Im Leben passieren so viele unterschiedliche Dinge, parallel, gleichzeitig, versetzt. Oft sind sie unüberschaubar. Dinge die schön sind, an denen wir uns erfreuen, bereiten einem ein Hochgefühl und man denkt, man könnte fliegen. Höher und immer höher. Dieses Empfinden hat aber keine Beständigkeit, es vergeht wieder. Spätestens in der Sekunde, in der einem etwas Schlechtes passiert. Man darf wütend sein, man darf traurig sein, aber man darf sich nicht in diesen Strudel aus Nichts ziehen lassen. Aufstehen bedeutet, weitermachen, vorwärts schauen. Das, was einem passiert ist, zu akzeptieren und es anzunehmen, denn es ist Teil deiner Seele. Es ist das, was dich zu der Person macht, die du gerade bist. Und du wirst so wie in diesem Augenblick gar nicht bleiben, du wirst dich zwangsweise verändern, du wirst älter, weiser, reifer. Immer wieder werden neue Herausforderungen auf dich warten, die du meistern musst und dass verändert einen.
Aber was passiert, wenn man doch nicht mehr kann und einfach liegen bleibt und man sich nicht einmal helfen lassen will, denn man möchte sich doch nur noch ein kleines bisschen mehr in seinem eigenen Elend suhlen? Darf dann jemand anderes für einen entscheiden? Was ist schwarz und was ist weiß? Gibt es das überhaupt? Ich denke nicht. So viele Grauschattierungen … Es gibt kein richtig oder falsch, es gibt nur ein Handeln, aber egal was du tust, bedenke, dass jede Handlung eine Konsequenz nach sich zieht, die einen sind positiv, die anderen negativ. Auf Aktion folgt bekanntlich Reaktion. Die Menschen behandeln dich, wie du sie behandelst. Das ganze Universum ist nur ein Spiegelbild deiner selbst.
Menschen werden einen verletzen. Manche tun es aus Boshaftigkeit, andere um einen zu beschützen und wieder andere versuchen mit aller Macht dir nicht wehzutun, aber egal was sie anfassen, am Ende bist du dennoch der Leidtragende. Und wie oft hast du verletzt? Wie oft hast du jemanden dazu gebracht zu weinen?
Wie viel Schmerz und Kummer kann eine menschliche Seele eigentlich ertragen, bevor sie dann stillschweigend einfach zerbricht oder zu Eis gefriert? Wie lange kann man einfach nur funktionieren? Wann kommt der Punkt, an dem man aufgibt? Wann kommt der Moment, in der dich deine selbstauferlegte Einsamkeit verschlingt wie ein schwarzes Loch? Und wann entscheidest du dich, alles hinter dir zu lassen und weiterzugehen?
Verzeihen … Vielleicht ist das der Kern der Sache, um nicht auf der Stelle zu treten. Vielleicht kann man nur eine Zukunft haben, wenn man der Vergangenheit aus vollem Herzen vergibt …
Lass dir von der Liebe dein Herz erwärmen, wie die Sonne die Zweige der Bäume und Sträucher erwärmt und sie wieder zum Erblühen bringt.
Der lange schale Flur, den ich durchstreife, ist gespenstisch still. Der Unterricht hat bereits angefangen und alle Schülerinnen und Schüler sitzen schon in den Klassenräumen und lauschen brav den jeweiligen Lehrern. Wie üblich bin ich wieder einmal unpünktlich, deswegen muss mich die unfreundliche Sekretärin meiner neuen Schule, deren Namen ich mir nicht gemerkt habe, zur Klasse führen. Ich habe nicht einmal den Hauch einer Ahnung, welches Fach ich jetzt habe. Die zottlige kleine Frau die mit ihren Absatzschuhen, in denen sie nicht gerade vorteilhaft laufen kann, vor mir her stakst, hat mir zwar einen Stundenplan gegeben, aber ich habe ihn sofort, als sie mir den Rücken zugekehrt hatte, in den nächsten Mülleimer geworfen. Du wirst sehen, es wird dir dort gefallen! Alles wird besser werden!, haben sie gesagt. Das dachten jedenfalls meine Eltern. Der Tag, an dem sie mir gesagt haben, wir würden umziehen hat sich bis in alle Zeiten in mein Gedächtnis gebrannt. Ich dachte echt, ich falle vom Hocker. Natürlich behaupteten sie, Dad wäre gezwungenermaßen versetzt worden, aber ich denke, er hat um eine Versetzung gebeten. Schon klar, ich war total aufmüpfig in den letzten zwei Jahren, habe ziemlich viel Unsinn angestellt und Mom und Dad hatten es nicht leicht mit mir, aber ich bin nun mal ein verdammter Teenager, die benehmen sich eben beschissen, sind die Hormone und so. Im letzten Jahr die Schule zu wechseln ist echt zum Kotzen! Letztendlich musste ich mich damit abfinden und ich musste mich fügen.
