, trällerte ich und streckte ihm die Zunge raus.


Kapitel 26: Das erste Nachtquartier

Nach dem Nic sich wieder aufgerichtet hatte, konzentrierte er sich wieder voll und ganz auf den Holzhaufen. Zügig legte er die Äste aufeinander, bis oben nur noch ein kleines Loch offen war. Er schaute sich kurz um und ging dann zum Waldrand, wo er ein paar trockene Grasbüschel herausrieß und anschließend in das kleine Loch stopfte. Den letzen Grasbüschel zündete er an und legte ihn schnell oben auf. Danach verschloß er das Loch mit den restlichen Ästen. Ich konnte das kleine Feuer knistern hören, dass sich unaufhaltsam durch das trockene Gras fras und begann, an den Ästen zu nagen. Noch bevor der erste Ast Feuer gefangen hatte, hatte Nic das umliegende Gras herausgezogen und ein paar Steine herangeschleppt und bildete damit einen Kreis um das Feuer. Dann widmete er seine Aufmerksamkeit erneut dem Zeltaufbau. Ich blieb alleine am Feuer zurück und überlegte ob ich die Zeit, die uns noch alleine blieb, dazu nutzen sollte, um mit Nic ein klärendes Gespräch zu führen. Ohne lange darüber nachzudenken, fragte ich: "Nic, soll das nun ewig so weiter gehen?"
"Was meinst du?", fragte er ohne eine Spur von Emotionen und ohne mich anzuschauen zurück.
"Na das hier!", antwortete ich ernst.
"Du meinst, dass wir die nächsten Wochen in Zelten.."
"Nein, verdammt! Du weißt ganz genau, dass ich nicht davon rede!" Unkontrollierte Wut kochte in mir hoch. "Ich rede von dir und mir. Du hast mich geküsst! Du kannst jetzt nicht so tun, als wäre das nicht passiert!"
Er schwieg eine Weile. Gerade als ich das Gefühl hatte, innerlich zu zerspringen, antwortete er mir doch noch. "Doch, kann ich." Das war das Einzigste was er sagte.

Wütend sprang ich auf und rannte in den Wald. Schon nach wenigen Schritten bereute ich meine überstürzte Handlung, denn mein Fuß schmerzte fürchterlich. Ich versuchte den Schmerz zu ignorieren und lief weiter, wenn auch in einem deutlich langsameren Tempo als zuvor. Aber immerhin war ich nun ausser Sichtweite und das bedeutete nicht nur, dass er mich und meine Tränen der Hilflosigkeit nicht sehen konnte, sondern auch, dass ich ihn nicht sehen musste.
Ein paar Meter weiter ließ ich mich schluchzend an einem Baum herabsinken. Es war einfach nicht fair. Warum war er so zu mir. Konnte er denn gar nicht verstehen, wie ich mich fühlte? Gedankenverloren sammelte ich einen kleinen Kieselstein vom Boden auf und drehte ihn in den Händen. Als die Wut in mir zu explodieren drohte, warf ich den Stein mit aller Kraft in das Gebüsch vor mir...

Geschickt wich Nic dem kleinen Geschoss aus und blieb wenige Schritte vor mir stehen.
"Hau ab", giftete ich ihn böse an. Ich wollte nicht, dass er mich so sah. Wollte nicht, dass er wusste, dass ich wegen ihm so sehr weinte. Insgeheim wünschte ich mir, der Stein hätte ihn getroffen.
"Fly, ich...", begann er, doch ich ließ ihn nicht ausreden. Noch während ich aufstand und tiefer in den Wald hineinlaufen wollte, brüllte ich ihn an, dass er mich ihn Ruhe lassen sollte. Schnell kam er mir einen Schritt nach und packte mich am linken Oberarm. Er tat mir nicht weh, hielt mich aber doch so eisern fest, das ich nicht weiter konnte. "Das kann ich nicht", sagte er behutsam. "Nicht nach dem, was ich dir gerade angetan habe." Er sagte dies mit so viel Mitgefühl, dass meine Wut auf ihn direkt wieder verrauchte. Ich verstand mich selbst nicht mehr. Ich wollte wütend auf ihn sein, wollte mir jetzt nicht anhören, was er mir zu sagen hatte. Ich wollte nicht weiterhin so verletzlich sein. Aber seine Samtstimme ließ alle Gedanken daran wie eine Luftblase zerplatzen.

