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Prolog




Es begann mit einem Blick, mit einem Wimpernaufschlag. Hätte ich gewusst, in welche Lage mich dieser Augenblick später bringen würde, hätte ich am liebsten die Finger von diesem Mädchen gelassen. Doch wie das Schicksal es nun wollte, entschied ich mich, sie anzusprechen. Direkt nach der Schule, vorher einen Zettel zustecken, dass wir uns vor der Schule treffen sollten.
Ich wartete bereits gespannt, hatte mir die Worte zurechtgelegt, doch als es soweit war, änderte sich alles.
Ich hatte von ihr gehört, von ihrer arroganten Art, ihrem Geld und ihrer Überzeugung, ihr Vorfahr sei einer der besten und berühmtesten Autoren der Menschengeschichte gewesen: Sir Arthur Conan Doyle. Und das nur wegen ihres Nachnamens! Als ob mich das gekümmert hätte.
Heute bin ich um Einiges klüger.
Sie kam zielstrebig auf mich zu, keine Spur von Aufregung war auszumachen. Als hätte ich auch erwarten können, dass sie mich auf den ersten Blick genauso wahrnahm, wie ich sie. Sie blieb selbstbewusst vor mir stehen und blickte zu mir hinauf.
„Und, was willst du von mir?“, fragte sie grob, ohne Begrüßung.
„Ich… Nun ja… Wollte dich einmal kennen lernen. Hab dich schon oft hier gesehen.“
Sie grinste nur süffisant.
„Klar doch. Ich gehe hier zur Schule. Wieso sollte ich denn nicht oft hier sein?“
In mir schien etwas zu zerbrechen. Sehr bissig ist sie ja schon, aber das lag vielleicht daran, dass ich sie so mir nichts, dir nichts um ein Treffen gebeten habe. Wenigstens war sie gekommen, das hieß doch schon einmal etwas, oder?
„Ist es wahr, dass deine Eltern tot sind?“, fragte ich sie, ohne darüber nachzudenken und hätte mich im nächsten Moment dafür ohrfeigen können.
Ihr Blick wurde finster und sie biss auf ihrer Unterlippe herum.
„Ja. Aber das stört mich nicht. Ich habe sie ja nie gekannt.“
Ich blickte irritiert und ungläubig zu ihr hinunter, bewunderte ihr Selbstbewusstsein und ihre Stärke, wo sie doch so klein und zerbrechlich auf mich wirkte. Und so wunderschön. Doch ich wusste, dass sie nicht die Wahrheit sagte. Aber wieso?
Ich lächelte verlegen und starrte über sie hinweg in die Ferne. Auch wenn sie anscheinend so war, wie es die Gerüchte versprachen, konnte ich sie einfach nicht abstoßend finden. So viele Stimmen, die mir sagten, dass sie ein Ekel sei, das vor allem Jungs nicht leiden konnte, hatte ich ignoriert. Ich hatte mich dazu überwunden, ihr einen Zettel zuzustecken. Ein Schritt, den ich in meinen kühnsten Träumen nicht gewagt hätte, wäre nicht der Umstand eingetreten, dass ich bald umziehen würde. Ich wollte sie wenigstens einmal sehen. Alleine, ihre Aufmerksamkeit nur auf mich fokussiert. Doch war es die richtige Entscheidung gewesen?
„Und.. War das jetzt alles? Ich hab‘ noch zu tun“, sprach sie und ging einfach, ohne meine Antwort abzuwarten.
Es riss mich aus meinen Gedanken und ich stürmte ihr hinterher.
„Ich werde bald umziehen. Ich dachte, es wäre eine gute Idee, dass…“
„Dass du noch siehst, bevor du umziehst, ob ich wirklich so bin, wie es dir alle erzählt haben? Und jetzt bist du dir sicher, dass alles darauf zutrifft. Es ist ja nicht so als würde ich es nicht merken. Aber weißt du was? Mir ist Schnuppe, was ihr von mir denkt. Ihr könnt doch eh nichts anderes, als zu tratschen und andere Leute zu bewerten, anstatt sich selbst einmal an die Nase zu fassen. Für euch habe ich einfach nichts als Verachtung übrig.“
Schweigend gingen wir nebeneinander her. Ich etwas gehetzt, weil sie mich unbedingt loswerden wollte, ich jedoch nicht locker lassen wollte. Ich wollte sie überzeugen, ihr beweisen, dass ich nicht wie alle anderen war.
Sie bog in eine Seitengasse ab und blieb abrupt stehen, als sie eine Silhouette am anderen Ende der Gasse erblickte, dessen Gesicht als einziges nicht vollkommen im Dunkeln lag.
„Den Typen kenn‘ ich doch von irgendwoher…“, murmelte sie verwundert. Aus ihrem Blick ließ sich erkennen, dass es keine positive Erinnerung war.
Automatisch umfasste ich ihre Hand und zog sie nach hinten. Ein ungutes, undefinierbares Gefühl lag mir im Magen, das ich nicht kannte, und ich konnte nicht aufhalten, dass ich sie in diesem Moment beschützen wollte.
Doch ich hatte nicht bedacht, dass sich hinter uns ebenfalls Jemand aufgebaut hatte, der uns auflauerte. Im nächsten Moment geschahen mehrere Dinge:
Ich stieß erschrocken die Luft aus, als ich gegen irgendetwas prallte, drehte den Kopf und sah in ein hässliches Gesicht; kantig, hart, emotionslos, kalt. Alaina schrie auf, als sie den Mann ebenfalls bemerkte und wich zurück, in die Arme des Anderen. Ein heftiger Schmerz durchtrennte meinen Schädel, schien meinen Kopf zu bersten und breitete sich immer weiter aus. Mir wurde schwarz vor Augen, doch ich kämpfte dagegen an. Ich wand mich und schlug nach rechts und links, nach vorne und hinten, traf aber nur ins Leere und bemerkte nur dumpf, wie ich auf den harten Asphalt aufschlug.