»Mr. Knox, beeilen Sie sich!«, reißt mich die tadelnde Stimme von Ms. Wie-auch-immer-sie-heißt aus meinen Gedanken und erst da merke ich, dass ich zurückgefallen bin.
»Ja, ja«, maule ich nur und verdrehe genervt die Augen. Sie klopft an einer Türe und öffnet diese sogleich. Ich betrete, die Hände in den Taschen, die Klasse und augenblicklich befinden sich sämtliche Augen auf mir. Der Weg bis zum Lehrertisch scheint endlos lang zu sein.
»Ryan Knox«, stelle ich mich dem Lehrer vor, der mich über seine dicke Hornbrille böse anfunkelt.
»Sie sind spät dran Mr. Knox. Der Unterricht hat vor sieben Minuten begonnen.«
»Kommt nicht wieder vor«, antworte ich gelassen ohne mich dafür zu interessieren, ob es nun tatsächlich nicht wieder vorkommt, denn mal ehrlich, es juckt mich nicht die Bohne.
»Suchen Sie sich einen freien Platz.« Für einen Moment bleibe ich noch stehen, um mir einen Überblick über den Raum zu verschaffen und mir somit einen freien Platz zu suchen. Glück gehabt! In der letzten Reihe neben einem Mädchen ist noch was frei. Sie starrt zum Fenster hinaus und nimmt keine Notiz von mir, als ich auf sie zusteuere. Ob sie überhaupt gemerkt hat, dass jemand Neues die Klasse betreten hat? Weil sie die ganze Zeit beim Fenster herausguckt, kann ich nur ihr Profil erkennen, die kleine Stupsnase, die langen dunklen dichten Wimpern und ihren bronzenen Teint. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund brennt sich dieser Anblick gerade in mein Hirn. Die aschbraunen Haare hat sie am Kopf locker zu einem Knoten gebunden, deswegen kann ich nicht sagen, ob es lang, glatt oder gewellt ist. Geräuschvoll ziehe ich neben ihr den Stuhl zurück, um auf mich aufmerksam zu machen und lasse mich darauf plumpsen. Das scheint sie aus ihrer Trance zu reißen und sie sieht mich mit runzliger Stirn an. Ihre kugelrunden großen kohlrabenschwarzen Augen blicken mich verwundert an.
»Da sitzt schon jemand!«, ihre Stimme hat ein angenehmes Timbre, nicht so schrill wie das der anderen Mädchen. Ich ziehe schelmisch einen Mundwinkel nach oben.
»Ja, ich«, sage ich mit meiner besten Verführerstimme. Was sie nicht im Mindesten zu berühren scheint. Eigentlich, ohne eingebildet zu sein, wirke ich sehr anziehend auf Mädchen, aber wie mir scheint, trifft das nicht auf sie zu. Können bereits schwarze Augen noch dunkler werden?
»Vollidiot«, nuschelt sie.
»Angenehm, Ryan!«, provoziere ich und lächle sie überfreundlich an.
»Du hältst dich wohl für sehr witzig, was?«
»Ich halte mich nicht nur für witzig, ich bin es!«
»Halt den Rand!«, schimpft sie etwas zu laut, was unseren Lehrer sofort auf uns aufmerksam macht.
»Ah, Ms. Morrison Sie wollen uns erklären, was Lysosomen sind?« Jetzt weiß ich zumindest, wir haben Biologie. Sie guckt ihn an, als hätte er gerade die Hosen runter gelassen, also ziemlich angewidert.
»Bestimmt nicht, nein!«, antwortet Morrison mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen, was den Lehrer nur wütend zu machen scheint. Ich wundere mich darüber, denn die Mädchen, die ich bis jetzt kennengelernt habe, hätten sich einem Lehrer gegenüber nie so vorlaut verhalten.