Ich versuchte mich loszureißen und Abstand zu ihm zu gewinnen, aber er hielt mich fest. Ich schluchzte nun so haltlos, das mein ganzer Körper immer wieder geschüttelt wurde. Behutsam zog Nic mich zu sich und schloß mich in seine Arme. Als wäre ein Schalter umgelegt worden, schmiß ich mich ihm an den Hals und weinte, als würde es kein Morgen mehr geben.
Ich weiß nicht, wie lange wir so dort standen und er mich einfach nur hielt. Er hatte seine linke Hand zwischen meine Schultern gelegt und seine rechte Hand ruhte auf meinem Steißbein und er hielt mich einfach nur fest. Es tat gut, ihn so zu spüren.

Schließlich löste ich mich aus seinem Griff und schaute ihn aus meinen verheuelten Augen an. Gleichzeitig wischte ich mir mit meinem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht. Trotzdem hatte ich das Gefühl einen hochroten Kopf zu haben und alles andere als hübsch auszusehen. Aber es war mir egal, so lange er nur bei mir war.

"Du hast recht", begann er, "wir können beide nicht so tun, als wäre das zwischen uns nicht passiert. Es war kindisch von mir, dass zu denken. Tut mir leid. Wir sollten darüber reden und ich denke, jetzt wäre ein passender Zeitpunkt dafür." Er zwinkterte mir aufmuntern zu und setze sich dann Nahe eines großen Baumes auf den Fußboden. Ich tat es ihm nach und setzte mich zu ihm. Einige Schluchzer konnte ich nicht unterdrücken, aber immerhin heulte ich nicht mehr wie ein Schloßhund. Er gab mir die Zeit die ich brauchte, um wieder klar denken zu können. Ich dankte ihm im Stillen dafür.

"Ich mag dich Nic und es tut weh, dich zu sehen und zu wissen, dass es niemals so sein wird, wie ich es mir wünsche. Es ist wie ein Stich ins Herz. Schlimmer als all die Wunden, die dieser Jäger mir zugefügt hat. Und dann sehe ich Leah und Mike und wie glücklich die beiden miteinander sind. Es ist so unfair. Warum ich, warum ausgerechnet ich?"
Die Worte sprudelten einfach aus mir heraus, ich konnte nichts dagegen unternehmen. Nic schaute mich eine Weile gedankenverloren an, ehe er mir antwortete.

"Ich habe in den letzten Tage eine Menge nachgedacht. Ich weiß, dass du es mir übel nimmst, dass ich einfach verschwunden bin und dich bei den anderen zurück gelassen habe, aber ich musste mir über einiges klar werden und das konnte ich nicht, so lange ich deine Anwesenheit gespürt habe und du immer wieder durch meine Gedanken gehuscht bist."
Jetzt würde er es sagen. Er würde mir sagen, dass das mit uns keine Zukunft haben wird und wir nur gute Freunde sein sollen. Mein Magen zog sich alleine bei dem Gedanken schmerzhaft zusammen.

"Auch ich, kenne diese Legende von der Leah dir erzählt hat. Eines Tages wird ein junger Werwolf kommen und unsere beiden Völker wieder vereinen. Es ist nicht genau geschrieben wie oder wodurch dies geschiet, aber die Tatsache, dass dies passiert, steht fest. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob du dieser jemand bist."
Er würde mir sagen, dass ich es nicht bin, dass es nur ein dummer Zufall war, das wir uns begegnet sind und dass es nichts weiter zu bedeuten hätte. Ich versuchte mich innerlich auf den harten Schlag vorzubereiten.

"Die Tatsache alleine, dass ich mich in dich verliebt habe, würde eindeutig dafür sprechen. Ich weiß nicht, ob Leah oder Mike dir davon erzählt haben, aber Vampire laufen so lange unstet und unruhig durch die Weltgeschichte, bis sie ihre Seelenpartner gefunden haben. Natürlich lernen sie hin und wieder auch mal jemanden kennen und haben vielleicht eine Weile Spaß miteinander, aber sie haben nie diese innere Ruhe und Gelassenheit, die sie brauchen, um die Jahrhunderte zu überleben, bis sie ihren Seelenpartner gefunden haben, sei er nun Mensch oder Vampir."
Oder Werwolf fügte ich ihn Gedanken hinzu. Er liebte mich. Er hatte das Wort Liebe benutzt. Er zog in Betracht, dass ich... vielleicht... Ein kleiner Funken Hoffnung machte ich sich in mir breit und meine Eingeweide entspannten sich ein wenig, wenn auch nicht ganz.