Es schienen Stunden vergangen zu sein, als ich wieder etwas wahrnahm. Ein Rascheln, ein Scheppern und ein energisches Zischen, „Sei vorsichtig, du Idiot!“, das nur schwer zu verstehen war, da mein Kopf wie wild pulsierte und meine Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch nahm, dass ich fast gar nicht fähig war zu denken.
„Wenigstens hatten wir das

dabei. Jetzt wird sie uns keine Schwierigkeiten mehr machen. Die sehen wir nie wieder, und ihren Freund auch nicht.“
Ein kleiner Schmerz durchzuckte meinen Oberarm. Es fühlte sich an wie eine Spritze. Dann ein boshaftes Lachen, ein ächzendes Scharren. Stille.
Wie ich so da lag und mir langsam klar wurde, in welcher Lage ich mich gerade befand, ergriff mich Panik. Doch die Panik wurde von einem flauen, benebelnden Gefühl umwoben, die Panik wurde schwächer. Und gleichzeitig wusste ich, dass sie nur überspielt wurde. Sie war noch da und würde auch anhalten, aber etwas unterdrückte meine Gefühle und ließ mich auf einer Wolke dem Tor zum Schlaf entgegenschweben.

1. Kapitel




Gleißendes Licht stach mir durch die Augenlider und im nächsten Moment traf mich etwas hart an der Brust. Es tat sehr weh, was ungewöhnlich war, denn sonst hätte mir nicht so schnell irgendetwas weh getan. Ich öffnete verwirrt die Augen und blickte in mein Gesicht, das direkt über mir zu schweben schien.
War ich tot?
"Bist du eigentlich bekloppt, oder so? Was hast du mit mir gemacht, du Psycho?!", brüllte ich mich wütend und verstört an.
Aber - Moment mal. Das konnte doch gar nicht sein. Ich konnte mich doch nicht selber anbrüllen, geschweige mir ins Gesicht schauen, so ohne Spiegel! Was war hier los?
Ich grummelte noch etwas verschlafen und richtete mich, immer noch müde und mich am Kopf kratzend auf. Dabei fiel mir eine lange, dunkelbraune Haarsträhne nach vorne über die Schulter. Ich starrte sie fassungslos an, konnte nicht ganz begreifen, was hier abging. Was war das hier überhaupt? Träumte ich?
Ich kniff mir in den Oberarm. Erschrocken sog ich die Luft ein, denn es tat sehr weh. Augenblicklich erinnerte ich mich wieder an denjenigen, der mit meiner Stimme und aus meinem Mund gesprochen hatte.
"Wer bist du? Mein verschollener Zwilling, oder was?", fragte ich als bekennender Morgenmuffel.
"Nein, ich bin's, du Idiot!", antwortete mein anderes Ich mir gegenüber.
In meinem Kopf machte es plötzlich Klick