»Dann würde ich Sie bitten meinen Unterricht zu verlassen, denn anscheinend interessiert es Sie sehr wenig, was sich hier vorne abspielt!«
»Aber mit Vergnügen Professor Baker!« Morrison knallt ihren Rucksack auf den Tisch, räumt ihn geräuschvoll ein, was Professor Baker mit einem missbilligenden Kopfschütteln verfolgt. Sie stürmt an mir vorbei, wobei sie mir einen giftigen Blick schenkt, reißt die Klassentür auf und wirft sie krachend hinter sich zu. Das nenne ich mal einen Abgang. Ein Junge in der Bankreihe vor mir dreht sich grinsend zu mir um.
»Hey! Ich bin Jackson.«
»Mr. Coleman, wollen Sie es Ms. Morrison gleichtun?«
»Verzeihung«, entschuldigt sich Jackson. Mann, wie ich Bio hasse. Ich kann nur hoffen, die Stunde vergeht schnell.
Als es endlich zur langersehnten Pause klingelt, wartet Jackson auf mich. Er ist ziemlich groß und schlaksig, sein pechschwarzes Haar ist kurz geschoren, was seinen runden Kopf ziemlich zur Geltung bringt. Jackson wirkt ganz freundlich, mal sehen vielleicht geht das Freundschaftsschließen ja doch schneller als erwartet.
»Zeig mal deinen Stundenplan. Vielleicht haben wir noch ein paar Fächer zusammen«, bittet er mich.
»Sorry, habe keinen«, antworte ich und strecke meine leeren Handflächen gen Himmel.
»Hast du keinen bekommen?«
»Wie es aussieht nicht«, sage ich, denn ich will ihm jetzt nicht erklären, dass mir der Unterricht im Grunde ziemlich egal ist. Mit einem Kopfnicken deutet er mir mitzukommen, ahnend, wohin er mich bringen will, schlendere ich hinter ihm her. Als uns Ms. Ich-weiß-immer-noch-nicht-wie-sie-heißt abfällig einen weiteren Stundenplan für mich gegeben hat, flüchten wir aus dem Büro. Jackson und ich gleichen unsere Stundenpläne ab und freudig stellt er fest, dass wir alle Fächer gemeinsam haben. Tja, und jetzt heißt es zwei endlose Stunden Geschichte. Im Klassenzimmer angekommen, stelle ich fest, dass Morrison, mit ihrem Vierzehn-Tage-Regenwetter-Gesichtsausdruck, ebenfalls in diesem Kurs ist und wieder in der letzten Bankreihe am Fenster Platz genommen hat. Jackson und ich setzen uns ans andere Ende des Raumes.
»Was ist denn mit der los?«, frage ich Jackson und nicke mit dem Kopf in Morrisons Richtung.
»Mit Dracula? Nichts, die ist immer so«, erklärt er schulterzuckend.
»Dracula?«, frage ich verdutzt, denn ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das ihr Name sein soll.
»Eigentlich ist ihr Name Lilia, aber alle nennen sie Dracula. Also falls du jemandem im Gang über Dracula sprechen hörst, sie ist gemeint«, erklärt er und deutet auf das Mädchen. Lilia, der Name gefällt mir. Sehr sogar.
»Wieso?«
»Weil sie genauso zurückgezogen lebt wie der Graf und sie kann dir alleine mit ihren Blicken das Blut in den Adern gefrieren lassen.« Während ich sie nachdenklich betrachte, schweigt Jackson kurzweilig.
»Wie gut kennst du Lilia?«
»Sie war meine beste Freundin … Bis vor zwei Jahren«, plötzlich klingt er ein bisschen geknickt.
»Wow! Und da nennst du sie Dracula?« Schuldbewusst senkt er den Blick.
»Anscheinend haben die anderen auf mich abgefärbt.« Das bringt mich wieder zu meiner eigentlichen Frage.
»Was ist passiert?«, frage ich ehrlich interessiert.
»Wenn ich das nur wüsste. Eines Tages hat sie einfach aufgehört, mit mir zu sprechen. Und von Monat zu Monat wurde sie immer verschlossener, kälter.« Ich will ihn weiter über Lilia ausfragen, aber da kommt unser Geschichtslehrer bei der Türe hinein. Ende Gelände. Meine Fragestunde muss warten.