"Ich suche nun schon lange nach meinem Seelenpartner. Lange Zeit bin ich durch die Weltgeschichte geirrt und habe auch einige Frauen, Vampirfrauen, kennen und lieben gelernt. Aber ich war niemals in vollem Umfang glücklich und so zog ich weiter. Und nun lerne ich dich kennen. Gleich bei unserer ersten Begegnung wurde mir merkwürdig warm, als ich dich sah. Ich hatte soetwas zuvor noch nicht empfunden. Allerdings hatte ich bisher auch noch niemals einen Werwolf getroffen und dachte, es wäre vielleicht ein natürlicher Schutzmechanismus meines Körpers. Ich sprach später mit den anderen darüber und sie erzählten mir, dass sie dieses Gefühl kannten. Sie empfinden dieses Gefühl jedes Mal, wenn sie einander anschauen, über den anderen reden oder an ihn denken."
Er schwieg einen Moment ehe er weitersprach. Die Spannung, die in der Luft hing war unerträglich und fast mit Händen greifbar. Mein Bauch, meine Haut, einfach alles prickelte und kribbelte.

"Auch ich empfinde diese Wärme jedes Mal, wenn ich dich sehe, über dich rede oder an dich denke. Ich habe versucht es zu überspielen, es zu ignorieren und dachte, mit genug Abstand zu dir, würde es wieder vergehen. Aber dem ist nicht so... Du bist meine Seelenpartnerin Fly und ich will mit dir zusammen sein. Das ist mir in dem Moment bewusst geworden, wo du eben weinend zwischen den Bäumen verschwunden bist. Ich habe mich schrecklich gefühlt, dir soetwas angetan zu haben und konnte deinen Schmerz fast körperlich spüren. Ich verspreche dir, dir soetwas nie wieder anzutun!"
Mir stockte regelrecht der Atem. Genau das hatte ich mir die ganze Zeit gewünscht! Das er mir sagte, was er für mich empfand und mir sagte, dass wir zusammen sein sollten und nun, da es soweit war, wusste ich nicht was ich sagen sollte. Ich schaute ihn einfach nur an. Unsicher sprach er weiter.

"Ich kann natürlich verstehen, wenn du nach all dem jetzt nicht mehr so für mich empfindest und..."
"Was?", platze es erschrocken aus mir heraus. "Nein, nein.. ich meine, ja... also... oh Gott, das kommt alles nur einfach so plötzlich. Ich habe nicht damit gerechnet, dass du das zu mir sagen würdest und nun bin ich ehrlich gesagt ein wenig überrumpelt worden." Verlegen grinste ich ihn an. Ich konnte spühren, dass meine Wangen einen dunklen Rotton angenommen hatten.
"Also willst du mich noch immer?", fragte er und Hoffnung unterlegte seine Worte.
"Ja, das will ich!", antwortete ich und schaute ihm dabei tief in seine wundervollen, dunklen Augen. Eine Weile schauten wir uns einfach nur an, glücklich darüber, einander zu haben. Unter normalen Umständen hätten wir uns nun wohl geküsst, aber das ging ja leider nicht.

Der Gedanke riss mich je von meiner rosaroten Wolke. Obwohl ich es nicht fragen wollte, weil ich Angst vor der Antwort hatte, so wollte ich doch Klarheit haben.
"Wie soll es nun mit uns weitergehen? Ich meine, wir werden niemals so sein können, wie Leah und Nic oder wie jedes andere normale Paar. Ich werde dich niemals..." Ich konnte den Satz nicht zuende bringen, es tat einfach zu sehr weh!
"Darauf habe ich noch keine Antwort Fly. Ich weiß, dass es eine Möglichkeit gibt und ich werde die Hoffnung nicht verlieren, bis wir alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben."
"Leah hatte so etwas auch schon angedeutet. Was ist das für eine Möglichkeit?"
"Wir wissen es leider nicht. Es ist uralte Magie und nur die ältesten unserer Völker haben Wissen darüber. Das ist noch ein Grund, warum wir nach Frankreich gehen müssen. Ich habe die Hoffnung, dort Antworten zu finden."
"Mh... das macht mir ein wenig Mut", sagte ich mit leiser Stimme.

Wieder verging eine Weile, in der wir einfach nur nebeneinander saßen. Schließlich stand Nic auf und wandte sich zum Gehen. "Komm, die anderen sind wieder im Lager und machen sich bestimmt schon Sorgen, wo wir bleiben." Ich folgte ihm und war dabei so überglücklich, dass ich das Gefühl hatte zu schweben.


Kapitel 27: Eine Nacht im Wald

Als wir zwischen den Bäumen hervortraten, schauten uns Leah und Mike schon erwartungsvoll entgegen. Keiner von uns sagte ein Wort, aber ich konnte mir mein glückliches Grinsen einfach nicht verkneifen und Leah begriff sehr schnell, was es zu bedeuten hatte. Eilig lief sie auf mich zu und umarmte mich, während sie nahe meinem Ohr sagte: "Ich habe es doch gewusst!"