.
"Ach, ja. Stimmt. Es kann ja nur Eine geben, die so mit mir reden würde."
Ich erschrak und fasste mir an den Mund. Das war nicht meine Stimme. Auch mein Mund war weich und fühlte sich nicht an, wie mein Eigener. Nun starrte ich meine Hand an. Das war definitiv nicht meine Hand!
Keuchend zog ich wieder die Luft ein und bemühte mich, mich zu beruhigen.
"W-was ist hier passiert?!", stammelte ich mit Alaina C. Doyles Stimme.
"Woher soll ich'n das wissen, du Schlaumeier, hm?!", regte diese sich sofort auf. "Kannst du dir vorstellen, wie scheiße es ist, plötzlich da unten etwas hängen zu haben? Das ist doch voll eklig!"
Langsam wurde ich sauer. Schließlich war es mein Körper, den sie da gerade beleidigt hatte und so etwas konnte ich echt nicht ausstehen.
"Hey, es ist auch nicht gerade einfach, sich plötzlich damit abzufinden, nichts

mehr da unten hängen zu haben, klar?!"fauchte ich.
Wow, als Mädchen wirkte so etwas direkt besser!
Doch sie lächelte nur und offenbarte einen kleinen Ausschnitt meiner blitzend weißen Zähne. Mir war zuvor noch nie aufgefallen, wie weiß sie wirklich waren.
"Du bist so ein Trottel, weißt du das?", sagte sie und setzte sich neben mich auf den kalten Asphalt.
Ich betrachtete meinen neuen Körper forschend. Wie sollte ich mit so einer Situation klar kommen, wenn ich mir wie eine Tunte vorkam?
Alaina schien bemerkt zu haben, wie ich ihren Körper begutachtete, denn sie war gleich wieder auf huntertachtzig.
"Wehe, du wagst es, mich irgendwo da

anzufassen oder sonst was, kapiert?", keifte sie, was mit meiner tiefen Stimme relativ merkwürdig klang.
Ich war es jedoch mittlerweile leid und betrachtete sie mit einem Blick, der sie zum Schweigen bringen sollte.
"Also, ich hab' gerade echt Lust, mich mit dir zu streiten, aber könnten wir vielleicht wieder zu unserem eigentlichen Problem zurückkehren und versuchen, wieder in unsere alten Körper zu gelangen, anstatt hier rum zu zicken?", fragte ich betont ruhig.
Sie verdrehte kurz genervt die Augen, nickte aber. Dann war es still.
Ich wusste nicht, wie wir es anstellen konnten, "zurückzukommen". Jedoch musste es irgendwie funktionieren, ich wollte doch mein Leben lang nicht als die zickige Alaina Caissa Doyle herumlaufen! Doch es war nahezu unmöglich, dass so etwas überhaupt möglich sein konnte, sodass es mir sehr schwer fiel, einen klaren Gedanken zu fassen.
"Meinst du, wir könnten...? Weißt du, was ich meine?", fragte sie zögernd.
Ich sah sie verständnislos an. Wie konnte man aus diesem sinnlosen Geschwafel auch herausschließen, was sie von mir wollte?
Sie seufzte.
"War ja zu erwarten, dass du nur mit deinem nun nicht mehr vorhandenem Gebammel denkst. Also, du stellst dich da hin und ich mich da hin", sie deutete auf zwei Punkte, die sich etwa zehn Meter voneinander entfernt gegenüber lagen. "Dann rennen wir aufeinander zu. Jetzt verstanden, was ich meinte?"
Nun blickte ich ihr unschlüssig in meine schokobraunen Augen. Ihre Seele blitzte aus ihnen hervor, überzeugt von ihrer Idee, doch ich war mir nicht sicher, ob diese Idee nicht zufällig eine Schnapsidee war.
"Glaubst du wirklich, das könnte funktionieren?", fragte ich darum.
"Natürlich! Ein Versuch ist's immerhin wert oder fällt dir 'was Besseres ein?"
Ich schüttelte nachdenklich den Kopf. Wenn sie tatsächlich annahm, dass dieses Vorhaben irgendeinen Sinn ergab, so würde ich meinetwegen mitmachen, doch ich bezweifelte, dass es mehr Erfolg einbringen würde, als der pure Willen, mit Gedankenkraft etwas auszurichten. Dennoch, um wenigstens Etwas unternehmen zu können, stand ich auf und ging an das eine Ende der Gasse. Alaina tat es mir nach.
"Bereit?", fragte ich, als sie stehen blieb.
"Bereit."
Ich atmete tief durch, betrachtete mein Ziel.
"Gut. Eins, zwei, drei. Los!", rief ich und wir stürmten wie die Berserker mit einem Gröhlen aufeinander zu. Alaina kam immer näher und es fühlte sich an, als würde der boden unter unseren Füßen erbeben. Noch fünf Meter, noch drei, noch einer.
Bam