Nach der letzten Stunde verabschiede ich mich von Jackson und stürme auf den Parkplatz. Sowas von ätzend! Wir haben einen Haufen Hausaufgaben aufgebrummt bekommen. Verdammt! Ich hab noch ein Privatleben. Gerade will ich meine alte Rostlaube, die ich liebevoll Missy nenne, aufschließen, als ich Lilia vor ihrem Auto stehen sehe. Rauchend! Ist es ihr denn egal, dass wir uns auf dem Schulgelände befinden? Zuerst will ich einsteigen, überlege es mir dann aber doch anders und gehe zu ihr. Lilia sieht mich auf sie zukommen und ihr Blick verdüstert sich beinahe sofort. Nett! Ich lehne mich neben sie an ihren Wagen.
»Wir befinden uns auf dem Schulgelände«, sage ich mit einem Kopfnicken auf die Zigarette. Sie zieht eine Augenbraue hoch und mustert mich so herablassend, dass ich am liebsten auf einen Zentimeter Größe schrumpfen möchte, um ihrem Blick zu entgehen. Man, diesen kalten Blick hat sie echt drauf!
»Und? Was willst du mir damit sagen?«, schnauzt sie mich kühl an.
»Ach, nichts, schon gut.« Sie inhaliert noch einige Male tief den blauen Qualm ein und wirft den Glimmstängel dann zu Boden.
»Verpiss dich, Ken!«, sagt sie und drängt mich mit wenig Erfolg zur Seite. Hat sie mich gerade ernsthaft Ken genannt!?
»Mein Name ist Ryan.« Ihre Augen blitzen belustigt auf.
»Welche Haarfarbe hast du?« Will die mich verarschen?
»Blond«, antworte ich gedehnt.
»Augenfarbe?«
»Blau.«
»Dein Teint?«
»Ein bisschen sonnengebräunt vielleicht?«
»Tja, siehst du. Ganz eindeutig Ken!«, ruft sie und ich kann ein kleines Zucken um ihren Mund sehen, als sie mein konfuses Mienenspiel sieht. Hat sie mich gerade mit Barbies Ken verglichen? Ich bin doch kein Weichspüler! Völlig verwirrt, was sich hier gerade abgespielt hat, mache ich Platz und lasse sie in ihr Auto steigen, dann mache ich mich selbst auf den Weg nach Hause.
»Bin wieder da!«, rufe ich zu Begrüßung durch das Haus und gehe direkt in mein Zimmer. Das Haus, welches wir bewohnen, ist ebenerdig. Mein Zimmer ist das Kleinste und befindet sich direkt neben dem Kellerabgang. Das Schlafzimmer meiner Eltern befindet sich im vorderen Teil des Hauses und gegenüber der Wohnküche. Zwischen meinem Zimmer und dem Schlafzimmer ist das Badezimmer. Sobald ich in meinem Wohnraum stehe, werfe ich meinen Schulrucksack in eine Ecke schnappe mir meinen Laptop und knalle mich auf mein Bett. Ich betätige den Einschaltknopf, mein Laptop fährt hoch und ich gebe mein Passwort ein. Eigentlich ist das Passwort völlig unnötig, denn ich denke nicht, dass meine Eltern in meinen privaten Angelegenheiten schnüffeln würden. Weil ich Lust auf Musik habe, klicke ich mich durch meine Medienbibliothek und öffne eine Playlist. Da ich die Lautsprecher meines Laptops schrecklich finde, läuft die Musik durch Bluetoothboxen. Dann checke ich noch rasch mein Meet-So-Profil und stelle fest, ich habe eine neue Freundschaftsanfrage.
Jackson Coleman will mit dir befreundet sein.
Bestätigen.