Das kleine Lagerfeuer brannte mittlerweile mit einem gleichmäßigen Knistern in der ruhigen Abendluft. Der Himmel verdunkelte sich allmählich, die Grillen zirpten und die Vögel riefen sich gute Nachtrufe zu. Wir vier saßen rund um das kleine Feuer herum und genossen die Stille. Wie viele solcher Abende würde es wohl noch geben? Ich hoffte, es würden einige sein. Alles kam mir so unwirklich vor. Vor ein paar Tagen noch war ich zur Schule gegangen und war ein fast ganz normales Mädchen gewesen und nun saß ich hier, ich, eine Werwölfin, mit drei Vampiren um ein Lagerfeuer, auf dem Weg nach Frankreich und auf der Flucht vor Jägern. Konnte das alles Wirklichkeit sein? Ich kniff mir in den Arm, um mich selbst davon zu überzeugen, dass ich nicht träumte. Als ich gleich darauf zusammenzuckte und die Zähne aufeinander biss, schauten die Drei mich fragend an, verkniffen sich aber jeden Kommentar.

Als die Nacht schließlich vollends über uns hereinbrach wurde es kühler und ich zog fröstelnd die Knie dichter an mich heran und legte die Arme darum. Leah und Mike verabschiedeten sich und zogen sich in ihr Zelt zurück. Merkwürdiger Weise drang kein Laut mehr von ihnen zu uns hinüber, nachdem sie den Reißverschluss ihres Zeltes zugezogen hatten. Auch Nic schaute mich fragend an und ich nickte ihm zustimmend zu. Während er das Feuer löschte, sammelte ich unsere Habseligkeiten zusammen und brachte sie in den Wagen, bevor ich zu ihm zurück ging. Er hielt mir bereits die Zeltplane beseite, damit ich hineinschlüpfen konnte.

Im Zelt war es dunkel und selbst mit meinen scharfen Augen, konnte ich nur grob die Umrisse unserer Schlafsäcke erahnen und so kroch ich vorsichtig weiter, bis ich auf etwas weiches stiess. Grade als ich mich auf die Suche nach einem Reissverschluss machen wollte, erhellte ein kleines Licht den kleinen Innenraum. Als ich mich verwundert umschaute, hielt Nic ein kleines Windlicht in der Hand und hängte es an einen Deckenhacken. Mit flinken Fingern fand ich den Reissverschluss und öffnete ihn, bevor ich mich daran machte, im sitzen meine Schuhe auszuziehen. Danach begann ich mit nervösen Fingern an meinem Hosenknopf herumzunästeln.

"Deine Jacke und auch deine Hose solltest du mit in deinen Schlafsack legen, damit sie nicht so sehr auskühlen", riet Nic mir. Ich nickte zustimmend.
"Wir geben sicherlich ein schönes Schattenspiel ab", grinste ich ihm entgegen. Nic überlegte erst einen Moment bevor er mir mit einem schiefen Grinsen antwortete.
"Nein, eigentlich nicht. Unsere Zelte sind mit einem Zauber belegt." Er machte eine kleine, aber wohl dosierte Pause. "Weder Geräusche, noch Licht können nach draussen dringen. Alles was hier im Zelt geschiet, wird auch hier im Zelt bleiben."
Ich brauchte einen Moment, ehe mir der volle Umfang dieser Worte bewusst wurde. Als ich es begriff, schoss mir sofort die Röte ins Gesicht und ich schaute verlegen zur Seite, während ich immer noch an meiner Hose herum fummelte. Endlich bekam ich den Verschluss auf und setzte mich unschlüssig, was ich nun tun sollte auf.
"Nichts, was ich nicht schon gesehen hätte", stichelte Nic mit einem amüsierten Unterton. Ich warf ihm einen bösen Blick zu und richtete mich dann vollends auf, soweit es eben in einem Zweimann-Zelt möglich war um mir die Hose auszuziehen. Nic schaute, ganz Gentleman, höflich in die andere Richtug und wartete, das ich fertig wurde. Schnell zog ich auch noch meine Jacke aus, warf die beiden Sachen in den Schlafsack und wollte dann hinterherschlüpfen, aber in meiner Hast beachtete ich die kleine Sturmlampe nicht und schlug mit dem Kopf dagegen. Fluchend zuckte ich zurück und rieb mir den Kopf.