!
Ein dumpfer, schmerzhafter Aufprall erfolgte, dessen darauffolgender, aufkeimender Schmerz sich anfühlte, als wäre ich an die hundert Mal gegen eine harte Betonwand gelaufen. Mein Schädel brummte und protestierte lautstark mit einem pochenden Kopfschmerz, der überall zu sein schien.
Ich fasste mir mit schmerzverzerrtem Gesicht an meinen Hintern, auf dem ich nach dem Zusammenstoß gelandet war. Es war immer noch der "Neue".
Ächzend stützte ich mich auf meinen Händen ab, blickte Alaina müde und erschöpft an, die nicht weit neben mir ebenfalls keuchte und sich den Kopf rieb. Wie anstrengend so ein Sprint für einen zierlichen Körper, wie ihren doch war!
"Das war... 'Ne blöde Idee", hauchte ich immer noch atemlos in ihre Richtung.
"Ach, halt' doch einfach die Klappe!", sagte sie gereizt, ohne mir ins Gesicht zu sehen. "Fällt dir vielleicht 'was Besseres ein?"
"Soll ich ehrlich sein?"
Sie schaute mich erwartungsvoll an.
"Nein."
Sie stöhnte.
"Du Blödi!", rief sie aus und boxte mir gegen den Oberarm.
"Aua! Bist du blöd?"
"Nein, das bist doch schon du! Und was bist du eigentlich? Ein Mädchen, oder was?", fragte sie schadenfroh grinsend.
"Hm, zufälligerweise sieht's ganz danach aus, oder etwa nicht?", zickte ich sie beleidigt an.
"Nein, du bist ein Esel, danach sieht's aus!", lachte sie.
"Pah!"
Wut schnaubend stämmte ich mich auf meine Beine, die immer noch zitterten, richtete mein Shirt und stolzierte hoch erhobenen Hauptes davon.
"Hey!", gröhlte sie mir hinterher, doch ich überhörte es entschieden.
Langsam ging mir dieses Mädchen mächtig auf den- ach, nein das ging ja gar nicht mehr - auf den Keks! Zumal sie in meinem

Körper steckte.
Ich konnte nicht von mir behaupten, dass ich ein Supermodel hätte sein können, so wie ich aussah, doch war ich nicht so dick oder hässlich, dass man mich unattraktiv hätte nennen können. Außerdem war es mein

Körper und den wollte ich mit niemandem teilen. Ich wollte wieder Ich sein.
Jäh traf Etwas meinen Hinterkopf.
"Aua! Spinnst du?!", schrie ich erschrocken und drehte mich nun fuchsteufelswild um.
War ich eben noch darauf bedacht, bestimmt meine gute Erziehung zu präsentieren, so legte ich dieses Vorhaben in diesem Moment beiseite.
Jetzt sah ich, wie Alaina schon den zweiten Schuh auszog, um ihn, wenn nötig, dem Ersten hinterher zu werfen.
"Bist du bescheuert? Was fällt dir ein, du unerzogenes Biest?!", kreischte ich.
"Mann! Ich hab' echt keinen Bock mehr auf dieses Theater! Du bist echt ein Mädchen. Mehr Mädchen als ich!", bemerkte sie.
"Na, das ist wohl auch nicht so schwer", entgegnete ich trocken.
Sie seufzte nur als Antwort, zog sich beide Schuhe wieder an, nachdem sie den einen, den sie nach mir geworfen hatte, von einem Tablett eines Obststandes zurückgeholt hatte und den Verkäufer ignorierte, der lautstark ihr Verhalten protestierte, und eilte mir hinterher.
Nach einer Weile angespanntem Schweigens, erhob ich abermals das Wort: "Am Besten ist es, wenn wir versuchen, das Leben des jeweils Anderen so weiter zu führen, wie es normal für ihn ist und dabei nach einer Lösung für unser Problem suchen. Aber wir müssen uns vor diesen fiesen Typen in Acht nehmen. Ich hab' nämlich ds Gefühl, dass wir eigentlich hätten sterben müssen. Erinnerst du dich noch an das, was die Männer gesagt haben?"
"Ja, du hast Recht. Komm, wir müssen hier entlang. Da vorne wohne ich", sprach Alaina ruhig und deutete nach vorne.

Impressum

Texte: Linnéa Mael
Bildmaterialien: http://www.iheartberlin.de
Tag der Veröffentlichung: 06.10.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Never let the fear of striking out keep you from playing the game. - aus dem Film "Cinderella Story"

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