Ich scrolle mich durch seine Seitenansicht und finde heraus, wir haben einen ganz ähnlichen Musikgeschmack. Während ich mich durch seine Bilder klicke, fällt mir ein, dass ich Lilias Profil suchen könnte. Zuerst klicke ich durch Jacksons Freundesliste, doch als ich da ihr Profil nicht finde, gebe ich ihren Namen in der Suchleiste ein. Ich finde sie, aber weil ich sie nicht in der Freundesliste habe, habe ich keinen Einblick auf ihre Seite. Zuerst überlege ich, ob ich ihr nicht eine Freundschaftsanfrage senden soll, verwerfe den Gedanken dann aber schnell wieder. Sie hat mich mit Ken verglichen, das hat ganz schön an meinem Ego gekratzt und ich werde bestimmt niemandem meine Freundschaft aufzwingen. Außerdem ist sie eine unfreundliche, kratzbürstige Kuh. Ich bin doch nicht blöd und komme angedackelt wie ein Hund! Plötzlich ploppt ein Chatfenster auf. Es ist Jackson.
Hey! Und ist das Verhör schon zu Ende? :D
Welches Verhör?
Komm schon!? Meine Mom fragt mich tagtäglich, wie mein Schultag so gelaufen ist. Ich gehe davon aus, dass das eine Elternkrankheit ist *gg*. Und du hast heute den ersten Schultag in einer neuen Schule überstanden. Also?
Hast wohl recht, ist ´ne Elternkrankheit. Ich habe mich gleich in mein Zimmer verdrückt, also ist es noch für eine Weile aufgeschoben, aber wir hatten auch noch kein Abendbrot. Da sitzen wir dann alle zusammen bei Tisch. Das bedeutet ich alleine mit zwei Bullen, die mich ziemlich in die Mangel nehmen werden -.-´
Oh scheiße! Sind die echt so Hardcore drauf? Mein Beileid! xD
Ihrer Meinung nach stehe ich kurz davor Satan persönlich Tieropfer darzubringen, um den Aufnahmeritus einer Satanistengruppe zu bestehen …
Tut mir echt leid ^^
Ich übergehe seinen Kommentar einfach, denn wir wissen beide, er amüsiert sich über meine Lage prächtig! Stattdessen kommt mir in den Sinn, ihn weiter über Lilia zu befragen.
Jackson, hat Lilia eigentlich Freunde? Mir ist aufgefallen, dass sie mit niemandem aus der Klasse spricht.
Sie hat zwar Freunde, aber nicht in der Schule, dafür verhält sie sich anderen gegenüber viel zu sehr wie ein Arschloch. Die Leute, mit denen sie befreundet ist, sind ganz schön zwielichtige Gestalten. Ich weiß nicht, wo sie drin steckt, aber ich denke, es ist nicht gut.
Interessant. Diese Personen würde ich gerne einmal sehen.
War sie schon immer so … eigenbrötlerisch?
Hab ich dir doch schon erklärt, wir waren ziemlich dicke Freunde, keine Ahnung, was dann mit ihr passiert ist. Wieso interessiert dich das eigentlich?
Reine Neugier.
Stehst wohl auf sie, was? :P
Oh Gott bewahre, die ist total kratzbürstig!
Haha :D
»Das Essen ist fertig!«, brüllt meine Mom durch das Haus und ich bin mir sicher, sogar die Nachbarn haben sie gehört. Würde mich nicht wundern, wenn die deswegen auch bei Tisch auftauchen würden.
»Komme schon!«, brülle ich genauso laut zurück.
Na gut! Verhörzeit ist angesagt. Wir sehen uns in der Schule.
Guten Hunger ^^
Irgendwie mag ich Jackson, er hat Humor und ist freundlich. Ich glaube, wir werden noch gute Freunde werden. Sobald ich bei Tisch sitze, geht das Kreuzverhör los.
»Wie war dein erster Schultag, mein Schatz?«, fragt Mom.
»Wie jeder andere Tag auf meiner alten Schule, Mom.«
»Ryan, antworte deiner Mutter vernünftig«, tadelt Dad, was mich mit den Augen rollen lässt. Ich liebe meine Eltern, aber meine Güte ich bin ein Teenie! Es ist mein hormongegebenes Recht mich gelangweilt zu verhalten.