Durch den Lärm nun doch aufmerksam geworden drehte Nic sich zu mir um und schaute mich amüsiert an. Ich kam mir ziemlich dämlich vor, wie ich da so halb nackt vor ihm stand und mir immer noch den schmerzenden Kopf rieb. Aber es lag etwas weiches in seinem Blick, das mich davon abhielt, auch ihn mit ein paar bösen Schimpfwörtern zu belegen. Unter seinem aufmerksamen Blick kletterte ich in den Schlafsack hinein und zog in bis zu den Schultern zu. Auf einen Ellenbogen gestützt drehte ich mich zu ihm um und schaute im direkt in die Augen.
"Was ist?", fragte ich ihn direkt, "warum schaust du mich so merkwürdig an?"
"Du bist wunderschön!"
Quasi erschlagen von dieser Ehrlichkeit, schaute ich ihn einfach nur verdattert an und wusste nicht, was ich antworten sollte. Als ich grade hilflos mit den Schultern zucken wollte, weil mir keine geistreiche Antwort einfiel, zog auch er seine Hose aus und schlüpfte kurzerhand mit Boxershorts und Pulli in seinen Schlafsack hinein. Den kurzen Moment, in dem ich ihn ohne Jeans vor mir stehen sah, machte mein Herz einen harten Sprung, der mir einen kleinen stich versetzte.

In seinen Schlafsack eingehüllt, rutschte Nic näher an mich heran, sehr nahe. Unsere Gesichter waren nur etwa eine handbreit voneinander entfernt und ich war unfähig mich zu bewegen. Als Nic sich hinlegte, den Arm austreckte und mich fragend anschaute, platze der Knoten endlich. Gott, stellte ich mich dämlich an! Wie ein nervöser Teenager! Ich musste schmunzeln, denn nichts anderes war ich letztendlich auch.

Ich legte mich hin und rutschte vorsichtig so nahe an ihn heran, dass ich mich bequem in seinen Arm legen konnte. Mein Kopf ruhte auf seiner Brust und mit meiner freien Hand hielt ich mich an seinem Pulli fest. Als er schließlich seinen Arm um meine Schultern legte und mich näher zu sich zog, hatte ich schon Angst, ich würde jeden Moment unkontrolliert anfangen zu zittern, so nervös war ich. Es war ein wunscherschönes Gefühl so nahe bei ihm zu liegen und von ihm gehalten zu werden und ich konnte zumindest für einen kurzen Moment vergessen, in welcher gefährlichen Lage wir uns eigentlich befanden.

"Beruhige dich mal wieder, sonst bekommst du gleich noch einen Herzkasper", grinste Nic mich mit einem frechen Unterton an und riss mich so aus meinen Gedanken.
Ertappt fragte ich ihn: "Woher weißt du das?"
"Dein Herz schlägt so laut, dass ich es wahrscheinlich auch noch meilenweit entfernt hören könnte", lachte er mir ins Gesicht.
Ich schaute grinsend zu ihm auf: "Na, dann brauchst du ja keine Sorge haben, dass ich dir verloren gehe."
"Nein, das sowieso nicht", antwortete er nun mit sehr sanfter Stimme, "ich werde dich bestimmt nie wieder verloren gehen lassen!" Die Art und Weise, wie er dies sagte, machte mir klar, dass er es damit absolut ernst meinte und ein angenehm warmes Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus.

Es kam mir so vor, als wenn wir eine halbe Ewigkeit einfach nur so da lagen. Mit seiner Hand streichelte er mir zärtlich über den Rücken und ich wünschte mir sehnlichst, dass ich seine Haut spüren konnte. Mein Mal brannte leise vor sich hin, aber ich spürte es kaum. Die Müdigkeit frass sich langsam in meinen Kopf und ich hatte Mühe, meine Augen offen zu halten. Als ich mir ein lautes Gähnen nicht verkneifen konnte, meinte Nic, dass es besser wäre jetzt zu schlafen, damit ich meine Kräfte sammeln könnte. Ich schüttelte leicht den Kopf.
"Ich werde die ganze Nacht über dich wachen, du brauchst keine Angst zu haben", antwortete er sanft.
"Das ist es nicht", gab ich zurück. "Ich habe nur Angst, dass ich morgen früh aufwache und das alles nur ein schöner Traum war."
"Kleines... du wirst morgen früh aufwachen und ich werde dich noch immer im Arm halten und bei dir sein. Versprochen!"
"Gut", gab ich grinsend zurück, "dann hätten wir jetzt ja nur noch das Problem mit dem über mich wachen." Als er fragend zu mir hinunter schaute, redete ich weiter. "Nja, wie willst du über mich wachen, wenn du schläfst?" Bei diesen Worten knief ich ihm liebevoll in die Seite.
"Das stellt kein Problem dar", entgegnete er grinsend. Nun war ich es, die ihn fragend anschaute. "Vampire brauchen keinen Schlaf." Klar, das hätte ich mir ja wohl auch denken können. Wer keinen Herzschlag hat, dessen Körper braucht wohl auch keinen Schlaf. Trotzdem fragte ich: "Und warum hast du dann ein Bett in deinem Zimmer stehen?"
"Erstens sieht ein Schlafzimmer ohne Bett sehr mekrwürdig aus, vorallem für Aussenstehende und zweitens, braucht man ein Bett ja nicht nur, um darin zu schlafen, oder?"
In Gedanken schlug ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Da hätte ich ja wohl auch selbst drauf kommen können. Dämlicher konnte ich mich ja nun wirklich nicht mehr anstellen. Um weitere Peinlichkeiten zu umgehen, antwortete ich nicht und zog mir statt dessen den Schlafsack über die Schultern, kuschelte mich bequem in seinen Arm und sagte bloß: "Na, dann gute Nacht!"

Behutsam drehte Nic sich auf die Seite, so dass er auch noch den zweiten Arm um mich legen konnte und zog mich noch näher an sich heran, so dass ich seinen harten Körper durch den Stoff hindurch spüren konnte. Wieder machte mein Herz einen schmerzhaften Satz. Für ein paar Minuten puschte mich meine Nervorsität noch einmal hoch, aber dann gewann die Müdigkeit die Oberhand. Schließlich schloß ich die Augen, mit dem Gedanken im Kopf, dass ich ihn morgen wieder sehen würde, sobald ich die Augen aufschlug. Noch bevor ich diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, war ich schon im Land der Träume.


Kapitel 28: Aufregung im Wald

Leise Geräusche drangen an meine Ohren und rissen mich langsam aus dem Land der Träume. Zuerst hörten sie sich noch sehr weit weg an, aber nach und nach drangen sie ganz in mein Bewusstsein. Es wurde geredet. Ich konnte die Worte zwar nicht verstehen, aber fand das die Stimmen sehr aufgeregt klangen. Als ich meine Augen öffnete stellte ich als erstes fest, dass ich alleine war. Erschrocken setzte ich mich auf und schaute mich kurz um. Während ich mich aufsetzte, rutschte eine Wolldecke von meinen Schultern herunter. Ich musste schmunzeln – Nic hatte mich anscheinend noch zusätzlich zugedeckt, damit ich nicht fror.

Der Reisverschluss des Zeltes wurde mit einer schnellen Bewegung geöffnet und Leah klappte die Plane zur Seite. "Frag nicht. Zieh dich schnell an und hilf mir, die restlichen Sachen ins Auto zu packen. Wir müssen aufbrechen. Sofort!" Sie klang gehetzt. Schnell pellte ich mich aus meinem Schlafsack und zog meine Sachen an. Leah räumte unterdessen die Sachen im Zelt zusammen und schleppte die ersten Stapel zum Auto. Als ich aus dem Zelt trat, begann Leah sofort damit, dass Zelt abzubauen. Ich versuchte ihr zu helfen, aber hatte er das Gefühl ihr im Weg zu stehen. Schließlich trat ich einen Schritt zu Seite und trat einruhig auf der Stelle hin und her.
"Was ist los? Was ist passiert?", fragte ich beunruhiged.
"Mike und Nic sichern die Umgebung. Andere Vampire sind in der Nähe."
"Was?", fragte ich entsetzt. "Was soll das heißen, andere Vampire? Jäger?"
Panik begann in mir hochzusteigen. Ein kurzer Blick von Leah reichte, um die Frage zu beantworten.
"Aber wo sind die beiden? Warum sind sie nicht hier? Was ist, wenn sie auf die anderen stoßen?", fragte ich hektisch. Jetzt begann ich wieder am Zelt herumzubasteln und Leah zu helfen.
"Beruhige dich", sagte Leah besänftigend. "Noch haben sie uns nicht entdeckt."
"Aber es wird nicht mehr lange dauern, bis sie hierherkommen", schlussfolgerte ich.
"Bis dahin werden wir nicht mehr da sein", sagte sie abschließend, packte sich die große Zeltplane und knüllte sie auf dem Weg zum Auto zusammen und stopfte sie in eine der Boxen auf der Ladefläche.