»Ich war zu spät, habe eine Abmahnung des Lehrers bekommen und ich habe einen Kumpel. Sein Name ist Jackson. Mehr kann ich noch nicht sagen, weil ich noch nicht alle Unterrichtsfächer für diese Woche durchhabe.«
»Dein erster Tag und du warst zu spät? Großartig!«, regt sich Mom auf. War ja klar, dass sie nur das hört, den Freund hat sie einfach überhört! Dämliche selektive Wahrnehmung …
»Beruhige dich Mom. Es kommt nicht mehr vor«, vertröste ich sie, obwohl ich weiß, es wird wieder vorkommen, zwar erst wieder in ein oder zwei Wochen, aber was soll es. Derweil tue ich so, als würde mich die Schule interessieren, um meine Eltern einfach zu besänftigen. Nach dem Abendessen gehe ich noch ein wenig raus, um mir die Beine zu vertreten. Ich stecke die Kopfhörer an mein Smartphone und lasse mir die Töne von Nirvana in voller Lautstärke in meine Ohren dröhnen. Von der Großstadt in eine Kleinstadt. Ich war in Clearbridge geboren und aufgewachsen, die Stadt hatte ungefähr 1,5 Millionen Einwohner. Im Gegensatz zu Owland, wo ich jetzt gelandet bin, war Clearbridge ein ganzer Kontinent, denn diese Stadt hatte zehntausend Einwohner. Da kennt ja jeder jeden! Zwar bin ich ganz froh darüber mich mit Jackson angefreundet zu haben, aber ich vermisse meine alte Clique. Gut, sie waren vielleicht wirklich nicht der beste Umgang, wir haben in der Schule echt viel Mist gebaut, waren so gut wie ständig zu spät, ziemlich frech den Lehrkräften gegenüber, einer unserer Crew ist im Jugendknast gelandet, weil der Idiot dachte, wenn er in die Schule einbräche und seine Noten manipuliere, würde er die Klasse bestehen. Dummerweise hat er sich erwischen lassen. Ein Monat Knast war die Folge. Hätte er uns in seinen Plan eingeweiht, hätten wir das Ding gemeinsam durchgezogen. Wir haben erst am nächsten Morgen von seiner Tat erfahren. Trotz allem konnte man sich auf diese Leute verlassen. Doch in den letzten Wochen, vor unserem Umzug, machte ich mir immer wieder Gedanken über meine Zukunft, denn wenn ich ehrlich mit mir selbst war, wollte ich nicht so enden. Keine Perspektive. Kriminell. Knast. Das alles waren keine rosigen Aussichten. Aber so einfach ist es eben nicht aus einer Clique wieder herauszukommen. Insofern war der Umzug eigentlich keine schlechte Idee, denn Tatsache war, mir wurde der Ernst meiner Lage wirklich bewusst, auch wenn ich mir das erst jetzt eingestehe. Die beste Möglichkeit aus einer Clique herauszukommen, war ein Umzug!
Dem Anschein nach muss ich schon eine ganze Weile unterwegs sein, denn die Küste kommt in Sicht. Als ich auf die Küste zusteuere, sticht mir eine zusammengekauerte Gestalt ins Auge. Die Person neigt den Kopf Richtung Himmel, die Augen geschlossen. Dieses Profil würde ich überall erkennen. Es ist Lilia, aber was tut sie hier völlig alleine? Das strahlende Rot der untergehenden Sonne schimmert auf ihrem Gesicht und lässt ihre Haut golden leuchten. Jetzt weiß ich auch, sie hat gewelltes, schulterlanges Haar, welches nun mahagonifarben funkelt. Lilia nimmt eine Flasche, die bis jetzt zwischen ihren Beinen eingeklemmt war, führt sie zu ihren Lippen und nimmt einen tiefen Schluck. Die bernsteinfarbene Flüssigkeit lässt auf Whiskey hindeuten. Sie trinkt Alkohol und raucht? Okay, hin und wieder trinke ich auch ein Bier, aber niemals unter der Woche, also wieso zum Henker trinkt sie jetzt? Möglich das sie auf eine Party geht? Ich nehme die Kopfhörer aus den Ohren und stelle die Musik aus, als ich mich zu ihr stelle.
»Rauchen und trinken?«, frage ich mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Sie zuckt leicht
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: M. Dabjuk
Bildmaterialien: Linda Steiner
Lektorat: Bettina Auer
Tag der Veröffentlichung: 23.02.2017
ISBN: 978-3-7396-9924-0
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich wünschte, ich wäre wie Schnee. Rein, kalt und wunderschön. Bloß für einen Lidschlag auf der Erde und dann nur mehr eine liebliche Erinnerung. Bis der nächste Winter kommt.