Etwa im selben Moment kamen die beiden Jungs im Laufschritt zwischen den Bäumen hervor und stiegen direkt ins Auto. Erleichtert atmete ich auf, als ich Nic sah. Schnell schlüpfte ich zu ihm auf die Rückbank und noch bevor ich die Tür ganz zugemacht hatte, fuhr Mike auch schon los. In einem halsbrecherischem Tempo brach er durch das Unterholz und der Wagen schaukelte wild hin und her. Schmerzhaft machten sich meine restlichen Wunden und die geprellten Rippen bemerkbar, aber ich wollte nicht jaulen. Doch nach einiger Zeit ließ meine Kraft nach und ich wurde trotz Sicherheitsgurt ordentlich durchgeschüttelt. Nic war nur einen kurzen Seitenblick auf mich, öffnete dann seinen Sicherheitsgurt und rutschte in die Mitte der Rückbank. Er schnallte sich dort den Sicherheitsgurt an und nahm mich dann fest in den Arm. Ich schaute ihn dankbar an. Nicht nur, dass ich nun weniger schmerzhaft durch die Gegend hüpfte, ich fühlte mich auch sicher in seinen starken Armen, angesichts der gegenwärtigen Bedrohung.

Aber niemand sprach das Thema an. Also brach ich schließlich das Schweigen. "Verfolgen sie uns?", fragte ich leise. Mike und Nic wechselten kurz einen vielsagenden Blick und Nic sagte: "Ich denke wir haben sie mittlerweile abgehängt." Das hörte sich wahrscheinlich selbst in seinen eigenen Ohren nicht sehr beruhigend an, denn er drückte mich sanft noch ein wenig fester an sich.
"Wir werden vorerst keine Pausen mehr machen", sagte Mike in diesem Moment betont ruhig. "Nur zur Vorsicht! Leah, Nic und ich werden uns mit dem Fahren abwechseln. Auf diese Art bringen wir ein paar Kilometer zwischen uns und die anderen Vampire."
"Ich könnte zwischendurch auch fahren", antworte ich nach einer Weile, nur um überhaupt irgendetwas zu sagen. Ich bezweifelte allerdings, dass sie mir ihren Wagen anvertrauen würden. Einmal ganz davon abgesehen, dass ich nicht einmal einen Führerschein besaß.
"Du meine Liebe", entgegnete Leah, "wirst dich brav auf der Rückbank aufhalten und dich so viel wie möglich ausruhen, damit du bald wieder richtig fit bist. Du wirst deine Kräfte noch brauchen, glaub mir."
Der Blick den Nic ihr kurz zuwarf entging mir nicht. Niemand sagte mehr etwas und damit war das Thema dann auch gegessen.

Nach gefühlt mehreren Stunden rumpelte der Wagen endlich aus dem Wald heraus und auf eine alte, stark abgefahrene Landstraße. Endlich hörte das Rumpeln und Schubsen auf. Nic ließ mich wieder los, blieb jedoch weiterhin neben mir sitzen. Ich hätte gerne seine Hand genommen, aber ich unterdrückte den Reflex.

Stunden vergingen bis wir schließlich an einer alten Tankstelle, in einer kleinen Ortschaft Halt machten. Mike stieg aus um den Wagen zu tanken. Währenddessen ging Leah in den kleinen Laden und besorgte ein paar Dinge. Nic und ich beobachteten sie durch die Fensterscheibe des Wagens.

Als sowohl Leah, als auch Nic wiederkamen wechselten sie die Plätze. Bevor Leah den Wagen startete, reichte sie mir ein paar Sachen nach hinten. Sie zwinkerte mir aufmunternt zu.
"Ich dachte mir, du hast bestimmt Hunger."
"Ich... Was ist mit euch?", fragte ich besorgt und legte die Sachen in den Fußraum vor mir.
"Wir haben im Wald noch einmal einen kleinen Snack zu uns genommen", antwortete Nic an Leahs Stelle. "Es ist okay! Ausserdem bist du geschwächt und kannst eine Zwischenmahlzeit gut gebrauchen. Also tu mir bitte den gefallen und iss etwas!"
Ich fügte mich meinem Schiksal und holte die Sachen aus dem Fußraum wieder hoch. Ich hatte sie mir gar nicht so genau angeschaut. Es war eine Tüte mit zwei gutaussehenden Baguettes und eine Flasche Apfelsaft. Während ich eines der beiden Baguettes auspackte, zog sich mein Magen schmerzhaft zusammen. Leah hatte Recht, ich hatte wirklich Hunger.

Es wurde Abend. Hinter den weiten Feldern ging langsam die Sonne unter und färbte den Horizont blutrot. Die Farbe erinnerte mich an etwas und ich versuchte meine Gedanken schnell in eine andere Richtung zu lenken.
"Bist du müde?", fragte Nic führsorglich und schaute mich schräg von der Seite an.
"Ein wenig", antwortete ich leise. Mein Blick war noch immer Richtung Himmel gerichtet.
"Leg dich hin und versuch eine Runde zu schlafen, Kleines."
Obwohl ich nicht schlafen wollte, konnte ich ein Gähnen nicht unterdrücken. Noch bevor ich etwas entgegnen konnte schnallte Nic erst sich und dann mich ab. Er rutschte auf den äußeren Sitz herum und zog mich mit sich. Vorsichtig legte ich mich auf die Seite und versuchte eine bequeme Stellung zu finden. Meine Kopf rute auf seinem Schoß und er strich mir zärtlich durchs Haar. Ich rang ihm noch das Versprechen ab mich sofort zu wecken, wenn etwas passieren sollte. Das gleichmäßige, ruhige Brummen des Motors begleitete mich in den Schlaf.

Als ich wieder erwachte, war das ruhige Brummen des Motors erloschen. Erschrocken öffnete ich die Augen. Ausser mir war niemand mehr im Wagen. Ich setzte mich aufrecht hin und schaute mich aufmerksam um. Ich konnte niemanden entdecken. Das konnte nicht sein. Nic hätte mich niemals alleine im Wagen zurückgelassen. Erst jetzt bemerkte ich, dass die Beifahrertür offen stand. Alamiert stieg ich aus dem Auto aus und warf einen gehetzten Blick in die Runde. Der Wagen stand am Waldrand, im Schatten der Bäume. Von den anderen noch immer keine Spur.

Ängstlich machte ich ein paar Schritte auf den Waldrand zu, unschlüssig was ich jetzt tun sollte. Ich entdeckte eine Stelle, an der vor kurzem jemand durchgegangen sein musste. Das ungute Gefühl in meinem Magen verstärkte sich. Was sollte ich jetzt tun? Während ich darüber nachdachte, folgte ich dem Pfad aus umgeknickten Ästen und niedergetrampeltem Gras. Das war eigenartig. Vampire hinterließen doch eigentlich keine Spuren. Ein tiefes Knurren, dass sich ganz nah anhörte, ließ mich zusammenzucken. Ohne darüber nachzudenken, rannte ich los. Den stechenden Schmerz der durch meinen Körper fuhr, ignorierte ich einfach.

Nach einer kurzen Strecke, brachen die Bäume und Büsche auf einmal auf und gaben den Blick auf eine kleine Lichtung und einen kleinen Teich frei. Noch immer waren die Vampire nicht zu sehen und auch sonst war hier niemand. Aber etwas störte mich an diesem Anblick. Ich wusste nur noch nicht was. Rund um den See war das Gras niedergetreten. Mein Puls raste und ich konnte das Pochen meines Herzschlages in den Ohren hören. Mein Blick richtete sich auf den Teich. Jetzt wusste ich, was hier nicht stimmte. Der Teig lag ruhig da, ein paar Seerosenblätter säumten den Rand. Und das Wasser... war rot gefärbt. In einem dunklen, satten Rotton.

Mit schnellen Schritten trat ich dichter an den Teich heran. Je näher ich kam, desto höher und dichter wurde das Gestrüpp, welches mir den Weg versperrte. Panisch und wild um mich schlagend bahnte ich mir meinen Weg. Mit einem Mal war das Gras rings um mich herum weg und ich stand am Rande des Teiches. Mit Blick glitt über die drei reglosen Körper, die zerfetzt auf dem Wasser trieben. Ich erstarrte. Ich konnte nicht mehr denken. Nicht atmen. Mein ganzer Körper krampfte sich zusammen. Tränen schossen mir in die Augen. Das konnte nicht sein. Nein. Nicht die drei. Nicht Nic. Nicht jetzt.

Grade als ich noch einmal zu ihm schaute, drehte sich sein regloser Körper und ich blickte direkt in seine leblosen Augen. Er war tot. Sie waren alle tot. Zerfetzt von einem Werwolf. Eine behaarte Pfote packte mich von hinten an der Schulter und ich...

... schreckte aus dem Schlaf hoch und schaute in das ernste Gesicht von Nic. Seine Hand lag noch immer auf meiner Schulter, an der er mich leicht gerüttelt hatte. Eine einzelne Träne rann meine Wange hinunter. "Was...Was ist passiert?", stotterte ich.
"Du hast dich plötzlich unruhig hin und hergeworfen. Deswegen habe ich dich geweckt." Er sah besorgt aus. "Bist du okay?"
"Ich... ja... ich hab nur schlecht geträumt."

Fortsetzung folgt...

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Tag der Veröffentlichung: 02.03.2010

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